Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 12.07.2012


BGH 12.07.2012 - IX ZB 18/12

Insolvenzantrag einer Krankenkasse: Wegfall des Rechtsschutzinteresses nach Erfüllung der Forderung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem versicherten Arbeitnehmer im Zuge einer Betriebsschließung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
12.07.2012
Aktenzeichen:
IX ZB 18/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Aachen, 23. Januar 2012, Az: 6 T 101/11vorgehend AG Aachen, 7. Juli 2011, Az: 91 IN 68/11
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Wird die Forderung des antragstellenden Sozialversicherungsträgers nach Stellung des Insolvenzantrages erfüllt, entfällt das Rechtsschutzinteresse dieses Gläubigers an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn der Schuldner das Arbeitsverhältnis des bei dem Gläubiger versicherten Arbeitnehmers gekündigt und die Betriebsstätte geschlossen hat.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 23. Januar 2012 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 2 zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.676,60 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Am 22. Februar 2011 beantragte die weitere Beteiligte zu 1, eine Krankenkasse, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Am 9. März 2011 stellte auch die weitere Beteiligte zu 2, ebenfalls eine Krankenkasse, einen entsprechenden Antrag. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens bestellte das Insolvenzgericht am 9. Mai 2011 einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete Sicherungsmaßnahmen an.

2

In der Zeit vom 11. bis zum 16. Mai 2011 leistete die Lebensgefährtin des Schuldners insgesamt 15.147,08 € auf fällige Gläubigerforderungen. Dabei glich sie auch die Forderungen der weiteren Beteiligten zu 1 und zu 2 aus. Der Schuldner ist nicht zu einer Rückzahlung der für ihn erbrachten Leistungen verpflichtet. Seiner bei der weiteren Beteiligten zu 2 versicherten Arbeitnehmerin kündigte er im Hinblick auf die Schließung seiner zweiten Betriebsstätte zum 31. Mai 2011 und meldete sie bei der weiteren Beteiligten zu 2 ab. Am 19. Mai 2011 führte der vorläufige Insolvenzverwalter in seinem Gutachten aus, die im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegende Zahlungsunfähigkeit bestehe nicht mehr fort.

3

Bereits durch Schreiben vom 17. Mai 2011 hat die weitere Beteiligte zu 1 ihren Antrag für erledigt erklärt. Die weitere Beteiligte zu 2 hat demgegenüber am 28. Mai 2011 unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO um gerichtliche Entscheidung über den Eröffnungsantrag gebeten. Der Schuldner hat sich der Erledigungserklärung der weiteren Beteiligten zu 1 angeschlossen. Das Insolvenzgericht hat die beiden zuvor getrennt geführten Verfahren miteinander verbunden, den Insolvenzantrag der weiteren Beteiligten zu 2 als unzulässig abgewiesen und im Übrigen über die Kosten entschieden. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihren Antrag auf Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen des Schuldners weiter.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen (§ 575 ZPO) zulässig. In der Sache ist sie jedoch unbegründet.

5

1. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO in Übereinstimmung mit dem Wortlaut auch dann eröffnet ist, wenn der zeitlich vorangegangene Antrag noch anhängig ist (vgl. Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2011, § 14 Rn. 117 ff; HmbKomm-InsO/Wehr, 4. Aufl., § 14 Rn. 69; Frind, ZInsO 2011, 412, 416), oder ob das vorausgegangene Antragsverfahren abgeschlossen sein muss (vgl. LG Leipzig, NZI 2012, 274, 275; AG Göttingen, ZInsO 2011, 1515, 1517; AG Göttingen, ZInsO 2011, 2090, 2091; FK-InsO/Schmerbach, 6. Aufl., § 14 Rn. 175a ff), ist nicht entscheidungserheblich.

6

2. Denn der weiteren Beteiligten zu 2 fehlt jedenfalls das gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO weiterhin erforderliche rechtliche Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

7

a) Auch im Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO entfällt das Tatbestandsmerkmal des rechtlichen Interesses nicht (vgl. HmbKomm-InsO/Wehr, aaO Rn. 72; Pape, aaO Rn. 130 ff; Beth, NZI 2012, 1, 2; Gundlach/Rautmann, NZI 2011, 315, 317; Marotzke, ZInsO 2011, 841, 848 f). Dies folgt bereits aus der Formulierung, der Antrag werde nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt werde (vgl. HmbKomm-InsO/Wehr, aaO). Allerdings sind in diesem Fall strenge Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse und die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes zu stellen, so dass ein rechtliches Interesse an einer Verfahrensfortführung regelmäßig nur bei Finanzbehörden und Sozialversicherungsträgern anzuerkennen sein wird, weil diese öffentlichen Gläubiger nicht verhindern können, dass sie weitere Forderungen gegen den Schuldner erwerben (BT-Drucks. 17/3030, S. 42).

8

b) Nach diesem Maßstab hat die weitere Beteiligte zu 2 kein rechtliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens dargelegt. Denn der Schuldner hatte unter anderem der bei ihr versicherten Arbeitnehmerin gekündigt und die Betriebsstätte geschlossen. In einem solchen Fall besteht für einen Sozialversicherungsträger regelmäßig nicht die konkrete Gefahr, dass eine weitere wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners bei diesem neue Verbindlichkeiten begründen wird, mit deren Ausgleich der Schuldner wiederum in Rückstand geraten kann (vgl. Hackländer/Schur, ZInsO 2012, 901, 908 ff; HmbKomm-InsO/Wehr, aaO). Hierauf hatte schon das Insolvenzgericht seine Entscheidung hilfsweise gestützt.

Kayser                                                Gehrlein                                             Fischer

                           Grupp                                                 Möhring