Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 08.03.2012


BGH 08.03.2012 - IX ZB 178/11

Grenzüberschreitende Insolvenz: Voraussetzungen für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über das inländische Vermögen eines Gewerbetreibenden


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
08.03.2012
Aktenzeichen:
IX ZB 178/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Wuppertal, 9. Mai 2011, Az: 6 T 246/11vorgehend AG Wuppertal, 14. März 2011, Az: 145 IE 5/10
Zitierte Gesetze
Art 3 Abs 2 EGV 1346/2000

Leitsätze

Für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ist ohne Rücksicht auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen allein maßgeblich, ob der Schuldner eine inländische Niederlassung hat.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 9. Mai 2011 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Schuldner war Notar mit Amtssitz in V.        (Nordrhein-Westfalen). Die weitere Beteiligte (fortan: Gläubigerin) kündigte im Dezember 2008 die Geschäftsverbindung zu ihm und forderte Rückzahlung von 3.256.555,09 €. Der Schuldner meldete daraufhin Anfang Februar 2009 in Birmingham (England) ein Gewerbe als Sportfotograf an, entfaltete zunächst aber keinerlei gewerbliche Tätigkeit.

2

Mit Verfügung vom 9. Juni 2009 teilte die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf dem Schuldner mit, sie beabsichtigte, ihn seines Amtes zu entheben, weil er in Vermögensverfall geraten sei und seine wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten. Zugleich enthob sie ihn vorläufig seines Amtes, mit dessen Wahrnehmung ein Notariatsverwalter betraut wurde. Dagegen eingelegte Rechtsmittel des Schuldners blieben ohne Erfolg (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2010 - NotZ 6/10, ZVI 2011, 370). Der Schuldner wurde am 4. Januar 2011 endgültig seines Amtes als Notar enthoben.

3

Am 17. Juni 2010 eröffnete der County Court Birmingham auf Antrag des Schuldners - ein früherer Eröffnungsbeschluss vom 21. Mai 2009 war auf ein Rechtsmittel des englischen Insolvenzverwalters hin aufgehoben worden - das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen.

4

Am 10. November 2010 hat die Gläubigerin die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über das inländische Vermögen des Schuldners beantragt. Der Antrag ist als unzulässig abgewiesen worden. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Gläubigerin weiterhin die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens über das inländische Vermögen des Schuldners erreichen.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 1, §§ 6, 7 InsO aF, Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens im Ergebnis zutreffend deshalb abgelehnt, weil der Schuldner im Inland keine Niederlassung hat.

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1. Nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) setzt die Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens voraus, dass der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet desjenigen Mitgliedsstaates unterhält, in welchem das Zweitverfahren eröffnet werden soll. Eine Niederlassung ist nach der Legaldefinition des Art. 2 lit. h EuInsVO jeder Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, welche den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Dass die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in dieser Definition mit dem Vorhandensein von Personal verknüpft wird, zeigt, dass ein Mindestmaß an Organisation und eine gewisse Stabilität erforderlich sind. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass das bloße Vorhandensein einzelner Vermögenswerte oder von Bankkonten grundsätzlich nicht den Erfordernissen für eine Qualifizierung als "Niederlassung" genügt (EuGH, NZI 2011, 990, Rn. 62; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - IX ZB 227/09, NZI 2011, 120 Rn. 4).

7

2. Am 10. November 2010, dem maßgebenden Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. EuGH, ZIP 2006, 188 Rn. 23 ff; NZI 2011, 990 Rn. 55; BGH, Beschluss vom 9. Februar 2006 - IX ZB 418/02, ZIP 2006, 529 Rn. 6 ff; vom 2. März 2006 - IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767 Rn. 10; vom 22. März 2007 - IX ZB 164/06, NZI 2007, 344 Rn. 5; vom 15. November 2010 - NotZ 6/10, ZVI 2011, 370 Rn. 10), unterhielt der Schuldner keine Niederlassung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO.

8

a) Zu diesem Zeitpunkt war der Schuldner allerdings noch Notar. Das gegen ihn geführte Amtsenthebungsverfahren richtete sich gemäß § 118 Abs. 3 BNotO nach § 50 Abs. 3 BNotO in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf beabsichtigte, ihn seines Amtes zu entheben, weil seine wirtschaftlichen Verhältnisse und die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten (§ 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO). Auf seinen Antrag hin musste die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen für die Amtsenthebung vorlagen, durch das Disziplinargericht getroffen werden (§ 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO aF). Die Amtsenthebung setzte den rechtskräftigen Abschluss dieses Vorschaltverfahrens voraus; sie erfolgte erst am 4. Januar 2011.

9

b) Bereits die vorläufige Amtsenthebung (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BRAO) und die Bestellung eines Notariatsverwalters (§ 56 Abs. 4 BNotO) am 9. Juni 2009 hatten jedoch zur Folge, dass das in eigenen Räumen des Schuldners belegene Notariat nicht mehr als dessen inländische Niederlassung angesehen werden kann.

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aa) Der Schuldner konnte von der vorläufigen Amtsenthebung an aus Rechtsgründen keine auf das Notariat bezogene wirtschaftliche Aktivität mehr entfalten. Während der Dauer der vorläufigen Amtsenthebung hat der Notar sich jeder Amtshandlung zu enthalten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 BNotO). Amtsgeschäfte nach § 23 BNotO kann er nicht mehr vornehmen (§ 55 Abs. 2 Satz 3 BNotO). Damit kann er keine Einnahmen aus der Notartätigkeit mehr erzielen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, die sich auf den Bericht des Sachverständigen vom 11. Februar 2011 bezogen haben, hat sich der Schuldner an das Verbot gehalten. Die Tätigkeit des Notariatsverwalters kann dem Schuldner nicht zugerechnet werden. Der Notariatsverwalter ist kein Angestellter des Notars. Er wird von der Landesjustizverwaltung bestellt (§ 57 Abs. 2 BNotO) und führt sein Amt auf Rechnung der Notarkammer gegen eine von dieser festzusetzende angemessene Vergütung (§ 59 Abs. 1 BNotO). Ihm, nicht dem Notar stehen die Kostenforderungen aus den Amtsgeschäften zu (§ 58 Abs. 2 BNotO). Überschüsse werden an die Notarkammer ausgekehrt (§§ 59, 60 BNotO).

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bb) Daraus folgt zugleich, dass der Notariatsverwalter nicht als "Personal" des Schuldners angesehen werden kann (Art. 3 Abs. 2, Art. 2 lit. h EuInsVO). Gleiches gilt für dessen ehemalige Angestellte. Soweit der seines Amtes vorläufig enthobene Notar Angestellte hatte, werden diese nicht kraft Gesetzes zu Angestellten des Notariatsverwalters. Ein Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den bestellten Notariatsverwalter ist nicht vorgesehen. Dieser übernimmt nach § 58 Abs. 1 BNotO (nur) die Akten und Bücher des Notars, an dessen Stelle er bestellt ist, sowie die dem Notar amtlich übergebenen Urkunden und Wertgegenstände. Über die Nutzung der Geschäftsräume und die weitere Beschäftigung der Mitarbeiter müssen privatrechtliche Verträge geschlossen werden (vgl. Lerch in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 6. Aufl., § 58 Rn. 5; Wilke in Eylmann/Vaasen, BNotO/BeurkG, 3. Aufl., § 58 BNotO Rn. 8). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, die sich auch insoweit auf den Bericht des Sachverständigen bezogen haben, hat der Notarverwalter im vorliegenden Fall neue Verträge mit den ehemaligen Arbeitnehmern des Schuldners geschlossen.

12

cc) Dass im Zeitpunkt der Antragstellung noch offen war, ob die vorläufige Amtsenthebung in eine endgültige Amtsenthebung münden würde, ändert im Ergebnis nichts. Hätte der Notarsenat des Bundesgerichtshofs auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin festgestellt, dass die Voraussetzungen einer Amtsenthebung nach § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO nicht erfüllt waren, wäre der Schuldner Notar geblieben und hätte das Notariat in V.     wieder übernehmen können. Bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners wäre dieser Umstand zu würdigen gewesen, wenn das Amtsenthebungsverfahren im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. Hier geht es jedoch um Art. 3 Abs. 2 EuInsVO, insbesondere um das Vorhandensein einer Niederlassung (Art. 2 lit. h EuInsVO) im Zeitpunkt der Antragstellung. Das Amt des Notariatsverwalters endet nicht mit der Aufhebung der vorläufigen Amtsenthebung, sondern erst mit der tatsächlichen Übernahme des Amts durch den Notar (§ 64 Abs. 1 BNotO; vgl. Bracker in Schippel/Bracker, BNotO, 8. Aufl., § 64 Rn. 6). Die hierauf gerichtete Hoffnung des vorläufig seines Amtes enthobenen Notars vermag eine Niederlassung im Sinne von Art. 2 lit. h EuInsVO nicht zu begründen.

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dd) Das Notariat wird in Räumen fortgeführt, die dem Schuldner gehören. Ob und in welcher Höhe der Schuldner dafür eine Nutzungsentschädigung oder Miete erhält, ist nicht festgestellt. Inländisches Vermögen allein begründet jedoch auch dann keine Zweigniederlassung im Sinne der Verordnung, wenn hieraus Einkünfte erzielt werden.

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3. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde können die Voraussetzungen, die Art. 3 Abs. 2 EuInsVO für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens aufstellt, nicht durch diejenigen ersetzt werden, die nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens ermöglichen.

15

a) Die Rechtsbeschwerde verweist insbesondere auf ein Urteil des Amtsgerichts Köln, nach welchem die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens am Sitz des Schuldners möglich sein soll, wenn zuvor in einem anderen Mitgliedsstaat ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist (NZI 2004, 151; ähnlich HK-InsO/Stephan, 6. Aufl., Art. 2 EuInsVO Rn. 14; Sabel, NZI 2004, 126, 127; Vallender, KTS 2005, 283, 302 f; ders., InsVO 2005, 41, 43). Vorausgesetzt wird hier jedoch, dass die Tatbestandsmerkmale des Art. 3 Abs. 2 und des Art. 2 lit. h EuInsVO erfüllt sind. Der Schuldner muss also einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgehen, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Ist dies der Fall, soll es nicht darauf ankommen, ob die "Niederlassung" zugleich den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners bildet (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO), das Hauptverfahren in dem anderen Mitgliedstaat also nicht hätte eröffnet werden dürfen. Im vorliegenden Fall unterhielt der Schuldner, wie gezeigt, im Zeitpunkt der Antragstellung gerade keine Niederlassung im Inland.

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b) Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO können nicht durch diejenigen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ersetzt werden. Dagegen spricht schon der Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO, der eine Niederlassung in dem anderen Mitgliedsstaat verlangt und nicht an den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) anknüpft. Überdies kann es nur einen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners im Sinne dieser Vorschrift geben. Wenn das Gericht eines anderen Mitgliedsstaats in der Annahme, der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners liege in seinem Gebiet, das Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet hat, wird diese Entscheidung in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt (Art. 16 Abs. 1 EuInsVO). Auch wenn die Wirkungen des Zweitverfahrens auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt wären, würde ein allein auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gestützter Eröffnungsbeschluss der Sache nach bedeuten, dem englischen Insolvenzverfahren entgegen Art. 16, 17 Abs. 1 EuInsVO im Inland seine Wirkungen abzusprechen. Aus Art. 17 Abs. 1 aE EuInsVO ergibt sich, dass die Wirkungen der Anerkennung nur begrenzt sind, wenn die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO vorliegen.

17

c) Der Senat hat die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in einem Fall für gegeben erachtet, in welchem der Insolvenzantrag wenige Tage nach der Amtsentlassung des bis dahin als Notar bestellten Schuldners gestellt worden war. In der Entscheidung heißt es, bei der Bestimmung des für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts sei auf den Ort der wirtschaftlichen oder freiberuflichen Tätigkeit des Schuldners abzustellen, die im zu entscheidenden Fall zwar beendet sei, die aber noch abgewickelt werden müsse (BGH, Beschluss vom 17. September 2009 - IX ZB 81/09, nv, Rn. 3). Im vorliegenden Fall geht es um Art. 3 Abs. 2 EuInsVO. Im Zeitpunkt der Antragstellung war der Schuldner nicht mehr als Notar tätig; weil ein Notariatsverwalter eingesetzt worden war, stellt sich die Frage der vom Schuldner zu verantwortenden Abwicklungstätigkeiten hier nicht.

Kayser                                Gehrlein                                Vill

                   Lohmann                                Fischer