Entscheidungsdatum: 08.06.2010
1. In der Wohlverhaltensperiode ist der Schuldner verpflichtet, jeden Wechsel der Anschrift, unter der er persönlich und per Post zu erreichen ist, dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder unverzüglich mitzuteilen, auch wenn die Wohnsitzgemeinde dieselbe bleibt. Auf den Wohnsitzbegriff des § 7 BGB kommt es nicht an .
2. Ein Schuldner, der in der Wohlverhaltensperiode den Zugang von Auskunftsersuchen des Treuhänders vereitelt, hat die von ihm verlangten Auskünfte nicht erteilt .
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin werden der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 28. Mai 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Mainz vom 3. Februar 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das Amtsgericht Mainz zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt.
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wurde vom Amtsgericht mit Beschluss vom 19. Dezember 2006 aufgehoben. Mit Zustellung dieses Beschlusses wurde die Schuldnerin darauf hingewiesen, dass ihre aktuelle Adresse erst durch mehrere Nachfragen bei den zuständigen Einwohnermeldeämtern habe in Erfahrung gebracht werden können und dass es im Restschuldbefreiungsverfahren dem Schuldner obliege, jeden Wechsel des Wohnsitzes oder der Beschäftigungsstelle unverzüglich dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen und dem Gericht und dem Treuhänder auf Verlangen Auskunft über die Erwerbstätigkeit oder die Bemühungen um eine solche sowie Bezüge und Vermögen zu erteilen.
Der Beschluss nebst Belehrung konnte nicht unter der zuvor bekannten Adresse, sondern erst unter einer neuen Anschrift zugestellt werden, und zwar am 23. Dezember 2006.
Mit Verfügung vom 28. Oktober 2008 teilte das Insolvenzgericht mit, dass die Wohlverhaltensperiode mit dem 23. Oktober 2008 geendet habe und stellte die Erteilung der Restschuldbefreiung in Aussicht. Die Gläubiger und der Treuhänder erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme; an die Schuldnerin war die Verfügung unter der zuletzt bekannten Adresse nicht zustellbar.
Der Treuhänder teilte mit Schreiben vom 5. November 2008 mit, dass er während der Wohlverhaltensperiode unter der vom Gericht angegebenen Anschrift der Schuldnerin keinen Kontakt mit dieser habe herstellen können. Sie sei unzählige Male unter den verschiedensten Adressen angeschrieben, aber nie erreichbar gewesen.
Die weiteren Beteiligten zu 2, 3 und 4 beantragten, der Schuldnerin die Restschuldbefreiung zu versagen, weil diese mehrfach den Wohnsitz gewechselt habe, ohne dies mitzuteilen, und keine Angaben zu ihrer Einkommenssituation gemacht habe.
Mit Beschluss vom 3. Februar 2009 hat das Amtsgericht die Restschuldbefreiung versagt. Der Beschluss hat der Schuldnerin nicht zugestellt werden können. Es ist öffentliche Zustellung angeordnet worden. Mit Schreiben vom 20. April 2009 hat die Schuldnerin ihre Anschrift mitgeteilt. Daraufhin ist Zustellung am 29. April 2009 erfolgt. Am 12. Mai 2009 hat die Schuldnerin sofortige Beschwerde erhoben, die das Landgericht als unbegründet zurückgewiesen hat.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Schuldnerin die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zurückweisung der Versagungsanträge.
II.
Die gemäß §§ 6, 7, 300 Abs. 3 Satz 2 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht.
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat die Schuldnerin allerdings ihre Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO verletzt, jeden Wechsel des Wohnsitzes unverzüglich dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen.
Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass die Schuldnerin jedenfalls den am 1. August 2008 vorgenommenen Wohnungswechsel innerhalb der Gemeinde S. nicht unverzüglich, sondern erst am 20. April 2009 dem Gericht und dem Treuhänder überhaupt nicht mitgeteilt hatte. Dies wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen. Sie macht jedoch geltend, ein Umzug innerhalb einer Gemeinde müsse nicht mitgeteilt werden, weil sich der Wohnsitz im Sinne des § 7 BGB, der die politische Gemeinde meine, dadurch nicht geändert habe. Zumindest habe die Schuldnerin belehrt werden müssen, dass sie jede Änderung der Adresse mitteilen müsse.
Dieser Einwand greift nicht durch.
Der Rechtsbeschwerde ist zwar zuzugeben, dass der Wohnsitzbegriff in § 7 BGB nicht die Wohnung bzw. konkrete Anschrift meint, sondern die kleinste politische Einheit, in der die Wohnung liegt (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB 69. Aufl. § 7 Rn. 1 m.w.N.). Der Begriff des Wohnsitzes in § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist jedoch nicht im Sinne des § 7 BGB auszulegen. Der Schuldner hat vielmehr jeden Umzug in eine andere Wohnung, auch in derselben Gemeinde, unverzüglich mitzuteilen.
Die Gesetzesbegründung zu § 244 RegE-InsO führt aus, dass die Anzeige jeden Wechsels des Wohnsitzes dem Treuhänder und dem Insolvenzgericht ermöglichen solle, das Verhalten des Schuldners ohne großen eigenen Untersuchungsaufwand zu überwachen und zu überprüfen. Die Anzeige eines jeden Wechsels des Wohnsitzes habe dabei besondere Bedeutung (BT-Drucks. 12/2443 S. 192). Mit der Mitteilungspflicht soll sichergestellt werden, dass der Schuldner für Gericht und Treuhänder jederzeit erreichbar ist (vgl. AG Hannover ZInsO 2007, 48, 49). Deshalb ist es zu Recht völlig herrschende Meinung, dass mit dem Begriff "Wohnsitz" im Sinne des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO die konkrete Anschrift gemeint ist (MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl. § 295 Rn. 77; FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 295 Rn. 46; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 295 Rn. 22; HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 295 Rn. 15; Uhlenbruck/Vallender, InsO 13. Aufl. § 295 Rn. 45; Graf-Schlicker/Kexel, InsO 2. Aufl. § 295 Rn. 13). Entscheidend ist, wo sich der Schuldner tatsächlich aufhält und per Post oder persönlich erreichbar ist.
Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass die Schuldnerin auch jeden Umzug in eine andere Wohnung in derselben Gemeinde unverzüglich mitzuteilen hatte. Das ist für jeden Schuldner auch unmittelbar einleuchtend. Das gilt im vorliegenden Fall in besonderer Weise auch deshalb, weil die Schuldnerin jedenfalls am 23. Dezember 2006 Kenntnis davon erhalten hatte, dass ihre Anschrift erst durch mehrere Nachfragen bei den zuständigen Einwohnermeldeämtern in Erfahrung habe gebracht werden können. Aus dem Zusammenhang des Hinweises war für sie eindeutig, dass sie das Gericht und den Treuhänder nicht weiterhin auf Nachfragen bei Einwohnermeldeämtern verweisen durfte.
Es wäre allerdings zweckmäßig, bei entsprechenden Belehrungen des Schuldners die Verpflichtung konkret zu fassen und dazu aufzufordern, jeden Wechsel der Wohnung oder des sonstigen tatsächlichen Aufenthaltsortes unverzüglich mitzuteilen.
2. Nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO rechtfertigt ein Verstoß gegen eine der in § 295 InsO aufgeführten Obliegenheiten die Versagung der Restschuldbefreiung nur, wenn dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt wird. Deren Schlechterstellung muss konkret messbar sein; eine bloße Gefährdung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger reicht nicht aus (BGH, Beschl. v. 8. Februar 2007 - IX ZB 88/06, NZI 2007, 297 Rn. 5; v. 14. Mai 2009 - IX ZB 116/08, ZInsO 2009, 1268 Rn. 14; v. 8. Oktober 2009 - IX ZB 169/08, ZInsO 2009, 2162, 2163 Rn. 6; v. 21. Januar 2010 - IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391, 392 Rn. 9).
Weder das Amtsgericht noch das Landgericht als Beschwerdegericht haben festgestellt, dass die Schuldnerin durch die vom Landgericht allein festgestellte Obliegenheitsverletzung (Unterlassung der unverzüglichen Anzeige des Wohnungswechsels) die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt hat.
III.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind deshalb aufzuheben. Die Sache ist jedoch noch nicht zur Endentscheidung reif und muss deshalb zurückverwiesen werden, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Ein Antrag des Gläubigers auf Versagung der Restschuldbefreiung ist gemäß § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 296 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO glaubhaft gemacht wurden. Der Gläubiger muss in seinem Antrag also sowohl die Obliegenheitsverletzung als auch die darauf beruhende Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger glaubhaft machen; letzteres liegt nur vor, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung eine konkret messbare Schlechterstellung der Gläubiger wahrscheinlich ist (BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, aaO m.w.N.).
Der erforderliche Sachvortrag der Gläubiger und die erforderliche Glaubhaftmachung kann zwar auch mittels einer konkreten Bezugnahme auf einen Bericht des Treuhänders erfolgen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Bericht des Treuhänders entsprechende Feststellungen enthält (BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010 aaO Rn. 10 m.w.N.).
Hinsichtlich der Obliegenheitsverletzung, auf die das Beschwerdegericht seine Entscheidung gestützt hat, nämlich das Unterlassen der Mitteilung des Wohnungswechsels, ist von den Gläubigern eine Beeinträchtigung der Befriedigung der Gläubiger nicht glaubhaft gemacht; allenfalls haben die weiteren Beteiligten zu 2 und 4 insoweit eine - nicht ausreichende - Gefährdung dargelegt. Der Antrag der weiteren Beteiligten zu 3 und der jeweils in Bezug genommene Bericht des Treuhänders befassen sich mit der Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung überhaupt nicht.
2. Die Gläubiger haben ihre Anträge auch darauf gestützt, dass die Schuldnerin dem Treuhänder keine aktuellen Einkommensnachweise erbracht hat. Dies ist durch die Bezugnahme auf den Treuhänderbericht vom 5. November 2008 auch glaubhaft gemacht.
Das Beschwerdegericht hat bisher jedoch dahingestellt sein lassen, ob die Schuldnerin insoweit gegen ihre Obliegenheiten aus § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO verstoßen hat. Denn die Aufforderung des Treuhänders, aktuelle Einkommensnachweise vorzulegen, habe die Schuldnerin offensichtlich nicht erreicht. Die Prüfung dieser Obliegenheitsverletzung wird nunmehr nachzuholen sein.
Sollte davon auszugehen sein, dass das Auskunftsverlangen des Treuhänders der Schuldnerin nicht zugegangen ist, wird der fehlende Zugang außer Betracht zu bleiben haben, wenn die Schuldnerin den Zugang durch Verletzung ihrer Mitteilungspflichten vereitelt hat.
Die erforderliche Glaubhaftmachung einer konkret messbaren Beeinträchtigung der Befriedigung der Gläubiger kann bei Bejahung dieser Obliegenheitsverletzung angenommen werden. Weigert sich der Schuldner, Lohnabrechnungen oder Einkommensnachweise vorzulegen, oder vereitelt er schon den Zugang einer entsprechenden Aufforderung des Treuhänders, lässt es allein dieser Umstand als wahrscheinlich erscheinen, dass er den Insolvenzgläubigern pfändbare Einkünfte vorenthält. Eine besondere Glaubhaftmachung ist dann entbehrlich (BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009 - IX ZB 116/08, ZInsO 2009, 1268, 1269 Rn. 12).
3. Hinsichtlich der erforderlichen Feststellung der Obliegenheitsverletzung und der Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger hat das Insolvenzgericht alle Umstände von Amts wegen zu ermitteln, § 5 Abs. 1 InsO. Es wird gegebenenfalls nach § 296 Abs. 2 Sätze 2 und 3 InsO vorzugehen haben.
Kommt die Schuldnerin auch dann ihrer Auskunftspflicht nicht nach, wird das Insolvenzgericht eine Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO zu prüfen haben, die keine Schlechterstellung der Gläubiger voraussetzt. Der Schuldner muss allerdings in der Regel ausdrücklich belehrt worden sein, dass er mit der Versagung der Restschuldbefreiung rechnen muss, wenn er auch gegenüber dem Gericht untätig bleibt (BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009 - IX ZB 116/08, ZInsO 2009, 1268, 1269 Rn. 9; v. 21. Januar 2010 aaO Seite 392 f Rn. 22 f).
IV.
Da die erforderliche Prüfung der Voraussetzungen für die beantragte Versagung der Restschuldbefreiung bisher nicht erfolgt ist, erfolgt die Zurückverweisung analog § 572 Abs. 3 ZPO an das Insolvenzgericht (vgl. BGHZ 160, 176, 185; MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 7 Rn. 106).
Ganter Gehrlein Vill
Fischer Grupp