Entscheidungsdatum: 14.07.2016
Zu den Anforderungen an eine Berufungsbegründung, wenn das Ersturteil auf zwei selbständig tragende Erwägungen gestützt ist.
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. November 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 19.713,39 € festgesetzt.
I.
Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Antrag vom 10. August 2010 über das Vermögen der i. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) am 27. April 2011 eröffneten Insolvenzverfahren.
Die S. (künftig: S. ) gewährte der Schuldnerin am 21. Februar 2008 zwei Kredite über insgesamt 100.000 €, für die sich der Beklagte und A. N. , die beide Gesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin waren, verbürgten. Die Schuldnerin und der Beklagte trafen am 21. Mai 2009 eine Freistellungsvereinbarung, nach deren Inhalt sich der Beklagte verpflichtete, die Schuldnerin gegenüber Ansprüchen der S. aus den Kreditverträgen freizustellen. Der als Bürge der Darlehensforderung in Anspruch genommene A. N. hat 19.713,39 € an die S. gezahlt und gegen die Schuldnerin eine Forderung in dieser Höhe zur Tabelle angemeldet.
Der Kläger verlangt auf der Grundlage der Freistellungsverpflichtung von dem Beklagten Zahlung des von A. N. angemeldeten Betrages einschließlich bis zur Verfahrenseröffnung aufgelaufener Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Berufungsbegründung des Klägers genügt entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Landgericht habe die Abweisung der Zahlungsklage auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende Gründe gestützt. Einmal habe es angenommen, die Freistellungserklärung erfasse nicht den von dem Bürgen A. N. zur Tabelle angemeldeten Anspruch. Zum anderen habe es ausgeführt, ein etwaiger Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen den Beklagten habe sich nicht in einen Zahlungsanspruch verwandelt. Der Kläger beschäftige sich in seiner Berufungsbegründung jedoch ausschließlich mit dem zuletzt genannten Urteilsgrund. Hingegen werde die Auslegung der Freistellungserklärung durch das Landgericht, wonach sich die von dem Beklagten gegenüber der Schuldnerin übernommene Befreiungsschuld nicht auf die auf den Mitbürgen N. übergegangene Forderung erstrecke, nicht angegriffen. Mit der Auslegung des Landgerichts, wonach die Freistellungserklärung legal zedierte Ansprüche, die auf den Mitbürgen übergegangen seien, nicht erfasse, setze sich die Berufungsbegründung nicht gehörig auseinander. Die Berufungsbegründung enthalte insoweit bloße Formalbegründungen.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansieht und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet (BGH, Beschluss vom 4. November 2015 - XII ZB 12/14, NJW-RR 2016, 80 Rn. 6; vom 10. Dezember 2015 - IX ZB 35/15, ZInsO 2016, 410 Rn. 7). Jedoch bestehen grundsätzlich nicht besondere formale Anforderungen für die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit ergeben (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO). Gleiches gilt für die Bezeichnung der konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO). Insbesondere ist es ohne Bedeutung, ob die Ausführungen des Berufungsklägers schlüssig, hinreichend substantiiert und rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, lediglich auf das Vorbringen in der ersten Instanz zu verweisen. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche und weshalb der Berufungskläger bestimmte Punkte des angefochtenen Urteils bekämpft (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2015 - VI ZB 18/15, NJW-RR 2015, 1532 Rn. 8; vom 10. Dezember 2015, aaO). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 - XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 11).
b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung des Klägers. Sie setzt sich mit beiden die Klageabweisung tragenden Erwägungen des Erstgerichts verfahrensrechtlich ordnungsgemäß auseinander.
aa) Die Berufungsbegründung befasst sich - was auch das Vordergericht nicht in Zweifel stellt - in inhaltlich zureichender Weise mit der rechtlichen Würdigung des Erstgerichts, wonach sich der Freistellungsanspruch der Schuldnerin nicht in einen Zahlungsanspruch verwandele, wenn - wie hier - der Befreiungsschuldner neben dem Befreiungsgläubiger zur Leistung an den Drittgläubiger verpflichtet sei.
Gegen diese Rechtsausführungen hat der Kläger eingewandt, der Beklagte hafte aus unterschiedlichen Verpflichtungsgeschäften, einmal aus der Freistellungsvereinbarung gegenüber der Schuldnerin und zum anderen aus der übernommenen Bürgschaft gegenüber der S. . Im Blick auf die Bürgschaft hafte der Beklagte nur zur Hälfte, weil der Mitbürge N. auf die Bürgschaft gezahlt habe. Mit vorliegender Klage werde der Befreiungsanspruch hinsichtlich der von dem Bürgen N. geleisteten Zahlung geltend gemacht. Insoweit hafte der Beklagte der S. nicht. Damit wird die Auffassung des Erstgerichts, im Falle einer fortbestehenden Zahlungsverpflichtung des Befreiungsschuldners gegenüber dem Drittgläubiger verwandele sich der Befreiungsanspruch nicht in einen Zahlungsanspruch, mit dem Hinweis auf eine tatsächlich fehlende Haftung des beklagten Befreiungsschuldners im Verhältnis zu der S. in prozessual beanstandungsfreier Form angegriffen.
bb) Entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts setzt sich die Rechtsmittelrechtfertigung ebenfalls in Einklang mit den verfahrensrechtlichen Begründungserfordernissen mit der weiteren tragenden Erwägung des Erstgerichts auseinander, die Freistellungsvereinbarung erfasse nicht legal zedierte Ansprüche, die von dem ursprünglichen Forderungsgläubiger auf einen Mitbürgen übergegangen seien.
(1) Diesem rechtlichen Gesichtspunkt ist der Kläger mit der Erwägung entgegengetreten, auch nach der Legalzession werde die Insolvenzmasse durch die übergegangene Forderung belastet. Deshalb wirke die Freistellungsverpflichtung des Beklagten weiterhin zugunsten der Schuldnerin. Ausnahmen von dem Grundsatz, wonach sich mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens der Freistellungsanspruch einer Schuldnerin in einen Zahlungsanspruch verwandele, lägen entgegen der Auffassung des Landgerichts in Bezug auf den Teil der Forderung der S. gegen die Schuldnerin, der auf den Mitbürgen N. übergegangen sei, nicht vor. Der Mitbürge N. habe im Wege der Legalzession den Anspruch der S. gegen die Schuldnerin übernommen. Diesem gegenüber sei der Beklagte aber nicht zur Freistellung verpflichtet. Ferner hat der Kläger wiederholt geltend gemacht, der Beklagte dürfe nach Verfahrenseröffnung nicht besser stehen als außerhalb einer Insolvenz. Die vorliegende Klage betreffe ausschließlich die Zahlung, die der Bürge N. geleistet habe. Durch die Umwandlung des Befreiungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch stehe der Beklagte nicht schlechter als außerhalb einer Insolvenz. Er habe nämlich die Hälfte des Kreditbetrags an die S. gezahlt und müsse nunmehr die andere Hälfte der immer noch bestehenden und auf den Bürgen N. übergegangenen Forderung durch Umwandlung des Freistellunganspruchs an die Insolvenzmasse zahlen. Hinsichtlich dieser Hälfte sei der Beklagte nicht dem Bürgen N. zur Zahlung verpflichtet. Der Bürge habe lediglich im Wege der Legalzession den Anspruch der S. gegen die Insolvenzschuldnerin übernommen.
(2) Mit diesen Ausführungen, nach deren Inhalt der Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen den Beklagten nicht durch den Übergang der gegen sie gerichteten Forderung auf einen Bürgen berührt wird, bekämpft die Berufung in zulässiger Weise den gegenteiligen Standpunkt des Erstgerichts, wonach eine Freistellungsverpflichtung nach einer Legalzession der betroffenen Forderung untergeht. Insoweit hat der Kläger, der keine inhaltliche Trennung nach den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung vornehmen musste (BGH, Urteil vom 13. November 2001 - VI ZR 414/00, NJW 2002, 682, 683; Beschluss vom 17. Oktober 2013 - V ZB 28/13, Rn. 8), insbesondere geltend gemacht, dass der Freistellungsanspruch weiterhin der Schuldnerin als aus der Darlehensforderung Verpflichteter zustehe und nicht auf den Mitbürgen N. als gesetzlichen Forderungserwerber übergegangen sei. Dabei handelt es sich nicht - wie das Berufungsgericht in unvollständiger Kenntnisnahme des Berufungsvorbringens meint - um bloß formularmäßige Sätze oder allgemeine Redewendungen. Dies wurde etwa angenommen, wenn sich die Rechtsmittelbegründung auf die Rüge beschränkt, es werde "die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Verhaltens des Beklagten" bemängelt (BGH, Beschluss vom 9. November 1977 - IV ZB 29/77, VersR 1978, 182) oder das Vordergericht habe "nicht die allgemeinen Regelungen des Europäischen Arbeitsrechts" berücksichtigt (BAG, NJW 2000, 686, 687). Demgegenüber sind die Ausführungen in der Berufungsbegründung, die - wie ausgeführt - nicht schlüssig, hinreichend substantiiert und rechtlich haltbar sein müssen, auf den konkreten Fall, der nach Auffassung der Berufungsbegründung durch eine nicht gerechtfertigte Schlechterstellung eines insolventen Befreiungsgläubigers nach Übergang der Forderung auf einen Mitbürgen gekennzeichnet ist, und die entsprechenden knapp gefassten Erwägungen des Erstgerichts zugeschnitten. Ihre Richtigkeit unterstellt, ist die Begründung geeignet, die insoweit tragenden rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts in Frage zu stellen.
3. Bei dieser Sachlage ist den prozessualen Begründungsanforderungen genügt. Die Sache ist zur Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsmittels an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Kayser Gehrlein Vill
Grupp Schoppmeyer