Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 01.06.2016


BGH 01.06.2016 - IV ZR 343/15

Fondsgebundene Lebensversicherung nach dem sog. Policenmodell: Widerspruchsrecht bei nicht ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung; Umfang des Bereicherungsanspruchs


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
01.06.2016
Aktenzeichen:
IV ZR 343/15
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:010616UIVZR343.15.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Karlsruhe, 9. Juni 2015, Az: 12 U 106/13, Urteilvorgehend LG Karlsruhe, 28. Juni 2013, Az: 10 O 112/13
Zitierte Gesetze
§ 5a Abs 2 S 1 VVG vom 21.07.1994
§ 5a Abs 2 S 4 VVG vom 21.07.1994

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 9. Juni 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als sie zur Zahlung von mehr als 1.632,49 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2.519,52 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer, im Folgenden: d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden: Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Lebensversicherung nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.

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Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Januar 1996 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN vor Vertragsschluss nicht die Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG).

3

D. VN zahlte Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 4.823,74 €, wie in der Revisionsverhandlung unstreitig gestellt worden ist. Im Juli 2004 kündigte d. VN den Vertrag. Der Versicherer zahlte den Rückkaufswert von 2.667,30 € sowie eine Überschussbeteiligung von 36,30 € und Verzugszinsen von 9,21 € aus. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2012 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.

4

Mit der Klage hat d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 6.709,05 € verlangt.

5

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Er sei niemals über sein Widerspruchsrecht belehrt worden. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

6

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels in Höhe von 2.519,52 € nebst Zinsen stattgegeben. Insoweit verfolgt der Versicherer mit der Revision seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision hat teilweise Erfolg.

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I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat d. VN aus ungerechtfertigter Bereicherung Anspruch auf weitere Rückzahlung von Beiträgen und aus diesen gezogenen Nutzungen. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag sei durch den - nicht verfristeten - Widerspruch d. VN unwirksam geworden. Nach den Feststellungen des Landgerichts habe d. VN die Verbraucherinformation vor Vertragsschluss nicht erhalten. Der Vertrag habe daher nur im Policenmodell zustande kommen können. Über das hiernach bestehende Widerspruchsrecht habe der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß belehrt. Bei der Belehrung im Antragsformular fehle der notwendige Hinweis darauf, dass der Widerspruch schriftlich erfolgen müsse. Das Widerspruchsrecht habe auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fortbestanden.

9

D. VN habe sein Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Ein schutzwürdiges Vertrauen könne der Versicherer schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er d. VN keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilt habe. Aus demselben Grund liege in der Geltendmachung des Bereicherungsanspruchs keine widersprüchliche Rechtsausübung.

10

Im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung müsse sich d. VN den Versicherungsschutz anrechnen lassen, den er bis zur Kündigung des Vertrages genossen habe. Die Parteien hätten den Wert des Risikoschutzes von 300 € unstreitig gestellt. Die dem Versicherer nach seinem Vortrag entstandenen Abschluss- und Verwaltungskosten müsse sich d. VN im Rahmen der gebotenen Saldierung nicht entgegenhalten lassen.

11

Die von dem Versicherer aus den Beiträgen gezogenen und herauszugebenden Nutzungen seien auf 370 € für die Zeit bis zur Beendigung der Beitragszahlungen durch d. VN und auf weitere 360 € für die nachfolgende Zeit zu schätzen. Bei der Schätzung der Höhe der Nutzungen sei die durchschnittliche Nettoverzinsung der Kapitalanlagen der deutschen Lebensversicherer zugrunde zu legen. D. VN könne die Herausgabe von Nutzungen nicht beanspruchen, soweit der Versicherer die vereinbarten Beiträge in einen Fonds investiert habe. Der Versicherer habe den Sparanteil der Beiträge mit 2.997,34 € angegeben und den Wert der Fondsanteile am Tag der Kündigung mit 2.826,66 € beziffert. Hiernach seien Nutzungen aus dem Sparanteil nicht gezogen worden. Diesem Vorbringen sei d. VN nicht hinreichend konkret entgegen getreten. Der Versicherer habe auch keine Nutzungen aus denjenigen Beiträgen ziehen können, die er für die Verwaltung des Lebensversicherungsvertrages und für Abschlusskosten habe aufwenden müssen.

12

II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

13

1. Die Revision ist insgesamt zulässig. Das Berufungsgericht hat sie entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht nur beschränkt auf die Höhe der gegen den Versicherer bestehenden Zahlungsansprüche d. VN zugelassen. Eine Beschränkung der Revisionszulassung auf die Anspruchshöhe lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Ausweislich seines Tenors wurde die Revision uneingeschränkt zugelassen. In den Gründen heißt es, die Zulassung der Revision erfolge zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Über die Frage, wie der bereicherungsrechtliche Anspruch nach Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. zu berechnen sei, würden in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen vertreten; insbesondere sei umstritten, ob die beklagten Versicherungsunternehmen in derartigen Fällen die Rückzahlung der Beiträge auch insoweit verweigern könnten, als sie diese für Abschluss- und Verwaltungskosten verbraucht hätten. Daraus lässt sich eine Beschränkung der Zulassung nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit ersehen.

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2. Die Revision ist teilweise begründet.

15

a) Sie wendet sich allerdings ohne Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht d. VN dem Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung der gezahlten Prämien aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zuerkannt hat.

16

aa) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen.

17

(1) Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

18

(a) Die Widerspruchsfrist gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. wurde nicht in Gang gesetzt. Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Vertrag im Wege des Policenmodells abgeschlossen wurde, nimmt die Revision hin. Sie räumt außerdem ein, dass der Versicherer d. VN bei Übersendung des Versicherungsscheins nicht im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht belehrte. Auf die Belehrung im Antragsformular kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht an.

19

(b) Anders als die Revision meint, war eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht hier auch nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil d. VN bei seinem Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages durch einen Versicherungsmakler beraten worden ist. Eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung war nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. gesetzlich vorgeschrieben. Darauf, ob d. VN im Einzelfall trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung von seinem Widerspruchsrecht gleichwohl zutreffend Kenntnis hatte, kommt es nicht an. Die Frage der Ordnungsgemäßheit der Belehrung ist abstrakt zu beurteilen (Senatsbeschluss vom 27. Januar 2016 - IV ZR 130/15, juris Rn. 15).

20

(2) Das Widerspruchsrecht bestand nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., wie der Senat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet hat.

21

bb) Entgegen der Auffassung der Revision hat d. VN das Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Es fehlt hier jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Versicherer schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er d. VN keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 39 m.w.N.). Aus diesem Grund widerspricht die Ausübung des Widerspruchsrechts in Ermangelung über die reine Prämienzahlung hinausgehender, besonders gravierender Umstände auch nicht Treu und Glauben.

22

b) Die Angriffe der Revision gegen die Bemessung des Bereicherungsanspruchs sind zum Teil berechtigt.

23

aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Rückgewähranspruch der Höhe nach nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien umfasst. Es hat d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls faktisch bis zur Kündigung genossenen Versicherungsschutz angerechnet. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.). Ausgehend davon hat das Berufungsgericht den Wertersatz entsprechend dem von den Parteien unstreitig gestellten Risikoanteil mit 300 € bemessen.

24

bb) Zu Recht hat es auch den bereits an d. VN ausgekehrten Rückkaufswert von 2.667,30 € und die mit ihm ausgezahlte Überschussbeteiligung von 36,30 € nebst Verzugszinsen von 9,21 € in Abzug gebracht. Eine Überschussbeteiligung steht zwar grundsätzlich d. VN zu. Dies setzt aber einen wirksamen Vertrag voraus, der hier - infolge des vom VN erklärten Widerspruchs - nicht zustande gekommen ist. Dies gilt auch, soweit der Versicherer d. VN im Zusammenhang mit der Auszahlung des Rückkaufswerts Verzugszinsen in Höhe von 9,21 € gutgeschrieben hat.

25

cc) In Abzug zu bringen sind weiterhin die Fondsverluste (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 35 ff.), die d. VN aus der Fondsanlage in Höhe von 178,44 € unstreitig erlitten hat.

26

dd) Der von dem Versicherer erhobene Einwand der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB greift nicht hinsichtlich der von ihm in Abzug gebrachten Abschluss- und Verwaltungskosten durch. Insoweit kann sich der Versicherer nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Dies hat der Senat in den Urteilen vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 41 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 46 ff.), die vergleichbare Sachverhalte betrafen, entschieden und im Einzelnen begründet. Soweit die Revision darauf verweist, der Versicherer habe Verwaltungskosten in Höhe von 56,60 € vorgetragen, die spezifisch für den Abschluss des Vertrages angefallen seien, verkennt sie, dass solche Abschlusskosten nicht als "vertragsspezifische Verwaltungskosten" in Abzug gebracht werden können.

27

ee) Der d. VN jedenfalls noch zustehende Anspruch berechnet sich demnach wie folgt:

4.823,74 €

      eingezahlte Prämien

-    300,00 €

      Wert Risikoschutz

- 2.712,81 €

      Auszahlung

-    178,44 €

      Fondsverluste

1.632,49 €

       

28

c) Für die Nutzungen, die das Berufungsgericht d. VN zuerkannt hat, fehlt es an ausreichendem Vortrag d. VN.

29

Nach § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB sind nur die Nutzungen herauszugeben, die vom Bereicherungsschuldner tatsächlich gezogen wurden (Senatsurteile vom 11. November 2015 aaO Rn. 41; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 46; IV ZR 448/14 aaO Rn. 51; jeweils m.w.N.). Zudem können bei der Bestimmung der gezogenen Nutzungen die gezahlten Prämien nicht in voller Höhe Berücksichtigung finden (Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 41 ff.). Nutzungen aus dem Risikoanteil, der dem Versicherer als Wertersatz für den von d. VN faktisch genossenen Versicherungsschutz verbleibt, stehen d. VN nicht zu (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 42). Weiterhin hat der Versicherer mit der Anlage des Sparanteils in Fonds keinen Gewinn erzielt, der d. VN bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung als tatsächlich gezogene Nutzung zusteht (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 51 f.).

30

Der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt für Nutzungsersatzansprüche außer Betracht. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Versicherer diesen Prämienanteil nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 44 f.). Hinsichtlich des Verwaltungskostenanteils der Prämien kann nicht vermutet werden, dass der Versicherer Nutzungszinsen in bestimmter Höhe erzielt hat. Der insoweit darlegungsbelastete VN kann sich nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe  etwa in Höhe des hier von d. VN zunächst verlangten Zinssatzes von 7,0546% oder in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz  stützen (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 46 ff.). Für die vom Berufungsgericht vorgenommene Schätzung fehlt es an einer auf die Ertragslage des beklagten Versicherers bezogenen Grundlage. Da allerdings d. VN angesichts der vom Berufungsgericht erteilten Hinweise keinen Anlass zu weitergehendem Vortrag hatte, ist das Berufungsurteil hinsichtlich der zuerkannten Nutzungen aufzuheben. Nach Zurückverweisung wird das Berufungsgericht den Parteien Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu geben haben.

Mayen                          Harsdorf-Gebhardt                           Dr. Karczewski

               Lehmann                                   Dr. Brockmöller