Entscheidungsdatum: 11.07.2012
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 18. November 2010 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Kläger verlangen von der Beklagten, einem englischen Lebensversicherer, Schadensersatz wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten bei Abschluss von zwei Lebensversicherungsverträgen.
Die Beklagte bietet eine Kapitallebensversicherung "Wealthmaster Noble" an, bei der mit einer Einmalzahlung Anteile an einem "Pool mit garantiertem Wertzuwachs" erworben werden. Die Beklagte "garantiert" den Anlegern, dass der Wert des einzelnen Poolanteils nicht fallen kann. Der Vertragswert des Anlegers ist das Produkt aus der Anzahl der ihm zugewiesenen Poolanteile und dem Anteilswert. Das den verschiedenen Pools der Beklagten zugrunde liegende Gesamtvermögen wird von der Beklagten als Teil ihres Lebensversicherungsfonds am Aktienmarkt investiert. Im Rahmen des sogenannten Glättungsverfahrens ("smoothing") überführt sie einen Teil der durch die Investitionen der Vermögenswerte erzielten Rendite in Rückstellungen und gibt nur den verbleibenden Teil während der Vertragslaufzeit in Form des garantierten Wertzuwachses und gegebenenfalls durch nicht garantierte Fälligkeitsboni an die Anleger weiter. An den gebildeten Reserven können die Anleger auch am Ende der Vertragslaufzeit durch einen Fälligkeitsbonus beteiligt werden, der dem Wert der Anteile hinzugerechnet wird.
Diese Lebensversicherung war Teil eines Anlagemodells, das als weitere Bestandteile die Darlehensfinanzierung der Einmalzahlung und die Investition in einen Investmentfonds beinhaltete. In Deutschland wurde dieses Anlagemodell unter anderem über die E. AG als sogenannte "Masterdistributorin" und von dieser beauftragte Untervermittler vertrieben.
Geworben durch einen dieser Untervermittler schlossen auch die Kläger jeweils gemeinsam als Ehepaar bei der Beklagten zwei Lebensversicherungsverträge "Wealthmaster Noble" mit Versicherungsbeginn zum 13. August 2002 und einer Laufzeit von 15 Jahren ("Tilgungspolice") und 54 Jahren ("Rentenpolice") ab. Mit der Zahlung von Einmalbeträgen in Höhe von 216.364 € und 283.636 € erwarben sie jeweils Anteile am "Euro-Pool 2000EINS", einem "Pool mit garantiertem Wertzuwachs". Die Versicherungsscheine sahen halbjährliche "regelmäßige Auszahlungen" vor, die nach Betrag und Auszahlungsdatum konkret festgelegt waren.
Zur Finanzierung der Einmalbeträge nahm der Kläger zu 2) bei einer Bank einen Kredit in Höhe von 500.000 € zuzüglich 55.555,56 € Disagio mit einem anfänglichen effektiven Jahreszins von 6,87% auf. Ihre Ansprüche aus den Lebensversicherungsverträgen traten die Kläger zur Sicherung an die Kreditgeberin ab. Daneben investierten sie in einen Fondssparplan. Das Anlagemodell sah vor, dass die Darlehenszinsen durch die halbjährlichen Auszahlungen aus den Lebensversicherungen beglichen werden sollten. Mit der "Tilgungspolice" sollte sodann ein Teil des nach 15 Jahren endfälligen Darlehens getilgt werden, der Rest mit dem Fondssparplan. Die "Rentenpolice" sollte nach Tilgung des Darlehens für private Entnahmen zur Verfügung stehen.
Die Kläger erhielten von der Beklagten jährliche Mitteilungen über die aktuellen Vertragswerte und den zum 1. Februar jeden Jahres festgelegten deklarierten Wertzuwachs für den Pool der Serie 2000EINS. Dieser betrug vor Abschluss der streitgegenständlichen Verträge im Jahr 2001 4% und im Jahr 2002 3,5%; nach Vertragsschluss wurde er für das Jahr 2003 mit 3%, für 2004 mit 1,5% und ab 2005 mit 0,5% festgesetzt.
Wegen sinkender Vertragswerte nahmen die Kläger im Jahr 2006 eine Umschuldung vor, um die Darlehenszinsen anderweitig zu bedienen. Auch an die neue Kreditgeberin traten sie ihre Rechte aus den Lebensversicherungsverträgen ab.
Ihr Schadensersatzbegehren haben die Kläger auf die Behauptung gestützt, dass sie unzureichend über die Risiken der Lebensversicherung aufgeklärt worden seien. Insbesondere sei ihnen ein unzutreffendes Bild über die zu erwartende Rendite vermittelt worden. Das Verhalten des Untervermittlers sei der Beklagten zuzurechnen, da sie den Vertrieb ihrer Lebensversicherungen in Deutschland vollständig auf Masterdistributoren und Untervermittler ausgelagert habe. Die Kläger verlangen, so gestellt zu werden als hätten sie die Lebensversicherungsverträge nicht geschlossen, und fordern als Schadensersatz die Freistellung von der Darlehensverbindlichkeit und Erstattung der im Zusammenhang mit der Darlehensaufnahme stehenden Kosten und Zinsen.
Die Beklagte hat die Aktivlegitimation der Kläger wegen der Sicherungsabtretung an die Bank in Abrede gestellt. Ein etwaiges Verschulden des Vermittlers sei ihr nicht zuzurechnen, da das Anlagemodell durch unabhängige Makler vertrieben worden sei; zumindest treffe die Kläger ein Mitverschulden. Von der Fremdfinanzierung habe die Beklagte keine Kenntnis gehabt. Schadensersatzansprüche der Kläger seien jedenfalls verjährt, da den Klägern spätestens im Jahr 2003 aufgrund der jährlichen Zusendung der Kontoauszüge bekannt gewesen sei, dass die für ihr Anlagekonzept erforderliche Rendite nicht erzielt werde.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Revision der Kläger, die eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstreben.
I. Das Berufungsgericht hat die Frage der Aktivlegitimation offen gelassen. Den Klägern stünden mangels einer Verletzung von Aufklärungspflichten keine Schadensersatzansprüche zu.
Eine Aufklärung über die aus der Fremdfinanzierung resultierenden Risiken hätte die Beklagte nur geschuldet, wenn sie hiermit hätte rechnen müssen. Die Kenntnis von dem konkreten Zinsdifferenzgeschäft sei jedoch nicht nachgewiesen. Daher sei die Beklagte nur zur Aufklärung über die wesentlichen Fragen des Versicherungsvertrages verpflichtet gewesen; dazu gehörten aber die Vergangenheitsrenditen und die künftig zu erwartenden Renditen nicht. Aufklärung habe insoweit allein der Anlageberater geschuldet, der hier nicht im Pflichtenkreis der Beklagten tätig geworden sei. Dass die eigenen Angaben der Beklagten zu den Vergangenheitsrenditen falsch seien, hätten die Kläger nicht dargetan.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte - die in jeder Lage des Verfahrens, auch noch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, Urteile vom 1. März 2011 - XI ZR 48/10, BGHZ 188, 373 Rn. 9; vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, BGHZ 184, 365 Rn. 17; vom 28. November 2002 - III ZR 102/02, BGHZ 153, 82, 85) - gegeben. Sie folgt sowohl aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. b als auch aus Art. 16 Abs. 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO.
2. Ob den Klägern die geltend gemachten Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluss zustehen, kann der Senat nicht abschließend prüfen, da das Berufungsgericht weitere Feststellungen treffen muss.
a) Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, dass die Kläger trotz Abtretung aller gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche aus den Versicherungsverträgen an die neue Kreditgeberin Inhaber des geltend gemachten Anspruchs auf Rückabwicklung des Vertrages wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen sind. Vom Berufungsgericht wurde die Frage der Auslegung der Abtretungsvereinbarung offen gelassen.
b) Auf der Grundlage des revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalts hat die Beklagte im Rahmen der Vertragsverhandlungen ihre Aufklärungspflichten verletzt.
aa) Das Verhalten des Untervermittlers ist ihr nach § 278 BGB zuzurechnen. Übernimmt ein Vermittler mit Wissen und Wollen einer Vertragspartei Aufgaben, die typischerweise ihr obliegen, steht der Vermittler - unabhängig von seiner etwaigen Selbständigkeit und einer Tätigkeit auch für den Vertragspartner - in ihrem Lager, wird in ihrem Pflichtenkreis tätig und ist als ihre Hilfsperson zu betrachten (BGH, Urteile vom 14. November 2000 - XI ZR 336/99, VersR 2001, 188 unter II 2; vom 9. Juli 1998 - III ZR 158/97, VersR 1998, 1093 unter II 2; vom 24. September 1996 - XI ZR 318/95, VersR 1997, 877 unter II 1). Eine solche umfassende Aufgabenübertragung ist hier erfolgt. Die Beklagte hat ihre Lebensversicherung "Wealthmaster Noble" unter Verzicht auf ein eigenes Vertriebssystem im Rahmen eines sogenannten Strukturvertriebs über rechtlich selbständige Vermittler, die ihrerseits Untervermittler eingesetzt haben, veräußert, ohne selbst mit den Kunden in Kontakt zu treten. Sie hat es also diesen Vermittlern überlassen, den Versicherungsinteressenten die Angebote der Beklagten nahezubringen, ihnen dabei die notwendigen Auskünfte zum Vertragsinhalt und zum angebotenen Versicherungsprodukt zu geben, auftauchende Fragen hierzu zu beantworten und die Verhandlungen bis zum Abschluss zu führen.
bb) Die Frage, ob durch eigenes Verhalten der Beklagten oder durch ihr zuzurechnendes Verhalten des Vermittlers im Rahmen der Vertragsverhandlungen Aufklärungspflichten gegenüber den Klägern verletzt wurden, hat das Berufungsgericht mit einer rechtlich nicht tragfähigen Begründung verneint.
(1) Das Berufungsgericht hat zunächst verkannt, dass sich der Abschluss der streitgegenständlichen kapitalbildenden Lebensversicherung bei wirtschaftlicher Betrachtung als Anlagegeschäft darstellt. Gegenüber der Renditeerwartung war die Versicherung des Todesfallrisikos von untergeordneter Bedeutung. Dies zeigt sich schon daran, dass die garantierte Todesfallleistung nur "101,00% des Rücknahmewertes von Einheiten/Anteilen" beträgt. Die Beklagte war daher nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Aufklärung bei Anlagegeschäften verpflichtet, die Kläger bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen über alle Umstände verständlich und vollständig zu informieren, die für ihren Anlageentschluss von besonderer Bedeutung waren. Das gilt insbesondere für die mit der angebotenen Beteiligungsform verbundenen Nachteile und Risiken (vgl. BGH, Urteile vom 9. Juli 1998 aaO unter I 1; vom 21. März 2005 - II ZR 140/03, WM 2005, 833 unter II 2 b; vom 17. Februar 2011 - III ZR 144/10, NJW-RR 2011, 910 Rn. 9).
(2) Eine Verletzung dieser Aufklärungspflichten ist, wie von der Revision geltend gemacht, darin zu sehen, dass die Beklagte ein in tatsächlicher Hinsicht unzutreffendes, zu positives Bild der Renditeerwartung gegeben hat.
Bei Vertragsabschluss wurde gegenüber den Klägern der Eindruck erweckt, dass die Prognose einer Durchschnittsrendite von mindestens 8,5% realistisch ist. Die Kläger berufen sich auf vom Vermittler erstellte "Berechnungsgrundlagen" für eine Individualrente, die auf einer Renditeerwartung von 8,5% basieren, sowie auf die ebenfalls vom Vermittler zur Verfügung gestellten "Erläuterungen für das Finanzamt", die auf Seite 8 mit einer Rendite in Höhe von 8,5% kalkulieren. Die Beklagte verweist ihrerseits auf eine "unverbindliche Musterberechnung", mit der die Kläger über die zu erwartende Wertentwicklung aufgeklärt worden seien. Hierin wird jeweils auf den Seiten 3 und 4 eine Rendite von 8,5% zugrunde gelegt, die auch auf Seite 1 bei der Ablaufleistung und auf Seite 2 bei der Todesfallleistung als alleiniger Wert angenommen wird. Sowohl die "Berechnungsgrundlagen" und die Erläuterungen für das Finanzamt als auch die "unverbindliche Musterberechnung" erwecken den Eindruck, dass mit einer Rendite von 8,5% aufgrund einer sachlich gerechtfertigten Prognose gerechnet werden kann. Tatsächlich hat die Beklagte - wie sich auch aus Ziffer 5 der Hinweise auf Seite 5 der "unverbindlichen Musterberechnung" ergibt - aber nur die Prognose einer Wertentwicklung von 6% als gerechtfertigt angesehen.
Werden konkrete Aussagen über eine zu erwartende Wertentwicklung gemacht, müssen diese ein realistisches Bild vermitteln; zeichnet sich bereits bei Vertragsschluss ab, dass diese Werte tatsächlich nicht erreicht werden können, ist der Interessent hierüber aufzuklären (vgl. Senatsurteil vom 15. Februar 2012 - IV ZR 194/09, VersR 2012, 601 Rn. 38; BGH, Urteil vom 18. Juli 2008 - V ZR 71/07, NJW 2008, 3059 unter 1 b; OLG Düsseldorf VersR 2001, 705 unter 1).
An einer solchen Aufklärung fehlt es. Sie ergibt sich insbesondere nicht aus den Hinweisen auf Seite 5 der "unverbindlichen Musterberechnung". Auch wenn dort die von der Beklagten tatsächlich angenommene Wertentwicklung von 6% erwähnt wird, ist dieser Hinweis angesichts des Umstands, dass auf sämtlichen Seiten zuvor die Musterberechnung durchgehend auf der Grundlage einer Rendite von 8,5% durchgeführt wurde und sich der Hinweis auf die tatsächlich angenommene - niedrigere - Wertentwicklung nur kleingedruckt und erst auf Seite 5 der Musterberechnung findet, nicht ausreichend; Anordnung und Kontext des Hinweises gewährleisten nicht, dass der Anleger hiervon in der gebotenen Weise Kenntnis nimmt. Auf die streitige Frage, ob die "unverbindliche Musterberechnung" den Klägern vor Vertragsschluss zugegangen ist, kommt es daher nicht an. Zur Aufklärung ungeeignet ist auch der Hinweis im "Beratungsprotokoll zur Individualrente", dass "die garantierte Jahresdividende niedriger sein kann als der Effektivzinssatz für das aufzunehmende Darlehen". Die Rendite setzt sich aus dem garantierten Wertzuwachs und dem nicht garantiertem Fälligkeitsbonus zusammen, so dass dieser Hinweis nichts über die Gesamthöhe der zu erwartenden Wertentwicklung aussagt. Unerheblich ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch der Hinweis auf Seite 3 der den Klägern übergebenen Broschüre "Individual-Rente", wonach "eine jährlich neu festgesetzte Jahresdividende garantiert wird, die im Jahr 2001 4% beträgt". Auch dieser Hinweis bezieht sich ausschließlich auf den garantierten Wertzuwachs. Die Kläger konnten hieraus nicht schließen, dass die Prognose einer Gesamtrendite von 8,5% für die Folgejahre unrealistisch ist.
c) Nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt ist die Aufklärungspflichtverletzung für den Abschluss der Lebensversicherungsverträge ursächlich. Für den Ursachenzusammenhang zwischen einer fehlerhaften Aufklärung und der Anlageentscheidung spricht eine durch die Lebenserfahrung begründete tatsächliche Vermutung (BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, VersR 2011, 395 Rn. 20 m.w.N.; siehe dazu im Einzelnen BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10 Rn. 28 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die diese Vermutung entkräften könnten. Unzutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Höhe der möglichen Rendite für den Kapitalanleger nur im Hinblick auf die Auswahl unter mehreren Verträgen, nicht aber für den Abschluss der Lebensversicherung selbst von Bedeutung sei. Tatsächlich ist die Renditeprognose bei objektiver Beurteilung ein für den Abschluss einer als Kapitalanlage dienenden Lebensversicherung zentrales Kriterium.
III. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, da das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen zum Bestehen eines Schadensersatzanspruchs wegen einer Aufklärungspflichtverletzung und zur Verjährungseinrede treffen muss.
Die Aufhebung und Zurückverweisung wird dem Berufungsgericht dabei auch Gelegenheit geben, zu den weiteren vom Kläger in den Tatsacheninstanzen geltend gemachten Aufklärungsmängeln, insbesondere bezüglich des von der Beklagten praktizierten Glättungsverfahrens ("smoothing") und der Regelungen zur Marktpreisanpassung (vgl. zu diesen beiden Punkten auch das Senatsurteil vom heutigen Tage - IV ZR 164/11 unter Rn. 55 und 61) Stellung zu nehmen.
Mayen Wendt Felsch
Lehmann Dr. Brockmöller