Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 05.02.2014


BGH 05.02.2014 - IV ZB 26/13

Wiedereinsetzung bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Mangelndes Verschulden des Prozessbevollmächtigten bei Nichtbefolgung einer Einzelanweisung durch eine Büroangestellte


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
05.02.2014
Aktenzeichen:
IV ZB 26/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Aschaffenburg, 12. Juli 2013, Az: 23 S 61/13vorgehend AG Aschaffenburg, 26. Februar 2013, Az: 112 C 231/10
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Aschaffenburg - 2. Zivilkammer -vom 12. Juli 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe

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I. Der Kläger erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.

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Er hat gegen das ihm am 6. März 2013 zugestellte klageabweisende Urteil des Amtsgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Das Landgericht hat mit Verfügung vom 18. Juni 2013 den Kläger darauf hingewiesen, dass eine Berufungsbegründungsschrift nicht fristgerecht innerhalb der bis zum 6. Juni 2013 verlängerten Frist eingereicht worden sei. Mit einem am 20. Juni 2013 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger beantragt, ihm wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, und die Berufung begründet.

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Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Kläger vorgetragen: Am 6. Juni 2013 habe sein Prozessbevollmächtigter die Berufungsbegründung unterzeichnet und diesen Schriftsatz einer seit zwei Jahren bei ihm angestellten, geschulten und zuverlässigen Rechtsanwaltsfachangestellten übergeben, die den Schriftsatz zur Versendung an das Landgericht am gleichen Tag habe einwerfen wollen. Die Angestellte habe den Schriftsatz im Rahmen eines von ihr nach Einkauf in einem Supermarkt geplanten Gangs zu einer Eisdiele unmittelbar in den Fristbriefkasten des Landgerichts einwerfen sollen. Sie habe das Schriftstück zunächst in ihre Tasche und diese in den Kofferraum ihres PKW gelegt. Allerdings habe das Einkaufen im Supermarkt unvorhergesehen lange gedauert, so dass sie das Vorhaben mit der Eisdiele verworfen habe und schnell nach Hause gefahren sei. Dabei habe sie vergessen, den Schriftsatz einzuwerfen, wie erst auf den Hinweis des Gerichts festgestellt worden sei. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung der Angestellten vorgelegt.

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Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

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II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

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1. Die nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - die Verfahrensgrundrechte des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Sie steht zudem nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats.

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2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

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a) Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert war. Selbst unter Zugrundelegung des glaubhaft gemachten Sachvortrags liege ein Organisationsverschulden seiner Prozessbevollmächtigten vor, das sich der Kläger zurechnen lassen müsse. Ein Rechtsanwalt dürfe grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelweisung befolge, weshalb er im Allgemeinen nicht verpflichtet sei, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Betreffe diese einen solch wichtigen Vorgang wie den fristgerechten Eingang einer Rechtsmittelbegründung und werde sie nur mündlich erteilt, müssten in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Anordnung in Vergessenheit gerate und die Frist dadurch versäumt werde. Das Fehlen jeder Sicherung bedeute grundsätzlich einen Organisationsmangel, es sei denn, die Bürokraft erhalte die unmissverständliche Weisung, den Vorgang sogleich auszuführen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sei dem Klägervertreter ein Organisationsverschulden anzulasten. Er habe gewusst, dass die Büroangestellte zunächst noch einen Einkauf in einem Supermarkt habe erledigen wollen, so dass eine nicht fernliegende Gefahr bestanden habe, dass angesichts der dadurch bedingten Ablenkung und des Zeitablaufs der erteilte Auftrag vergessen werde. Deshalb hätte er entweder die sofortige Ausführung seiner Anweisung anordnen oder die Ausführung kontrollieren müssen. So hätte er die Angestellte anweisen können, die Ausführung des Auftrags zu bestätigen, etwa telefonisch, per SMS oder E-Mail. Im Übrigen erscheine es zumindest fraglich, ob der vorgetragene Sachverhalt hinreichend glaubhaft gemacht sei.

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b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Ein dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten kann mit den Erwägungen des Berufungsgerichts nicht angenommen werden.

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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte mit der behaupteten Weisung an seine bis dahin stets zuverlässige Angestellte, die Berufungsbegründung nach dem Einkauf in den Fristbriefkasten des Landgerichts einzuwerfen, eine Fristwahrung unter normalen Umständen gewährleistet. Er durfte auf die Befolgung dieser Einzelweisung vertrauen und musste nicht damit rechnen, dass seine Mitarbeiterin sie versehentlich nicht ausführte (vgl. Senatsbeschluss vom 28. März 2012 - IV ZB 5/12, NJW-RR 2012, 1268 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 20. April 2000 - VII ZB 11/00, VersR 2001, 214).

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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Anwalt auf die Befolgung einer konkreten Einzelweisung durch eine bis dahin stets zuverlässige Büroangestellte vertrauen, wenn es um solche einfachen Angelegenheiten wie den Einwurf einer Postsendung in den Gerichtsbriefkasten geht (Senatsbeschluss vom 28. März 2012 aaO Rn. 10). Mit einem solchen Botengang dürfen sogar hinreichend erprobte und zuverlässige, aber in Bezug auf das Fristenwesen nicht besonders qualifizierte Kräfte beauftragt werden (Senatsbeschlüsse vom 28. März 2012 aaO; vom 13. Januar 1988 - IVa ZB 13/87, VersR 1988, 610 unter 1). Es genügt, wenn die Kanzleiangestellte, die kurz vor Ablauf einer Frist mit der Beförderung des fristwahrenden Schriftsatzes beauftragt wird, über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet ist. Dies ist schon dann anzunehmen, wenn die Angestellte den Auftrag erhält, den Schriftsatz nach Dienstschluss zum Gerichtsgebäude zu bringen und dort in den Nachtbriefkasten einzuwerfen (Senatsbeschlüsse vom 28. März 2012 aaO; vom 22. September 1977 - IV ZB 14/77, VersR 1977, 1099 f.).

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bb) Das gilt auch hier. Nach dem Vortrag des Klägers hatte sein Prozessbevollmächtigter seiner zuverlässigen Büroangestellten die am 6. Juni 2013 - dem letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist - verfasste und unterzeichnete Berufungsbegründung übergeben und ihr aufgegeben, diesen Schriftsatz im Rahmen eines von ihr nach dem Einkauf geplanten Gangs zur Eisdiele in den Fristbriefkasten des Landgerichts einzuwerfen. Eine Abweichung von den genannten Grundsätzen ist nicht deshalb geboten, weil die Kanzleiangestellte zunächst noch einen Einkauf in dem in der Nähe der Kanzlei gelegenen Supermarkt erledigen wollte. Sie war angewiesen, unmittelbar danach auf dem weiter geplanten Gang die Berufungsbegründung in den Fristbriefkasten des Landgerichts einzuwerfen. Einen Erfahrungssatz dergestalt, dass eine ansonsten zuverlässige Angestellte sich durch einen vor dem Gang zum Gericht geplanten Einkauf so ablenken lässt, dass sie den Einwurf des Schriftsatzes in den Gerichtsbriefkasten vergisst, gibt es nicht. Daher war der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch nicht gehalten, die Ausführung seiner Weisung nachträglich zu überprüfen und sich die Ausführung des Auftrags von seiner Mitarbeiterin bestätigen zu lassen. Die Annahme einer derartigen Kontrollpflicht widerspräche dem berechtigterweise in die Kanzleikraft gesetzten Vertrauen (vgl. Senatsbeschluss vom 28. März 2012 aaO Rn. 12 m.w.N.).

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3. Nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. An einer eigenen Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO ist der Senat gehindert, weil es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, MDR 2014, 107 Rn. 16). Das Berufungsgericht hat selbst unter Zugrundelegung des glaubhaft gemachten Sachvortrags ein Organisationsverschulden bejaht, es aber für "zumindest fraglich" gehalten, ob der Kläger den vorgetragenen Sachverhalt hinreichend glaubhaft gemacht habe. Daraus lässt sich nicht entnehmen, ob es den auf das Wiedereinsetzungsgesuch bezogenen Vortrag für glaubhaft gemacht hält.

Mayen                                        Wendt                                     Felsch

                Harsdorf-Gebhardt                         Dr. Karczewski