Entscheidungsdatum: 19.12.2018
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 11. Zivilkammer - vom 6. Juni 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 4.316,21 €
I. Der Kläger fordert von der Beklagten nach einem Widerspruch gegen das Zustandekommen einer im Jahr 2000 nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossenen fondsgebundenen Lebensversicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, § 818 Abs. 1 BGB die Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge sowie die Herausgabe von Nutzungen, die die Beklagte aus den Beiträgen gezogen haben soll.
Nachdem der Kläger den Versicherungsvertrag zunächst gekündigt und die Beklagte daraufhin den Rückkaufswert ausgezahlt hatte, erklärte der Kläger im Jahr 2015 den Widerspruch des Vertrages. Er meint, das Widerspruchsrecht habe zum Zeitpunkt der Erklärung noch bestanden, weil die Widerspruchsfrist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht zu laufen begonnen habe und § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. nicht anwendbar sei.
Der Kläger hat die bereicherungsrechtliche Forderung auf 4.316,21 € beziffert und so berechnet, dass er von der Summe der gezahlten Versicherungsbeiträge einen Risikoanteil, den erhaltenen Rückkaufswert sowie Fondsverluste abgezogen und Nutzungen in Höhe von 3.728,39 € hinzugerechnet hat.
Das Amtsgericht hat die Klage wegen Verwirkung abgewiesen und den Streitwert auf 4.316,21 € festgesetzt. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers verworfen, weil die Beschwer 600 € nicht übersteige; der Streitwert sei auf 587,82 € festzusetzen. Der Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen werde als Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO geltend gemacht, da der Rückkaufswert nach den Tarifbedingungen der Lebensversicherung nicht die Beitragsanteile enthalten könne, aus denen die Beklagte nach dem Vortrag des Klägers die Nutzungen gezogen haben soll. Diese Beitragsanteile seien folglich im klägerischen Antrag enthalten und der Nutzungsherausgabeanspruch bei der Berechnung des Streitwerts daher nicht zu berücksichtigen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juni 2018 - IV ZB 10/17, NJW-RR 2018, 957 Rn. 6 m.w.N.).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landgericht die Berufung nicht als unzulässig verwerfen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung beträgt 4.316,21 € und übersteigt damit die Wertgrenze von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), weil der vom Kläger geltend gemachte Nutzungsherausgabeanspruch im Streitfall nicht als Nebenforderung im Sinne des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO zu qualifizieren ist.
Verlangt ein Versicherungsnehmer gestützt auf einen Widerspruch nach § 5a VVG a.F. die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages, ist ein in diesem Rahmen geltend gemachter Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen bei der Streitwertberechnung zu berücksichtigen. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO.
Die Vorschrift bezweckt eine praktische, einfache und klare Wertermittlung, da von der Wertfestsetzung die sachliche Zuständigkeit der Gerichte und die Zulässigkeit von Rechtsmitteln abhängt (vgl. Senatsbeschluss vom 2. März 1994 - IV ZR 270/93, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2013 - III ZR 143/12, NJW 2013, 3100 Rn. 8; vom 7. Oktober 1976 - VII ZR 95/76, WM 1976, 1201; vom 6. Oktober 1960 - VII ZR 42/59, NJW 1960, 2336; vom 23. November 1956 - V ZR 32/55, NJW 1957, 103, 104; Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 2, Abteilung 1, 2. Aufl. S. 147; MünchKomm-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl. § 4 Rn. 1; Roth in Stein/Jonas, ZPO 23. Aufl. § 4 Rn. 1, 16; Kruis in Wieczorek/Schütze, ZPO 4. Aufl. § 4 Rn. 2, 18). Dieser Zweck einer Vereinfachung der Berechnung würde verfehlt, wenn es in Fällen der vorliegenden Art für die Streitwertermittlung darauf ankäme, ob und in welchem Umfang der eingeklagte Nutzungsherausgabeanspruch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem weiter geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung der Versicherungsbeiträge steht, von diesem also sachlich rechtlich abhängt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2016 - IX ZR 60/16, juris Rn. 2 m.w.N.). Dies kann hier von Fall zu Fall insbesondere danach variieren, mit welchem der Ansprüche der an den Versicherungsnehmer typischerweise ausgezahlte Rückkaufswert in welcher Höhe zu verrechnen ist. Hierfür kommt es nicht nur darauf an, wie die Frage nach der Verrechnung des Rückkaufswerts abstrakt-generell zu beantworten ist - dazu werden in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung verschiedene Positionen vertreten (vgl. OLG Karlsruhe VersR 2017, 1420 unter 1 [juris Rn. 3 ff.] m.w.N.). Es bestimmt sich, wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, auch nach den Umständen des Einzelfalles, deren rechtliche Bewertung unterschiedlich ausfallen kann.
Auf dieser vielschichtigen Grundlage wäre es für die Parteien in derartigen Prozessen häufig kaum möglich, im Vorhinein zu erkennen, welches Gericht sachlich zuständig ist und ob ein Rechtsmittel zulässigerweise eingelegt werden kann, wenn die volle oder teilweise (Nicht-)Berücksichtigung des Nutzungsherausgabeanspruchs insofern zu unterschiedlichen Ergebnissen führte; die insbesondere auch in ihrem Interesse gebotene praktische, einfache und klare Wertermittlung wäre nicht mehr gewährleistet. Der § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO zugrunde liegende Vereinfachungsgedanke spricht daher entscheidend dafür, den Nutzungsherausgabeanspruch des Versicherungsnehmers in Fällen der vorliegenden Art unabhängig von den Umständen des Einzelfalles bei der Streitwertbemessung zu berücksichtigen.
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Mayen |
|
Harsdorf-Gebhardt |
|
Lehmann |
|
Dr. Brockmöller |
|
Dr. Bußmann |
|