Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 01.07.2010


BFH 01.07.2010 - IV R 56/07

(Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung im Wege einer Änderung nach § 129 AO - Begriff der "ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit" i.S.d. § 129 Satz 1 AO)


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
01.07.2010
Aktenzeichen:
IV R 56/07
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 11. Juli 2007, Az: 5 K 328/04, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Zum Begriff der "ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit" in § 129 Satz 1 AO .

2. NV: Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist im Wesentlichen eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt .

3. NV: Eine Unrichtigkeit ist "offenbar", wenn der Fehler bei Offenlegung des aktenkundigen Sachverhalts für einen unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar war. In den objektivierten Erkenntnishorizont dieses Dritten sind neben dem Akteninhalt regelmäßig auch im konkreten Fall einschlägige interne Arbeits- und Dienstanweisungen einzubeziehen .

4. NV: Ist die Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung versehentlich unterblieben und liegen insoweit die Voraussetzungen des § 129 Satz 1 AO vor, kann das FA den Bescheid unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO ändern .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die medizinische Produkte entwickelt, produziert und vertreibt. Sie gehörte im Streitjahr (2000) zum Konzern der X AG, der der Anschlussprüfung unterlag.

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In ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 2000 vom 31. Juli 2002 wies die Klägerin einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.428.321 DM aus. In ihrer Gewerbesteuererklärung 2000 vom gleichen Tag gab sie einen Gewerbeverlust von 1.431.351 DM an.

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Die Veranlagungsverwaltungsstelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) stempelte auf der ersten Seite des Erklärungsbogens in den grünen Feldern am oberen Rand in dem zweiten dick umrandeten Kästchen über die ersten beiden Zeilen hinweg rechts rot die Ziffer "1" ein. Auf der Anlage GSE trug ein Mitarbeiter des FA unterhalb der Angabe zur Art des Unternehmens auf Zeile 5 "S. 7" ein. Das für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen maßgebliche Arbeitsplatzprotokoll vom 26. September 2002 weist als Bearbeiter mit dessen Personalbenutzungsidentifikationsnummer (PBI) den A aus; A hat das Protokoll auch mit Namenskürzel unterschrieben. Auf dem Protokoll befindet sich rechts neben dem letzten Absatz mit Bleistift die von A geschriebene Wort- und Zahlenfolge "Saldo S. 1 S. 11". Das Arbeitsplatzprotokoll für die Gewerbesteuermessbetragsberechnung vom 24. September 2002 enthält eine andere PBI. Es ist aber von zwei Bearbeitern, darunter A, mit Namenskürzel unterschrieben.

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Mit ihren Steuererklärungen reichte die Klägerin beim FA auch einen Jahresabschluss (Bilanz zum 31. Dezember 2000, Gewinn- und Verlustrechnung sowie Bilanzbericht) ein. Der Jahresabschluss enthält auf Seite 1 die Bilanz zum 31. Dezember 2000, auf Seite 7 die Gewinnverteilung und auf Seite 11 das Kommanditkapital; auf Seite 13 wird das ausweislich der Bilanz von einem Gesellschafter an die Klägerin gegebene Darlehen erläutert. Darlehensverträge legte die Klägerin im Rahmen der im Jahr 2003 durchgeführten Außenprüfung vor. Den Gesellschaftsvertrag der Klägerin hatte das FA schon am 11. November 1999 erhalten.

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Am 11. Oktober 2002 erließ das FA teilweise vorläufig, aber ohne Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO--) einen Bescheid für 2000 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG); darin stellte das FA einen Verlust aus Gewerbebetrieb 2000 in Höhe von 1.428.321 DM fest. Ebenfalls am 11. Oktober 2002 erging ein Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2000 mit einem Gewerbeverlust 2000 in Höhe von 1.431.351 DM. Der Bescheid enthält als Nebenbestimmung einen Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO. Außerdem erließ das FA am 7. November 2002 einen Gewerbesteuermessbescheid 2000 mit einem Gewerbeverlust von 1.431.351 DM und einem Gewerbesteuermessbetrag von 0 DM. Auch dieser Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

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Bei einer Außenprüfung im Jahr 2003 u.a. wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb, gesonderter Feststellung des verrechenbaren Verlustes und wegen Gewerbesteuer für die Jahre 1999 und 2000 kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass der Verlust aus Gewerbebetrieb im Jahr 2000 (vor Anwendung des § 15a EStG) nur 1.318.090 DM betrage. Er vertrat die Auffassung, dass das Gesellschaftsvermögen laut Gesellschaftsbilanz und das Sonderbetriebsvermögen für die Anwendung des § 15a EStG zu trennen seien; der steuerrechtlichen Zuordnung eines Darlehens zwischen der Klägerin und einem ihrer Gesellschafter als Fremdkapital in der Gesellschaftsbilanz sei nicht zu folgen. Das FA übernahm dieses Prüfungsergebnis in seinem geänderten Feststellungsbescheid vom 4. Dezember 2003, wobei es die Änderung (zunächst) auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stützte. Außerdem erließ das FA einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Gewerbesteuermessbescheid 2000 mit dem Ausweis eines Gewerbeverlustes in Höhe von 1.318.090 DM und eines Gewerbesteuermessbetrags von 0 DM.

7

Der gegen den geänderten Feststellungsbescheid eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. In seiner Einspruchsentscheidung stützte das FA seine Berechtigung zur Bescheidänderung auf § 129 AO i.V.m. § 164 Abs. 2 AO.

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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1659 veröffentlichten Gründen ab.

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Es führte im Wesentlichen aus, die Nichteingabe der Kennziffer für die Vorbehaltsfestsetzung beruhe auf einem Vergessen oder Übersehen und daher auf einem Fehler des Bearbeiters. Dieser habe keine rechtlichen oder tatsächlichen Überlegungen angestellt. Der Steuerfall sei auf der ersten Seite des Erklärungsbogens dahin gekennzeichnet worden, dass die Steuererklärungen nur überschlägig zu prüfen und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zu veranlagen seien. Es habe keine Veranlassung bestanden, nur hinsichtlich der Feststellung 2000 hiervon abzuweichen. Auch handele es sich bei der Klägerin um ein Unternehmen, bei dem eine Außenprüfung angestanden habe. Die handschriftlichen Vermerke auf der Steuererklärung und auf dem Arbeitsplatzprotokoll ließen nicht den Schluss zu, dass der Bearbeiter entgegen der einschlägigen Dienstanweisung die Feststellung ohne Vorbehaltsvermerk habe durchführen wollen. Auch eine mehr als nur theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums oder eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung sei auszuschließen. Der Fehler sei jedem unvoreingenommenen Dritten, der auch Kenntnis von den internen Arbeitsanweisungen habe, klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit ersichtlich. Der fehlerhafte Feststellungsbescheid 2000 könne unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden, ohne dass es zuvor einer Ergänzung um einen Vorbehaltsvermerk im Wege einer Änderung nach § 129 AO bedürfe.

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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 129 AO i.V.m. § 164 Abs. 2 AO).

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Sie beantragt, das vorinstanzliche Urteil und den geänderten Feststellungsbescheid 2000 vom 4. Dezember 2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. September 2004 aufzuheben.

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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass das FA berechtigt war, den Feststellungsbescheid vom 11. Oktober 2002 zu Ungunsten der Klägerin zu ändern.

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1. Das FG ist nicht ausdrücklich der Frage nachgegangen, ob die streitige Änderungsbefugnis des FA aus der Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO folgen könnte, auf die das FA ursprünglich seine Befugnis zur Änderung gestützt hat. Auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen geht indes auch das FA zu Recht davon aus, dass im Streitfall eine Änderungsbefugnis nach dieser Norm nicht gegeben war. Denn die Existenz eines der Klägerin gewährten Gesellschafter-Darlehens, an das das FA nach Durchführung einer Außenprüfung in seinem angefochtenen Änderungsbescheid andere steuerrechtliche Folgen als die Klägerin in ihren Steuererklärungen geknüpft hat, war dem FA aus dem von der Klägerin zusammen mit ihren Steuererklärungen für das Streitjahr vorgelegten Jahresabschluss bekannt, auch wenn die Klägerin Darlehensverträge erst im Jahr 2003 vorgelegt hat. Damit ist nicht erkennbar, dass dem FA --nach Erlass des zu ändernden Bescheids (vgl. z.B. Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 173 Rz 48)-- eine bei der ursprünglichen Feststellung rechtserhebliche Tatsache (vgl. z.B. Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 71) erst nachträglich bekannt geworden wäre.

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2. Das FG hat jedoch die von ihm festgestellten Umstände des Streitfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin gewürdigt, dass das FA zu Recht seine Änderungsbefugnis auf die §§ 129 Satz 1, 164 Abs. 2 AO gestützt hat.

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a) Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

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aa) "Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" sind einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche mechanische Versehen. Sie können beispielsweise bei Eingabe- oder Übertragungsfehlern vorliegen. So können Fehler bei Eintragungen in Eingabewertbögen für die automatische Datenverarbeitung als rein mechanische Versehen ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sein, etwa bei einem unbeabsichtigten, unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder bei Irrtümern über den tatsächlichen Ablauf des maschinellen Verfahrens bzw. bei der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung, bei Verwendung falscher Schlüsselzahlen oder beim Übersehen notwendiger Eintragungen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteil vom 5. Februar 1998 IV R 17/97, BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Juli 2007 XI R 17/05, BFH/NV 2007, 1810, jeweils m.w.N.). Auch das versehentliche Unterbleiben eines Vorbehaltsvermerks --etwa in Folge der Unterlassung der Übernahme dieses Vermerks aus der Aktenverfügung in den Bescheid oder der Nichterfassung der erforderlichen Kennziffer-- stellt eine gemäß § 129 AO jederzeit zu berichtigende offenbare Unrichtigkeit dar (vgl. BFH-Urteile vom 22. August 1989 VIII R 110/86, BFH/NV 1990, 205; vom 27. März 1996 I R 83/94, BFHE 180, 227, BStBl II 1996, 509; vom 17. November 1998 III R 2/97, BFHE 187, 148, BStBl II 1999, 62; Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 129 Rz 5; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 129 Rz 47, m.w.N.). Auch wenn nur das offenbar ist, was für alle Beteiligten durchschaubar, erkennbar, eindeutig oder augenfällig ist, muss die offenbare Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 1990, 205; in BFHE 187, 148, BStBl II 1999, 62, und in BFH/NV 2007, 1810, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 5. Januar 2005 III B 79/04, BFH/NV 2005, 1013).

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bb) In den Bereich der Willensbildung fallende Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen, schließen die Anwendung des § 129 Satz 1 AO aus (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 27. März 1987 VI R 63/84, BFH/NV 1987, 480, m.w.N.; Senatsurteile in BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535; vom 16. März 2000 IV R 3/99, BFHE 191, 226, BStBl II 2000, 372; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1013). Besteht eine mehr als nur theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums, so liegt kein bloßes mechanisches Versehen und damit auch keine offenbare Unrichtigkeit mehr vor (z.B. Senatsurteil in BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535, m.w.N.), ebenso nicht bei einer unrichtigen Tatsachenwürdigung, bei der unzutreffenden Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder bei Fehlern, die auf mangelnder Sachaufklärung beruhen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1013).

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cc) Indem der Wortlaut des § 129 Satz 1 AO auf "offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind," abstellt, kommt es entscheidend auf die Umstände bei der Entscheidungsfindung und demzufolge vornehmlich auf den Akteninhalt an (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1810, unter II.1.c der Gründe, m.w.N.). Maßgebend ist deshalb, ob der Fehler bei Offenlegung des aktenkundigen Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen (objektiven) Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 17. Juni 2004 IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505; BFH-Urteile in BFH/NV 1990, 205, und in BFH/NV 2007, 1810; BFH-Beschluss vom 22. August 2006 I B 21/06, BFH/NV 2007, 10, jeweils m.w.N.; vgl. auch Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 129 Rz 13; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 129 Rz 17; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, a.a.O., § 129 Rz 38). Dabei genügt die Offenbarkeit der Unrichtigkeit als solche; nicht dagegen ist erforderlich, dass für den Bescheidadressaten auch der an Stelle des unrichtigen zu setzende richtige Inhalt des Bescheids offenbar ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1810, m.w.N.). Unerheblich ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, ob der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit anhand des Bescheids und der ihm vorliegenden Unterlagen erkennen konnte (vgl. aus jüngerer Zeit z.B. BFH-Urteil vom 22. Februar 2006 I R 125/04, BFHE 211, 424, BStBl II 2006, 400, und BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 10; dieser Ansicht folgend z.B. Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 129 Rz 13; Pahlke/Koenig/Pahlke, a.a.O., § 129 Rz 18 f., mit kritischer Würdigung der Gegenmeinung; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, a.a.O., § 129 Rz 38; eher unentschlossen Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 129 AO Rz 70; kritisch hingegen z.B. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 129 AO Rz 4 ff.).

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dd) Ob ein mechanisches Versehen, ein Irrtum über den Programmablauf oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden (vgl. z.B. Senatsurteile in BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535; in BFHE 191, 226, BStBl II 2000, 372; BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1810, jeweils m.w.N.; Klein/ Brockmeyer, a.a.O., § 129 Rz 4). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt (Senatsurteil in BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535; BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 X R 47/91, BFH/NV 1993, 638).

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ee) Ist in einem Steuerbescheid die Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung versehentlich unterblieben und liegen insoweit die Voraussetzungen des § 129 Satz 1 AO vor, so muss das FA den Bescheid nicht zunächst nach § 129 AO berichtigen, um ihn anschließend nach § 164 Abs. 2 AO ändern zu können. Vielmehr kann der Bescheid in diesem Fall unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden; diese Änderung schließt dann die Wahrnehmung der Berichtigungsmöglichkeit ein (BFH-Urteile in BFHE 180, 227, BStBl II 1996, 509, und in BFHE 211, 424, BStBl II 2006, 400).

22

b) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist die Würdigung des FG, dass im Streitfall die Voraussetzungen einer Änderung nach den §§ 129, 164 Abs. 2 AO gegeben seien, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

23

aa) Revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand hält zunächst die Annahme des FG, dass eine "ähnliche Unrichtigkeit" i.S. des § 129 Satz 1 AO vorgelegen habe. Das FG ist aufgrund seiner nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze davon ausgegangen, dass die Nichteingabe der Kennziffer für einen Vorbehaltsvermerk auf einem Vergessen oder Übersehen des Bearbeiters (A) beruht habe. Das FG hat zunächst die Vorbearbeitung der von der Klägerin abgegebenen Feststellungserklärung durch Abstempelung mit einer Ziffer und deren Signalwirkung bei der späteren Sachbearbeitung sowie die im Streitfall einschlägige Dienstanweisung dahin gewürdigt, dass hierdurch die Aufnahme eines Vorbehaltsvermerks auch in den streitbefangenen Feststellungsbescheid nahe gelegen hätte. Diese tatrichterliche Würdigung ist auch dann möglich, wenn man mit der Klägerin davon ausgeht, dass der Sachbearbeiter an eine entsprechende Vorbearbeitung der Steuererklärung nicht gebunden ist. Der Schluss des FG, dass der Sachbearbeiter unter den im Streitfall vorliegenden Umständen keinen Anlass hatte, entgegen der internen Anweisung zu handeln, liegt schon deshalb nahe, weil auch die Klägerin keine für ein (bewusst) regelwidriges Verhalten des Sachbearbeiters sprechenden Gesichtspunkte vorgetragen hat. Auch konnte das FG dies aus dem Umstand folgern, dass --außer dem streitbefangenen Feststellungsbescheid-- alle aufgrund der Steuererklärungen der Klägerin ergangenen Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen worden sind; außerdem ist eine Würdigung der Bearbeitungsvermerke in den Akten dahin gehend möglich, dass der A hinsichtlich der festzustellenden Besteuerungsgrundlagen keine abschließende rechtliche Beurteilung vornehmen wollte. Einen --von der Klägerin bereits im Ausgangsverfahren bestrittenen-- Rechtssatz dergestalt, dass allein schon der Verstoß gegen eine interne Anweisung eine offenbare Unrichtigkeit begründe, hat das FG nicht aufgestellt.

24

bb) Gleichfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Würdigung des FG, dass die Unrichtigkeit auch "offenbar" gewesen sei. Nach den genannten Maßstäben zutreffend und im Einklang mit ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hat das FG als maßgeblich erachtet, ob der Fehler bei Offenlegung des aktenkundigen Sachverhalts für einen unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar war. Da insoweit nicht auf den Empfängerhorizont, sondern auf eine objektivierte Sicht abgestellt wird, kann bei dem (fiktiven) unvoreingenommenen Dritten zunächst der Akteninhalt als bekannt vorausgesetzt werden. Allerdings beschränkt sich dessen Erkenntnishorizont nicht hierauf. Deshalb stellt der BFH auf die "Umstände bei der Entscheidungsfindung" ab (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1810, unter II.1.c der Gründe, m.w.N.). Dass dabei vornehmlich auf den Akteninhalt abzustellen ist, findet seine Begründung darin, dass eine Anknüpfung an aktenkundige Umstände bei objektiver Betrachtungsweise regelmäßig besonders nahe liegt. Der erkennende Senat hat indes unter Zugrundelegung des objektivierten Maßstabs keine Bedenken, bei dem unvoreingenommenen Dritten neben dem (jedenfalls teilweise nur verwaltungsintern bekannten) Akteninhalt auch im konkreten Fall einschlägige interne Arbeits- und Dienstanweisungen regelmäßig in dessen (gleichfalls objektivierten) Erkenntnishorizont einzubeziehen. Dies ist allerdings nicht dahin zu verstehen, dass jeder Verstoß gegen interne Anweisungen eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO begründet, selbst wenn auch in der Nichtbeachtung einer Dienstanweisung ein mechanisches Versehen i.S. dieser Vorschrift liegen kann (BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1810, unter II.1.a der Gründe, m.w.N.). Das FG hat jedoch auch im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Offenbarkeit der Unrichtigkeit einen solchen Rechtssatz nicht aufgestellt. Vielmehr ist auch seine Würdigung möglich, dass unter den Besonderheiten des Streitfalls einem unvoreingenommenen Dritten die zuvor benannte Unrichtigkeit offenbar war. Dies wäre auch dann der Fall, wenn der Vortrag der Klägerin in ihrer Revisionsbegründung berücksichtigt würde, dass eine "Konzernübersicht" erst auf die Zeit nach dem Erfassungsprotokoll datiere und deshalb der Sachbearbeiter der Feststellungserklärung von der Konzernzugehörigkeit der Klägerin noch keine Kenntnis gehabt habe.

25

cc) Die angefochtene Entscheidung enthält entgegen der Ansicht der Klägerin auch keine Abweichung vom BFH-Urteil vom 2. Dezember 1999 V R 19/99 (BFHE 190, 288, BStBl II 2000, 284). Jenes Urteil betraf u.a. die Rechtsfrage, wann ein Steuerbescheid wirksam unter einen Vorbehalt der Nachprüfung gestellt ist, und nicht die Voraussetzungen des § 129 AO. Im Übrigen ist vorliegend auch nicht im Streit, dass der ursprüngliche Feststellungsbescheid keinen wirksamen Vorbehaltsvermerk enthält.

26

dd) Schließlich ist nach den ausgeführten Rechtsgrundsätzen auch nicht zu beanstanden, dass das FA den streitigen Feststellungsbescheid unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO geändert hat.

27

3. Nachdem der angefochtene geänderte Feststellungsbescheid zwischen den Beteiligten nur hinsichtlich der Änderungsbefugnis des FA, nicht jedoch hinsichtlich der materiell-rechtlichen Grundlagen der nach Maßgabe der Feststellungen der Außenprüfung erfolgten Änderungen streitig ist, sieht der Senat insoweit von weiteren Ausführungen ab.