Entscheidungsdatum: 10.06.2010
1. NV: Für in der Vergangenheit veräußerte Milchlieferrechte darf nicht nachträglich im Wege der Bilanzberichtigung ein Buchwert erfolgswirksam von dem nach § 55 Abs. 1 EStG ermittelten Pauschalwert des Grund und Bodens abgespalten werden.
2. NV: Dem Vertrauensschutz trägt die Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 14. Januar 2003 IV A 6 -S 2134- 52/02, BStBl I 2003, 78 (Rz 22) hinreichend Rechnung.
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Sie wurden in den Streitjahren (1999 und 2000) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Den Gewinn ermittelt er durch Bestandsvergleich (§ 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) für das landwirtschaftliche Normalwirtschaftsjahr (1. Juli bis 30. Juni gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG).
Im Wirtschaftsjahr 1995/1996 veräußerte der Kläger eine Milchreferenzmenge (Milchlieferrechte) für 32.500 DM. Den Kaufpreis erfasste er in voller Höhe als Gewinn, ohne ihn um den darauf entfallenden anteiligen Buchwert zu mindern. Dies holte er im Wirtschaftsjahr 1999/2000 nach. Er berücksichtigte einen von dem nach § 55 Abs. 1 EStG pauschalierten Wert des Grund und Bodens abgespaltenen Buchwert in Höhe von 28.013 DM als Abgang für die veräußerten Milchlieferrechte.
Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nicht.
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Es entschied, der Buchwert der veräußerten Milchlieferrechte sei im Rahmen einer Bilanzberichtigung in voller Höhe gewinnwirksam auszubuchen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1317 veröffentlicht.
Dagegen richtet sich die Revision des FA, mit der es die Verletzung des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG rügt.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuwei- sen.
Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG kann der Kläger den für das Wirtschaftsjahr 1999/2000 ermittelten Gewinn nicht um einen aus dem Pauschalwert des Grund und Bodens (§ 55 Abs. 1 EStG) abgespaltenen Buchwert der im Wirtschaftsjahr 1995/1996 veräußerten Milchlieferrechte vermindern.
1. Allerdings ist nach der Rechtsprechung des Senats von dem zum 1. Juli 1970 ermittelten pauschalen Buchwert des Grund und Bodens (§ 55 Abs. 1 EStG) nach Verfestigung der Milchlieferrechte zu einem selbstständigen Wirtschaftsgut grundsätzlich ein anteiliger Buchwert abzuspalten (vgl. u.a. Urteil vom 24. August 2000 IV R 11/00, BFHE 192, 547, BStBl II 2003, 64, unter 1.b und 4. der Gründe, m.w.N.). Die Finanzverwaltung ist dem nach anfänglichen Bedenken gefolgt (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 14. Januar 2003 IV A 6 -S 2134- 52/02, BStBl I 2003, 78).
a) Der Rechtsprechung zur Buchwertabspaltung liegt die Ansicht zu Grunde, dass die Möglichkeit, Milch zu erzeugen und zu vermarkten, als Teil der natürlichen Ertragsbedingungen des Bodens durch die Bezugnahme auf die Ertragsmesszahlen in dem mit dem Zweifachen des Ausgangswerts angesetzten Wirtschaftsgut Grund und Boden (§ 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 1 EStG) mitbewertet worden sei (Senatsurteile vom 5. März 1998 IV R 23/96, BFHE 185, 435, BStBl II 2003, 56, unter 3. der Gründe; vom 24. Juni 1999 IV R 33/98, BFHE 189, 132, BStBl II 2003, 58, unter 4.a der Gründe unter Hinweis auf § 2 des Bodenschätzungsgesetzes vom 16. Oktober 1934, RGBl I 1934, 1050, § 4 der Durchführungsbestimmungen zum Bodenschätzungsgesetz vom 12. Februar 1935, RGBl I 1935, 198). Diese Möglichkeit habe sich dann aber durch die Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGV) vom 25. Mai 1984 (BGBl I 1984, 720) als Milchreferenzmenge (Milchlieferrecht) zu einem immateriellen Wirtschaftsgut verselbstständigt (Senatsurteil vom 25. November 1999 IV R 64/98, BFHE 190, 214, BStBl II 2003, 61, unter 1.b der Gründe).
Dadurch habe der Grund und Boden an Wert verloren (Senatsurteile vom 5. März 1998 IV R 8/95, BFHE 185, 434, BStBl II 2003, 54, unter 1. der Gründe; in BFHE 192, 547, BStBl II 2003, 64, unter 1.b der Gründe). Das entnommene oder veräußerte Wirtschaftsgut "Grund und Boden" sei nicht identisch mit dem Wirtschaftsgut, das mit dem Zweifachen des Ausgangswerts (§ 55 Abs. 1 Satz 1 EStG, entsprechend dem Achtfachen der Ertragsmesszahl, vgl. § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 1 EStG) angesetzt worden sei; denn dieser Wert sei nur teilweise auf den "nackten" Grund und Boden entfallen (Senatsurteil in BFHE 190, 214, BStBl II 2003, 61, unter 2. der Gründe).
b) Der Senat ist deshalb zu der Auffassung gelangt, dass nur die Einbeziehung des auf die Milchreferenzmengen entfallenden Teils des Veräußerungspreises in die Ermittlung des nicht abziehbaren Verlusts gemäß § 55 Abs. 6 Satz 1 EStG dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift entspreche. Soweit dies nicht gewährleistet sei, enthalte § 55 Abs. 6 EStG eine verdeckte Regelungslücke (Senatsurteil in BFHE 185, 434, BStBl II 2003, 54, unter 3. der Gründe). Denn § 55 Abs. 6 EStG sei lediglich eine konsequente Ergänzung zur pauschalen Wertermittlung des Grund und Bodens nach § 55 Abs. 1 EStG und solle verhindern, dass es zur Berücksichtigung von Verlusten komme, die sich allein deshalb ergäben, weil der Teilwert des Grund und Bodens nicht konkret, sondern pauschal ermittelt und deshalb zu hoch angesetzt worden sei (Senatsurteil in BFHE 190, 214, BStBl II 2003, 61, unter 1.c der Gründe).
Wertminderungen des Grund und Bodens, die eindeutig auf die rechtliche Verselbstständigung bodengebundener Befugnisse wie der Milchreferenzmengen zurückzuführen seien, seien daher bei Anwendung des § 55 Abs. 6 EStG zu berücksichtigen (Senatsurteil in BFHE 192, 547, BStBl II 2003, 64, unter 2.b der Gründe). Dazu sei der zum 1. Juli 1970 festgestellte Wert des Grund und Bodens im selben Verhältnis aufzuteilen, in dem sich die Marktpreise für die Milchreferenzmengen einerseits und den "nackten" Grund und Boden andererseits nach Entstehung des Wirtschaftsguts Milchreferenzmenge gegenüberstünden (Senatsurteil in BFHE 192, 547, BStBl II 2003, 64, unter 4. der Gründe; BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 78, Rz 8).
2. Diese Rechtsprechung ist auf erhebliche Kritik gestoßen (vgl. u.a. Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, A Rz 1477 ff.). Zwar sieht der Senat von einer Änderung der Rechtsprechung ab. Gleichwohl ist es nicht zulässig, nachträglich für in der Vergangenheit veräußerte Milchlieferrechte im Wege der Bilanzberichtigung einen Buchwert von dem nach § 55 Abs. 1 EStG ermittelten Pauschalwert des Grund und Bodens abzuspalten.
a) Ausschlaggebend für das Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung ist, dass sie über einen längeren Zeitraum bestanden hat und sich die beteiligten Kreise --einschließlich der Finanzverwaltung (vgl. das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 78)-- darauf eingestellt haben. Sie bezieht sich auf Grundstücksflächen, die am 1. April 1984 der Milcherzeugung dienten. Die Bindung an den Betrieb und damit die Flächenbindung besteht bereits seit dem 30. September 1993 nicht mehr (29. Verordnung zur Änderung der Milch-Garantiemengen-Verordnung vom 24. September 1993, BGBl I 1993, 1659). Die Rechtsprechung betrifft daher --von Folgefragen abgesehen-- weit zurückliegende, in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte. Zwischenzeitlich hat die Finanzverwaltung mit den Milcherzeugern in einer aufwändigen Verwaltungsaktion die Buchwertabspaltung durchgeführt (Märkle/Hiller, Die Einkommensteuer bei Land- und Forstwirten, 10. Aufl., Rz 88b). Hinzu kommt, dass die MGV nach derzeitigem Stand zum 31. März 2015 auslaufen wird (vgl. Verordnung [EG] Nr. 1788/2003 des Rates vom 29. September 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor, Amtsblatt der Europäischen Union 2003, Nr. L 270, 123, 125).
b) Allerdings hält es der Senat nicht für vertretbar, nachträglich für in der Vergangenheit veräußerte Milchlieferrechte im Wege der Bilanzberichtigung einen Buchwert von dem nach § 55 Abs. 1 EStG ermittelten Pauschalwert des Grund und Bodens abzuspalten und damit den Anwendungsbereich der Rechtsprechung zur Buchwertabspaltung über die bisher entschiedenen Fallgruppen hinaus weiter auszudehnen. Denn in diesen Fällen bietet das Verlustabzugsverbot des § 55 Abs. 6 EStG keinen Anlass, wegen der in der Vergangenheit realisierten Gewinne aus der Veräußerung von Milchlieferrechten nachträglich einen abgespaltenen Buchwert auszubuchen. Insoweit fehlt es an dem für die Begründung der Rechtsprechung maßgeblichen Zusammenhang der Veräußerung der Milchlieferrechte mit der Anwendung des Verlustabzugsverbots des § 55 Abs. 6 EStG auf den Pauschalwert des Grund und Bodens. Hinzu kommt, dass, wenn --wie zu erwarten-- die Kontingentierung der Milchlieferrechte aus rechtlichen oder aus tatsächlichen Gründen (durch weitere Erhöhung der Milchquoten) endet, der ursprüngliche Zustand wieder eintritt. Zu einer Benachteiligung der Grundstückseigentümer bei der Anwendung des § 55 Abs. 6 EStG infolge der Verfestigung der Milchlieferrechte zu selbstständigen Wirtschaftsgütern kann es dann nicht mehr kommen. Damit entfällt zugleich die Rechtfertigung für die der Buchwertabspaltung zu Grunde liegenden Auslegung des § 55 Abs. 6 EStG durch die Senatsrechtsprechung.
3. Der Grundsatz von Treu und Glauben rechtfertigt es --entgegen der Auffassung des FG-- ebenso wenig wie Billigkeitserwägungen, die Abspaltung und Ausbuchung des Buchwerts der in bestandskräftig veranlagter Vergangenheit veräußerten Milchlieferrechte gewinnwirksam nachzuholen.
a) Der Grundsatz von Treu und Glauben verlangt, dass im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten, auf das der andere vertraut hat, nicht in Widerspruch setzt (u.a. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Rz 139, m.w.N.). Für einen Verstoß gegen diesen Grundsatz gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.
b) Mit Billigkeitsgründen lässt sich die Nachholung der gewinnwirksamen Ausbuchung des abgespaltenen Buchwerts der schon früher veräußerten Milchlieferrechte ebenfalls nicht rechtfertigen. Zwar trifft es zu, dass die Kläger die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Buchwertabspaltung im Zeitpunkt der Gewinnrealisierung wegen der veräußerten Milchlieferrechte nicht voraussehen konnten. Auch wenn man mit dem FG annimmt, dass sich daraus ein Anspruch auf Vertrauensschutz ergeben konnte (zum Vertrauensschutz vgl. einerseits bei der Änderung von Steuerbescheiden Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Juni 2008 VIII R 79/05, BFHE 222, 320, BStBl II 2008, 863, unter II.3. der Gründe, sowie andererseits bei Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, unter D.IV.2.b der Gründe), trägt dem die Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 78 (Rz 22) hinreichend Rechnung.
Danach kann auf die Abspaltung vom Buchwert des Grund und Bodens verzichtet werden, wenn das Milchlieferrecht in einem Zeitraum, für den die Veranlagung bereits bestandskräftig durchgeführt worden ist, ohne Gegenrechnung eines abgespaltenen Buchwerts veräußert oder entnommen worden ist. Damit wird der Totalgewinn zutreffend erfasst und der Steuerpflichtige so besteuert, wie es seiner Rechtsansicht im Zeitpunkt der Gewinnrealisierung durch die Veräußerung der Milchlieferrechte entsprach. Ein Anspruch auf weiterreichende Billigkeitsmaßnahmen kommt daher nicht in Betracht.
4. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre sind rechtmäßig. Das FA hat den Abgang des abgespaltenen Buchwerts der Milchlieferrechte im Wirtschaftsjahr 1995/1996 zu Recht nicht gewinnmindernd nachgeholt. Andererseits hat es im Billigkeitswege von einer Minderung des Buchwerts des Grund und Bodens abgesehen. Das ist nicht zu beanstanden. Die Klage war daher abzuweisen.