Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 26.10.2011


BFH 26.10.2011 - IV B 106/10

(Nachträgliches Vorliegen der Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG kein rückwirkendes Ereignis - Fehlende grundsätzliche Bedeutung bei ausgelaufenem Recht)


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
26.10.2011
Aktenzeichen:
IV B 106/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 29. Juli 2010, Az: 2 K 4542/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

NV: Der Frage, ob nach dem Erlass eines bestandskräftig gewordenen Steuerbescheides vollzogene Schenkungen an Angehörige zur Abfindung weichender Erben im Zusammenhang mit der Hofübergabe bzw. das nachträgliche Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG als rückwirkende Ereignisse i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu werten sind, kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu .

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

2

1. Soweit der Kläger Rechtsfragen aufgeworfen hat, welche unmittelbar die Auslegung des § 14a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) betreffen, scheitert die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung schon daran, dass diese nicht im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig sind. Daran fehlt es regelmäßig, wenn die zu klärende Rechtsfrage --wie im Fall des § 14a Abs. 4 EStG, der nur auf die Veräußerung oder Entnahme von Teilen des zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Bodens nach dem 31. Dezember 1979 und vor dem 1. Januar 2006 Anwendung findet-- ausgelaufenes Recht betrifft. In einem solchen Fall müssen besondere Gründe geltend gemacht werden und vorliegen, die ausnahmsweise eine Abweichung von der Regel rechtfertigen, wonach Rechtsfragen, die solches Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukommt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. November 2005 II B 46/05, BFH/NV 2006, 587; vom 27. März 2009 VIII B 184/08, BFHE 224, 458, BStBl II 2009, 850). Entsprechende Gründe (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 14. Februar 2007 IX B 177/06, BFH/NV 2007, 1099) hat der Kläger bezogen auf die zu § 14a Abs. 4 EStG aufgeworfenen Rechtsfragen, ob ein Steuerpflichtiger den Sachverhalt selbst gestaltet, wenn er Schenkungen unter Auflagen aus seiner Vermögenssphäre vornimmt bzw. ein Antrag nach § 14a Abs. 4 EStG bereits in einem Zeitpunkt gestellt werden muss, in dem die materiellen Antragsvoraussetzungen noch nicht vorgelegen haben, nicht dargelegt. Sie sind auch nicht ersichtlich.

3

2. Anders als der Kläger meint, kommt auch der Frage, ob nach dem Erlass eines bestandskräftig gewordenen Steuerbescheides vollzogene Schenkungen an Angehörige zur Abfindung weichender Erben im Zusammenhang mit der Hofübergabe bzw. das nachträgliche Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG als rückwirkende Ereignisse i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu werten sind, keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu. Da die Rechtslage eindeutig und die Rechtsfrage offensichtlich so zu entscheiden ist, wie dies das Finanzgericht (FG) getan hat, fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit derselben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Januar 2007 X B 38/06, BFH/NV 2007, 757; in BFHE 224, 458, BStBl II 2009, 850).

4

a) Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Für die Annahme eines rückwirkenden Ereignisses genügt es nicht, dass das spätere Ereignis den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestaltet. Das nachträglich --d.h. nach Erlass des aufzuhebenden oder zu ändernden Bescheides-- eingetretene Ereignis muss vielmehr den Sachverhalt verändern und dabei derart in die Vergangenheit zurückwirken, dass ein Bedürfnis besteht, eine schon endgültige (bestandskräftig getroffene) Regelung i.S. der §§ 118, 157 AO an die Änderung des Sachverhalts anzupassen (BFH-Urteile vom 27. September 1988 VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225; vom 1. Oktober 2003 X R 67/01, BFH/NV 2004, 154; vom 5. Mai 2011 IV R 7/09, juris). Die Änderung muss sich steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).

5

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen und unter Beachtung der Vorgaben des § 14a Abs. 4 EStG hat das FG zu Recht ausgeführt, dass im Streitfall ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht vorgelegen hat.

6

aa) Veräußert oder entnimmt ein Steuerpflichtiger nach dem 31. Dezember 1979 und vor dem 1. Januar 2006 Teile des zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Bodens, so wird der bei der Veräußerung oder der Entnahme entstehende Gewinn nach § 14a Abs. 4 Satz 1 EStG auf Antrag nur insoweit zur Einkommensteuer herangezogen, als er den Betrag von 61.800 € übersteigt. Nach § 14a Abs. 4 Satz 2 EStG ist Satz 1 aber nur anzuwenden, wenn der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten oder der Grund und Boden innerhalb von zwölf Monaten nach der Veräußerung oder Entnahme in sachlichem Zusammenhang mit der Hoferbfolge oder Hofübernahme zur Abfindung weichender Erben verwendet wird und das Einkommen des Steuerpflichtigen ohne Berücksichtigung des Gewinns aus der Veräußerung oder Entnahme und des Freibetrages in dem dem Veranlagungszeitraum der Veräußerung oder Entnahme vorangegangenen Veranlagungszeitraum den Betrag von 18.000 € nicht überstiegen hat. Andernfalls wird der Freibetrag abgeschmolzen (§ 14a Abs. 4 Satz 3 EStG).

7

bb) Aus der Formulierung des § 14a Abs. 4 Satz 1 EStG folgt zunächst, dass der Freibetrag nur für einen solchen Gewinn in Anspruch genommen werden kann, der "bei der Veräußerung von Grund und Boden entstanden" ist und "zur Einkommensteuer herangezogen" wird. Die Veräußerung muss somit zu einer Gewinnverwirklichung führen, indem die durch den Freibetrag steuerfrei gestellten stillen Reserven unmittelbar durch den Veräußerungsvorgang aufgedeckt werden. Daran fehlt es, soweit ein Veräußerungsgewinn in eine Rücklage nach § 6b bzw. § 6c EStG eingestellt wird, weil er dann gerade nicht zur Einkommensteuer herangezogen wird. Im Übrigen kann der Freibetrag nur für das Wirtschaftsjahr in Anspruch genommen werden, in dem der Grund und Boden veräußert wurde, nicht jedoch für das Wirtschaftsjahr, in dem eine deswegen nach §§ 6b, 6c EStG gebildete Rücklage aufgelöst wurde. Umgekehrt kann eine Rücklage nach §§ 6b, 6c EStG nur für den über den Freibetrag hinausgehenden Veräußerungsgewinn gebildet werden (vgl. zu § 14a Abs. 5 EStG 1990 bzw. 1997 BFH-Urteile vom 29. März 2007 IV R 48/05, BFH/NV 2007, 1846; vom 14. Mai 2009 IV R 6/07, BFH/NV 2009, 1989).

8

cc) Das FG ist vor diesem Hintergrund zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag, den Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG zu gewähren, kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt. Er ist lediglich formelle Voraussetzung für die Berücksichtigung des nach § 14a Abs. 4 EStG zu gewährenden Freibetrages und hat keine materielle Rückwirkung (vgl. bereits BFH-Urteile vom 21. April 1988 IV R 215/85, BFHE 153, 485, BStBl II 1988, 863, zu § 2 Abs. 1 Satz 1 des Auslandsinvestitionsgesetzes; vom 13. Februar 1997 IV R 59/95, BFH/NV 1997, 635, zum Antrag auf Sonderabschreibung; in BFH/NV 2009, 1989, zum Freibetrag nach § 14a Abs. 5 EStG 1990). Der Antrag muss deshalb vor Eintritt der Bestandskraft, spätestens aber bis zur Beendigung der (letzten) Tatsacheninstanz gestellt werden (vgl. BFH-Urteile vom 26. März 1987 IV R 20/84, BFHE 149, 557, BStBl II 1987, 561, und in BFH/NV 2009, 1989). Soweit demgegenüber der Kläger meint, der Antrag nach § 14a Abs. 4 Satz 1 EStG sei nicht nur als Verfahrenshandlung, sondern als Tatbestandsmerkmal anzusehen, ist dem nicht zu folgen, denn materiell setzt der Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG lediglich einen Gewinn aus der Veräußerung von Teilen des zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Bodens und dessen Verwendung innerhalb von zwölf Monaten nach der Veräußerung oder Entnahme in sachlichem Zusammenhang mit der Hoferbfolge oder Hofübernahme zur Abfindung weichender Erben voraus. Der zusätzlich erforderliche Antrag hat insoweit allein verfahrensmäßige Bedeutung (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 1989).

9

dd) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich, dass sich im Streitfall auch weder die nach dem Erlass des zunächst ergangenen und bestandskräftig gewordenen Steuerbescheides erfolgte Zahlung der Abfindungen an die weichenden Erben noch das vollständige Vorliegen der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auswirken können. Insofern hat sich zwar nachträglich der zu beurteilende Sachverhalt geändert. Es besteht aber angesichts des Regelungsgehaltes des § 14a Abs. 4 Satz 1 EStG kein Bedürfnis dafür, die schon bestandskräftig getroffene Regelung i.S. der §§ 118, 157 AO an die Änderung des Sachverhalts anzupassen. Weder die Abfindungszahlungen noch das damit festzustellende Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG entfalten unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung auf die Steuerschuld, denn es liegt alleine in der Hand des Steuerpflichtigen, die Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG herzustellen und den nach § 14a Abs. 4 Satz 1 EStG erforderlichen Antrag fristgerecht innerhalb der Frist von zwölf Monaten ab der Veräußerung oder Entnahme zu stellen bzw. die Steuerfestsetzung offenzuhalten. Stellt der Steuerpflichtige --wie im Streitfall-- den erforderlichen Antrag nicht innerhalb der im Gesetz vorgesehenen Jahresfrist nach der Veräußerung oder Entnahme, so ist bereits nach dem materiellen Recht eine Berücksichtigung des Freibetrages ausgeschlossen und scheidet folglich die Annahme eines rückwirkenden Ereignisses i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aus.

10

ee) Nichts anderes folgt daraus, dass der Senat den nachträglichen Wegfall der Begünstigungsvoraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO angesehen hat, welches zu einer Änderung des den Freibetrag wegen der vorgezogenen Abfindung weichender Erben im Ergebnis zu Unrecht gewährenden Steuerbescheides führt (vgl. dazu BFH-Urteile vom 4. März 1993 IV R 110/92, BFHE 171, 381, BStBl II 1993, 788; vom 23. November 2000 IV R 85/99, BFHE 193, 75, BStBl II 2001, 122). Im Streitfall geht es nicht um die im Ergebnis unberechtigte Inanspruchnahme des Freibetrages, sondern wurde der Freibetrag deshalb nicht gewährt, weil der Kläger ihn ursprünglich nicht beantragt hatte. Beide Fallgruppen sind insoweit nicht vergleichbar (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 1989).