Entscheidungsdatum: 05.05.2011
1. NV: Die nachträgliche Änderung eines Sachverhalts, der einem Steuerbescheid zu Grunde lag, stellt kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar, wenn der Steuerbescheid von vornherein rechtswidrig war und nicht erst durch die Sachverhaltsänderung in die Rechtswidrigkeit hineingewachsen ist .
2. NV: Eine dem landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betrieb zugehörige Hofstelle ist unverzichtbares Merkmal eines Hofes i.S. des § 14a Abs. 4 EStG .
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten, die in den Streitjahren (1998 und 1999) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte im Nebenberuf Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, die er gemäß § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach dem Normalwirtschaftsjahr für Land- und Forstwirte (1. Juli bis 30. Juni, § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG) ermittelte. Den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftete er von seiner Wohnung in X aus.
Mit notariellem Vertrag vom 19. Februar 1999 übertrug der Kläger mit Wirkung vom 1. Januar 1999 zwei Grundstücke auf seinen Sohn … (S1). Auf den Grundstücken befand sich die frühere Hofstelle des Klägers, Y (Wohnhaus, Scheune und Stall). In dem notariellen Vertrag verpflichtete sich S1 im Hinblick auf die Übertragung des Grundstücks, dem Kläger und dessen Sohn … (S2) die auf dem Grundstück stehende Scheune für landwirtschaftliche Zwecke zur Mitnutzung zu überlassen (beschränkte persönliche Dienstbarkeit, § 6 des Vertrages).
Hoferbe sollte nach den Vorstellungen der Kläger ihr Sohn S2 sein.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung beurteilte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Übertragung der Grundstücke und der Wirtschaftsgebäude an S1, soweit diese noch zum Betriebsvermögen gehörten, als Entnahme aus dem Betriebsvermögen. Das FA erfasste in den geänderten Einkommensteuerbescheiden für 1998 und 1999 einen Entnahmegewinn in Höhe von 96.516 DM und berücksichtigte zudem unter Beachtung der Einkommensgrenzen einen Freibetrag gemäß § 14a Abs. 4 EStG in Höhe von 20.000 DM. Die Bescheide vom 13. Juni 2002 (1998) und 6. Juni 2002 (1999) wurden bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2002 erklärte der Kläger dem FA gegenüber die Aufgabe seines landwirtschaftlichen Betriebs zum 30. November 2002. Bis zu diesem Zeitpunkt bewirtschaftete der Kläger landwirtschaftliche Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 7,95 ha und forstwirtschaftliche Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 4,61 ha. Die forstwirtschaftlichen Flächen wurden von den Verfahrensbeteiligten steuerlich weiterhin als Betriebsvermögen behandelt.
Am 4. August 2006 erließ das FA für die Streitjahre auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) gestützte Änderungsbescheide, in denen es die Freibeträge gemäß § 14a Abs. 4 EStG nicht mehr berücksichtigte.
Die hiergegen eingelegten Einsprüche der Kläger blieben erfolglos.
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) folgte den Beteiligten in der Beurteilung, dass die Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG zunächst vorgelegen hätten. Zu Unrecht gehe das FA aber davon aus, dass die Voraussetzungen der Freibetragsgewährung durch die Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebs nachträglich entfallen seien. Der sachliche Zusammenhang zwischen Abfindung und künftiger Hoferbfolge werde nur unterbrochen, wenn der gesamte land- und forstwirtschaftliche Betrieb aufgegeben oder zerschlagen werde. Eine Verringerung der betrieblich genutzten Fläche sei unschädlich. Nicht anders könne die Aufgabe eines Teilbetriebs beurteilt werden. Auch im Streitfall habe der Kläger nur den landwirtschaftlichen Teilbetrieb, nicht jedoch den Forstbetrieb aufgegeben. Der Verwaltungsauffassung, wonach der Betrieb nicht bestehen bleibe, wenn nicht der überwiegende Teil seiner nach Abfindung verbleibenden Nutzflächen auf den Hofübernehmer übertragen werde (R 133b Abs. 1 Satz 4 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1999 - nun bis 2006: R 14a Abs. 1 Satz 4 EStR 2005), sei nicht zu folgen.
Die vollständigen Entscheidungsgründe sind in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 662 abgedruckt.
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Vorentscheidung stehe im Widerspruch zu der Verwaltungsauffassung (R 133b Abs. 1 Satz 4 EStR 1999 - nun bis 2006: R 14a Abs. 1 Satz 4 EStR 2005). Danach führe eine wesentliche Verkleinerung des Betriebs zur Versagung der Steuerbefreiung. Eine solche sei im Streitfall zu bejahen, da der landwirtschaftliche Teilbetrieb, den der Kläger aufgegeben habe, wesentlich für den Gesamtbetrieb gewesen sei. Dies gelte unabhängig davon, dass die forstwirtschaftlichen Flächen weiterhin als Betriebsvermögen zu behandeln seien.
Die Vorentscheidung stehe auch im Widerspruch zum Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. November 2008 IV R 6/06 (BFH/NV 2009, 763).
Das FA beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Ausführungen des FA seien nicht einschlägig. Sie würden im Ergebnis bedeuten, dass die Regelungen der §§ 13 bis 14a EStG auf Nebenerwerbslandwirte nicht anwendbar seien.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheide 1998 und 1999 vom 4. August 2006 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Das FG hat deshalb zu Recht die angefochtenen Einkommensteuerbescheide aufgehoben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1998 vom 13. Juni 2002 und 1999 vom 6. Juni 2002, in denen ein Freibetrag für weichende Erben in Höhe von jeweils 10.000 DM berücksichtigt worden ist, konnte nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt werden.
1. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
a) Für die Annahme eines rückwirkenden Ereignisses genügt nicht, dass das spätere Ereignis den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestaltet. Das nachträglich --d.h. nach Erlass des aufzuhebenden oder zu ändernden Bescheides-- eingetretene Ereignis muss den Sachverhalt verändern und dabei derart in die Vergangenheit zurückwirken, dass ein Bedürfnis besteht, eine schon endgültige (bestandskräftig getroffene) Regelung i.S. der §§ 118, 157 AO an die Sachverhaltsänderung anzupassen (BFH-Urteile vom 27. September 1988 VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225, zu II.3.e bb, und vom 1. Oktober 2003 X R 67/01, BFH/NV 2004, 154, jeweils m.w.N.). Die Änderung muss sich steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG im Ergebnis zu Recht ausgeführt, dass im Streitfall ein rückwirkendes Ereignis nicht vorlag. Die Aufgabe des landwirtschaftlichen Teilbetriebs ist kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das zu dem nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG führen könnte. Denn nach den Feststellungen des FG lagen die Voraussetzungen für die Gewährung des Freibetrags zu keinem Zeitpunkt vor, so dass durch die spätere Teilbetriebsaufgabe kein Ereignis eingetreten ist, welches steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1998 vom 13. Juni 2002 und 1999 vom 6. Juni 2002 waren vielmehr von vornherein rechtswidrig und sind durch die Änderung des Sachverhalts nicht erst nachträglich in die Rechtswidrigkeit hineingewachsen.
c) Zu Unrecht haben das FA und ihm folgend das FG das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG im Zeitpunkt der Übertragung der zwei Grundstücke an S1 bejaht.
Der Freibetrag gemäß § 14a Abs. 4 EStG ist nur zu gewähren, wenn ein Hof i.S. der Regelung im sachlichen Zusammenhang mit der (späteren) Hoferbfolge fortbesteht.
Das Tatbestandsmerkmal "Hof" i.S. des § 14a Abs. 4 EStG ist nicht mit dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb im steuerlichen Sinne gleichzusetzen. Vielmehr knüpft der Tatbestand an zivilrechtliche Übertragungsvorgänge an, weshalb auch die im Zivilrecht einschlägigen Regelungen heranzuziehen sind, die die Übertragung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs in der Generationenfolge betreffen. Anzuknüpfen ist daher insbesondere an den zivilrechtlichen Begriff des Landguts i.S. des § 2312 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Unter einem Landgut im Sinne dieser Norm ist eine Besitzung zu verstehen, die eine zum selbständigen und dauernden Betrieb der Landwirtschaft einschließlich der Viehzucht oder der Forstwirtschaft geeignete und bestimmte Wirtschaftseinheit darstellt und mit den nötigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen ist. Sie muss eine gewisse Größe erreichen und für den Inhaber eine selbständige Nahrungsquelle darstellen; dass eine Ackernahrung vorliegt, ist aber nicht erforderlich. Wenn er nur zu einem erheblichen Teil zum Lebensunterhalt seines Inhabers beiträgt, kann der Betrieb auch nebenberuflich geführt werden (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Oktober 1986 IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375). Die zivilrechtliche Auslegung orientiert sich dabei maßgeblich an dem Normzweck. Danach soll im öffentlichen Interesse der Zersplitterung leistungsfähiger Höfe in bäuerlichen Familien entgegengewirkt werden. Auch die Steuervergünstigung in § 14a Abs. 4 EStG ist eine agrarpolitische Lenkungsnorm, die der Erleichterung der Abfindung weichender Erben im Interesse der Gesunderhaltung kleinerer land- und forstwirtschaftlicher Betriebe dienen soll (BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 763).
Ausgehend von der gesetzgeberischen Intention entfällt die Steuervergünstigung daher auch dann, wenn eine dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zugehörige Hofstelle von der künftigen Erbfolgeregelung ausgenommen wird. Anders als einzelne Grundstücke ist die Hofstelle für das Vorliegen eines Hofes i.S. des § 14a Abs. 4 EStG unverzichtbares Merkmal. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn der land- und forstwirtschaftliche Betrieb zunächst über eine Hofstelle verfügt hat.
d) Der Betrieb des Klägers hat daher spätestens mit der Übertragung der zwei Grundstücke an S1 die Eigenschaft eines Hofes i.S. des § 14a Abs. 4 EStG verloren.
Nach den Feststellungen des FG, die mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), befand sich auf den übertragenen Grundstücken die ehemalige Hofstelle des klägerischen Betriebs.
Dem Wegfall der Hofeigenschaft steht nicht entgegen, dass der Kläger und ebenso der spätere Hoferbe die an S1 übertragenen Wirtschaftsgebäude auf Grund der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit weiterhin für den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nutzen konnten. Denn die Steuervergünstigung soll der Erhaltung kleiner Betriebe beim Eintritt der Hoferbfolge dienen. Durch die Übertragung der Hofstelle an einen weichenden Erben wird dieses Ziel allerdings konterkariert. Unerheblich ist ebenfalls, dass der Kläger seinen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nach den Feststellungen des FG von seiner (neuen) Wohnung in X aus bewirtschaftet hat. Denn die Wohnung stellt keine neue Hofstelle i.S. des § 14a Abs. 4 EStG dar, die dem bestehenden land- und forstwirtschaftlichen Betrieb (Hof) zugeordnet werden könnte.