Entscheidungsdatum: 10.02.2016
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 28. April 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: bis 4.000 €
I. Die Antragsteller verlangen die Berichtigung des gerichtlichen Eingangsstempels für ihre Klageschrift.
Die Antragsteller reichten eine vom 30. Dezember 2014 datierende Klageschrift beim Landgericht Schwerin ein. Dort erhielt die Klageschrift einen Posteingangsstempel mit dem Inhalt: "Eingegangen durch Nachtbriefkasten am 02. Jan. 2015 zwischen 0.00 Uhr und Dienstbeginn". Nachdem die Antragsteller auf ihre Nachfrage hin dieses Eingangsdatum erfahren hatten, baten sie das Landgericht um eine Bestätigung, dass ihre Klage am 31. Dezember 2014 eingegangen sei. Sie erklärten dazu, die Klageschrift sei durch einen Boten am 31. Dezember 2014 um 9.30 Uhr in den Nachtbriefkasten des Landgerichts eingeworfen worden. Die Antragsteller erhielten aber keine solche Bestätigung. Die für das Klageverfahren zuständige Richterin teilte ihnen mit, dass die gesamte nach dem 30. Dezember 2014, 24.00 Uhr in den Nachtbriefkasten eingeworfene Post den Eingangsstempel 2. Januar 2015 erhalten haben dürfte. Der Nachtbriefkasten habe nur eine Klappe und eine Entleerung am 31. Dezember 2014 sei nicht erfolgt. Daher sei eine Unterscheidung der am 31. Dezember 2014 und der ab dem 1. Januar 2015 eingegangenen Post nicht möglich.
Die Antragsteller haben daraufhin beim Oberlandesgericht beantragt, ihnen einen Posteingangsstempel mit dem Datum vom 31. Dezember 2014 für die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Klageschrift zu erteilen, und die bisherige Stempelung angefochten. Sie haben dazu auf die Rechnung des Kurierdienstes verwiesen, in dem die Auslieferung der Klageschrift am 31. Dezember 2014 um 09.30 Uhr bestätigt worden sei. Nachfolgend haben die Antragsteller mitgeteilt, dass die Beklagte im zugrundeliegenden Rechtsstreit die Einrede der Verjährung erhoben habe.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Der Antrag sei unzulässig, da ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Rechtzeitigkeit einer Prozesshandlung, hier der Klageerhebung im Hinblick auf eine vermeintliche Verjährung von Ansprüchen, sei regelmäßig im kontradiktorischen Verfahren zu klären. Es obliege auch dem Prozessgericht, darüber zu befinden, ob eine Entscheidung über die Beweisrelevanz einer behaupteten Fehlstempelung im Hinblick auf die Hemmung der Verjährung überhaupt erforderlich sei. Für eine darüber hinausgehende Befassung im Antragsverfahren nach § 23 EGGVG bestünden grundsätzlich keine rechtlich geschützten Interessen. Allein die Besorgnis, eine Prozesshandlung könne aufgrund der Eingangsstempelung verspätet sein, verletze die Antragsteller nicht ohne weiteres in eigenen Rechten. Ob sich die Stempelung materiell-rechtlich auswirke, sei nicht Gegenstand des Antragsverfahrens. Eine vorausgehende Prüfung der Richtigkeit des Eingangsstempels als öffentliche Urkunde habe auch nicht im Hinblick auf die nach § 418 Abs. 2 ZPO geänderte Darlegungs- und Beweislast zu erfolgen, da es den Antragstellern grundsätzlich möglich und zumutbar sei, den Gegenbeweis im Hinblick auf die behauptete Fehlstempelung zu führen.
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter.
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 29 Abs. 1 EGGVG) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat darüber hinaus Erfolg. Der angefochtene Beschluss hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Er ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG entscheiden über die Rechtmäßigkeit von Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten u.a. auf dem Gebiet des Zivilprozesses getroffen werden (Justizverwaltungsakte), auf Antrag die ordentlichen Gerichte. Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der gerichtliche Eingangsstempel ein Justizverwaltungsakt ist (ebenso bereits OLG Celle NJW 2013, 1971; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 28. Mai 2001 - 11 VA 14/01, juris Rn. 4). Er hat Regelungscharakter, da er eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO ist und den Beweis für den Zeitpunkt des Eingangs eines Schriftstücks erbringt (BGH, Urteil vom 30. März 2000 - IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872 unter II 1 a).
2. Die Antragsteller sind auch antragsbefugt gemäß § 24 Abs. 1 EGGVG. Sie verlangen vorrangig die Erteilung eines berichtigten Eingangsstempels. Bei einem solchen Verpflichtungsantrag gemäß § 23 Abs. 2 EGGVG auf Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Justizverwaltungsaktes setzt die Antragsbefugnis einen möglichen Rechtsanspruch auf die begehrte Behördentätigkeit voraus (MünchKomm-ZPO/Papst, 4. Aufl. § 24 EGGVG Rn. 4). Für einen Anspruch auf Erteilung eines inhaltlich richtigen Eingangsstempels können sich die Antragsteller auf § 24 Abs. 3 Satz 1 der Geschäftsordnungsvorschriften für die Gerichte und Staatsanwaltschaften des Landes Mecklenburg-Vorpommern (GOV M-V) vom 23. Februar 2006 (AmtsBl. M-V 2006 S. 274, dort nicht vollständig abgedruckt; zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 15. Oktober 2011, AmtsBl. M-V 2011 S. 1079) berufen, nach dem die Gerichte bei der Entgegennahme eines Schriftstücks auf ihm den Zeitpunkt des Eingangs anzugeben haben. Mangels gegenteiliger Feststellungen ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legen, dass diese Verwaltungsvorschrift in der Praxis der Gerichte auch befolgt wird. Da Verwaltungsvorschriften keine Rechtsnormen mit eigener Rechtsqualität sind, binden sie die Verwaltung nur unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) in dem Sinne, in dem sie mit Billigung oder Duldung ihres Urhebers tatsächlich angewandt wurden (BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 48/97, BGHZ 139, 259, 267; vgl. auch BGH, Urteil vom 18. März 2014 - VI ZR 10/13, NJW 2014, 2874 Rn. 14). Wenn sich die Behörde an ihre Verwaltungsvorschriften hält, ist sie daher durch das Gleichbehandlungsgebot verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun, sofern nicht sachliche Gründe im Einzelfall eine Abweichung rechtfertigen oder gar gebieten (BVerwG NVwZ 2012, 1262 Rn. 32).
3. Unzutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, der hier erhobene Antrag sei unzulässig, da ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehle.
a) Einem Rechtsuchenden kann nur unter besonderen Umständen der Zugang zu einer sachlichen Prüfung durch die Gerichte verwehrt werden. Es besteht grundsätzlich ein öffentlich-rechtlicher Anspruch des Rechtssuchenden darauf, dass die Gerichte sein Anliegen sachlich prüfen und darüber entscheiden (BGH, Urteil vom 28. März 1996 - IX ZR 77/95, NJW 1996, 2035 unter I 4 b). Daher folgt auch bei einem Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG das Rechtsschutzbedürfnis in der Regel aus der Antragsbefugnis (vgl. Zöller/Lückemann, ZPO 31. Aufl. § 24 EGGVG Rn. 2). Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt dagegen gemäß allgemeinen Grundsätzen, wenn ein anderer prozessualer Weg gleich sicher, aber einfacher oder billiger ist, um das Rechtsschutzziel zu erreichen (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2013 - III ZR 156/12, BGHZ 197, 147 Rn. 10; BGH, Urteil vom 24. Februar 1994 - IX ZR 120/93, NJW 1994, 1351 unter I 2 a). Auf einen verfahrensmäßig unsicheren Weg darf der Rechtsuchende nicht verwiesen werden. Ein schnelleres und billigeres Mittel des Rechtsschutzes lässt das berechtigte Interesse für einen Rechtsbehelf deshalb nur entfallen, sofern es wenigstens vergleichbar sicher oder wirkungsvoll alle erforderlichen Rechtsschutzziele herbeiführen kann (BGH, Urteil vom 24. Februar 1994 - IX ZR 120/93, NJW 1994, 1351 unter I 2 b; BGH, Urteil vom 18. April 2013 - III ZR 156/12, BGHZ 197, 147 Rn. 10).
Diese Voraussetzungen sind jedoch hier nicht erfüllt. Das Rechtsschutzziel der Antragsteller ist die Erteilung eines berichtigten Eingangsstempels. Dieses Ziel kann allein im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG erreicht werden. Daher kann den Antragstellern ein Rechtsschutzbedürfnis nicht deswegen abgesprochen werden, weil die Richtigkeit des Eingangsstempels auch im zugrundeliegenden Rechtsstreit gerichtlich überprüft werden könnte. Zwar kann in diesem Verfahren der durch den Eingangsstempel als öffentliche Urkunde erbrachte Beweis für den Zeitpunkt des Eingangs gemäß § 418 Abs. 2 ZPO durch den Nachweis der Unrichtigkeit des im Eingangsstempel ausgewiesenen Zeitpunkts entkräftet werden, indem der Kläger die Rechtzeitigkeit des Eingangs zur vollen Überzeugung des Gerichts beweist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1997 - VII ZB 19/97, NJW 1998, 461 unter II 2 a). Beim Eingangsdatum der Klageschrift handelt es sich jedoch im zugrundeliegenden Rechtsstreit nur um eine Vorfrage, aus der das Gericht den Schluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen der von der Klagepartei beanspruchten Rechtsfolge zieht; diese nimmt als bloßes Urteilselement nicht an der Rechtskraft teil (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 1993 - VIII ZR 103/92, BGHZ 123, 137 unter II 1). Das Gericht könnte daher dort weder in rechtskraftfähiger Weise aussprechen, dass der Eingangsstempel inhaltlich falsch ist, noch die Justizverwaltung zur Erteilung eines zutreffenden Eingangsstempels anweisen, wie dies § 28 Abs. 2 Satz 1 EGGVG vorsieht. Entscheidungen der Oberlandesgerichte im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG sind dagegen der materiellen Rechtskraft fähig (BGH, Urteil vom 17. März 1994 - III ZR 15/93, NJW 1994, 1950 unter B I 1 b).
b) Zu welchem weiteren Zweck der berichtigte Eingangsstempel verwendet werden soll, ist für den Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Erteilung eines beantragten Justizverwaltungsaktes grundsätzlich ohne Bedeutung. Die §§ 23 ff. EGGVG sind inhaltlich der Verwaltungsgerichtsordnung nachgebildet und haben die Aufgabe, auf bestimmten Rechtsgebieten den durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten umfassenden Rechtsschutz gegen Verwaltungsmaßnahmen zu gewähren (BGH, Urteil vom 17. März 1994 - III ZR 15/93, NJW 1994, 1950 unter B I 1 b). Ob der Antragsteller die öffentliche Urkunde, auf deren Erteilung er einen Anspruch hat, auch tatsächlich benötigen wird, um rechtlich geschützte Interessen wahrzunehmen, ist nicht Gegenstand des Verfahrens nach den §§ 23 ff. EGGVG. Allenfalls dann, wenn eine Klage oder ein Antrag objektiv schlechthin sinnlos ist, wenn also der Kläger oder Antragsteller unter keinen Umständen mit seinem prozessualen Begehren irgendeinen schutzwürdigen Vorteil erlangen kann, mag es insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlen (BGH, Urteil vom 28. März 1996 - IX ZR 77/95, NJW 1996, 2035 unter I 4 b). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Das Eingangsdatum einer Klageschrift kann für die Entscheidung eines Rechtsstreits unter Verjährungsgesichtspunkten gemäß § 167 ZPO i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB von Bedeutung sein. Ob es auch in diesem Rechtsstreit nach Ansicht der zuständigen Gerichte darauf ankommen wird, wird dort zu entscheiden sein, ohne dass den Antragstellern deswegen das Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag auf Berichtigung des Eingangsstempels abzusprechen wäre.
c) Schließlich steht der Zulässigkeit des Antrags auch nicht § 23 Abs. 3 EGGVG entgegen, wonach es insoweit, als die ordentlichen Gerichte bereits auf Grund anderer Vorschriften angerufen werden können, bei dem bisherigen Rechtszustand verbleibt. Diese Subsidiaritätsregelung erfasst speziellere Verfahrensvorschriften, nach denen die Gerichte das Handeln von Justizbehörden nachzuprüfen haben. Nur soweit in diesen Verfahren Rechtsschutz gegen ein Verwaltungshandeln gewährt wird, steht dies einem Rückgriff auf die §§ 23 ff. EGGVG entgegen. Die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit eines Justizverwaltungsaktes als bloße Vorfrage im Rahmen eines Klageverfahrens zu prüfen, schließt dagegen eine unmittelbare Anfechtung des Justizverwaltungsaktes im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG nicht aus.
4. Die Sache war daher an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, welches nunmehr über die Begründetheit des Antrags zu befinden haben wird. Dabei wird es den Präsidenten des Landgerichts Schwerin als Antragsgegner am Verfahren zu beteiligen und zu prüfen haben, ob auch die Beklagte aus dem zugrunde liegenden Klageverfahren gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zu beteiligen ist.
Mayen Felsch Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski Dr. Bußmann