Entscheidungsdatum: 30.04.2014
Die Monatsfrist für die Berufungsbegründung nach § 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO beginnt für eine mittellose, um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei bei versäumter Berufungsfrist erst mit der Mitteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist (Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2007, XI ZB 40/06, BGHZ 173, 14; vom 26. Mai 2008, II ZB 19/07, NJW-RR 2008, 1306 und vom 29. Mai 2008, IX ZB 197/07, BGHZ 176, 379).
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der Zivilkammer 83 des Landgerichts Berlin vom 9. August 2013 - 83 S 67/12 - aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 4.495 € festgesetzt.
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Beratertätigkeit auf Zahlung von 4.495 € nebst Zinsen in Anspruch.
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. Juni 2012, das den damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8. Juni 2012 zugestellt worden ist, abgewiesen. Mit am 8. Oktober 2012 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage hat der Kläger bei dem Berufungsgericht für eine beabsichtigte Berufung Prozesskostenhilfe sowie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs beantragt. Er hat hierzu vorgetragen, dass sein Prozessbevollmächtigter bereits am 6. Juli 2012 einen Prozesskostenhilfeantrag in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen habe. Durch Beschluss vom 22. Februar 2013, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 26. Februar 2013, hat das Berufungsgericht den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung zurückgewiesen. Am 15. März 2013 hat der Kläger gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung eingelegt und zugleich beantragt, ihm wegen der Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Mit Eingang vom 2. April 2013 (Dienstag nach Ostern) hat der Kläger seine Berufung begründet.
Durch den von der Rechtsbeschwerde angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen.
II.
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und die damit einhergehende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzen den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).
a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers innerhalb der Monatsfrist nach § 517 ZPO eingegangen sei und ihm daher Wiedereinsetzung in die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren wäre. Die Berufung des Klägers sei jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Berufungsbegründung nicht innerhalb der der hierfür gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 geltenden Monatsfrist eingegangen sei. Diese Frist habe mit der Zustellung des Ablehnungsbeschlusses vom 22. Februar 2013 am 26. Februar 2013 zu laufen begonnen und sei am 26. März 2013 abgelaufen, mithin vor Eingang der Berufungsbegründung am 2. April 2013. Anders als für den Lauf der Berufungsfrist sei dem Berufungsführer, dessen Prozesskostenhilfegesuch zurückgewiesen worden sei, für die Berufungsbegründung keine zusätzliche Überlegungsfrist von 3 bis 4 Tagen einzuräumen. Auch beginne - in Übereinstimmung mit der überwiegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und entgegen der Auffassung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19. Juni 2007 - XI ZB 40/06, NJW 2007, 3354) - die Monatsfrist nicht erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag wegen der Versäumung der Berufungsfrist. Die Versäumung der Monatsfrist nach § 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 sei verschuldet worden, so dass insoweit keine Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dessen Verschulden sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, habe nicht von einer zusätzlichen Überlegungsfrist von 3 bis 4 Tagen ausgehen dürfen. Darauf, dass die Monatsfrist erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu laufen beginne, habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers, wie aus seinem Schriftsatz vom 24. Mai 2013 hervorgehe, überhaupt kein Vertrauen gesetzt.
b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger die Monatsfrist nach § 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht versäumt.
aa) Nach der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, der sich der erkennende Senat anschließt, beginnt die Monatsfrist für die Berufungsbegründung nach § 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO für eine mittellose, um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei bei versäumter Berufungsfrist erst mit der Mitteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Die mittellose Partei soll nämlich erst dann zur Berufungsbegründung gehalten sein, wenn sie weiß, dass ihr hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung gewährt worden ist (Beschluss vom 19. Juni 2007 - XI ZB 40/06, BGHZ 173, 14, 17 Rn. 9, S. 19 ff Rn. 13 ff, insbesondere Rn. 23).
bb) Auf entgegenstehende Rechtsprechung anderer Zivilsenate des Bundesgerichtshofs kann sich das Berufungsgericht nicht berufen. Der vom Berufungsgericht zitierte Senatsbeschluss vom 29. Juni 2006 (III ZA 7/06, NJW 2006, 2857) betraf die - hier nicht vorliegende - Fallkonstellation, dass der Berufungskläger erst nach erfolgter (unbedingter) Berufungseinlegung Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt hatte (vgl. auch Beschluss vom 19. Juni 2007 aaO S. 18 Rn. 10). Der weiter vom Berufungsgericht angeführte Beschluss des IX. Zivilsenats vom 29. Mai 2008 (IX ZB 197/07, BGHZ 176, 379 = NJW 2008, 3500) behandelt die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einlegungs- und Begründungsfrist für eine Rechtsbeschwerde. Hier beginnt nach Meinung des IX. Zivilsenats die Frist (auch) zur Begründung der Rechtsbeschwerde deshalb (schon) ab der Bekanntgabe der Gewährung von Prozesskostenhilfe und nicht (erst) ab Bekanntgabe der Bewilligung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungsfrist, weil bei der Rechtsbeschwerde - im Unterschied zur Berufung und zur Revision (oder Nichtzulassungsbeschwerde) - nicht zwischen zeitlich voneinander abweichenden Einlegungs- und Begründungsfristen zu differenzieren, sondern das Rechtsmittel innerhalb eines Monats sowohl einzulegen (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) als auch zu begründen ist (§ 575 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO; vgl. Beschluss vom 29. Mai 2008 aaO S. 381 f Rn. 8). Für den Fall der Fristversäumung bei einer Berufung hat sich der IX. Zivilsenat in dieser Entscheidung ausdrücklich der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats angeschlossen (aaO S. 381 Rn. 6; siehe auch Beschluss vom 14. November 2012 - IX ZR 268/12, BeckRS 2012, 23762 Rn. 2). Auch der II. Zivilsenat folgt der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats (s. Beschlüsse vom 26. Mai 2008 - II ZB 19/07, NJW-RR 2008, 1306, 1307 f Rn. 16 und vom 17. Mai 2010 - II ZB 12/09, NJOZ 2011, 647, 648 Rn. 13).
Allerdings trifft es zu, dass der XII. Zivilsenat (in einem obiter dictum) Bedenken gegen die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats geäußert hat (Beschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/05, NJW-RR 2008, 1313, 1314 f Rn. 16 ff); in einer neueren Entscheidung hat er freilich offengelassen, ob trotz dieser Bedenken der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats zu folgen ist (Beschluss vom 19. Dezember 2012 - XII ZB 169/12, NJW 2013, 471, 472 Rn. 12 ff, 19).
cc) Über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist ist bislang nicht entschieden worden, so dass die Monatsfrist für die Berufungsbegründung (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) noch nicht zu laufen begonnen hat und mithin auch nicht abgelaufen ist.
c) Hiernach kommt es auf die vom Berufungsgericht und von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen weiteren Fragen nicht an.
aa) Für eine zusätzliche Überlegungsfrist von 3 bis 4 Tagen, wie sie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Beginn der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist unter gleichzeitiger Nachholung der Berufungseinlegung nach Versagung von Prozesskostenhilfe angenommen hat (s. etwa BGH, Beschlüsse vom 19. Juli 2007 - IX ZB 86/07, BeckRS 2007, 12692 Rn. 10 mwN; vom 20. Januar 2009 - VIII ZA 21/08, NJW-RR 2009, 789 Rn. 6 f mwN und vom 23. April 2013 - II ZB 21/11, NJW 2013, 2822, 2823 Rn. 16), ist in Bezug auf die Berufungsbegründungsfrist weder Raum noch Bedarf, wenn die Monatsfrist nach § 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO erst mit der Mitteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu laufen beginnt.
bb) Die Frage eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten des Klägers bedarf keiner Erörterung, weil eine Versäumung der Monatsfrist für die Berufungsbegründung (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO), wie ausgeführt, nicht vorliegt.
3. Nach alledem durfte das Berufungsgericht die Berufung nicht wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es (zunächst) über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist entscheidet; von dieser Entscheidung hat das Berufungsgericht ausdrücklich abgesehen und insoweit auch keine Feststellungen getroffen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Schlick Wöstmann Tombrink
Remmert Reiter