Entscheidungsdatum: 24.05.2012
1. NV: Die Meldung eines volljährigen, aber noch nicht 21 Jahre alten Kindes als arbeitsuchend bei der Arbeitsvermittlung des Arbeitsamts (jetzt Agentur für Arbeit) wirkt nach § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III in der für das Jahr 2003 geltenden Fassung nur drei Monate fort (Anschluss an das Senatsurteil vom 19. Juni 2008 III R 68/05).
2. NV: Die gesetzliche Ausgestaltung der Berücksichtigungstatbestände in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG, wonach ein Kind, das die Viermonatsfrist zwischen einem Ausbildungsabschnitt und dem Beginn eines gesetzlichen Pflichtdienstes überschreitet, während dieser Übergangszeit nicht berücksichtigt wird, ist weder lückenhaft noch verstößt sie gegen das Grundgesetz (Anschluss an die Senatsurteile vom 22. Dezember 2011 III R 5/07 und III R 41/07 sowie vom 9. Februar 2012 III R 68/10).
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog für seinen im Juni 1985 geborenen Sohn (S) Kindergeld. S besuchte bis einschließlich Juli 2003 eine Schule. Zum 31. Juli 2003 meldete er sich bei dem Arbeitsamt als arbeitslos. Am 13. August 2003 nahm S telefonischen Kontakt mit dem Arbeitsamt auf. Er leistete vom 24. August bis 4. September 2003 zweimal unentschuldigt einer Einladung zu einem Beratungsgespräch keine Folge. Nach einer internen Mitteilung des Arbeitsamtes an die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) wurde S ab dem 4. September 2003 nicht mehr als Bewerber geführt. Am 5. Januar 2004 trat S seinen gesetzlichen Wehrdienst an.
Die Familienkasse hob mit Bescheid vom 16. Januar 2004 die Festsetzung des Kindergeldes ab September 2003 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) auf, da S beim Arbeitsamt nicht mehr als arbeitsuchendes Kind gemeldet sei. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens änderte die Familienkasse den Aufhebungsbescheid dahingehend ab, dass die Festsetzung des Kindergeldes für S erst ab Oktober 2003 aufgehoben wurde. Im Übrigen blieb der Einspruch des Klägers erfolglos.
Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte der Kläger Kindergeld für die Monate Oktober bis Dezember 2003. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens erließ die Familienkasse einen weiteren Änderungsbescheid mit Datum vom 14. Mai 2004 und hob die Festsetzung des Kindergeldes erst ab Dezember 2003 auf. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit wegen Kindergeld für die Monate Oktober und November 2003 übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, war vor dem Finanzgericht (FG) nur noch das Kindergeld für den Monat Dezember 2003 streitig. Das FG wies diese Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 829 veröffentlichten Gründen ab.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG durch das FG. Das FG habe zu Unrecht § 38 Abs. 4 Satz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (SGB III) angewendet. Nach dieser Vorschrift verliere der Arbeitsuchende seinen Status, wenn er die Meldung beim Arbeitsamt nicht vor Ablauf von drei Monaten erneuere. § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III sei aber entgegen der Auffassung des FG nicht anwendbar. Diese Norm ordne lediglich an, in welchen Fällen die Agentur für Arbeit (vormals das Arbeitsamt) eine Arbeitsvermittlung vorzunehmen habe, sage jedoch nichts über den Status als Arbeitsuchender aus. Für S habe es im Dezember 2003 ohnehin keinen Sinn mehr gemacht, die Meldung zu wiederholen, da er bereits im Januar 2004 seinen Grundwehrdienst angetreten habe. Nach § 122 SGB III habe S durch seine Meldung beim Arbeitsamt den Status als Arbeitsuchender erlangt. Eine Verpflichtung zur Rückmeldung nach Ablauf von drei Monaten habe für ihn nicht mehr bestanden. § 122 Abs. 2 Nr. 3 SGB III, der die Erneuerung des Arbeitsgesuchs nach drei Monaten vorgesehen habe, sei zum 1. August 1999 aufgehoben worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das angegriffene Urteil des FG und den Aufhebungsbescheid der Familienkasse vom 14. Mai 2004 insoweit aufzuheben, als die Kindergeldfestsetzung auch für den Monat Dezember 2003 aufgehoben wurde.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Senat hatte mit Einverständnis der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Revisionen III R 5/07 und III R 41/07 angeordnet. Hierüber hat der Senat zwischenzeitlich mit den Urteilen vom 22. Dezember 2011 BFHE 236, 137 und BFHE 236, 144 entschieden. Der Senat hat das Verfahren mit (deklaratorischem) Beschluss vom 23. April 2012 fortgesetzt.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
II. Die Revision des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger für den Monat Dezember 2003 kein Anspruch auf Kindergeld für S zusteht.
1. Zutreffend hat das FG den S nicht als Kind gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG berücksichtigt.
a) Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG wird ein Kind , das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einem Arbeitsamt im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist.
aa) Da keine ausdrückliche steuerliche Regelung besteht, wann der durch die Meldung begründete Status des arbeitsuchenden Kindes (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG) wieder wegfällt, sind für das Kindergeld insoweit die Vorschriften des Sozialrechts, hier insbesondere § 38 SGB III, heranzuziehen. Nach dieser Vorschrift wirkt die Meldung eines volljährigen, aber noch nicht 21 Jahre alten Kindes als arbeitsuchend --sofern kein Tatbestand nach § 38 Abs. 4 Satz 1 SGB III gegeben ist-- gemäß § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III nur drei Monate fort (Senatsurteil vom 19. Juni 2008 III R 68/05, BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008). Danach ist die Arbeitsvermittlung einzustellen. Wirkt ein arbeitsuchendes Kind nicht ausreichend bei den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes mit, kann das Arbeitsamt die Vermittlung gemäß § 38 Abs. 2 SGB III gegebenenfalls schon früher einstellen (s. Senatsurteil vom 17. Dezember 2008 III R 60/06, BFH/NV 2009, 908). Endet die Arbeitsvermittlungspflicht des Arbeitsamtes, ist ein Kind auch nicht mehr arbeitsuchend gemeldet mit der Folge, dass ab dem Folgemonat der Kindergeldanspruch entfällt.
bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann S nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG im Monat Dezember 2003 nicht mehr als Kind berücksichtigt werden. Dabei kann dahinstehen, ob sich S im Monat August 2003 (nochmals) bei dem Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet hat. Eine Meldung in diesem Monat hätte längstens bis November 2003 fortwirken können. Im Übrigen wird entgegen der Auffassung des Klägers mit der durch die Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung zur dreimonatigen Meldefrist nicht die im Jahr 1999 gestrichene Vorschrift des § 122 Abs. 2 Nr. 3 SGB III wieder eingeführt. Denn in dieser Vorschrift waren die Bedingungen für die Zahlung von Entgeltersatzleistungen (Arbeitslosengeld) geregelt, während § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III die hier einschlägigen Regelungen für die Arbeitsvermittlung betrifft (Senatsurteil in BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008).
b) Ebenso kann S nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG als Kind berücksichtigt werden. Hiernach wird ein Kind, das das 18., aber --wie S im Streitzeitraum-- noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es sich u.a. in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes befindet.
Im Streitfall lag jedoch eine Übergangszeit von fünf Monaten (August 2003 bis Dezember 2003) zwischen dem Schulabschluss und dem Beginn des gesetzlichen Wehrdienstes vor (zur Berechnung der Viermonatsfrist vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 105/01, BFHE 203, 102, BStBl II 2003, 847).
c) Es scheidet auch eine Berücksichtigung des S nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG aus, weil sich S nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (s. § 118 Abs. 2 FGO) nicht ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemühte.
2. Schließlich lässt sich der Kindergeldanspruch nicht auf eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b oder c EStG stützen. Die genannten Vorschriften enthalten für den Fall, dass die Viermonatsfrist zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines gesetzlichen Pflichtdienstes überschritten wird, keine Regelungslücke. Zur Begründung wird auf die jüngst ergangenen --die bisherige Rechtsprechung bestätigenden-- Senatsurteile in BFHE 236, 137 und in BFHE 236, 144 sowie vom 9. Februar 2012 III R 68/10 (BFHE 236, 421) verwiesen. Außerdem hat der Senat in diesen Urteilen auch die frühere höchstrichterliche Rechtsprechung bekräftigt, wonach gegen die fehlende Berücksichtigung solcher Kinder bei einem Überschreiten der Viermonatsfrist keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Auch insoweit wird zur Begründung auf die genannten drei Senatsurteile Bezug genommen.