Entscheidungsdatum: 22.12.2011
1. NV: Der Begriff des verarbeitenden Gewerbes bestimmt sich --auch vor Inkrafttreten des § 3 Abs. 1 S. 2 InvZulG 2010-- nach der für das jeweilige Kalenderjahr geltenden Klassifikation der Wirtschaftszweige; dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG-Beschluss vom 31. Mai 2011 1 BvR 857/07, HFR 2011, 903) .
2. NV: In einem Rechtsstreit über die Frage, ob ein Betrieb zum verarbeitenden Gewerbe gehört, hat das Finanzgericht die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen festzustellen und zu würdigen; es darf eine fehlerhafte Einordnung nicht übernehmen .
3. NV: Die Verwendung eines durch Zerkleinern von Altasphalt und Altbeton hergestellten Granulats als Tragschicht im Straßenbau ist nicht dem verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen, wohl aber eine Verwendung in einem industriellen Verarbeitungsprozess (z.B. Herstellung von Betonfertigteilen). Lässt sich die Verwendung des Granulates nicht feststellen, ist die Klage abzuweisen, da der Investor die Feststellungslast für das Vorliegen der Fördervoraussetzungen trägt .
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betreibt in X das Bauschuttrecycling, die Aufbereitung von Erden und Baustoffen, die Vermietung von Recyclingtechnik sowie den Handel mit Baumaschinen und Recyclingtechnik. Ihre Tätigkeit umfasst die Wiederverwertung von Abfällen (z.B. Ausschusskargen von Betonwerken, Abbruchmaterialien, Straßenaufbruch, Rekultivierungskargen). Die Klägerin führt dazu Abbrucharbeiten auf Kundenbaustellen mit mobilen Brechern durch. Aus großen Reststeinen und anderen Materialien werden dabei durch Einsatz der Brecher- und Siebanlagen kleine Steine gebrochen. Das nach der Bearbeitung entstandene Material verbleibt beim jeweiligen Auftraggeber und wird teils als Untergrund im Straßenbau und teils als Zwischenprodukt zur Herstellung von Betonrohren und Großbetonteilen verwendet. Die Klägerin erwirbt an den Abfällen und den produzierten Recyclaten kein Eigentum.
Das Statistische Landesamt des … hatte am 29. November 2004 mitgeteilt, dass die Klägerin für statistische Zwecke dem Wirtschaftszweig 37.20 "Recycling von nicht metallischen Altmaterialien und Reststoffen" im Abschnitt D "Verarbeitendes Gewerbe" der Klassifikation der Wirtschaftszweige Ausgabe 2003 (WZ 2003) zugeordnet sei. Im Rahmen einer Betriebsprüfung informierte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Klägerin im Januar 2005 darüber, dass er an der Zuordnung des Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe nicht mehr festhalte, sondern ihre Tätigkeit nunmehr der Gruppe 14.1 "Gewinnung von Steinen und Erden" zuordne.
Am 28. November 2006 beantragte die Klägerin beim FA für das Jahr 2005 Investitionszulage nach § 2 des Investitionszulagengesetzes 2005 (InvZulG 2005) in Höhe von 25 % für die Anschaffung eines Radladers, einer mobilen Brecheranlage und einer Trommelsiebanlage mit Anschaffungskosten von insgesamt 436.780 €. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2006 lehnte das FA die Festsetzung der Investitionszulage für 2005 ab, da das Unternehmen seit 2003 nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige der Unterklasse 14.1 zugeordnet sei und daher nicht dem verarbeitenden Gewerbe angehöre. Den Einspruch wies das FA als unbegründet zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, der Betrieb der Klägerin sei nach der WZ 2003 nicht dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen, da er entgegen der Einordnung des Statistischen Landesamts die Voraussetzungen für die Zuordnung zu Abschnitt D, Unterklasse 37.20.5 "Recycling von sonstigen Altmaterialien und Reststoffen" offenkundig nicht erfülle. Die vom Landesamt vorgenommene Zuordnung binde nicht und sei offensichtlich falsch. Soweit das von der Klägerin hergestellte Granulat direkt im Straßenbau verwendet werde, sei ihre Tätigkeit dem Brechen und Mahlen von Kiesen und Sanden --Unterklasse 14.21.0-- vergleichbar. Die Aufbereitung von Materialien für den direkten Einsatz in einem industriellen Verarbeitungsprozess gehöre dagegen zum verarbeitenden Gewerbe. Die Klägerin sei aber nicht in der Lage, über die Verwendung des zerkleinerten Materials durch ihre Auftraggeber Auskunft zu geben. Dies gehe zu ihren Lasten, da sie die Feststellungslast für die Zugehörigkeit ihres Betriebes zum verarbeitenden Gewerbe trage.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Die Zuordnung des Statistischen Landesamts --37.20.5 Recycling von sonstigen Altmaterialien und Reststoffen-- treffe zu; jedenfalls sei sie nicht offensichtlich falsch oder i.S. von § 129 der Abgabenordnung (AO) offenbar unrichtig. Ihr komme die Wirkung eines Grundlagenbescheides i.S. des § 171 Abs. 10 AO zu; eine Überprüfung sei dem FA verwehrt.
Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Investitionszulage für 2005 unter Abänderung des Bescheides vom 13. Dezember 2006 auf 84.200 € festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 2005 sind u.a. abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter investitionszulagenbegünstigt, die in einem Betrieb des verarbeitenden Gewerbes verbleiben.
a) Der Begriff des verarbeitenden Gewerbes bestimmt sich nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige.
Der Gesetzgeber hat die Maßgeblichkeit der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Klassifikation der Wirtschaftszweige zwar erstmals durch § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 2010 ausdrücklich angeordnet. Der Senat hält jedoch an seiner ständigen Rechtsprechung fest, wonach sich der Begriff des verarbeitenden Gewerbes im Investitionszulagenrecht auch für frühere Gesetzesfassungen nach der für das jeweilige Kalenderjahr geltenden Klassifikation bestimmt, im Streitfall also nach der WZ 2003.
Die Klassifikation hat zwar lediglich statistische Ordnungsfunktion. Die Anknüpfung an die Klassifikation führt indes nicht zu einer Verletzung der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes --GG--), denn es beeinträchtigt weder die Gesetzesbindung der Gerichte noch den Anspruch des Einzelnen auf wirksame gerichtliche Kontrolle, wenn die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs durch gesetzliche Verweisung auf bestimmte Verwaltungsvorschriften oder untergesetzliche Regelwerke erfolgt oder wenn die konkretisierende Heranziehung solcher Vorschriften oder Regelwerke in vergleichbarer Weise auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 31. Mai 2011 1 BvR 857/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2011, 903, unter B.I.2.b).
Die Verbindlichkeit der Klassifikation der Wirtschaftszweige für die Zuordnung von Betrieben zum verarbeitenden Gewerbe im Investitionszulagenrecht beruht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage, da bereits die Gesetzesmaterialien zu früheren Fassungen des InvZulG eindeutig belegen, dass der Gesetzgeber bei deren Erlass von der verbindlichen Anwendung der Klassifikation bei der Zuordnung eines Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe ausging. Die Anknüpfung an das Statistikrecht ist auch sachgerecht, da sie ein höheres Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erzeugt als ein vom Statistikrecht abgelöstes, eigenes Verständnis des Gesetzesbegriffs "Verarbeitendes Gewerbe". Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die sich aus den regelmäßigen Überarbeitungen der statistischen Klassifikationen ergebende Dynamik (BVerfG-Beschluss in HFR 2011, 903, unter B.I.3.c und 3.d), aufgrund derer sich die Zuordnung wirtschaftlicher Tätigkeiten ändern kann.
b) In einem Rechtsstreit über die Frage, ob ein Betrieb zum verarbeitenden Gewerbe --hier nach Abschnitt D der WZ 2003-- gehört, hat das FG die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen festzustellen und zu würdigen. Bei der Einordnung wirtschaftlicher Tätigkeiten kann es dabei auf das Expertenwissen der Statistikämter zurückgreifen. Die Entscheidungsbefugnis liegt aber in jedem Falle beim Gericht, das eine fehlerhafte statistische Einordnung nicht übernehmen darf, da eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf offensichtliche Fehler der Statistikämter den individuellen Rechtsschutz in einer mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbaren Weise schmälern würde (BVerfG-Beschluss in HFR 2011, 903).
2. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der Betrieb der Klägerin nicht dem verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen ist.
a) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Begriff des verarbeitenden Gewerbes i.S. des § 2 InvZulG 2005 für das Streitjahr nach der WZ 2003 auszulegen ist und die Einordnung des Betriebs der Klägerin sich nach der von ihr ausgeübten Tätigkeit und nicht nach der Einordnung durch das Statistische Landesamt bestimmt (Senatsurteil vom 22. September 2011 III R 64/08, BFHE 236, 168; BStBl II 2012, 358).
b) Dem FG ist auch darin zu folgen, dass die Verwendung des von der Klägerin durch Zerkleinern von Altasphalt und Altbeton hergestellten Granulats als Tragschicht im Straßenbau nicht dem verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen ist, eine Verwendung in einem industriellen Verarbeitungsprozess --z.B. Herstellung von Betonfertigteilen-- dagegen dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen wäre (vgl. das insoweit zutreffende Senatsurteil vom 25. Januar 2007 III R 69/06, BFH/NV 2007, 1187).
c) An die Feststellung des FG, dass sich die Verwendung des Granulats nicht aufklären lässt, ist der BFH gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO); durchgreifende Verfahrensrügen hat die Klägerin nicht erhoben. Da der Investor die Feststellungslast für das Vorliegen der Förderungsvoraussetzungen trägt, hat das FG die Klage zu Recht abgewiesen.