Entscheidungsdatum: 22.09.2011
1. Der Senat hält daran fest, dass sich der Begriff des verarbeitenden Gewerbes auch vor Inkrafttreten des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 2010 nach der für das jeweilige Kalenderjahr geltenden Klassifikation der Wirtschaftszweige richtet.
2. Die Finanzgerichte haben die für die Zuordnung eines Betriebes zu einem Wirtschaftszweig erheblichen Tatsachen selbst festzustellen und zu würdigen; eine fehlerhafte Einordnung durch die Statistikämter dürfen sie nicht übernehmen.
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt einen Kalksandsteinbruch und veräußert überwiegend Baustoffe für die Untergrundherstellung im Straßenbau.
Im Steinbruch der Klägerin wird zunächst durch eine Fremdfirma der Stein vom Berg abgesprengt. Danach werden in einer Vielzahl von Sortier-, Sieb- sowie Mahl- und Bruchschritten genau definierte Steinprodukte hergestellt und entsprechend den Vorgaben nach DIN und den Anforderungen der Kunden nach bestimmten Verhältnissen sortiert und gemischt. Einem Teil der Endprodukte werden Zuschlagstoffe, wie z.B. Wasser, Sand und Zement, zugegeben.
Der Betrieb der Klägerin wurde durch das Landesamt für Statistik (Landesamt) als Betrieb des Bergbaus und der Gewinnung von Steinen und Erden nach Abschnitt C (Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden), Unterabschnitt CB (Erzbergbau, Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger Bergbau), zunächst der Meldenummer 14.21 (Gewinnung von Kies und Sand) und seit dem Jahr 2003 der Meldenummer 14.11 (Gewinnung von Naturwerksteinen und Natursteinen, anderweitig nicht genannt) der Klassifikation der Wirtschaftszweige 2003 (WZ 2003) zugeordnet. Dieser Einstufung des Unternehmens der Klägerin und ähnlich arbeitender Betriebe lagen vierteljährliche Produktionserhebungen zugrunde.
Für genau bezeichnete, im Kalenderjahr 2004 getätigte Investitionen beantragte die Klägerin im Februar 2005 eine Zulage in Höhe von 41.944,82 €, d.h. 25 % der Bemessungsgrundlage von 167.779,26 €. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Investitionszulage stattdessen in Höhe von 0 € fest und wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage, mit der geltend gemacht wurde, die Einstufung durch das Landesamt sei offensichtlich unrichtig gewesen und allein aus statistischen Gründen erfolgt, hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die unzutreffende Anwendung des § 2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999. Das Finanzgericht (FG) habe den Begriff des "verarbeitenden Gewerbes" i.S. von § 2 InvZulG 1999 unrichtig ausgelegt. Es habe dazu die Klassifikation der Wirtschaftszweige herangezogen, obwohl die Klassifikationen 1993, 2003 und 2008 sich dazu nicht mehr eigneten. Die Eingruppierung ihres Betriebes unter dem Abschnitt "Bergbau" der WZ 2003 verstoße gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG), da die WZ 2003 Recyclingbetriebe oder lediglich Beton produzierende Betriebe trotz weitestgehend gleicher Produkte dem verarbeitenden Gewerbe zuordne und ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung nicht erkennbar sei. Dies ergebe sich auch aus der Stellungnahme des Statistischen Bundesamtes vom 11. April 2007, das festgestellt habe, dass typische Erzeugnisse von Unternehmen der Abteilung 14 (Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger Bergbau) in erheblichem Umfang denen von Unternehmen anderer Wirtschaftszweige, z.B. der Abteilung 26 (Glasgewerbe, Herstellung von Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden), glichen.
Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Investitionszulage 2004 unter Abänderung des Bescheides vom 10. Mai 2005 auf 41.944,82 € festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Senat hatte das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in der Sache 1 BvR 857/07 --Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil vom 25. Januar 2007 III R 69/06 (BFH/NV 2007, 1187)-- zum Ruhen gebracht. Nachdem das BVerfG der Verfassungsbeschwerde durch Beschluss vom 31. Mai 2011 1 BvR 857/07 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2011, 903) stattgegeben hat, hat die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG.
1. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1999 sind u.a. bewegliche Wirtschaftsgüter investitionszulagenbegünstigt, die zu einem Betrieb des verarbeitenden Gewerbes gehören.
a) Der Begriff des verarbeitenden Gewerbes bestimmt sich nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige.
Der Gesetzgeber hat die Maßgeblichkeit der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Klassifikation der Wirtschaftszweige zwar erstmals durch § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 2010 ausdrücklich angeordnet. Der Senat hält jedoch an seiner ständigen Rechtsprechung fest, wonach sich der Begriff des verarbeitenden Gewerbes im Investitionszulagenrecht auch für frühere Gesetzesfassungen nach der für das jeweilige Kalenderjahr geltenden Klassifikation richtet, im Streitfall also nach der WZ 2003.
Die Klassifikation hat zwar lediglich statistische Ordnungsfunktion. Die Anknüpfung an die Klassifikation führt indes nicht zu einer Verletzung der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), denn es beeinträchtigt weder die Gesetzesbindung der Gerichte noch den Anspruch des Einzelnen auf wirksame gerichtliche Kontrolle, wenn die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs durch gesetzliche Verweisung auf bestimmte Verwaltungsvorschriften oder untergesetzliche Regelwerke erfolgt oder wenn die konkretisierende Heranziehung solcher Vorschriften oder Regelwerke in vergleichbarer Weise auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht (BVerfG-Beschluss in HFR 2011, 903, unter B. I. 2.b).
Die Verbindlichkeit der Klassifikation der Wirtschaftszweige für die Zuordnung von Betrieben zum verarbeitenden Gewerbe im Investitionszulagenrecht beruht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage, da bereits die Gesetzesmaterialien zu früheren Fassungen des InvZulG eindeutig belegen, dass der Gesetzgeber bei deren Erlass von der verbindlichen Anwendung der Klassifikation bei der Zuordnung eines Betriebes zum verarbeitenden Gewerbe ausging. Die Anknüpfung an das Statistikrecht ist auch sachgerecht, da sie ein höheres Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erzeugt als ein hiervon abgelöstes, eigenes Verständnis des Gesetzesbegriffs "verarbeitendes Gewerbe". Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die sich aus den regelmäßigen Überarbeitungen der statistischen Klassifikationen ergebende Dynamik (BVerfG-Beschluss in HFR 2011, 903, unter B. I. 3. c und 3. d), aufgrund derer sich die Zuordnung wirtschaftlicher Tätigkeiten ändern kann.
b) In einem Rechtsstreit über die Frage, ob ein Betrieb zum verarbeitenden Gewerbe --hier nach Abschnitt D der WZ 2003-- gehört, hat das FG die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen festzustellen und zu würdigen. Bei der Einordnung wirtschaftlicher Tätigkeiten kann es dabei auf das Expertenwissen der Statistikämter zurückgreifen. Die Entscheidungsbefugnis liegt aber in jedem Fall beim Gericht, das eine fehlerhafte statistische Einordnung nicht übernehmen darf, da eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf offensichtliche Fehler der Statistikämter den individuellen Rechtsschutz in einer mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbaren Weise schmälern würde (BVerfG-Beschluss in HFR 2011, 903).
2. Aufgrund der Feststellungen des FG kann der Senat nicht beurteilen, ob der Betrieb der Klägerin dem verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen ist.
a) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Begriff des verarbeitenden Gewerbes i.S. des § 2 InvZulG 1999 für das Streitjahr nach der WZ 2003 auszulegen ist und es auf etwaige abweichende frühere Zuordnungen nicht ankommt. Seine Entscheidung lässt aber nicht hinreichend deutlich erkennen, ob es die Zuordnung des Betriebes der Klägerin zum verarbeitenden Gewerbe bzw. zum Bergbau (Gewinnung von Steinen) selbst geprüft oder die Einordnung durch das Landesamt in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung des Senats lediglich für plausibel erachtet und sie daher mangels offensichtlicher Fehlerhaftigkeit nicht beanstandet hat.
b) Für den zweiten Rechtsgang weist der Senat --ohne Bindungswirkung-- darauf hin, dass einzelne Tätigkeiten der Klägerin im FG-Urteil zutreffend dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet wurden. Die Tätigkeit der Klägerin dürfte sich als Bergbau darstellen, soweit Steine gewonnen, grob behauen und gemahlen wurden; eine Verarbeitung zu Steinen in DIN-Größe oder nach Kundenvorstellungen sowie die Herstellung von Gemischen dürfte dagegen zum verarbeitenden Gewerbe gehören (vgl. Senatsurteil vom 23. Oktober 2002 III R 40/00, BFHE 201, 366, BStBl II 2003, 360).
Die Zuordnung sog. Mischbetriebe richtet sich nach dem Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, der in erster Linie danach zu bestimmen ist, auf welche der Tätigkeiten der größte Wertschöpfungsanteil entfällt (Senatsurteile vom 19. Oktober 2006 III R 28/04, BFH/NV 2007, 1185, betr. Handel und Handwerk eines Uhrmachers; vom 17. April 2008 III R 100/06, BFH/NV 2008, 1531, betr. einen Baumarkt, der Erzeugnisse einer unternehmenseigenen Sägerei vertreibt). Dazu hatte die Klägerin bereits vorgetragen.