Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 14.05.2013


BGH 14.05.2013 - II ZR 76/12

Zurückverweisung durch das Berufungsgericht bei wesentlichem Verfahrensmangel des ersten Rechtszuges


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
14.05.2013
Aktenzeichen:
II ZR 76/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 10. Februar 2012, Az: 11 U 159/10vorgehend LG Hamburg, 13. August 2010, Az: 418 HKO 83/09
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Eine Zurückverweisung durch das Berufungsgericht ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil den Parteien aufgrund eines Verfahrensmangels des erstinstanzlichen Verfahrens Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben ist und danach möglicherweise eine Beweisaufnahme erforderlich wird.

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 10. Februar 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der E.                              AG (im Folgenden: Schuldnerin), die Kapitalanlageprodukte auf dem Gebiet der erneuerbaren Energie konzipierte, finanzierte, vermarktete und vertrieb. Die Beklagten waren Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglieder der Schuldnerin.

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Die Schuldnerin begab zwei Inhaberteilschuldverschreibungen an Privatanleger für 65 Mio. €. Der Emissionserlös sollte laut Prospekt zur Realisierung von internationalen Solarenergie- und französischen Windkraftprojekten benutzt werden. Das nicht mitverklagte Vorstandsmitglied Y.     erwarb für ca. 24 Mio. € aus dem Emissionserlös Kunstgegenstände für die Schuldnerin.

3

Der Kläger hat mit der Klage von den Beklagten die Zahlung von 5 Mio. € und 49.099,40 € Rechtsanwaltskosten verlangt. In erster Linie hat er die Klage darauf gestützt, dass die Schuldnerin die Kunstgegenstände an ein Schwesterunternehmen für 37,9 Mio. € verkauft habe, die Forderung gegen das Schwesterunternehmen aber uneinbringlich sei. Im Laufe des Verfahrens hat der Kläger eingeräumt, dass die Kunstgegenstände unter Eigentumsvorbehalt verkauft worden sind, sich noch in seinem Gewahrsam befinden und der Verkaufswert zumindest dem Ankaufspreis entspricht, und hat die Klage darauf gestützt, dass die Schuldnerin wegen der prospektwidrigen Verwendung der eingeworbenen Gelder zur Rückzahlung von Anleihen in Höhe von 7.011.881,03 € verurteilt worden sei. Hilfsweise hat der Kläger seinen Zahlungsanspruch auf die Ausreichung ungesicherter und nicht zurückbezahlter Darlehen gestützt, weiter hilfsweise auf die Übernahme wertloser Anteile an der V.                GmbH und schließlich auf verschiedene rechtsgrundlose Zahlungen.

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Das Landgericht hat die Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 5.000.000 € als Gesamtschuldner verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Dagegen richten sich die vom erkennenden Senat zugelassenen Revisionen der Beklagten, mit denen sie ihren Klagabweisungsantrag weiterverfolgen.

Entscheidungsgründe

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Die Revisionen haben Erfolg und führen zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Feststellung, es sei gerichtsbekannt, dass die Schuldnerin zur Zahlung von über 7 Mio. € verurteilt worden sei, sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das Landgericht habe keine Ausführungen dazu gemacht, worauf sich diese Kenntnis stütze, und habe auf die beabsichtigte Anwendung von § 291 ZPO nicht hingewiesen. Das sei ein Gehörsverstoß und damit ein Verfahrensfehler im Sinn von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Aufgrund dessen sei eine umfangreiche Verfahrensfortführung einschließlich einer wahrscheinlichen Beweisaufnahme erforderlich. Der Kläger habe zu den angeblich gerichtlich ausgeurteilten Schadensersatzansprüchen nicht mehr vorgetragen, so dass er mit seinem Hauptvorbringen in der Berufungsinstanz prozessual nicht mehr durchdringen könne. Daher sei das Hilfsvorbringen über die Ausreichung unbesicherter und nicht zurückgezahlter Darlehen zu prüfen. Dazu bedürfe es noch erheblichen Vortrags der Parteien, von Seiten des Klägers im Hinblick auf die Auszahlungen und seitens der Beklagten im Hinblick auf Rückzahlungen und die behauptete Vollwertigkeit der Rückzahlungsansprüche. Dem Kläger bereite es erhebliche Probleme, die von ihm vorgelegte Zusammenstellung der Kontobewegungen anhand der beim Landeskriminalamt befindlichen Bankauszüge zu belegen. Auch der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sei nicht in der Lage gewesen, Ordnung in die Belege zu bekommen.

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II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bejaht. Danach ist eine Zurückverweisung möglich, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

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1. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht im Verfahren erster Instanz einen wesentlichen Mangel gesehen. Das Landgericht hat sich verfahrensfehlerhaft auf die Gerichtskundigkeit der Rückzahlungen gestützt. Offenkundige Tatsachen müssen wie alle Urteilsgrundlagen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden (BVerfG, NJW-RR 1996, 183, 184; BGH, Urteil vom 6. Mai 1993 - I ZR 84/91, WM 1993, 1725, 1726 f.). Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht geschehen. Damit hat das Landgericht gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen. Ein Gehörsverstoß ist grundsätzlich ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S.v. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO (BGH, Urteil vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, ZIP 2010, 776 Rn. 15).

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2. Das Berufungsgericht hat aber rechtsfehlerhaft für die Zurückverweisung eine umfangreiche Verfahrensfortführung einschließlich einer wahrscheinlichen Beweisaufnahme genügen lassen. Voraussetzung der Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist, dass aufgrund des Verfahrensmangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Dass den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben ist und danach möglicherweise eine Beweisaufnahme erforderlich wird, genügt für eine Zurückverweisung nicht.

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Die Voraussetzungen einer Zurückverweisung liegen schon deshalb nicht vor, weil das Berufungsgericht nur für den Hilfsantrag eine Beweisaufnahme für wahrscheinlich hielt. Auf eine durch den Hilfsantrag, der sich auf die Darlehensvergabe und damit einen anderen Sachverhalt als der Hauptantrag bezieht, veranlasste Beweisaufnahme kommt es aus Rechtsgründen nicht an. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO verlangt, dass gerade aufgrund des Verfahrensmangels eine Beweisaufnahme notwendig wird. Bewertet das Berufungsgericht das Parteivorbringen materiell-rechtlich anders als das Erstgericht, indem es z.B. an die Schlüssigkeit oder die Substantiierung andere Anforderungen als das Erstgericht stellt, liegt ein zur Aufhebung und Zurückverweisung berechtigender wesentlicher Verfahrensmangel auch dann nicht vor, wenn infolge der abweichenden Beurteilung eine Beweisaufnahme erforderlich wird (BGH, Urteil vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, ZIP 2010, 776 Rn. 14). Das Landgericht hat den Vortrag zum Schaden im Hauptantrag für schlüssig und sogar für bewiesen gehalten. Das Berufungsgericht erachtet ihn als unschlüssig, jedenfalls als unsubstantiiert. Damit weicht es in der rechtlichen Beurteilung vom Landgericht ab. Wenn danach - nach Abweisung des Hauptantrags - über den Hilfsantrag zu entscheiden ist, ist ein anderer Sachverhalt zu beurteilen.

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Aber selbst wenn man eine durch den Hilfsantrag erforderlich gewordene Beweisaufnahme für ausreichend erachten würde, wäre die Voraussetzung des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht erfüllt. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass insoweit eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig wird, sondern lediglich eine umfangreiche bzw. aufwändige Verfahrensfortführung einschließlich einer wahrscheinlichen Beweisaufnahme für erforderlich erachtet. Von einer umfangreichen bzw. aufwändigen Verfahrensfortführung ist es ausgegangen, weil es hinsichtlich des Hilfsvorbringens des Klägers noch erheblichen Vortrags der Parteien zu den ihnen jeweils günstigen Tatsachen bedürfe. Das Berufungsgericht hat danach eine Beweisaufnahme lediglich für wahrscheinlich oder möglich gehalten, wenn der Kläger und die Beklagten weiteren Vortrag gehalten haben. Nach Wortlaut und Sinn von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, den Aufwand mehrfacher Bearbeitung klein zu halten und Verfahrensverzögerungen durch Hin- und Herschieben von Fällen in den Instanzen zu vermeiden, genügt es nicht, dass die Parteien ihren Vortrag noch näher substantiieren müssen.

12

III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Entgegen der Auffassung der Revisionen ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif und die Klage nicht aus Rechtsgründen abzuweisen.

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1. Der Kläger ist mit seinem Hauptantrag nicht abzuweisen, weil er - wie das Berufungsgericht meint - zu den angeblich ausgeurteilten Schadensersatzansprüchen in der Berufungserwiderung nicht weiter vorgetragen hat. Sollte das Berufungsgericht damit - was der Zusammenhang mit der Verfahrensrüge der Beklagten hinsichtlich der vom Landgericht zu Unrecht angenommenen Gerichtskundigkeit nahelegt - weiteren Vortrag des Klägers zu Anlegern meinen, die Schadensersatzansprüche in Höhe von 7.011.881,03 € geltend gemacht haben, bestand dazu in der Berufungserwiderung kein Anlass. Der Kläger hatte bereits in erster Instanz eine Liste von Anlegern mit jeweils zugeordneten Beträgen vorgelegt (Anlage K 29c) und dazu erklärt, dabei handele es sich alleine um die von seiner Kanzlei vertretenen Anleger und danach beliefen sich alleine die von ihnen aufgrund der prospektwidrig durchgeführten Kunstgeschäfte gegen die Insolvenzschuldnerin geltend gemachten Zahlungsansprüche auf einen Betrag von 7.011.881,03 €. Darauf, ob die Schuldnerin zur Rückzahlung verurteilt wurde oder die Anleger lediglich berechtigterweise einen Anspruch geltend gemacht haben, kommt es für einen Schaden der Schuldnerin durch die Belastung mit den Rückzahlungsansprüchen nicht an.

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Sollte das Berufungsgericht damit - worauf der in der Vorbereitung zur mündlichen Verhandlung erteilte Hinweis spricht, soweit die Schuldnerin zur Rückzahlung der Einlagen verurteilt worden sei, sei sie ohnehin, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt, zur Rückzahlung verpflichtet gewesen - schlüssigen Vortrag in der Berufungserwiderung zu einem durch den gegenüber dem vereinbarten Rückzahlungstermin früheren Zahlungszeitpunkt eintretenden Nachteil vermissen, übersieht es, dass der Kläger neben dem „Liquiditätsentzug“ und der Insolvenzverursachung, für die ein Schaden nicht näher dargelegt ist, behauptet hat, dass auch Rechtsanwalts- und Gerichtskosten für die Rechtsverfolgung durch die Anleger entstanden seien und insoweit ein Schaden vorliege.

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2. Auch im Hinblick auf den Hilfsantrag ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Kläger seiner Darlegungslast nachgekommen. Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG haben die Gesellschaft - ggf. mit der Erleichterung des § 287 ZPO - und damit der Kläger als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin darzulegen und ggf. zu beweisen, dass ihr durch ein Verhalten des Vorstandsmitglieds in seinem Pflichtenkreis, das möglicherweise pflichtwidrig ist, ein Schaden entstanden ist; das Vorstandsmitglied hat dagegen nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG darzulegen und zu beweisen, dass es seine Pflichten nicht verletzt oder jedenfalls schuldlos gehandelt hat oder dass der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre (BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 - II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 14; Urteil vom 22. Februar 2011 - II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 17; Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 42; Urteil vom 4. November 2002 - II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 283 ff.; zur Kreditvergabe durch den Vorstand einer Genossenschaft BGH, Beschluss vom 8. Januar 2007 - II ZR 304/04, ZIP 2007, 322 Rn. 28). Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gilt auch für die Haftung des Aufsichtsrats nach § 116 AktG i.V.m. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG (BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 42).

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Der Kläger ist dieser Darlegungslast nachgekommen, indem er im Einzelnen dargelegt hat, wann von Seiten der Insolvenzschuldnerin an welche Schwestergesellschaft oder die Muttergesellschaft ein Betrag als unbesichertes Darlehen ausbezahlt wurde, dass dies wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Darlehensnehmer pflichtwidrig war und in den Verantwortungsbereich sowohl der Vorstands- als auch der Aufsichtsratsmitglieder fiel. Es war danach Sache der Beklagten, dazu im Einzelnen Stellung zu nehmen. Soweit das Berufungsgericht die Vorlage von Kontobelegen für erforderlich hält, handelt es sich ggf. um eine Frage des Beweises. Für die Ausreichung der Darlehen hat der Kläger sich auch auf Zeugenbeweis bezogen; ein solcher Beweisantritt ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zulässig. Ob der Beweis durch die Vernehmung des Zeugen gelingt, darf das Berufungsgericht nicht vorab, sondern erst nach Vernehmung des Zeugen beurteilen. Von der Vernehmung darf es nicht schon absehen, weil sie im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit einer bestätigenden Aussage nicht erfolgversprechend erscheint.

Bergmann                         Strohn                     Reichart

                   Drescher                      Born