Entscheidungsdatum: 26.06.2018
Steht im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Einziehung eines Geschäftsanteils fest, dass das freie Vermögen der Gesellschaft zur Bezahlung des Einziehungsentgeltes nicht ausreicht, ist der Einziehungsbeschluss auch dann nichtig, wenn die Gesellschaft über stille Reserven verfügt, deren Auflösung ihr die Bezahlung des Einziehungsentgeltes ermöglichen würde (Fortführung von BGH, Urteil vom 24. Januar 2012, II ZR 109/11, BGHZ 192, 236).
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 9. März 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin verlangt von der beklagten GmbH wegen ihres Ausscheidens aus der Gesellschaft die Zahlung einer Abfindung.
Die Gesellschafterversammlung der Beklagten beschloss am 26. Juni 2000, den Geschäftsanteil der Klägerin, der sich damals auf 25 % des Stammkapitals belief, wegen Verletzung der Gesellschafterpflichten einzuziehen. Mit Schreiben vom 28. September 2000 erklärte die Klägerin ihrerseits die Kündigung der Gesellschaft. Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten vom 4. Februar 1994 enthält insoweit folgende Bestimmungen:
"§ 6
Einziehung von Geschäftsanteilen
Ein Geschäftsanteil kann mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters jederzeit eingezogen werden.
Ohne Zustimmung ist die Einziehung des Geschäftsanteils eines Gesellschafters zulässig,
(…)
(
3) |
wenn ein Gesellschafter sich eines so schweren Verstoßes gegen Gesellschafterpflichten schuldig gemacht hat, daß den übrigen Gesellschaftern die Fortsetzung der Gesellschaft mit ihm nicht mehr zugemutet werden kann. |
Anstelle der Einziehung kann die Gesellschafterversammlung beschließen, daß der betroffene Gesellschafter seinen Geschäftsanteil an einen von der Gesellschaft zu benennenden Dritten - oder bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - an die Gesellschaft abzutreten hat.
§ 16
Kündigung
(1) |
Die Gesellschaft kann mit einer Frist von 3 Monaten zum Ende des Kalenderjahres (…) gekündigt werden. (…) |
(2) |
Falls die verbleibenden Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen, scheidet der kündigende Gesellschafter gemäß § 6 aus." |
Die Gesellschafterversammlung der Beklagten beschloss nach der Kündigung der Klägerin die Fortsetzung der Gesellschaft, fasste aber zunächst keinen (weiteren) Beschluss über eine Einziehung oder Abtretung des Geschäftsanteils. Eine von der Klägerin erhobene Auflösungsklage (§ 61 GmbHG) wurde rechtskräftig abgewiesen. Bereits am 21. Dezember 2000 erhielt die Klägerin eine Abfindungszahlung in Höhe von 60.500 DM (30.933,16 €).
Am 9. August 2006 beschloss die Gesellschafterversammlung der Beklagten unter Bezugnahme auf die Kündigung vom 28. September 2000 erneut die Einziehung des Geschäftsanteils der Klägerin sowie eine Ermittlung des noch zu zahlenden Abfindungsbetrags durch Sachverständigengutachten.
Das Landgericht hat der auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von 167.680,84 € gerichteten Klage stattgegeben und dabei offengelassen, ob die Klägerin schon im Jahr 2000 oder erst im Jahr 2006 aus der Gesellschaft ausgeschieden ist. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und diese Entscheidung darauf gestützt, dass die Klägerin bereits mit der Bekanntgabe des Einziehungsbeschlusses vom 26. Juni 2000 ausgeschieden sei.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision strebt die Beklagte die Abweisung der Klage an. Die Klägerin schließt sich der Revision für den Fall an, dass für das Berufungsverfahren eine an den in Betracht kommenden Ausscheidenstatbeständen ausgerichtete Aufgliederung in Hauptantrag und Hilfsanträge anzunehmen sei und das Berufungsurteil die Abweisung des auf den Einziehungsbeschluss vom 9. August 2006 gestützten Hauptantrags beinhalte.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Über die Anschlussrevision der Klägerin ist nicht zu entscheiden.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin sei auf Grund des Einziehungsbeschlusses vom 26. Juni 2000 aus der Beklagten ausgeschieden. Der Gesellschafterbeschluss sei nicht wegen eines Einberufungsmangels nichtig. Der Geschäftsanteil der Klägerin sei 231.750 € wert gewesen, so dass der nach Anrechnung der bereits bezahlten 30.933,16 € verbleibende Abfindungsanspruch jedenfalls den eingeklagten Betrag von 167.680,84 € ausmache.
Dem Abfindungsanspruch stehe nicht entgegen, dass der gerichtliche Sachverständige Dr. L. das freie Vermögen der Beklagten ohne die Aufdeckung stiller Reserven mit lediglich 82.829 € ermittelt habe. Obwohl danach bei der Beschlussfassung am 26. Juni 2000 festgestanden habe, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem, die Kapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen gezahlt werden könne, sei der Einziehungsbeschluss nicht nichtig. Denn vorliegend sei davon auszugehen, dass die Beklagte sich nicht auf das unzureichende freie Vermögen berufen könne, sondern gehalten sei, stille Reserven zu realisieren, die sich nach den Feststellungen des Sachverständigen auf insgesamt 393.251 € belaufen hätten. Die nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 2012 (II ZR 109/11, BGHZ 192, 236) bestehende Verpflichtung der Gesellschafter, zur Vermeidung einer persönlichen Haftung gegebenenfalls stille Reserven aufzulösen, sei auf die Gesellschaft entsprechend zu übertragen.
Der Abfindungsanspruch sei auch nicht verjährt. Denn vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 2012 sei die Rechtslage hinsichtlich des Wirksamwerdens eines nicht nichtigen Einziehungsbeschlusses und damit die Fälligkeit des Abfindungsanspruchs unklar und der Klägerin damit eine Klageerhebung nicht zumutbar gewesen.
II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Aus dem Einziehungsbeschluss vom 26. Juni 2000 kann sich der geltend gemachte Abfindungsanspruch nicht ergeben, weil dieser Beschluss nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichtig war.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Einziehungsbeschluss entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig, wenn bereits bei Beschlussfassung feststeht, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem, die Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen der Gesellschaft gezahlt werden kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 7 mwN; Urteil vom 10. Mai 2016 - II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 Rn. 13). Das Berufungsgericht hat aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen selbst angenommen, dass diese Voraussetzung bei der Beschlussfassung am 26. Juni 2000 vorlag. Diese Annahme wird von den Parteien im Revisionsverfahren geteilt; sie lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen.
2. Der Ansicht des Berufungsgerichts, ein Einziehungsbeschluss sei gleichwohl wirksam, wenn die Gesellschaft über ausreichende stille Reserven verfüge, deren Auflösung für sie zumutbar sei, kann aus Rechtsgründen nicht beigetreten werden. Insbesondere lässt sich aus der Senatsentscheidung vom 24. Januar 2012 (II ZR 109/11, BGHZ 192, 236) für die Auffassung des Berufungsgerichts nichts herleiten.
Das Berufungsgericht berücksichtigt nicht hinreichend, dass die hier in Rede stehende Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Einziehungsbeschlusses in Anwendung der § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 3 GmbHG dem Grundsatz der Kapitalerhaltung und damit dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger dient. Für das im Gläubigerinteresse bestehende Auszahlungsverbot nach § 30 Abs. 1 Satz 1, § 34 Abs. 3 GmbHG gilt eine bilanzielle Betrachtungsweise. Auszahlungen an (ausgeschiedene) Gesellschafter dürfen nicht zur Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz führen. Deren Vorliegen bestimmt sich nicht nach den Verkehrswerten, sondern nach den Buchwerten einer stichtagsbezogenen Handelsbilanz; stille Reserven finden demnach keine Berücksichtigung (BGH, Urteil vom 29. September 2008 - II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 11; Urteil vom 5. April 2011 - II ZR 263/08, ZIP 2011, 1104 Rn. 17).
Diese der Kapitalerhaltung dienenden Regelungen können nicht unter Hinweis darauf überspielt werden, dass die Gesellschaft über stille Reserven verfüge, die aufgelöst werden könnten. Die bloße Möglichkeit einer Auflösung stiller Reserven steht einer hinreichenden Ausstattung der Gesellschaft mit ungebundenem Vermögen nicht gleich. Zwischen den durch § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 3 GmbHG begrenzten Zahlungspflichten der Gesellschaft gegenüber einem ausgeschiedenen Gesellschafter und den auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Pflichten der Mitgesellschafter, die das Kapitalerhaltungsgebot nicht berühren, ist daher strikt zu unterscheiden. So ist die Gesellschaft auch nach einem wirksam gefassten Einziehungsbeschluss gemäß § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 3 GmbHG an einer späteren Bezahlung der Abfindung gehindert, soweit sie nicht aus freiem Vermögen geleistet werden kann (BGH, Urteil vom 10. Mai 2016 - II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 Rn. 22). Das Vorhandensein stiller Reserven ändert hieran nichts. Gerade deshalb besteht in dem Fall, dass der Einziehungsbeschluss wirksam ist, sich das freie Vermögen aber später als unzureichend erweist und die Gesellschaft die geschuldete Abfindung wegen der Sperre aus § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG nicht auszahlen darf, ein Bedürfnis für eine persönliche Haftung der anderen Gesellschafter, die nach der Rechtsprechung des Senats unter bestimmten Voraussetzungen, etwa weil sie eine Auflösung stiller Reserven treupflichtwidrig unterlassen, zur anteiligen Zahlung der Abfindung verpflichtet sind (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 13 ff.; Urteil vom 10. Mai 2016 - II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 Rn. 22 f.).
Ist wie im Streitfall der Einziehungsbeschluss nichtig, weil schon bei Beschlussfassung feststeht, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem Vermögen gezahlt werden kann, ist allerdings auch kein Raum für eine subsidiäre Haftung der anderen Gesellschafter. Im Hinblick auf ein berechtigtes Interesse des betroffenen Gesellschafters daran, an einem Ausscheiden aus der Gesellschaft nicht dauerhaft gehindert zu sein, können die anderen Gesellschafter aber aus Treuepflicht gehalten sein, Maßnahmen zu ergreifen, die ein Ausscheiden ermöglichen; so können sie etwa verpflichtet sein, auf eine Auflösung stiller Reserven hinzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2006 - II ZR 62/04, ZIP 2006, 703 Rn. 37 f.).
III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
1. Die Klägerin ist nicht durch ihre Kündigung vom 28. September 2000 aus der Gesellschaft ausgeschieden.
Nach dem Gesellschaftsvertrag (künftig: GV), den der Senat insoweit selbst auslegen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 1993 - II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350 mwN), führt eine nach § 16 GV mögliche Kündigung erst dann zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters, wenn die verbleibenden Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen und die Gesellschafterversammlung außerdem die Einziehung oder Abtretung des Geschäftsanteils beschließt. Die Notwendigkeit des weiteren Beschlusses ergibt sich daraus, dass § 16 (2) GV ein Ausscheiden "gemäß § 6" vorsieht. Damit wird auf die Möglichkeit der Einziehung verwiesen, an deren Stelle nach Wahl der Gesellschafter auch der Beschluss einer Abtretungsverpflichtung treten kann.
Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich nicht, dass die Gesellschafterversammlung der Beklagten den zur Umsetzung der Kündigung notwendigen Beschluss bereits vor dem 9. August 2006 gefasst hätte.
2. Ob die Klägerin infolge des Einziehungsbeschlusses vom 9. August 2006 aus der Gesellschaft ausgeschieden ist und deshalb den geltend gemachten Abfindungsbetrag beanspruchen kann, muss im Revisionsverfahren offen bleiben. Das Berufungsgericht hat sich, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, mit dem Einziehungsbeschluss vom 9. August 2006 nicht befasst und hierzu keine Feststellungen getroffen. Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht entscheiden, ob der Beschluss wirksam ist und bejahendenfalls der zur Entscheidung gestellte Abfindungsanspruch in einer bestimmten Höhe begründet ist.
IV. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Einziehungsbeschluss vom 9. August 2006 den Klageanspruch rechtfertigt.
Über die hilfsweise Anschlussrevision der Klägerin ist nicht zu entscheiden, da die Bedingung für die Anschlussrevision nicht eingetreten ist. Dem Berufungsurteil kann keine teilweise Klageabweisung entnommen werden, die unabhängig vom Erfolg der Revision der Beklagten Bestand haben könnte.
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