Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 29.07.2014


BGH 29.07.2014 - II ZR 240/13

Beteiligung eines Kapitalanlegers an einer atypisch stillen Gesellschaft in Form einer Publikumsgesellschaft: Schadensersatzanspruch des Anlegers nach außerordentlicher Kündigung; Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft bei vorvertraglichem Aufklärungsverschulden


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
29.07.2014
Aktenzeichen:
II ZR 240/13
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 17. Juni 2013, Az: 11 U 154/10vorgehend LG Hamburg, 30. Juli 2010, Az: 309 O 334/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 17. Juni 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seiner gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage zurückgewiesen wurde.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger beteiligte sich mit Beitrittserklärung vom 22. September 2001 als atypisch stiller Gesellschafter an der Beklagten zu 1 mit einer „Einmaleinlage" von 95.000 DM zuzüglich 5.700 DM Agio.

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Der Kläger hat behauptet, der Vermittler, dessen Verhalten sich die Beklagte zu 1 zurechnen lassen müsse, habe ihn nicht hinreichend aufgeklärt, ferner weise der für seine Anlageentscheidung maßgebliche Emissionsprospekt 2000/2001 zahlreiche, von ihm im Einzelnen dargelegte Fehler auf. Die Beklagte zu 1 sowie die Beklagte zu 2, deren Rechtsvorgängerin im Zusammenhang mit der Erstellung des Emissionsprospekts sein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen habe, seien ihm daher zum Schadensersatz verpflichtet. Der Kläger hat von den Beklagten zuletzt Rückzahlung seiner geleisteten Einlage nebst Agio abzüglich erhaltener Ausschüttungen in Höhe von 24.830,36 €, mithin 26.657,10 € Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte aus der stillen Beteiligung sowie entgangenen Gewinn und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Ferner hat er die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagten in Annahmeverzug befinden.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1 sein Klagebegehren weiter; die im Hinblick auf die Beklagte zu 2 eingelegte Revision hat er zurückgenommen. Die Beklagte zu 1 (im Folgenden: Beklagte) beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

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Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

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Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Rückabwicklung seiner Beitrittsentscheidung und Rückzahlung des geleisteten Beteiligungsbetrags im Wege des Schadensersatzes unabhängig von der Frage eines Aufklärungsmangels schon grundsätzlich nicht zu. Die Beklagte sei mit dem Kläger und den weiteren in gleicher Weise an ihr beteiligten Anlegern durch eine mehrgliedrige atypisch stille Gesellschaft verbunden, auf die die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft wie bei einer Publikumsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG mit der Folge anzuwenden seien, dass der einzelne Gesellschafter gegen die Gesellschaft grundsätzlich nur einen etwaigen Abfindungsanspruch geltend machen könne. Das streitgegenständliche Gesellschaftsverhältnis sei kein zweigliedriges, bei dem die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft einem Anspruch auf Rückgewähr der Einlage dann nicht entgegenstünden, wenn der Inhaber des Handelsgeschäfts verpflichtet sei, den stillen Gesellschafter im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als hätte dieser den Gesellschaftsvertrag nicht geschlossen. Es liege vielmehr eine mehrgliedrige stille Gesellschaft in Form einer Publikumsgesellschaft vor, bei der die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft dem Anspruch auf Rückgewähr der Einlage entgegenstünden.

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Etwas anderes folge auch nicht daraus, dass der Kläger die außerordentliche Kündigung seiner Beteiligung erklärt und seine Beteiligungserklärung zudem angefochten habe, da auch die Anfechtung und die Kündigung nur zu einer Beendigung der Beteiligung ex nunc führten. Selbst ausgehend von einer Beendigung der Beteiligung des Klägers an der Beklagten ex nunc stehe dem Kläger allerdings auch unter dem Gesichtspunkt eines eventuellen Abfindungsguthabens kein Zahlungsanspruch zu, weil sich nicht feststellen lasse, dass dem Kläger ein positives Abfindungsguthaben in Höhe der Klageforderung oder aber abweichend in geringerer Höhe zustehe.

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II. Die Revision des Klägers ist begründet.

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1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass zwischen den Parteien kein bloß zweigliedriges Gesellschaftsverhältnis zustande gekommen ist, sondern der Kläger einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft in Form einer Publikumsgesellschaft beigetreten ist, bei der nach Invollzugsetzung für den Fall etwaiger anfänglicher Mängel die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung finden, ist zwar aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wie der Senat in den am 19. November 2013 verkündeten Urteilen in entsprechende Beteiligungen an der Beklagten betreffenden Parallelverfahren im Einzelnen begründet hat (BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 17 ff.; Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 320/12, juris, Rn. 14 ff.). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft aber einen Anspruch des Klägers auf Ersatz von Vermögensschäden, die ihm - nach seinem Vorbringen - durch pflichtwidriges Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Zusammenhang mit seinem Beitritt zur Gesellschaft entstanden sind, nicht von vornherein aus. Auch bei Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft kann, wie der Senat weiter entschieden hat, der Anleger, der sich an einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft beteiligt hat, das stille Gesellschaftsverhältnis unter Berufung auf den (behaupteten) Vertragsmangel durch sofort wirksame Kündigung beenden und unter Anrechnung des ihm bei Beendigung seines (fehlerhaften) Gesellschaftsverhältnisses gegebenenfalls zustehenden Abfindungsanspruchs von dem Geschäftsinhaber Ersatz eines darüber hinausgehenden Schadens verlangen, wenn dadurch die gleichmäßige Befriedigung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter nicht gefährdet ist (BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 28 ff.).

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2. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Kläger nach diesen Grundsätzen ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zusteht, hat das Berufungsgericht von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus nicht geprüft. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Abweisung der Klage daher keinen Bestand haben. Sie stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

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Da in der Erklärung eines Gesellschafters, seinen Beitritt mit rückwirkender Kraft beseitigen zu wollen, in der Regel sein Wille zum Ausdruck kommt, die Bindung an die Gesellschaft und die Mitgesellschafter jedenfalls mit sofortiger Wirkung zu beenden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1974 - II ZR 27/73, BGHZ 63, 338, 344 f.; Urteil vom 16. Dezember 2002 - II ZR 109/01, BGHZ 153, 214, 223), kann auch im vorliegenden Fall von einer Kündigung des (stillen) Gesellschaftsverhältnisses durch den Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs dieser Erklärung bei der Beklagten ausgegangen werden. Dass der Kläger seinen Schadensersatzanspruch nicht unter Anrechnung eines auf diesen Zeitpunkt bezogenen etwaigen Abfindungsguthabens berechnet hat, rechtfertigt eine (vollständige) Abweisung der Klage nicht, weil der Geschädigte nicht ohne weiteres an eine von ihm ursprünglich gewählte Art der Schadensberechnung gebunden ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 4 mwN) und dem Kläger daher Gelegenheit gegeben werden muss, sein Klagevorbringen an die in den Vorinstanzen nicht erörterten, oben angesprochenen rechtlichen Vorgaben der Senatsentscheidungen vom 19. November 2013 anzupassen. Für die Berechnung seines etwaigen Abfindungsanspruchs, dem die nur den weitergehenden Schadensersatzanspruch betreffende, auf die Sicherung ungeschmälerter eventueller Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der anderen stillen Gesellschafter gerichtete Sperre nicht entgegenstünde, ist der Kläger zudem auf die Mitwirkung der Beklagten angewiesen, die gemäß § 16 Nr. 1 Buchst. g des stillen Gesellschaftsvertrags mit der Ermittlung des auf diesen Zeitpunkt bezogenen Abfindungsguthabens einen Wirtschaftsprüfer zu beauftragen hat. Die auf den Zeitpunkt der ordentlichen Kündigung der Beteiligung zum 31. Dezember 2011 bezogenen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen sich nicht ohne weiteres auf den früheren Zeitpunkt der Beendigungserklärung durch das Verlangen der Rückgängigmachung der Beteiligung übertragen. Ein etwaiges negatives Abfindungsguthaben würde im Übrigen der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches aus den oben genannten Gründen nicht entgegenstehen, sondern wäre im Gegenteil bei der Bemessung des von der Beklagten gegebenenfalls zu ersetzenden Schadens zu deren Lasten zu berücksichtigen.

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Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts und des Vorbringens der Parteien kann auch nicht angenommen werden, dass einem über einen Abfindungsanspruch hinausgehenden Schadensersatzbegehren des Klägers zur Sicherung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der Mitgesellschafter der Erfolg zu versagen wäre. Ob und in welcher Höhe solche (hypothetischen) Ansprüche der anderen stillen Gesellschafter bestehen und aus dem Vermögen der Beklagten befriedigt werden können, steht nicht fest und müsste gegebenenfalls die Beklagte darlegen und beweisen, wenn sie sich einem Schadensersatzanspruch des Klägers gegenüber darauf berufen wollte, dieser sei wegen einer Gefährdung der Abfindungs- und Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter zumindest gegenwärtig nicht oder nicht in voller Höhe durchsetzbar. Im Übrigen wäre selbst für den Fall des Bestehens eines solchen Hindernisses das auf Zahlung eines bestimmten Schadensersatzbetrages gerichtete Leistungsbegehren des Klägers dahin auszulegen, dass jedenfalls die Feststellung des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs in dieser Höhe begehrt wird. Sofern die sonstigen Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs gegeben sind, stünde der Umstand, dass das Vermögen der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung zur Befriedigung etwaiger (hypothetischer) Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche und des Schadensersatzanspruchs nicht ausreichte, einer Feststellung seines Bestehens nicht entgegen.

13

III. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es die bislang offen gebliebenen Feststellungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen des von dem Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruchs treffen kann.

Bergmann                      Strohn                        Caliebe

                   Reichart                     Sunder