Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 01.10.2014


BFH 01.10.2014 - II R 32/13

Einheitlicher Erwerbsvorgang im Grunderwerbsteuerrecht


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
01.10.2014
Aktenzeichen:
II R 32/13
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 20. März 2013, Az: 7 K 28/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Ergibt sich aus weiteren Vereinbarungen, die mit dem Grundstückskaufvertrag in einem rechtlichen oder zumindest objektiv sachlichen Zusammenhang stehen, dass der Erwerber das beim Abschluss des Kaufvertrags unbebaute Grundstück in bebautem Zustand erhält, bezieht sich der grunderwerbsteuerrechtliche Erwerbsvorgang auf diesen einheitlichen Erwerbsgegenstand .

2. NV: Der objektiv sachliche Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und weiteren Vereinbarungen wird indiziert, wenn die Veräußererseite dem Erwerber vor Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück ein bestimmtes Gebäude zusammen mit dem Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis angeboten hatte und der Erwerber dieses Angebot später unverändert oder mit geringen Abweichungen angenommen hat .

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wandten sich an den ihnen persönlich bekannten S, der ein ihm gehörendes unbebautes Grundstück zum Verkauf anbot. S ist zugleich Gesellschafter und Geschäftsführer der S-GmbH.

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Die S-GmbH erstellte für die Kläger am 25. November 2005 einen Lageplan und am 7. Dezember 2005 eine Bauzeichnung über die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem angebotenen Grundstück. Am 28. Dezember 2005 schlossen die Kläger mit der S-GmbH einen Bauvertrag über die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem angebotenen Grundstück gegen eine Festvergütung in Höhe von 129.659 €. Unter § 14 des Vertrages "Sonstiges" war der Erwerb des angebotenen Grundstücks durch die Auftraggeber vorgesehen.

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Am 4. Januar 2006 erklärten die Kläger gegenüber der S-GmbH die Kündigung des Bauvertrages. Zugleich teilten sie mit, sie hofften, auf das Angebot zu einem späteren Zeitpunkt zurückkommen zu können. Mit Schreiben vom 11. Januar 2006 bestätigte die S-GmbH den Eingang der Kündigung.

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Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 13. Januar 2006 erwarben die Kläger das von S angebotene Grundstück zu einem Kaufpreis in Höhe von 20.000 €. Die Baubehörde erteilte ihnen am 16. Januar 2006 die Baugenehmigung für die am 14. Dezember 2005 beantragte Errichtung eines Einfamilienhauses. Am 27. Februar 2006 schlossen die Kläger erneut einen Bauvertrag mit der S-GmbH über die Errichtung eines Einfamilienhauses zu einem Gesamtpreis in Höhe von 129.659 €. Der Vertrag entspricht bis auf § 14 des Vertrages "Sonstiges" inhaltlich dem Vertrag vom 28. Dezember 2005. Aufgrund mehrerer Nachträge zum Bauvertrag verminderte sich die Gesamtauftragssumme auf 129.257,54 €.

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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte zunächst mit Bescheiden vom 16. Februar 2006 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung die Grunderwerbsteuer für die Kläger ausgehend von dem Grundstückskaufpreis in Höhe von 20.000 € auf jeweils 350 € fest. Mit geänderten Bescheiden vom 18. Juni 2009 setzte das FA die Grunderwerbsteuer unter Berücksichtigung des Grundstückskaufpreises und der Bauerrichtungskosten in Höhe von insgesamt 149.257 € auf jeweils 2.611 € fest. Die Einsprüche wurden als unbegründet zurückgewiesen.

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Dagegen richteten sich die getrennt erhobenen, später zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Seiner Ansicht nach habe das FA zu Unrecht die Kosten für das nach Erwerb des unbebauten Grundstücks hergestellte Wohngebäude in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen. Selbst wenn man der vom FG aus grundsätzlichen Erwägungen heraus abgelehnten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) folge, bildeten der Grundstückskaufvertrag und der Vertrag über die Errichtung des Gebäudes keinen so genannten "einheitlichen Leistungsgegenstand" im Sinne dieser Rechtsprechung. Infolge der Kündigung vom 4. Januar 2006 habe im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages kein annahmefähiges Angebot der Veräußererseite mehr vorgelegen.

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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Seiner Ansicht nach lag zwischen dem Veräußerer des Grundstücks und der das Wohngebäude errichtenden Baufirma ein erkennbar abgestimmtes Verhalten vor. Dieses sei darauf gerichtet gewesen, den Klägern ein bebautes Grundstück zu verschaffen. Die Kläger hätten das vor Grundstückserwerb bestehende Angebot zur Bebauung unverändert angenommen.

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Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG war das Grundstück im bebauten Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs.

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1. Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG die als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung richtet, wird zunächst durch das den Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllende zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ergibt sich jedoch aus weiteren Vereinbarungen, die mit diesem Rechtsgeschäft in einem rechtlichen oder zumindest objektiv sachlichen Zusammenhang stehen, dass der Erwerber das beim Abschluss des Kaufvertrages unbebaute Grundstück in bebautem Zustand erhält, bezieht sich der grunderwerbsteuerrechtliche Erwerbsvorgang auf diesen einheitlichen Erwerbsgegenstand (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Urteile vom 28. März 2012 II R 57/10, BFHE 237, 460, BStBl II 2012, 920; vom 27. September 2012 II R 7/12, BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86; vom 19. Juni 2013 II R 3/12, BFHE 242, 173, BStBl II 2013, 965, und vom 27. November 2013 II R 56/12, BFHE 243, 415, BStBl II 2014, 534).

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a) Ob ein objektiv sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und weiteren Vereinbarungen besteht, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln (BFH-Urteile in BFHE 237, 460, BStBl II 2012, 920, Rz 12; in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 10, und in BFHE 242, 173, BStBl II 2013, 965, Rz 11). Der objektiv sachliche Zusammenhang wird indiziert, wenn der Veräußerer dem Erwerber vor Abschluss des Kaufvertrages über das Grundstück aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude zusammen mit dem Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis angeboten hatte und der Erwerber dieses Angebot später unverändert oder mit geringen Abweichungen, die den Charakter der Baumaßnahmen nicht verändert haben, angenommen hat (BFH-Urteile in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 10; in BFHE 242, 173, BStBl II 2013, 965, Rz 11, und vom 26. Februar 2014 II R 54/12, BFH/NV 2014, 1403, Rz 10, jeweils m.w.N.). Für die Indizwirkung reicht es aus, dass das Angebot zur Errichtung des Gebäudes zum Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrages noch in tatsächlicher Hinsicht bestanden hat; eine rechtliche Wirksamkeit des Angebots ist insoweit nicht erforderlich.

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b) Auf der Veräußererseite können dabei mehrere Personen als Vertragspartner auftreten, so dass sich die Ansprüche des Erwerbers auf Übereignung des Grundstücks und auf Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich gegen verschiedene Personen richten. Entscheidend ist insoweit, dass (auch) der den Grundstücksübereignungsanspruch begründende Vertrag in ein Vertragsgeflecht miteinbezogen ist, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Erwerbsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen (BFH-Urteile vom 23. November 1994 II R 53/94, BFHE 176, 450, BStBl II 1995, 331; vom 21. September 2005 II R 49/04, BFHE 211, 530, BStBl II 2006, 269; in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 12; in BFHE 242, 173, BStBl II 2013, 965, Rz 13, und in BFH/NV 2014, 1403, Rz 11, jeweils m.w.N.). Dies ist regelmäßig u.a. dann anzunehmen, wenn die auf der Veräußererseite auftretenden Personen personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich eng verbunden sind (BFH-Urteile in BFHE 242, 173, BStBl II 2013, 965, Rz 13, und in BFH/NV 2014, 1403, Rz 11).

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2. Zu Unrecht geht das FG in der Vorentscheidung davon aus, die Rechtsprechung des BFH zum "einheitlichen Erwerbsgegenstand" finde im GrEStG keine Rechtsgrundlage, verstoße gegen die Einheit der Steuerrechtsordnung, gegen das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot und gegen Unionsrecht. Das Bundesverfassungsgericht --BVerfG-- (Beschluss vom 27. Dezember 1991  2 BvR 72/90, BStBl II 1992, 212), der Gerichtshof der Europäischen Union (Beschluss Vollkommer, C-156/08, EU:C:2008:663) und der erkennende Senat (vgl. zuletzt Urteil in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 14, m.w.N.) haben bereits eingehend dargelegt, weshalb diese Bedenken nicht durchgreifen. Die gegen das Urteil des Senats in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86 eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 20. Mai 2013  1 BvR 2766/12).

15

Eine Divergenz zu der Rechtsprechung des V. Senats des BFH, der für Zwecke der Umsatzsteuer unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls von einer einheitlichen Leistung ausgeht und die Umsatzsteuer durch die grunderwerbsteuerrechtliche Beurteilung des Leistungsgegenstandes nicht betroffen sieht (vgl. BFH-Urteile vom 24. Januar 2008 V R 42/05, BFHE 221, 316, BStBl II 2008, 697; vom 19. März 2009 V R 50/07, BFHE 225, 224, BStBl II 2010, 78), besteht ebenfalls nicht (BFH-Urteil in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 14).

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3. Das FG hat ebenfalls zu Unrecht angenommen, dass die Voraussetzungen eines einheitlichen Erwerbsgegenstands aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht erfüllt sind. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Aufgrund der Vorplanungen seitens der S-GmbH und des Bauvertrages vom 28. Dezember 2005 wurde den Klägern vor Abschluss des Kaufvertrages über das Grundstück ein bestimmtes Gebäude auf dem Grundstück zu einem feststehenden Preis angeboten. Dass der Grundstückskaufvertrag mit dem S und der Bauvertrag mit der S-GmbH geschlossen wurden, steht dem Vorliegen eines einheitlichen Erwerbsgegenstandes nicht entgegen, denn der Grundstückseigentümer S war zugleich Geschäftsführer und Gesellschafter der S-GmbH und daher mit dem Bauträger gesellschaftsrechtlich eng verbunden.

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Dieses auf den Erwerb und die Bebauung des Grundstücks gerichtete Angebot der Veräußererseite haben die Kläger durch Abschluss des Kaufvertrages am 13. Januar 2006 und des Bauvertrages am 27. Februar 2006 unverändert angenommen. Das indiziert einen objektiv sachlichen Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und dem Bauerrichtungsvertrag und rechtfertigt die Annahme, dass das Grundstück im Zustand der späteren Bebauung Gegenstand des Erwerbs war.

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Diese Indizwirkung wird durch die Kündigung des ursprünglichen Bauvertrages vom 28. Dezember 2005 nicht widerlegt. Der Abschluss des inhaltlich unveränderten Bauvertrages am 27. Februar 2006 ist vielmehr auf das ursprüngliche Angebot zur Bebauung des Grundstücks zurückzuführen. Anderenfalls hätten die Kläger nicht wenige Wochen nach dem Grundstückskaufvertrag einen unveränderten Bauvertrag unterzeichnen und das Bauvorhaben verwirklichen können. Die Baugenehmigung vom 16. Januar 2006 beruht auf den Vorplanungen und der Baubeschreibung, die bereits Gegenstand des Bauvertrages vom 28. Dezember 2005 waren.

20

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO.