Entscheidungsdatum: 05.04.2011
1. Die AdV eines Grunderwerbsteuerbescheids, dessen Bemessungsgrundlage sich aus einem Grundbesitzwert ergibt, kommt nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 11 i.V.m. § 8 Abs. 2 GrEStG und §§ 138 ff. BewG in Betracht .
2. Im Verfahren über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zu beachten, dass regelmäßig keine weitergehende Entscheidung getroffen werden kann als vom BVerfG zu erwarten ist .
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine vormalige Gesellschaft luxemburgischen Rechts, vereinigte in ihrer Hand aufgrund eines Vertrags vom 2. Dezember 2008 alle Anteile der T S.a.r.l. (T) mit Sitz in Luxemburg. Zum Vermögen der T gehörten zahlreiche inländische Grundstücke.
Das Finanzamt S erließ am 3. März 2010 gegenüber der Antragstellerin gemäß § 17 Abs. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) einen Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer im Hinblick auf die durch den Vertrag vom 2. Dezember 2008 verwirklichte Vereinigung aller Anteile (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG) der T in der Hand der Antragstellerin.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) setzte gegen die Antragstellerin durch geänderten Bescheid vom 6. August 2010 Grunderwerbsteuer in Höhe von 231.175 € fest. Der Bescheid erging gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 der Abgabenordnung (AO) vorläufig hinsichtlich der Frage, ob die Heranziehung der Grundbesitzwerte i.S. des § 138 des Bewertungsgesetzes (BewG) als Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist. Die Bemessungsgrundlage von 6.605.000 € ergab sich aus einer Schätzung in Höhe von 50 v.H. des Marktwerts der insgesamt zwölf im Bezirk des FA gelegenen Grundstücke der T. Für diese Grundstücke lagen die vom FA bei den Lagefinanzämtern angeforderten Feststellungsbescheide über die Grundbesitzwerte noch nicht vor. Über den Einspruch ist noch nicht entschieden.
Die Antragstellerin beantragte zunächst beim FA und danach beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids auszusetzen und machte unter Hinweis auf die Beschlüsse des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. Mai 2009 II R 64/08 (BFHE 225, 508, BStBl II 2009, 856) und vom 29. Juli 2009 II R 8/08 (BFH/NV 2010, 60) verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in § 8 Abs. 2 GrEStG angeordnete Heranziehung der Grundbesitzwerte i.S. der §§ 138 ff. BewG als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer geltend. Ferner habe das FA das ihm durch § 155 Abs. 2 AO eröffnete Ermessen, einen Steuerbescheid (Folgebescheid) vor Erlass des Grundlagenbescheids zu erteilen, nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
Das FG hat die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 6. August 2010 bis zum Ergehen der für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage erforderlichen Grundbesitzwertfeststellungsbescheide ausgesetzt und ab Fälligkeit der Grunderwerbsteuer bis zum Ergehen der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung aufgehoben. Es bestünden im Hinblick auf die gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG anzuwendenden §§ 138 ff. BewG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids. Dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin stehe kein überwiegendes öffentliches Interesse und insbesondere nicht das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung entgegen.
Das FG hat die Beschwerde zugelassen.
Das FA hat Beschwerde eingelegt und wie folgt begründet: Das FG habe bei seiner Entscheidung die große Breitenwirkung einer Aussetzung der Vollziehung (AdV) verkannt. Unter Zugrundelegung der von der Antragstellerin angesetzten Verkehrswerte schon für alle in Schleswig-Holstein gelegenen Grundstücke ergebe sich eine Grunderwerbsteuer in Höhe von etwa 3 Mio. €. Für den Haushalt des Landes Schleswig-Holstein sei dieser Betrag keine unerhebliche Größe.
Das FA beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags auf AdV.
1. Gemäß § 69 Abs. 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen.
Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 86, m.w.N.). Solche Umstände sind im Streitfall nicht gegeben.
2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids im Hinblick darauf, dass dieser als Folgebescheid gemäß § 155 Abs. 2 AO vor dem Erlass der nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 3 und § 151 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 BewG erforderlichen gesonderten Feststellungsbescheide ergangen ist, bestehen nicht. § 155 Abs. 2 AO lässt die Erteilung eines Steuerbescheids ausdrücklich zu, auch wenn ein Grundlagenbescheid noch nicht erlassen wurde. Im Streitfall ist auch dem Erfordernis, dass ein auf § 155 Abs. 2 AO gestützter Steuerbescheid einen klaren und eindeutigen Hinweis auf eine insoweit nur vorläufig getroffene Regelung enthalten muss (vgl. BFH-Urteile vom 19. April 1989 X R 3/86, BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596; vom 11. Dezember 1997 III R 14/96, BFHE 185, 177, BStBl II 1999, 401), hinreichend Rechnung getragen. Denn in dem angefochtenen Bescheid ist durch die ausdrückliche Kennzeichnung der zugrunde gelegten Bemessungsgrundlage als "Schätzwert" sowie den weiteren Hinweis, dass der Gesamtbetrag der Grundbesitzwerte "0" € betrage, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Regelung im Vorgriff auf die noch ausstehenden Bescheide über die gesonderte Feststellung der Grundbesitzwerte erfolgte.
Aus dem Vorbringen der Antragstellerin, das FA habe sein in § 155 Abs. 2 AO eingeräumtes Ermessen zum Erlass eines Steuerbescheids vor Ergehen der Grundlagenbescheide nicht ausgeübt, ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Dabei kann offen bleiben, ob das nur den Zeitpunkt der Entscheidung betreffende Ermessen i.S. des § 155 Abs. 2 AO (vgl. Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 155 AO Rz 44) überhaupt einer Begründung bedarf oder ob insoweit die bei Ausübung sog. intendierten Ermessens (dazu Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 5 AO Rz 14) geltenden Begründungserleichterungen anzuwenden sind. Es sind jedenfalls weder aus dem Vorbringen der Antragstellerin noch nach Aktenlage Gesichtspunkte erkennbar, aus denen sich eine Ermessensbeschränkung des FA ergeben könnte. Überdies kann die fehlende Begründung einer Ermessensentscheidung gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO noch im Einspruchsverfahren nachgeholt werden.
3. Die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids ist auch nicht deshalb auszusetzen, weil die Verfassungsmäßigkeit der Bemessung der Grunderwerbsteuer nach Maßgabe der --im Streitfall geschätzten-- Grundbesitzwerte (§ 11 i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG und § 138 Abs. 2 bis 4 BewG) ernstlich zweifelhaft ist.
a) Der Senat ist zwar, wie er in seinen Vorlagebeschlüssen vom 2. März 2011 II R 64/08 und II R 23/10 (BFHE 232, 358) an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausgeführt hat, von der Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften überzeugt. Daraus ergeben sich auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids.
Für Verfahren über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist aber zu beachten, dass regelmäßig keine weitergehende Entscheidung getroffen werden kann als vom BVerfG zu erwarten ist (BFH-Beschlüsse vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782; vom 11. September 1996 II B 32/96, BFH/NV 1997, 270; vom 17. Juli 2003 II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 88; a.A. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 96).
b) Für die im Streitfall maßgebenden Vorschriften des § 11 i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG und § 138 Abs. 2 bis 4 BewG kann nicht angenommen werden, dass diese auf die Vorlagebeschlüsse des Senats vom 2. März 2011 II R 64/08 und II R 23/10 (BFHE 232, 358) hin vom BVerfG rückwirkend für nichtig erklärt werden. Nach der ständigen Spruchpraxis des BVerfG (vgl. etwa Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2010, 1721, m.w.N.) ist regelmäßige Folge einer --wie hier in Betracht kommenden-- Verletzung des Gleichheitssatzes die Unvereinbarkeitserklärung. Dabei kommt eine befristete Fortgeltungsanordnung einer als verfassungswidrig erkannten Bestimmung u.a. aus Gesichtspunkten einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung in Betracht (BVerfG--Beschluss in DStR 2010, 1721, m.w.N.). Demgemäß hat das BVerfG auch in seinem zur Erbschaftsteuer ergangenen Beschluss vom 7. November 2006 1 BvL 10/02 (BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter D.II.) die befristete weitere Anwendung des geltenden Erbschaftsteuerrechts bis zur gesetzlichen Neuregelung zugelassen und dies mit Erfordernissen einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend abgeschlossenen Veranlagung begründet.
Der Senat vermag nichts für eine davon abweichende Beurteilung für den Fall zu erkennen, dass das BVerfG § 11 i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG und § 138 Abs. 2 bis 4 BewG für verfassungswidrig erklären sollte. Das BVerfG ist zwar bereits in seinem zur Erbschaftsteuer ergangenen Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter C.II.2.g zum Ergebnis gelangt, §§ 138 ff. BewG genügten in allen Teilbereichen nicht den Vorgaben des Gleichheitssatzes. Der vorgenannten Entscheidung kommt jedoch, wie der Senat in seinen Vorlagebeschlüssen vom 2. März 2011 II R 64/08 und II R 23/10 näher ausgeführt hat, keine Bindungswirkung im Hinblick auf die Anwendung des § 11 i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG und § 138 Abs. 2 bis 4 BewG zu.