Entscheidungsdatum: 24.09.2013
Atemtest II
1. Einer Feststellung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gemäß § 21 Abs. 4 AMG über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels kommt im Rahmen des § 4 Nr. 11 UWG Tatbestandswirkung zu.
2. Die Tatbestandswirkung eines (nicht nichtigen) Verwaltungsakts entfällt nicht dadurch, dass dieser angefochten ist und die Anfechtung aufschiebende Wirkung hat.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 aufgehoben.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 20. April 2011 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Die Klägerin betreibt ein pharmazeutisches Unternehmen, das unter anderem 13C-Harnstoff-Atemtests zum Nachweis einer Infektion des Magens mit Helicobacter-pylori-Bakterien herstellt und bundesweit vertreibt. Der Beklagte ist Apotheker und verfügt über eine Versanderlaubnis nach § 11a ApoG. Er stellt ebenfalls einen 13C-Harnstoff-Atemtest in Form von Harnstoffkapseln her, den er auf Anforderung an Ärzte und Krankenhäuser vertreibt. Beide Parteien verwenden als Rohstoff und alleinigen Wirkstoff im Sinne des Arzneimittelrechts 13CHarnstoff-Pulver, das sie mit einem Reinheitsgrad von 99% von einem industriellen Hersteller beziehen.
Der Beklagte misst nach der Identitätsprüfung des mit einem Prüfzertifikat versehenen Rohstoffs mittels eines Massenspektrometers Portionen von in der Regel 75 mg ab, wobei er das 13C-Harnstoff-Pulver zur besseren Dosierung mit einem Hilfsstoff vermischt, der zu 99,5% aus Mannitol und im Übrigen aus Aerosil besteht. Im Anschluss daran füllt er das Produkt in Kapseln, verschließt diese, packt sie ab und kennzeichnet sie.
Nach Ansicht der Klägerin benötigt der Beklagte für den von ihm vertriebenen Atemtest eine arzneimittelrechtliche Zulassung. Die Voraussetzungen für eine Freistellung von der Zulassungspflicht für einen Apotheker lägen nicht vor.
Das Landgericht hat der auf Unterlassung des Vertriebs und der Bewerbung des Atemtests des Beklagten gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
I. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch der Klägerin gemäß §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG bejaht und dazu ausgeführt:
Die vom Beklagten hergestellten und vertriebenen Kapseln seien ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 AMG. Eine Ausnahme von der Zulassungspflicht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG liege nicht vor, weil der Beklagte die Kapseln nicht in den wesentlichen Schritten in seiner Apotheke herstelle. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte die Kapseln zumindest zum Teil als Rezepturarzneimittel in einer Weise vertreibe, die nicht dem § 4 Abs. 1 AMG unterfalle. Einem Verbot nach § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG stehe auch nicht entgegen, dass die Apothekenaufsicht das Verhalten des Beklagten nicht untersagt habe.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage. Dabei kann dahinstehen, ob die Annahme des Berufungsgerichts zutrifft, die Verhaltensweise des Beklagten unterfalle nicht dem Privilegierungstatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG. Der Klägerin steht der Unterlassungsanspruch jedenfalls deshalb nicht (mehr) zu, weil das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM; im Weiteren: Bundesinstitut) mit Bescheid vom 6. Juni 2012 (im Weiteren: Feststellungsbescheid) gemäß § 21 Abs. 4 AMG festgestellt hat, dass es sich bei den 13C-Harnstoffkapseln des Beklagten nicht um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt.
1. Der Unterlassungsanspruch ist in die Zukunft gerichtet. Er muss daher auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehen, auf die das vorliegende Urteil ergeht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - I ZR 81/10, GRUR 2012, 945 Rn. 30 = WRP 2012, 1222 - Tribenuronmethyl; Urteil vom 31. Mai 2012 - I ZR 45/11, GRUR 2012, 949 Rn. 36 = WRP 2012, 1086 - Missbräuchliche Vertragsstrafe).
2. Der Feststellungsbescheid ist im vorliegenden Revisionsverfahren zu berücksichtigen. Der Umstand, dass er erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz erlassen worden ist, steht seiner Berücksichtigung nicht entgegen. Die Bestimmung des § 559 Abs. 1 ZPO verbietet nicht generell die Einführung neuer Tatsachen. Als ausnahmsweise auch im Revisionsverfahren noch zu beachtende Tatsache ist unter anderem der (nachträgliche) Erlass eines Verwaltungsakts anerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1997 - V ZR 81/97, NJW 1998, 989, 990, insoweit nicht in BGHZ 137, 314; Urteil vom 4. Juni 2009 - III ZR 229/07, NJW 2009, 2956 Rn. 12; MünchKomm.ZPO/Krüger, 4. Aufl., § 559 Rn. 31, jeweils mwN).
3. Der Feststellungsbescheid steht - als feststellender Verwaltungsakt - dem Erfolg der Klage entgegen, weil er dem Beklagten das von der Klägerin mit der Klage beanstandete Verhalten ausdrücklich erlaubt hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2005 - I ZR 194/02, BGHZ 163, 265, 269 - Atemtest I; Winnands in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2012, § 21 Rn. 98; Rehmann, AMG, 3. Aufl., § 21 Rn. 13; Heßhaus in Spickhoff, Medizinrecht, 2011, § 21 AMG Rn. 21; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 121. Lief., 2012, § 21 AMG Anm. 74 mwN; aA Guttmann in Prütting, Medizinrecht, 2. Aufl., § 21 AMG Rn. 45).
a) Die Revisionserwiderung weist zwar mit Recht darauf hin, dass ein Verwaltungsakt den Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG dann nicht ausschließt, wenn er nichtig ist (vgl. BGHZ 163, 265, 269 - Atemtest I; Urteil vom 13. März 2008 - I ZR 95/05, GRUR 2008, 1014 Rn. 32 = WRP 2008, 1335 - Amlodipin; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 4 Rn. 11.20, jeweils mwN). Von einer Nichtigkeit des Feststellungsbescheids kann im Streitfall jedoch nicht ausgegangen werden.
aa) Die Revisionserwiderung macht für ihren gegenteiligen Standpunkt geltend, der Feststellungsbescheid sei widersprüchlich und deshalb nichtig. Das Bundesinstitut führe in der Begründung seines Bescheids selbst aus, dass es sich bei der Herstellung nicht um eine sogenannte verlängerte Rezeptur lediglich im Voraus hergestellter und vorrätig gehaltener Bulkware handele. Das Bundesinstitut grenzt mit dieser Formulierung jedoch lediglich die Portionierung von Großgebinden (Bulkware), die keine zulässige verlängerte Rezeptur im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. März 1999 - 3 C 32/98, Buchholz 418.32 AMG Nr. 33), von der danach zulässigen verlängerten Rezeptur ab und geht im Weiteren in seinem Bescheid davon aus, dass es sich bei dem vom Beklagten hergestellten Produkt nicht um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt. Das Bundesinstitut bringt daher entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung mit der von dieser beanstandeten Formulierung nicht auch selbst zum Ausdruck, dass der Beklagte den Rahmen einer zulässigen Rezeptur überschreitet.
bb) Auch im Übrigen sind keine Gründe ersichtlich, die für die Nichtigkeit des Feststellungsbescheids sprechen könnten. Insbesondere hat das Bundesinstitut als die nach § 77 Abs. 1 AMG zuständige Bundesoberbehörde auf Antrag der nach § 64 AMG als Landesbehörde zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf gemäß § 21 Abs. 4 AMG in dem dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren entschieden.
b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung rechtfertigt die Tatsache, dass der Feststellungsbescheid des Bundesinstituts seiner Rechtsnatur nach ein feststellender Verwaltungsakt ist, kein anderes Ergebnis. Zwar ist der feststellende Verwaltungsakt einer Vollstreckung weder zugänglich noch bedürftig. Auch ist er im Streitfall ausdrücklich allein zugunsten des Beklagten ergangen. Mit der Vorschrift des § 21 Abs. 4 AMG wurde aber gerade die Möglichkeit geschaffen, dass das Bundesinstitut als Bundesoberbehörde Streitfragen hinsichtlich der Zulassungspflicht von Arzneimitteln bundesweit einheitlich entscheidet. Die für die Überwachung der Einhaltung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften zuständigen Landesbehörden sind an die für sie insoweit verbindliche rechtliche Auffassung des Bundesinstituts gebunden und können daher auch keine damit unvereinbaren Untersagungsverfügungen erlassen (vgl. Rehmann aaO § 21 Rn. 13; Heßhaus in Spickhoff aaO § 21 AMG Rn. 21). Wenn aber der Vertrieb der 13C-Harnstoffkapseln dem Beklagten durch die zuständige Verwaltungsbehörde nicht untersagt werden kann, kommt ein auf den Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG gestützter wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch ebenfalls nicht in Betracht.
c) Der Umstand, dass die Klägerin den Feststellungsbescheid des Bundesinstituts nach der Zurückweisung ihres dagegen eingelegten Widerspruchs vor dem Verwaltungsgericht angefochten und dieses - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschieden hat, rechtfertigt ebenfalls keine andere Beurteilung. Die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage begründet lediglich eine Vollziehbarkeitshemmung; der Verwaltungsakt als solcher bleibt davon unberührt und damit wirksam (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. August 1988 - 4 B 89/88, NVwZ 1989, 48, 49; Urteil vom 20. November 2008 - 3 C 13/08, BVerwGE 132, 250 Rn. 12 = NJW 2009, 1099). Dementsprechend ist die zuständige Landesbehörde an den Verwaltungsakt auch dann gebunden, wenn dieser angefochten worden ist. Sie ist deshalb auch in einem solchen Fall gehindert, eine arzneimittelrechtliche Untersagungsverfügung zu erlassen. Wenn aber eine Untersagungsverfügung, mit der die Verwaltungsbehörde dem Beklagten den Vertrieb der von ihm hergestellten 13C-Harnstoffkapseln untersagt, nicht in Betracht kommt, scheidet der Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG aus, der ohne Gesetzesverstoß nicht erfüllt sein kann.
III. Der Senat hat davon abgesehen, die Verhandlung gemäß § 148 ZPO auszusetzen. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass der Feststellungsbescheid des Bundesinstituts aufgehoben wird. In einem solchen Fall wäre im Rahmen des Tatbestands gemäß § 4 Nr. 11 UWG die Frage neu zu beurteilen, ob der Beklagte die 13C-Harnstoffkapseln vertreiben darf. Gegen die Aussetzung der Verhandlung spricht jedoch, dass dem Beklagten der Vertrieb der nach dem Feststellungsbescheid des Bundesinstituts nicht zulassungspflichtigen 13C-Harnstoffkapseln durch das für vorläufig vollstreckbar erklärte und mit einer Ordnungsmittelandrohung versehene Berufungsurteil untersagt worden ist.
IV. Das Urteil des Berufungsgerichts kann danach nicht aufrechterhalten werden; es ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese - im Sinne der Abweisung der Klage - zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
VRiBGH Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm |
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