Entscheidungsdatum: 07.07.2016
Die Anordnung und die Ablehnung vorläufiger Maßnahmen durch den Vorsitzenden des Zivilsenats gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO sind unanfechtbar.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 27. August 2015 wird auf Kosten der Antragstellerin als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert: 30 Mio. €
I. Die Parteien haben langjährig bei der Entwicklung von Zuckerrübensaatgut kooperiert. Nach Beendigung der Zusammenarbeit ist die Antragsgegnerin durch ein nach der Schiedsverfahrensordnung des belgischen Zentrums für Mediation und Schiedswesen (CEPANI) gebildetes Schiedsgericht mit Schiedsspruch vom 11. Juni 2015 im Wesentlichen dazu verurteilt worden, an die Antragstellerin rückständige Lizenzgebühren und Schadensersatz in Höhe von insgesamt 115.378.465,33 € zuzüglich Zinsen zu bezahlen, das gesamte bei ihr vorhandene Keimplasma der Antragstellerin mit zugehörigen Unterlagen herauszugeben sowie die weitere Nutzung dieses Keimplasmas zu unterlassen.
Die Antragstellerin hat beim Oberlandesgericht Braunschweig beantragt, den Schiedsspruch vom 11. Juni 2015 für vollstreckbar zu erklären. Die Antragsgegnerin hat dagegen geltend gemacht, der Schiedsspruch verstoße gegen den Ordre public im Sinne von Art. V Abs. 1 Buchst. b des Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ), weil er kartellrechtswidrige Bestimmungen des zwischen den Parteien am 29. September 2006 abgeschlossenen Kooperationsvertrags umsetze.
Die Antragstellerin hat zudem im vorliegenden Verfahren beim Oberlandesgericht Braunschweig nach § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO beantragt, ihr die vorläufige Vollstreckung und die Sicherungsvollstreckung aus dem Schiedsspruch zu gestatten. Sie behauptet, es bestehe die konkrete Gefahr, dass die Antragsgegnerin die Zwangsvollstreckung vereiteln werde.
Die Antragstellerin hat beantragt,
ihr bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs vom 11. Juni 2015 die Zwangsvollstreckung zum Zwecke der Sicherung ihrer Ansprüche aus dem Schiedsspruch zu erlauben.
Außerdem begehrt die Antragstellerin im Wesentlichen, die Antragsgegnerin im Wege der Sicherungsvollstreckung zu verpflichten, bestimmte Auskünfte zu erteilen, Herausgabe- und Auskunftsansprüche der Antragsgegnerin im Hinblick auf Zuckerrübenkeimplasma zugunsten der Antragstellerin zu pfänden, der Antragsgegnerin zu verbieten, über das von ihr herauszugebende Zuckerrübenkeimplasma und Informationen darüber in bestimmter Weise zu verfügen, sowie notwendige Erhaltungsmaßnahmen für das Zuckerrübenkeimplasma zu ergreifen.
Die Vorsitzende des Zivilsenats des Oberlandesgerichts hat den Antrag gemäß § 1063 Abs. 3 ZPO als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der Rechtsbeschwerde. Die Antragsgegnerin beantragt, die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin als unstatthaft zu verwerfen.
II. Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin ist nicht statthaft. Beschlüsse über Anordnungen gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO sind unanfechtbar (§ 1065 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dabei besteht kein Unterschied, ob sich ein Antragsteller gegen die Ablehnung oder ein Antragsgegner gegen die Anordnung vorläufiger Maßnahmen gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO wendet.
1. Die Frage, ob Anordnungen zur Durchführung der Zwangsvollstreckung gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO, die in Verfahren zur Vollstreckbarerklärung (§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) ergehen, der Rechtsbeschwerde unterliegen, ist umstritten. Nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht soll die Unanfechtbarkeit gemäß § 1065 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur für Beschlüsse nach § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO gelten, die sich auf vorläufige oder sichernde Maßnahmen des Schiedsgerichts beziehen (§ 1062 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Hingegen soll gegen Anordnungen zur Durchführung der Zwangsvollstreckung gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO, die vor einer Entscheidung nach § 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ergehen, die Rechtsbeschwerde statthaft sein (Voit in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 1065 Rn. 3). Nach überwiegender Ansicht sind derartige Anordnungen dagegen nicht anfechtbar (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl., § 1063 Rn. 4; MünchKomm.ZPO/Münch, 4. Aufl., § 1063 Rn. 27; Saenger, ZPO, 6. Aufl., § 1063 Rn. 3; Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 1065 Rn. 2; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., Kap. 28 Rn. 13 dd; Sessler/Schreiber, SchiedsVZ 2006, 119, 124; wohl auch Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 1065 Rn. 7).
2. Der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung gebührt der Vorzug.
a) Gemäß § 1065 Abs. 1 ZPO findet die Rechtsbeschwerde gegen die in § 1062 Abs. 1 Nr. 2 und 4 ZPO genannten Entscheidungen statt; im Übrigen sind die Entscheidungen in den in § 1062 Abs. 1 ZPO bezeichneten Verfahren unanfechtbar. Die vom Vorsitzenden des Zivilsenats gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO zu treffenden Entscheidungen über die Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen sind keine Entscheidungen über Anträge gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 4 ZPO. Der Rechtsbeschwerde unterliegen damit nur die Entscheidungen über Anträge gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 4 ZPO, die der zuständige Zivilsenat des Oberlandesgerichts trifft. Vorläufige Anordnungen des Vorsitzenden des Zivilsenats gemäß § 1063 Abs. 3 ZPO zählen dazu auch dann nicht, wenn sie in einem Verfahren auf Aufhebung oder Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs (§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) ergehen.
b) Diese auf den Wortlaut der Norm des § 1065 Abs. 1 ZPO gestützte Auslegung ergibt sich weiter aus der Systematik des Gesetzes und der Funktion des § 1063 Abs. 3 ZPO als Mittel vorläufigen Rechtsschutzes im Schiedsverfahrensrecht.
aa) Gemäß § 1065 Abs. 1 Satz 2, § 1062 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist eine Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen des Oberlandesgerichts über Anträge betreffend die Vollziehung, Aufhebung oder Änderung der Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen des Schiedsgerichts (§ 1041 ZPO) ausdrücklich ausgeschlossen. Die Anordnungsbefugnis des Vorsitzenden des Zivilsenats nach § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO bezieht sich gleichermaßen auf die Vollziehung dieser Maßnahmen des Schiedsgerichts nach § 1041 ZPO wie auf vorläufige Entscheidungen im gerichtlichen Verfahren über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs. Dann ist aber kein Grund ersichtlich, diese beiden Wege, vorläufigen Rechtsschutz im Schiedsverfahren zu erlangen, im Hinblick auf die Anfechtungsmöglichkeit mit der Rechtsbeschwerde unterschiedlich zu behandeln, und eine Rechtsbeschwerde bei originär vom Oberlandesgericht angeordneten Sicherungsmaßnahmen zu gestatten, sie aber gegenüber Anordnungen auszuschließen, die sich auf vorläufige oder sichernde Maßnahmen des Schiedsgerichts beziehen. Es wäre nicht überzeugend, Entscheidungen des Oberlandesgerichts über vom Schiedsgericht angeordnete, vorläufige Maßnahmen nach § 1041 Abs. 1 ZPO, die in Unkenntnis des erst später ergehenden Schiedsspruchs zu treffen sind, durch Ausschluss der Rechtsbeschwerde einer weniger weitgehenden staatlichen Kontrolle zu unterwerfen als Entscheidungen über vorläufige Maßnahmen, die in Kenntnis des Schiedsspruchs originär vom Oberlandesgericht getroffen werden (vgl. Sessler/Schreiber, SchiedsVZ 2006, 119, 124).
bb) Gegen eine Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde spricht weiter die Funktion von Anordnungen nach § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO als Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, die in einem beschleunigten Verfahren durch den Vorsitzenden des zuständigen Zivilsenats allein getroffen werden können. Die Bestimmung des § 1063 Abs. 3 ZPO ist eine Sonderregelung im Verhältnis zu den allgemeinen Bestimmungen für den vorläufigen Rechtsschutz in den §§ 916 ff. ZPO (vgl. Schlosser in Stein/Jonas aaO § 1063 Rn. 35; Wilske/Markert in BeckOK/ZPO, 21. Edition, Stand 1. Juli 2016, § 1063 Rn. 11). In Eilverfahren sind Revision und Rechtsbeschwerde schon im Hinblick auf den Zeitfaktor wenig geeignet (vgl. Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl., Rn. 2781). Dementsprechend bestimmt § 542 Abs. 2 ZPO, dass gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung entschieden worden ist, die Revision nicht stattfindet. Der Gesetzgeber hat diese Regelung wegen des provisorischen Charakters und der vorläufigen Bedeutung des Arrest- und Verfügungsverfahrens für notwendig gehalten. Entscheidet das Berufungsgericht nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss, ist eine Rechtsbeschwerde im Arrest- und Verfügungsverfahren deshalb ebenfalls unstatthaft (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2002 - VII ZB 11/02, BGHZ 152, 195, 197). Die Bestimmung des § 1063 Abs. 3 ZPO tritt für Schiedsgerichtsverfahren an die Stelle der §§ 916 ff. ZPO. Es wäre daher nicht einleuchtend, gegen vorläufige Entscheidungen nach § 1063 Abs. 3 ZPO einen Zugang zum Bundesgerichtshof zu eröffnen, der für Entscheidungen nach §§ 916 ff. ZPO gemäß § 542 Abs. 2 ZPO verschlossen ist.
c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, lässt sich eine Statthaftigkeit eines Rechtsmittels gegen Anordnungen nach § 1063 Abs. 3 ZPO nicht damit begründen, dass bestimmte, in ihrem Regelungsumfang abschließende Zwischenentscheidungen anfechtbar sind.
aa) Für Kostenentscheidungen im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs folgt die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde unmittelbar aus § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 1065 Abs. 1 Satz 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2008 - III ZB 33/07, NJW-RR 2008, 664).
bb) Entsprechend § 280 Abs. 2 Satz 1 ZPO selbständig mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar sind ferner Beschlüsse, die nach abgesonderter Verhandlung über die Zulässigkeit eines Aufhebungsantrags gemäß § 1059 ZPO ergehen (BGH, Beschluss vom 20. September 2001 - III ZB 57/00, NJW 2001, 3787). Die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit führt entweder ohne weiteres zur Ablehnung des Antrags nach § 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wegen Unzulässigkeit oder mit die Instanz abschließender Wirkung zur Feststellung der Zulässigkeit des Antrags.
cc) Demgegenüber handelt es sich bei Anordnungen nach § 1063 Abs. 3 ZPO um vorläufige Maßnahmen, die für die Entscheidung des Oberlandesgerichts über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs weder vorgreiflich noch bindend sind. Sie können jederzeit geändert oder aufgehoben und so der jeweiligen Prozesslage angepasst werden (vgl. MünchKomm.ZPO/Münch aaO § 1063 Rn. 31). Dementsprechend hat auch das Oberlandesgericht in seinem Hinweisbeschluss vom 1. Oktober 2015 seine vorherige ablehnende Entscheidung über eine Anordnung nach § 1063 Abs. 3 ZPO nicht als abschließend angesehen, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass von der Verweisung der Sache an den Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle auch die Zuständigkeit für etwaige Eil- oder Aussetzungsanträge innerhalb des vorliegenden Verfahrens betroffen sei.
d) Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin ist schließlich nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Eine Einschränkung des Grundrechts auf rechtliches Gehör kommt von vornherein allenfalls für den vor Erlass einer Anordnung nach § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht angehörten Antragsgegner in Betracht, nicht aber für den erfolglosen Antragsteller.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Büscher Schaffert Kirchhoff
Löffler Schwonke