Entscheidungsdatum: 14.06.2017
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des Landgerichts Tübingen - 5. Zivilkammer (Einzelrichter) - vom 16. September 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Einzelrichter) zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Gegenstandswert: 608,96 €
I. Der Gläubiger, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, ist die unter der Bezeichnung "Südwestrundfunk" tätige Landesrundfunkanstalt in den Ländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Er betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Rundfunkbeiträge.
Der Gläubiger richtete an das Amtsgericht Bad Urach - Gerichtsvollzieherverteilerstelle - ein Vollstreckungsersuchen, in dem er die Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen - unter anderem die Bestimmung eines Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft gemäß § 802f Abs. 1 ZPO - gegen den Schuldner beantragte. Die letzte Seite des Vollstreckungsersuchens enthielt eine "Aufstellung der rückständigen Forderungen" und den vorangestellten Hinweis: "Dem Beitragsschuldner sind bereits Festsetzungsbescheide und Mahnungen mit folgenden Daten unter der Beitragsnummer ... zugesandt worden". Mit Schreiben vom 15. März 2016 lud der Gerichtsvollzieher den Schuldner zur Abgabe der Vermögensauskunft.
Mit Beschluss vom 11. Juli 2016 hat das Vollstreckungsgericht die gegen die Ladung gerichtete Erinnerung des Schuldners vom 8. April 2016 zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht (Einzelrichter) den Beschluss des Vollstreckungsgerichts aufgehoben und die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsersuchen des Gläubigers für unzulässig erklärt. Mit der vom Beschwerdegericht (Einzelrichter) zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Antrag auf Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Vollstreckungsgerichts vom 11. Juli 2016 weiter.
II. Das Beschwerdegericht (Einzelrichter) ist von der Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde des Schuldners ausgegangen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Beschwerde sei bereits wegen fehlender Zustellung des Vollstreckungstitels begründet. Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung sei eine Zustellung der Bescheide. Der Schuldner habe den Zugang bestritten. Das Vollstreckungsgericht habe sich zu Unrecht auf die Zugangsvermutung gemäß §§ 41, 43 Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg (LVwVfG BW) gestützt. Diese Vorschriften seien gemäß § 2 LVwVfG BW nicht anwendbar. Die Zustellung richte sich vielmehr nach den allgemeinen Vorschriften gemäß §§ 130, 132 BGB. Für eine entsprechende Anwendung der Grundsätze der Zustellungsfiktion durch Aufgabe bei der Post gemäß § 41 LVwVfG BW sei angesichts dieser Vorschriften kein Raum.
Die Beschwerde des Schuldners sei zudem begründet, weil es an der materiellen Behördeneigenschaft des Gläubigers fehle. Diese sei ebenfalls als Vollstreckungsvoraussetzung vom Vollstreckungsgericht zu prüfen.
III. Die vom Beschwerdegericht (Einzelrichter) zugelassene Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat (BGH, Beschluss vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 201).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Einzelrichters ist aufzuheben, weil er unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
a) Der Einzelrichter durfte über die Beschwerde nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten Kammer übertragen müssen. Dem originären Einzelrichter nach § 568 ZPO ist die Entscheidung von Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung schlechthin versagt (st. Rspr.; vgl. BGHZ 154, 200, 202; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2012 - I ZB 65/11, NJW 2012, 3518 Rn. 4; Beschluss vom 7. Januar 2016 - I ZB 110/14, NJW 2016, 645 Rn. 10; Beschluss vom 21. Juli 2016 - I ZB 121/15, juris Rn. 5). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung ist im weitesten Sinne zu verstehen, so dass nicht der Einzelrichter, sondern das Kollegium auch dann entscheiden muss, wenn zur Fortbildung des Rechts oder - wie vorliegend vom Einzelrichter angenommen - zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts geboten ist (st. Rspr.; vgl. BGHZ 154, 200,202; Beschluss vom 24. November 2011 - VII ZB 33/11, NJW-RR 2012, 441 Rn. 9; Beschluss vom 7. Januar 2016 - I ZB 110/14, NJW 2016, 645 Rn. 10). Damit hat der Einzelrichter das Gebot des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt. Die Nichtübertragung des Verfahrens auf die voll besetzte Kammer erfüllte die Voraussetzungen der objektiven Willkür. Sie war offensichtlich unvertretbar und lag außerhalb der Gesetzlichkeit, so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. BGHZ 154, 200, 203).
b) Die Rechtsbeschwerde hat den Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters gerügt. Im Übrigen war der Verstoß vom Senat von Amts wegen zu berücksichtigen (BGHZ 154, 200, 203). Der Berücksichtigung der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht § 568 Satz 3 ZPO nicht entgegen (BGHZ 154, 200, 204).
3. Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an den Einzelrichter, der den angefochtenen Beschluss erlassen hat. Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 GKG Gebrauch. Diese Kosten wären bei richtiger Behandlung der Sache durch den Einzelrichter nicht entstanden.
IV. Für die neue Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Die Annahme des Beschwerdegerichts, die Beschwerde des Schuldners sei begründet, weil eine wirksame Zustellung nicht nachgewiesen sei und damit eine Grundvoraussetzung der Zwangsvollstreckung fehle, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Zustellung eines "Titels" ist ebenso wenig Voraussetzung der Beitreibung von Rundfunkbeiträgen wie die Zustellung des Vollstreckungsersuchens der Gläubigerin. Entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts ist auch die wirksame Zustellung eines Beitragsbescheids keine Vollstreckungsvoraussetzung (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - I ZB 91/16).
2. Die weitere Annahme des Beschwerdegerichts, die Beschwerde des Schuldners sei außerdem begründet, weil dem Gläubiger die "materielle Behördeneigenschaft" fehle, hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - I ZB 91/16).
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