Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 09.06.2010


BFH 09.06.2010 - I R 94/09

Keine Anrechnung fiktiver brasilianischer Quellensteuer auf Stückzinsen


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
09.06.2010
Aktenzeichen:
I R 94/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend FG Köln, 24. Juni 2009, Az: 4 K 4802/06, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 24 Abs 2 DBA BRA
Art 24 Abs 3 DBA BRA
Art 11 Abs 4 DBA BRA
Art 11 Abs 3 OECDMustAbk

Leitsätze

Stückzinsen aus dem Verkauf einer brasilianischen Anleihe gehören nicht zu den Einkünften "aus Schuldverschreibungen" oder "aus Forderungen" i.S. des Art. 11 Abs. 4 DBA-Brasilien a.F. und lösen daher keine Anrechnung fiktiver Quellensteuer nach Art. 24 Abs. 2 und 3 DBA-Brasilien a.F. aus .

Tatbestand

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I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine fiktive ausländische Quellensteuer auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen ist.

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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr (2000) Einkünfte aus Kapitalvermögen. In diesem Zusammenhang erklärte er u.a. aus Brasilien stammende Einkünfte in Höhe von 81.534 DM und eine darauf entfallende anrechenbare ausländische Steuer in Höhe von 16.307 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte hingegen nur eine anrechenbare brasilianische Steuer in Höhe von 15.155 DM. Diesen Betrag hatte er in der Weise berechnet, dass er die erklärten Einnahmen (81.534 DM) um darin enthaltene vereinnahmte Stückzinsen in Höhe von 5.759 DM gekürzt und 20 % des sich ergebenden Differenzbetrags von 75.775 DM als anrechenbar behandelt hatte. Die Klage gegen den auf dieser Basis erlassenen Steuerbescheid hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen (FG Köln, Urteil vom 24. Juni 2009  4 K 4802/06); sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2009, 1752 abgedruckt.

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Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Bescheid dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer um 1.152 DM herabgesetzt wird.

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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass auf die in Rede stehenden Stückzinsen keine brasilianische Quellensteuer angerechnet werden kann.

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1. Nach den Feststellungen des FG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen wurden und deshalb revisionsrechtlich bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), hat der Kläger im Streitjahr brasilianische Schuldverschreibungen sowie die damit verbundenen Zinsforderungen veräußert und in diesem Zusammenhang Stückzinsen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG 1997) vereinnahmt. Diese Stückzinsen zählen nach der genannten Vorschrift zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, worüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht.

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2. Nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 des im Streitjahr noch geltenden Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Republik Brasilien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 27. Juni 1975 (BGBl II 1975, 2245, BStBl I 1976, 47) --DBA-Brasilien a.F.-- wird --vorbehaltlich des im Streitfall nicht einschlägigen Art. 24 Abs. 1 DBA-Brasilien a.F.-- bei einer in Deutschland ansässigen Person auf die von den aus Brasilien stammenden Einkünften zu erhebende deutsche Einkommensteuer die brasilianische Steuer angerechnet, die nach brasilianischem Recht und in Übereinstimmung mit dem Abkommen gezahlt worden ist. Für Zwecke dieser Anrechnung wird bei Zinsen i.S. des Art. 11 Abs. 4 DBA-Brasilien a.F. davon ausgegangen, dass die brasilianische Steuer 20 % der Zinsen beträgt (Art. 24 Abs. 3 Buchst. b DBA-Brasilien a.F.). Mit dieser Regelung sieht das DBA-Brasilien a.F. die Anrechnung einer "fiktiven Quellensteuer" in dem Sinne vor, dass eine dem Quellenstaat Brasilien zugeordnete Steuer in Höhe von 20 % der Zinseinnahmen unabhängig davon auf die deutsche Steuer angerechnet wird, ob sie nach brasilianischem Recht erhoben werden kann und ob sie in Brasilien tatsächlich gezahlt worden ist. Eine solche Anrechnung macht der Kläger, bezogen auf die von ihm vereinnahmten Stückzinsen, im Streitfall geltend.

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3. Das FG ist dem Begehren des Klägers nicht gefolgt und hat zur Begründung ausgeführt, dass die in Rede stehenden Stückzinsen nicht zu den "aus Brasilien stammenden Einkünften" i.S. des Art. 24 Abs. 2 Satz 1 DBA-Brasilien a.F. zählten. Der Streitfall bietet keine Veranlassung, die damit aufgeworfene Frage (vgl. dazu einerseits Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 8. Oktober 1996, BStBl I 1996, 1190; Weidmann, Internationales Steuerrecht --IStR-- 1998, 176; andererseits Wellmann, Deutsche Steuer-Zeitung 1997, 842) abschließend zu erörtern. Denn wenn man sie anders als das FG beantwortet, scheitert die vom Kläger begehrte Anrechnung einer fiktiven brasilianischen Quellensteuer jedenfalls daran, dass die in Art. 24 Abs. 3 Buchst. b DBA-Brasilien a.F. getroffene Regelung nur für Zinsen i.S. des Art. 11 Abs. 4 DBA-Brasilien a.F. gilt und die in Rede stehenden Stückzinsen diesem Begriff nicht unterfallen.

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a) Nach Art. 11 Abs. 4 DBA-Brasilien a.F. bedeutet der im DBA-Brasilien a.F. verwendete Ausdruck "Zinsen" Einkünfte aus öffentlichen Anleihen, aus Schuldverschreibungen und aus Forderungen jeder Art sowie alle anderen Einkünfte, die nach dem Steuerrecht des Vertragsstaats, aus dem sie stammen, den Einkünften aus Darlehen gleichgestellt sind. Diese Definition ist abschließend und kraft ausdrücklicher Bezugnahme in Art. 24 Abs. 3 Buchst. b DBA-Brasilien a.F. für dessen Anwendung maßgeblich.

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b) Ob Stückzinsen den Einkünften "aus Schuldverschreibungen" oder "aus Forderungen" i.S. des Art. 11 Abs. 4 DBA-Brasilien a.F. zuzuordnen sind, ist im DBA-Brasilien a.F. selbst nicht ausdrücklich geregelt. Die im DBA-Brasilien a.F.enthaltene Definition der "Zinsen" entspricht aber insoweit im Kern derjenigen in Art. 11 Abs. 3 Satz 1 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (OECD-MustAbk), der ebenfalls bestimmt, dass der Ausdruck "Zinsen" Einkünfte aus "Forderungen jeder Art" umfasst. In diesem Zusammenhang geht die im Schrifttum vorherrschende Ansicht davon aus, dass Stückzinsen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG 1997 nicht der in Art. 11 Abs. 3 OECD-MustAbk enthaltenen Definition unterfallen, sondern abkommensrechtlich den Veräußerungsgewinnen i.S. des Art. 13 OECD-MustAbk zuzuordnen sind (Wassermeyer in Debatin/ Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 11 MA Rz 11; Geurts in Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 11 OECD-MA Rz 47; ebenso wohl Pöllath/Lohbeck in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 11 Rz 72; Wenz/Linn in Haase, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 11 MA Rz 76; a.A. wohl Weidmann, IStR 1998, 176). Dem pflichtet der Senat bei.

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Denn zum einen geht das Abkommensrecht ebenso wie das deutsche Recht im Grundsatz davon aus, dass zu den Erträgen "aus Forderungen" nur diejenigen gehören, die der Gläubiger vom Schuldner der Kapitalforderung erhält. Das entspricht für das Abkommensrecht namentlich der im Kommentar zum OECD-Musterabkommen (OECD-MK) vertretenen Ansicht, nach der z.B. ein vom Zeichner einer Anleihe gezahltes Aufgeld, nicht aber ein Gewinn aus der Veräußerung der Anleiheforderung an einen Dritten dem abkommensrechtlichen Zinsbegriff unterfällt (OECD-MK, Nr. 20 zu Art. 11). Dasselbe gilt für das deutsche Recht, das insoweit ergänzend heranzuziehen ist (vgl. Art. 3 Abs. 2 OECD-MustAbk; Art. 3 Abs. 2 DBA-Brasilien a.F.): Hier gilt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ebenfalls, dass nur die vom Kapitalschuldner gezahlten Nutzungsentgelte, nicht aber Leistungen eines Erwerbers der Kapitalforderung zu den "Erträgen aus Kapitalforderungen" i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 1997 gehören (vgl. BFH-Urteil vom 8. Oktober 1991 VIII R 48/88, BFHE 166, 64, BStBl II 1992, 174; Hamacher in Korn, Einkommensteuergesetz, § 20 EStG Rz 176). Zu jenen vom Erwerber erbrachten Leistungen zählen indessen u.a. Stückzinsen, die daher nicht von § 20 Abs. 1 EStG 1997 erfasst, sondern durch § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG 1997 konstitutiv den (anderweitigen) Einkünften aus Kapitalvermögen zugeordnet werden. Diese Zuordnung kann aber jedenfalls insoweit nicht auf das Abkommensrecht durchschlagen, als dieses "Einkünfte aus Forderungen" dem Zinsbegriff unterstellt (ähnlich Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 11 MA Rz 11); im Gegenteil bestätigt die Systematik des deutschen Rechts, dass Stückzinsen dieser Definition gerade nicht unterfallen. Das gilt auch für die Auslegung des Art. 11 Abs. 4 DBA-Brasilien a.F.

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c) Die dort enthaltene zweite Variante der Zinsdefinition greift, wenn man die vom Kläger vereinnahmten Stückzinsen als "aus Brasilien stammend" ansieht, im Streitfall ebenfalls nicht ein. Denn sie bezieht zwar alle Einkünfte, die das innerstaatliche Recht den Einkünften aus Darlehen gleichstellt, in den abkommensrechtlichen Zinsbegriff ein; doch verweist sie dabei ausschließlich auf das Recht desjenigen Vertragsstaats, aus dem die Einkünfte stammen. Deshalb ist, wenn dieser Staat (Quellenstaat) im Streitfall Brasilien ist, insoweit allein das dortige Steuerrecht maßgeblich; die in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG 1997 getroffene Regelung ist dann abkommensrechtlich ohne Belang. Anhaltspunkte dafür, dass das brasilianische Recht Stückzinsen den Einkünften aus Darlehen gleichstellt, sind jedoch weder vom Kläger benannt worden noch anderweit erkennbar; insbesondere hat der Kläger nicht geltend gemacht, im Zusammenhang mit der Vereinnahmung der Stückzinsen einer brasilianischen Steuer unterworfen worden zu sein. Daher greift Art. 11 Abs. 4 DBA-Brasilien a.F. im Streitfall auch unter diesem Gesichtspunkt nicht ein, weshalb die streitigen Stückzinsen nicht "Zinsen" im Sinne dieser Vorschrift sind und folglich nicht zur Anrechnung fiktiver Quellensteuer führen.

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4. Der Hinweis des Klägers auf das Urteil des Senats vom 29. März 2000 I R 15/99 (BFHE 191, 521, BStBl II 2000, 577) verhilft der Revision nicht zum Erfolg. Denn zum einen bezieht sich jenes Urteil auf das Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und Indien, und das FA hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die dortige Regelungslage von derjenigen im hier maßgeblichen DBA-Brasilien a.F. wesentlich abweicht. Zum anderen war in dem seinerzeit zu entscheidenden Rechtsstreit die Frage der Anrechnung fiktiver Quellensteuer auf Stückzinsen nicht streitig. Vielmehr hatte die damalige Klägerin eine solche Anrechnung im Klageverfahren nicht geltend gemacht, und nachdem das FG ihrer Klage in vollem Umfang stattgegeben hatte, hätte der Senat schon aus verfahrensrechtlichen Gründen die Steuer nicht unter den erstinstanzlich festgesetzten Betrag herabsetzen dürfen. Angesichts dessen hätte er sich allenfalls dann mit der genannten Problematik befassen müssen, wenn seiner Ansicht nach die Erwägungen des FG dessen Entscheidung nicht getragen hätten; das war aber nicht der Fall. Auf die Ausführungen des Klägers dazu, inwieweit seinerzeit überhaupt eine Anrechnung fiktiver Quellensteuer in Rede stand, muss vor diesem Hintergrund nicht eingegangen werden.

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5. Mit seinem hilfsweise gestellten Antrag, eine fiktive brasilianische Quellensteuer nach Maßgabe des § 34c Abs. 2 EStG 1997 bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens zu berücksichtigen, kann der Kläger ebenfalls nicht durchdringen. Denn § 34c Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz EStG 1997 schließt ein solches Vorgehen aus. Das kann entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht unmittelbar auf das DBA-Brasilien a.F. gestützt werden, da jenes Abkommen eine Berücksichtigung brasilianischer Steuer in der von § 34c Abs. 2 EStG 1997 beschriebenen Weise nicht vorsieht.

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6. Anderweitige Rechtsfehler des angefochtenen Bescheids sind weder vom Kläger geltend gemacht worden noch sonst erkennbar. Das FG hat den Bescheid mithin zu Recht bestätigt, weshalb die gegen sein Urteil gerichtete Revision unbegründet ist.