Entscheidungsdatum: 20.12.2017
NV: Die beschränkte Einkommensteuerpflicht der von der Deutschen Rentenversicherung Bund in das Ausland (hier: Kanada) gezahlten Renten wird nicht durch das DBA-Kanada 2001 ausgeschlossen. Die in Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001 vorgenommene Zuordnung des Besteuerungsrechts für Sozialversicherungsrenten an Kanada lässt das in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 DBA-Kanada 2001 vorbehaltene Quellenbesteuerungsrecht Deutschlands unberührt; das zu Art. 18 DBA-Kanada 2001 ergangene Protokoll steht dem nicht entgegen .
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 13. Januar 2016 1 K 4/15 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
I.
Streitig ist, ob das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) für die von der Deutschen Rentenversicherung Bund in das Ausland (Kanada) gezahlten Leibrente kraft Abkommensrechts ausgeschlossen ist.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die in Deutschland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hat, lebt seit dem Ende der ...iger Jahre in Kanada. Sie bezog in den Jahren 2005 und 2006 (Streitjahre) eine Leibrente von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Höhe von jeweils ... €.
Mit Bescheiden vom 12. Juni 2012 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) unter Hinweis auf § 49 Abs. 1 Nr. 7 und § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG) jeweils Einkommensteuer in Höhe von ... € gegen die Klägerin fest. Dabei erfasste er die Rente jeweils nur mit ihrem steuerpflichtigen Teil (... €) und wendete den Mindeststeuersatz (§ 50 Abs. 3 Satz 2 EStG: 25 %) an. Auf die dagegen erhobene Klage setzte das Finanzgericht (FG) die Einkommensteuer auf jeweils ... € herab (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13. Januar 2016 1 K 4/15, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2016, 988).
Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die angefochtenen Steuerfestsetzungen sind rechtmäßig, da die Besteuerung der der Klägerin zugeflossenen Sozialversicherungsrenten nicht durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen vom 19. April 2001 (BGBl II 2002, 671, BStBl I 2002, 505) --DBA-Kanada 2001-- beschränkt wird.
1. Die Klägerin wohnte in den Streitjahren in Kanada; sie war dort mit ihrem Welteinkommen unbeschränkt steuerpflichtig und i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a DBA-Kanada 2001 ansässig. In Deutschland war die Klägerin nach Maßgabe des § 1 Abs. 4 EStG beschränkt steuerpflichtig, da sie --ohne einen inländischen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung --AO--) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) zu haben-- durch den Bezug von Renten eines inländischen gesetzlichen Rentenversicherungsträgers (inländische) Einkünfte i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG erzielt hat. Über diese von den Feststellungen des FG getragenen Grundlagen besteht zwischen den Beteiligten kein Streit; weitere Ausführungen dazu sind entbehrlich.
2. An der Besteuerung wird Deutschland durch das DBA-Kanada 2001 nicht gehindert; der Senat hält insoweit an der in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits geäußerten Rechtsauffassung (Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2011 I B 159/11, BFH/NV 2012, 417) auch nach erneuter Prüfung fest (dieser Rechtslage zustimmend z.B. Gosch in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 49 Rz 90 mit Fußn. 6; Hick in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 18 Rz 167 f., 171, 174; Blümich/Wied, § 49 EStG Rz 218; Kuhn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 1003; Kühnen, EFG 2016, 578; Schober, EFG 2016, 990; Ismer in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Art. 18 Rz 87; Holthaus, Internationale Wirtschaftsbriefe 2017, 796, 797; im Ergebnis ebenso die Verwaltungspraxis, s. Bayerisches Landesamt für Steuern, Verfügung vom 8. Juni 2011, Internationales Steuerrecht 2011, 776; a.A. W. Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Kanada Art. 18 Rz 70a; Hagemann/Kahlenberg/Cloer, Betriebs-Berater 2017, 2775, 2785 f.).
a) Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 DBA-Kanada 2001 können regelmäßig wiederkehrende oder nicht wiederkehrende Ruhegehälter sowie ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person bezieht, nur in diesem Staat (Ansässigkeitsstaat) besteuert werden. Diese Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen können nach Art. 18 Abs. 1 Satz 2 DBA-Kanada 2001 aber auch im anderen Vertragsstaat (Quellenstaat) besteuert werden, wenn sie --nach Maßgabe verschiedener Voraussetzungen-- aus Quellen in jenem Staat resultieren, u.a. --nach Abs. 1 Satz 2 Buchst. a-- dann, wenn sie aus Quellen innerhalb des anderen Vertragsstaats bezogen werden und --nach Abs. 1 Satz 2 Buchst. b-- dann, wenn die Beiträge zu den Altersversorgungskassen oder -systemen im anderen Staat steuerlich abzugsfähig waren, oder wenn das Ruhegehalt von dem anderen Staat, einem seiner Länder, einer ihrer Gebietskörperschaften oder einem ihrer staatlichen Organe finanziert worden ist. Danach steht bei einer Zuordnung der Sozialversicherungsrenten zu den tatbestandlichen Begriffen "Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen" (auch) Deutschland für die der Klägerin gezahlten Renten das Besteuerungsrecht zu.
b) Allerdings bestimmt Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001, dass Leistungen aufgrund des Sozialversicherungsrechts eines Vertragsstaats, die an eine im anderen Vertragsstaat --hier Kanada-- ansässige Person gezahlt werden, in diesem anderen Staat besteuert werden können, wobei jedoch der Betrag einer solchen Leistung, der in dem erstgenannten Staat --hier Deutschland-- vom zu versteuernden Einkommen ausgenommen wäre, wenn der Empfänger in diesem Staat ansässig wäre, von der Besteuerung in dem anderen Staat befreit ist. Diese Besteuerungszuordnung gilt zwar "ungeachtet der übrigen Bestimmungen dieses Abkommens" und geht damit diesen Bestimmungen vor. Das ändert indessen nichts daran, dass sie in den Kontext des Art. 18 DBA-Kanada 2001 und den dort angeordneten Besteuerungszuordnungen eingebunden ist. Demgemäß modifiziert Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001 die in Abs. 1 Satz 1 bestimmte Grundregel der Besteuerungszuordnung für den Bereich der Sozialversicherungsrenten lediglich insoweit, als sie den Ansässigkeitsstaat den in der Vorschrift genannten Restriktionen seines prinzipiell aufrechterhaltenen Besteuerungsrechts (nach Maßgabe des Besteuerungsrechts des Quellenstaats) unterwirft. Keinesfalls verdrängt die Regelung zugleich das in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 DBA-Kanada 2001 eingeräumte konkurrierende Zugriffsrecht des Quellenstaats. Dieses Recht bleibt vielmehr unberührt. Es wird in Deutschland innerstaatlich durch § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch wahrgenommen. Das Ziel des Abkommens, Doppelbesteuerungen zu vermeiden, wird dadurch nicht unterlaufen; vielmehr stellt Art. 23 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Buchst. d DBA-Kanada 2001 sicher, dass Kanada als Ansässigkeitsstaat entsprechende Maßnahmen im Einklang mit seinen innerstaatlichen Gesetzen vorsieht.
c) Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis nicht zuletzt durch Art. 18 Abs. 3 Buchst. a, b und d DBA-Kanada 2001. Abweichend von den Einkünften, welche in Abs. 3 Buchst. c des Art. 18 DBA-Kanada 2001 benannt werden, können die darin aufgeführten Einkünfte (u.a. Kriegsrenten, Kriegsfolgenleistungen, Unterhaltszahlungen) "nur" entweder in dem einen oder dem anderen Vertragsstaat besteuert werden; ein Zugriffsrecht des jeweils anderen Staates ist damit für solche Einkünfte ausgeschlossen.
d) Ein Hindernis für das Besteuerungsrecht Deutschlands folgt auch nicht aus Ziffer 5 Buchst. b des Protokolls zu diesem Doppelbesteuerungsabkommen, das Bestandteil des Abkommens ist (s. Art. 30 DBA-Kanada 2001). Zwar gilt zu den Einkünften, die nach Art. 18 Abs. 1 DBA-Kanada 2001 besteuert werden, gemäß dieser Ziffer (dort Buchst. b) die Einschränkung, dass "von Ruhegehältern aus Quellen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ... die deutsche Steuer nur erhoben werden (darf), wenn die Ruhegehälter von der Bundesrepublik Deutschland, einem ihrer Länder oder einer ihrer Gebietskörperschaften gezahlt werden" – und zu den dort angeführten Zahlstellen gehört die Deutsche Rentenversicherung Bund nicht. Der Wortlaut der Regelung erfasst aber nur die "Ruhegehälter" und macht dabei --gemeinsam mit Art. 18 Abs. 1 Satz 1 DBA-Kanada 2001-- seine Komplementärfunktion zu den in Art. 19 Abs. 1 Buchst. a DBA-Kanada 2001 geregelten "Aktivbezügen" im öffentlichen Dienst ("Ruhegehälter" als Rückausnahme zum Regelungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Buchst. a DBA-Kanada 2001) deutlich (s.a. Rupp in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 18 DBA-Kanada 2001 Rz 7). Ein Einfluss dieser Protokollbestimmung auf die in Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001 "ungeachtet der übrigen Bestimmungen des Abkommens" angesprochenen "Leistungen aufgrund des Sozialversicherungsrechts eines Vertragsstaats" besteht nicht. Für diese Leistungen hält das Protokoll ausschließlich eine für die Entscheidung des vorliegenden Streitfalls nicht relevante Regelung in Nr. 7 zum Informationsaustausch mit dem Ansässigkeitsstaat bereit, um eine ordnungsgemäße Besteuerung der Sozialversicherungsrenten nach Maßgabe des Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001 zu gewährleisten.
3. Der von der Klägerin geltend gemachte Umstand, dass die Steueranrechnung im Ansässigkeitsstaat wegen der geringen Höhe eigener (dort steuerpflichtiger) Einkünfte ins Leere gehe, berührt die Berechtigung des Quellenstaats zur Besteuerung nicht.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.