Entscheidungsdatum: 13.12.2011
NV: Nach § 49 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG 2002 i.d.F. des Alterseinkünftegesetzes vom 5. Juli 2004 unterfallen Leistungen, die von inländischen Rentenversicherungsträgern gewährt werden, der beschränkten Steuerpflicht. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass das auch dann gilt, wenn der Leistungsempfänger in Kanada wohnt und dort unbeschränkt steuerpflichtig ist. Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001 steht dem nicht entgegen. Die darin vorgenommene Zuordnung des Besteuerungsrechts für Sozialversicherungsrenten an Kanada lässt das in Art 18 Abs. 1 Satz 2 DBA-Kanada 2001 vorbehaltene Quellenbesteuerungsrecht Deutschlands unberührt (Bestätigung der Verwaltungspraxis).
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist kanadische Staatsangehörige und wohnte in den Streitjahren 2005 bis 2009 in Kanada. Sie bezog in diesen Jahren von der Deutschen Rentenversicherung Nord Sozialversicherungsleistungen, die der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz) vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427) --EStG 2002 n.F.-- der beschränkten Steuerpflicht unterwarf.
Gegen die hiernach ergangenen Einkommensteuerbescheide legte die Antragstellerin Einsprüche ein. Sie macht geltend, das Besteuerungsrecht für die vereinnahmten Renten gebühre nach Art. 18 Abs. 3 Buchst. c des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen (DBA-Kanada 2001) nicht Deutschland, sondern Kanada. Die Einsprüche sind bisher noch nicht beschieden. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab. Ihm wurde sodann aber von dem nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angerufenen Finanzgericht (FG) entsprochen (FG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13. Oktober 2011 1 V 33/11).
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde beantragt das FA, den FG-Beschluss aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Antragsablehnung. Das FG hat den begehrten einstweiligen Rechtsschutz zu Unrecht gewährt. Deutschland kann die in Rede stehenden Renten der beschränkten Steuerpflicht unterwerfen.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll --u.a. und soweit hier einschlägig-- erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung).
2. Derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide bestehen im Streitfall nach dem im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anzuwendenden summarischen Prüfungsmaßstab nicht.
a) Die Antragstellerin wohnte (auch) in den Streitjahren in Kanada und war dort mit ihrem Welteinkommen unbeschränkt steuerpflichtig. Deutschland beansprucht jedoch für sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG 2002 n.F., die (u.a.) von den inländischen gesetzlichen Rentenversicherungsträgern gewährt werden, seinerseits das Besteuerungsrecht; es unterwirft diese Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2002 n.F., dessen Voraussetzungen im Streitfall für die an die Antragstellerin gezahlten Renten erfüllt sind, der beschränkten Steuerpflicht.
b) Daran wird Deutschland durch das DBA-Kanada 2001 nicht gehindert (im Ergebnis ebenso die Verwaltungspraxis, s. Bayerisches Landesamt für Steuern, Verfügung vom 8. Juni 2011, Internationales Steuerrecht 2011, 776; wohl auch Ismer in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 18 Rz 86; anders W. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 18 Kanada Rz 70a).
aa) Nach dessen Art. 18 Abs. 1 Satz 1 können regelmäßig wiederkehrende oder nicht wiederkehrende Ruhegehälter sowie ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden. Diese Ruhegehälter und Vergütungen können nach Art. 18 Abs. 1 Satz 2 DBA-Kanada 2001 aber auch im anderen Vertragsstaat besteuert werden, wenn sie --nach Maßgabe verschiedener Voraussetzungen-- aus Quellen in jenem Staat resultieren, u.a. --nach Abs. 1 Satz 2 Buchst. a-- dann, wenn sie aus Quellen innerhalb des anderen Vertragsstaats bezogen werden und --nach Abs. 1 Satz 2 Buchst. b-- dann, wenn die Beiträge zu den Altersversorgungskassen oder -systemen im anderen Staat steuerlich abzugsfähig waren, oder wenn das Ruhegehalt von dem anderen Staat, einem seiner Länder, einer ihrer Gebietskörperschaften oder einem ihrer staatlichen Organe finanziert worden ist. Danach steht nach Lage der Dinge (auch) Deutschland für die der Antragstellerin gezahlten Renten ein Besteuerungsrecht zu.
bb) Allerdings bestimmt Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001, dass Leistungen aufgrund des Sozialversicherungsrechts eines Vertragsstaats, die an eine im anderen Vertragsstaat --hier Kanada-- ansässige Person gezahlt werden, im anderen Staat besteuert werden können, jedoch ist der Betrag einer solchen Leistung, der in dem erstgenannten Staat --hier Deutschland-- vom zu versteuernden Einkommen ausgenommen wäre, wenn der Empfänger in diesem Staat ansässig wäre, von der Besteuerung in dem anderen Staat befreit. Diese Besteuerungszuordnung in Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001 gilt erklärtermaßen "ungeachtet der übrigen Bestimmungen dieses Abkommens". Sie geht diesen Bestimmungen also vor. Das ändert indessen nichts daran, dass sie im Kontext des Art. 18 DBA-Kanada 2001 steht und auf den dort angeordneten Besteuerungszuordnungen aufbaut. Vor diesem Hintergrund modifiziert Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001 die in Abs. 1 Satz 1 bestimmte Grundregel der Besteuerungszuordnung für den Bereich der Sozialversicherungsrenten. Die Reichweite dieser Modifikation ist aber begrenzt. Sie beschränkt sich darauf, den Ansässigkeitsstaat in der beschriebenen Weise bestimmten Restriktionen seines prinzipiell aufrechterhaltenen unbedingten Besteuerungsrechts nach Maßgabe des Besteuerungsrechts des Quellenstaats zu unterwerfen. Keinesfalls substituiert sie zugleich das in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 DBA-Kanada 2001 eingeräumte konkurrierende Zugriffsrecht des Quellenstaats. Dieses Recht bleibt vielmehr unberührt. Es wird in Deutschland innerstaatlich durch § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2002 n.F. auch wahrgenommen. Das Ziel des Abkommens, Doppelbesteuerungen zu vermeiden, wird dadurch nicht unterlaufen; Art. 23 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Buchst. d DBA-Kanada 2001 stellt sicher, dass Kanada als Ansässigkeitsstaat entsprechende Maßnahmen in Einklang mit seinen innerstaatlichen Gesetzen vorsieht.
cc) Die abkommensrechtliche Besteuerungszuordnung in Art. 18 Abs. 3 Buchst. c DBA-Kanada 2001 ist also keine absolute. Sie schließt nicht aus, dass (auch) derjenige Vertragsstaat, aus dem die beschriebenen Leistungen stammen, nach seinem Steuerrecht Zugriff auf die Leistungen nimmt. Bestätigt wird dieses vorläufige Auslegungsergebnis nicht zuletzt durch Art. 18 Abs. 3 Buchst. a, b und d DBA-Kanada 2001: Abweichend von den Einkünften, welche in Abs. 3 Buchst. c des Art. 18 DBA-Kanada 2001 benannt werden, können die darin aufgeführten Einkünfte (u.a. Kriegsrenten, Kriegsfolgenleistungen, Unterhaltszahlungen) "nur" entweder in dem einen oder dem anderen Vertragsstaat besteuert werden; ein Zugriffsrecht des jeweils anderen Staates ist damit für solche Einkünfte definitiv ausgeschlossen.
3. Da die Vorinstanz eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, war ihr Beschluss aufzuheben. Der Antrag auf AdV ist abzulehnen.