Entscheidungsdatum: 08.04.2014
Hat der Schuldner der Kapitalerträge seiner Pflicht zur Steueranmeldung genügt, so steht dies einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich . Diese Steuerfestsetzung kann --auch nach Eintritt der Bestandskraft und nach Aufhebung des Vorbehaltsvermerks-- nach § 174 Abs. 4 AO wegen widerstreitender Festsetzung geändert werden . Die Voraussetzungen für den Erlass eines sog. Nacherhebungsbescheids sind hierbei nicht zu beachten .
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, schüttete, nachdem sie zuvor mit notariellem Vertrag vom 2. November 2000 ihr Stammkapital um einen an eine Gesellschaft für Rücklagenmanagement (GfR) ausgegebenen sog. Vorzugsgeschäftsanteil (1.500 €) erhöht hatte (Ausgabepreis: 24.802.000 DM), an die GfR aufgrund des Beschlusses vom 6. Dezember 2000 eine Vorzugsdividende in Höhe von 23.148.000 DM für das Geschäftsjahr 1999 aus.
Für die am 15. Dezember 2000 gezahlte Dividende meldete die Klägerin am 10. Januar 2001 die Kapitalertragsteuer sowie den hierauf entfallenden Solidaritätszuschlag (5.787.000 DM zuzüglich 318.285 DM) beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) an und führte die Beträge an diesen ab (§ 45a Abs. 1 i.V.m. § 44 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1997 i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 22. Dezember 1999, BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13 --EStG 1997--; vgl. § 52 Abs. 53 Satz 1 EStG 1997 i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000, BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428 --EStG 1997 n.F.--). Die sich aus der Ausschüttung ergebende Körperschaftsteuerminderung (4.860.490 DM) wurde unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung --AO--) mit Körperschaftsteuerbescheid 1999 vom 9. März 2001 berücksichtigt.
Nach einer Mitteilung des für die GfR zuständigen Finanzamts vertrat auch das FA die Ansicht, dass bei Gestaltungen der vorliegenden Art die von der Klägerin an die GfR ausgekehrten Beträge nicht als Gewinnausschüttung, sondern als Darlehensrückzahlung zu werten seien. Demgemäß erkannte es die bis dahin gewährte Körperschaftsteuerminderung nicht mehr an und änderte --wiederum unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO)-- mit Bescheid vom 25. Juli 2002 die Körperschaftsteuerfestsetzung 1999. Der Bescheid wurde nicht angefochten.
Entsprechend dem in der Anlage dieses Bescheids gegebenen Hinweis beantragte die Klägerin die Erstattung der Kapitalertragsteuer gemäß § 44b Abs. 4 EStG 1997 (Abs. 5 EStG 1997 n.F.). Mit Bescheid vom 9. Juli 2002 hob das FA die Kapitalertragsteueranmeldung für Dezember 2000 nach § 168 i.V.m. § 164 Abs. 2 AO auf (§ 44b Abs. 4 EStG 1997). Die abgeführten Beträge wurden der Klägerin --teilweise im Wege der Verrechnung-- erstattet.
Im Anschluss hieran forderte die Klägerin die GfR auf, die Bescheinigung über die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer zurückzugeben und informierte --nachdem dies nicht geschah-- sowohl das FA als auch die für die GfR zuständige Finanzbehörde, dass letztere Gesellschaft der Aufforderung nicht nachgekommen sei.
Mit Bescheid vom 1. September 2004 änderte das FA die Körperschaftsteuerfestsetzung 1999 aus vorliegend nicht mehr streitigen Gründen und hob zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der hiergegen erhobene Einspruch vom 30. September 2004 richtete sich gegen die vom FA (weiterhin) vertretene Beurteilung der Vorzugsdividende als Darlehensrückzahlung.
Nachdem der erkennende Senat mit Urteil vom 28. Juni 2006 I R 97/05 (BFHE 214, 276) entschieden hatte, dass Gestaltungen der vorliegenden Art (Rücklagenmanagement) nicht in ein Darlehen umgedeutet werden können und auch nicht als rechtsmissbräuchlich einzustufen sind, wurde mit Bescheid vom 1. Dezember 2009 die Körperschaftsteuerfestsetzung 1999 unter Berücksichtigung der Körperschaftsteuerminderung in Höhe von nunmehr 4.864.612 DM erneut geändert.
Gleichfalls mit Bescheid vom 1. Dezember 2009 setzte das FA die Kapitalertragsteuer sowie den Solidaritätszuschlag in Höhe der ursprünglich von der Klägerin erklärten Beträge fest (2.958.846,12 € zuzüglich 162.736,54 €; dies entspricht 5.787.000 DM zuzüglich 318.285 DM). Die Verfügung verweist im Festsetzungsteil auf § 174 Abs. 4 AO, nimmt im Begründungsteil u.a. auf die Stattgabe des Einspruchs gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1999 Bezug und erläutert zudem, dass aufgrund der Anerkennung der Gewinnausschüttung Kapitalertragsteuer gemäß "§ 43 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 43a Abs. 1 Nr. 1 und § 44 EStG" zu entrichten sei.
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben (FG des Saarlandes, Urteil vom 21. Juni 2012 1 K 1041/11, juris). Es hat hierbei insbesondere angenommen, dass die Klägerin nach Aufhebung der Kapitalertragsteuerfestsetzung durch das FA nicht erneut zu einer Steueranmeldung verpflichtet gewesen sei; auch hätten die Voraussetzungen für den Erlass eines sog. Nacherhebungsbescheids nicht vorgelegen.
Mit der Revision beantragt das FA sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Das Urteil der Vorinstanz ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FA war nach § 168 Satz 1 i.V.m. § 174 Abs. 4 AO befugt, den Festsetzungsbescheid vom 1. Dezember 2009 zu erlassen.
1. Zutreffend hat das FG angenommen, dass der angefochtene Bescheid vom 1. September 2009 gegenüber der Klägerin wirksam geworden ist. Ihr Einwand, der Bescheid sei nicht hinreichend bestimmt und damit nichtig (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO), weil er die GfR als Schuldnerin der Kapitalertragsteuer nicht benenne und es auch nicht eindeutig sei, ob die Klägerin als Entrichtungspflichtige in Anspruch genommen werde, greift nicht durch.
a) Ist aufgrund einer Dividendenausschüttung Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 3 und 5 EStG 1997 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1997), so hat der Schuldner der Kapitalerträge --im Streitfall mithin die Klägerin-- die einbehaltene Kapitalertragsteuer dem Finanzamt anzumelden (§ 45a Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 i.V.m. § 150 Abs. 1 Satz 3 AO n.F., § 150 Abs. 1 Satz 2 AO a.F.). Die Steueranmeldung steht nach § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung nicht gegen den Gläubiger der Kapitalerträge, der nach § 44 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 die Kapitalertragsteuer schuldet, gerichtet. Gegenstand des (fingierten) Bescheids gemäß § 168 Satz 1 AO ist vielmehr ausschließlich die vom Schuldner der Kapitalertragsteuer --dem sog. Entrichtungsschuldner-- abzuführende Kapitalertragsteuer; diese Steuerfestsetzung ergeht mithin ebenso wie ein in Fällen der unterbliebenen oder fehlerhaften Anmeldung nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO erlassener Nacherhebungsbescheid nur gegenüber dem Entrichtungsschuldner als Steuerpflichtigen (§ 33 Abs. 1 AO; z.B. Senatsbeschluss vom 28. Juli 2009 I B 42/09, BFH/NV 2010, 5; zum Nachforderungsbescheid s. Senatsurteil vom 13. September 2000 I R 61/99, BFHE 193, 286, BStBl II 2001, 67).
b) Vorliegend kann nicht zweifelhaft sein, dass mit dem Bescheid vom 1. Dezember 2009 Kapitalertragsteuer (und Solidaritätszuschlag) gegenüber der Klägerin als Schuldnerin der Kapitalerträge festgesetzt worden ist. Dies ergibt sich nicht nur aus der Begründung des Bescheids, der unter Benennung der vorstehend genannten Vorschriften von der Entrichtung der Kapitalertragsteuer spricht. Hinzu kommt, dass mit dem Bescheid die von der Klägerin am 10. Januar 2001 erklärten Beträge festgesetzt wurden. Da die Klägerin diese Steueranmeldung als Entrichtungsschuldnerin abgegeben hatte, konnte für sie mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch kein Zweifel darüber bestehen, dass sie --nachdem sie sich mit ihrer von Anfang an vertretenen Qualifikation des Zahlungsvorgangs als Gewinnausschüttung durchgesetzt hatte-- als Entrichtungspflichtige in Anspruch genommen werden sollte.
c) Allerdings ist dem Vortrag der Klägerin insoweit zu folgen, als nach § 45a i.V.m. § 44 Abs. 1 EStG 1997 unbeschadet des in § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG 1997 geregelten Anmeldezeitraums sowohl die Kapitalertragsteueranmeldung als auch deren Festsetzung oder Nachforderung nicht zeitraum-, sondern sachverhaltsbezogen ausgestaltet ist (Senatsurteil vom 16. November 2011 I R 108/09, BFHE 236, 48, BStBl II 2013, 328). Der Streitfall gibt indes auch mit Rücksicht auf das Erfordernis der Bestimmtheit eines Festsetzungs- oder Nachforderungsbescheids keine Gelegenheit, die hieraus abzuleitende Anforderung an die Benennung des einzelnen kapitalertragsteuerpflichtigen Sachverhalts zu präzisieren. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung von Steuerbescheiden es nicht darauf ankommt, wie ein Außenstehender die Erklärung der Behörde auffassen musste; maßgeblich ist vielmehr, wie der Betroffene selbst den materiellen Gehalt der Erklärung nach den ihm bekannten Umständen sowie nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verstehen konnte (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Oktober 2005 IV R 55/04, BFHE 211, 387, BStBl II 2006, 404, m.w.N.). Hiervon ausgehend konnte aber für die Klägerin nicht fraglich sein, dass sie mit dem Bescheid vom 1. Dezember 2009 als Entrichtungsschuldnerin für die im Zusammenhang mit der Dividendenzahlung an die GfR (15. Dezember 2000) entstandene Kapitalertragsteuer in Anspruch genommen wird. Hierfür spricht nicht nur die Übereinstimmung mit den für diese Ausschüttung angemeldeten Beträgen. Zu Recht weist das FG ferner darauf hin, dass in der Begründung des Bescheids vom 1. Dezember 2009 ausdrücklich auf die durch den Einspruch der Klägerin veranlasste Änderung des Körperschaftsteuerbescheids 1999 (Minderung der Körperschaftsteuer) Bezug genommen worden ist und deshalb auch nicht ersichtlich ist, welcher Anlass für die Klägerin bestanden haben sollte, die hinreichende sachverhaltsbezogene Konkretisierung der festgesetzten Entrichtungssteuerschuld in Frage zu stellen.
2. Soweit das FA die Ansicht vertritt, dass die Steueranmeldung vom 10. Januar 2001 gegenstandslos geworden und die Klägerin --nachdem sie sich mit ihrer Rechtsansicht im Rahmen der Festsetzung der Körperschaftsteuer durchgesetzt habe-- verpflichtet gewesen sei, die Kapitalertragsteuer erneut mit der Folge anzumelden, dass das FA die Berechtigung erlangt habe, einen Nachforderungsbescheid zu erlassen, stimmt der Senat dem bereits im Ausgangspunkt nicht zu. Die Ansicht verkennt, dass die Klägerin mit der Anmeldung vom 10. Januar 2001 ihren Erklärungspflichten in vollem Umfang genügt hat und diese auch nicht dadurch wieder aufgelebt sind, dass die Klägerin nach Hinweis durch das FA gemäß § 44 Abs. 4 EStG 1997 die Aufhebung der Kapitalertragsteuerfestsetzung sowie die Erstattung des Steuereinbehalts beantragt hat. Eine solche Verpflichtung bedürfte einer ausdrücklichen Regelung, an der es vorliegend erkennbar fehlt; sie kann sich auch nicht aus § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ergeben, da die Klägerin die Kapitalertragsteuer vollständig und richtig erklärt hat (vgl. BFH-Urteile vom 4. Dezember 2012 VIII R 50/10, BFHE 239, 495, BStBl II 2014, 222; vom 23. Juli 2013 VIII R 32/11, BFHE 242, 21).
3. Gleichwohl ist der Revision stattzugeben.
a) Zwar ist der Nachforderungsbescheid nach Ablauf der allgemeinen Festsetzungsfrist ergangen (vgl. hierzu Senatsurteil vom 29. Januar 2003 I R 10/02, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687; Senatsbeschluss vom 14. Juli 1999 I B 151/98, BFHE 190, 1, BStBl II 2001, 556). Da die Kapitalertragsteueranmeldung am 10. Januar 2001 abgegeben wurde, ist die vierjährige Festsetzungsfrist mit dem 31. Dezember 2005 abgelaufen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Der Ablauf der Festsetzungsfrist war nicht aufgrund des Antrags der Klägerin vom 8. August 2002 gemäß § 171 Abs. 3 AO gehemmt, da das FA über die Aufhebung der Kapitalertragsteuerfestsetzung bereits mit Bescheid vom 9. Juli 2002 entschieden hatte. Doch ist der Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO) nach § 174 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Satz 1 AO unbeachtlich, da das FA am 1. Dezember 2009 sowohl die Körperschaftsteuerfestsetzung 1999 geändert und hierbei das Vorliegen einer Gewinnausschüttung erneut anerkannt als auch mit Bescheid vom selben Tag den im anhängigen Verfahren angefochtenen Bescheid zur Festsetzung der Kapitalertragsteuer erlassen hat. Zu Unrecht hat das FG das Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Bestandskraftdurchbrechung gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 AO verneint. Nach dieser Vorschrift, die auch für die Festsetzung der Kapitalertragsteuer uneingeschränkt anzuwenden ist (Senatsbeschluss in BFHE 190, 1, BStBl II 2001, 556), können dann, wenn auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird (Ausgangsbescheid), aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden (Folgebescheid).
b) Im Streitfall ist diesen Erfordernissen insoweit entsprochen, als unter dem nämlichen Sachverhalt, der sowohl dem Ausgangs- als auch dem Folgebescheid zugrunde liegen muss, der einzelne Lebensvorgang (Sachverhaltskomplex), nicht hingegen die einzelne steuererhebliche Tatsache oder das einzelne Merkmal zu verstehen ist (BFH-Urteil vom 10. Mai 2012 IV R 34/09, BFHE 239, 485, BStBl II 2013, 471, m.w.N.). Demgemäß ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Sachverhalt der Gewinnausschüttung auch den hierdurch bedingten Einbehalt der Kapitalertragsteuer umfasst. Letzteres gilt nicht nur für die Behandlung des Empfängers der Dividende (BFH-Urteil in BFHE 239, 485, BStBl II 2013, 471), sondern gleichermaßen für die ausschüttende Kapitalgesellschaft (vgl. --zum Erlass von Nachzahlungszinsen-- Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 5: wirtschaftlich derselbe Vorgang). Auch wird in § 174 Abs. 4 Satz 1 AO nicht gefordert, dass Ausgangs- und Folgebescheid dieselbe Steuerart betreffen; maßgeblich und hinreichend ist vielmehr, dass bezogen auf den zu beurteilenden Sachverhalt die Regelungsgegenstände sachlich miteinander verbunden sind (BFH-Urteil vom 30. August 2007 IV R 50/05, BFHE 218, 564, BStBl II 2008, 129; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 174 AO Rz 48). Letzteres ist auch im Streitfall zu bejahen, da die nämliche Gewinnausschüttung nicht nur nach dem früheren körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahren die Herstellung der Ausschüttungsbelastung (§ 27 des Körperschaftsteuergesetzes 1999), sondern --sachlich hier zusammenhängend-- zugleich die Pflicht zum Einbehalt und zur Abführung von Kapitalertragsteuer nach Maßgabe der §§ 43 ff. EStG 1997 ausgelöst hat.
c) Ferner wurde der Ausgangsbescheid (hier: Körperschaftsteuerbescheid) aufgrund eines Rechtsbehelfs der Klägerin (hier: Einspruch) innerhalb der hierfür maßgeblichen Festsetzungsfrist (hier: § 171 Abs. 3a AO) zu ihren Gunsten (hier: ausschüttungsbedingte Minderung der Körperschaftsteuer) geändert und mit weiterem Bescheid der hierdurch bedingte sog. negative Widerstreit durch Erlass des Folgebescheids (hier: Festsetzung der Kapitalertragsteuer gegenüber der Klägerin als Entrichtungsschuldnerin) aufgelöst. Dass beide Bescheide unter dem selben Datum ergangen sind, steht der Annahme eines nachträglichen Erlasses des Folgebescheids i.S. von § 174 Abs. 4 Satz 1 AO nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 2008 IV R 50/06, BFHE 220, 324, BStBl II 2009, 35).
d) Soweit die Klägerin die Ansicht vertritt, dass § 174 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Satz 3 AO deshalb im Streitfall den Erlass des Bescheids zur Festsetzung der Kapitalertragsteuer (und des Solidaritätszuschlags) nicht trage, weil sie als Dritte i.S. von § 174 Abs. 5 AO im Wege der Hinzuziehung am Einspruchsverfahren gegen den Körperschaftsteuerbescheid vom 1. September 2004 hätte beteiligt werden müssen, kann der Senat dem nicht folgen. Der Begriff des Dritten erfasst nach dem unmissverständlichen Regelungszusammenhang des § 174 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AO die Personen, denen gegenüber der geänderte oder aufgehobene Ausgangsbescheid (§ 174 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 AO) nicht als Steuerpflichtige ergangen ist (vgl. von Groll in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 174 AO Rz 313: Inhaltsadressat). Hierzu gehört die Klägerin erkennbar nicht, da sie an dem von ihr eingeleiteten Einspruchsverfahren gegen den Körperschaftsteuerbescheid vom 1. September 2004 als Steuerschuldnerin (§ 33 Abs. 1 Variante 1 AO) beteiligt war. Dass der nunmehr angefochtene Bescheid (Folgebescheid i.S. von § 174 Abs. 4 Satz 1, letzter Halbsatz AO) gegen sie als Entrichtungsschuldnerin der Kapitalertragsteuer und damit gleichfalls als Steuerpflichtige i.S. von § 33 Abs. 1 AO (Variante 3) gerichtet war, kann erkennbar zu keinem anderen Ergebnis führen. Zum einen deshalb nicht, weil der Einspruchsführer nicht zu seinem Einspruchsverfahren hinzugezogen werden kann (vgl. zur Beiladung BFH-Urteil vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359). Zum anderen gebietet auch der Sinn des § 174 Abs. 5 AO, dem Dritten die Wahrnehmung seiner Rechte auf der Grundlage einer förmlichen Verfahrensbeteiligung zu eröffnen (vgl. von Groll/Gräber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 174 AO Rz 310 f., m.w.N.), kein anderes Verständnis, wenn --wie vorliegend-- der geänderte Ausgangsbescheid vom Adressaten des Folgebescheids als Steuerpflichtiger angefochten worden ist.
e) Der Senat schließt sich auch nicht der Ansicht der Vorinstanz an, nach der das FA den angefochtenen Festsetzungsbescheid nur unter Wahrung der Anforderungen an einen sog. Nacherhebungsbescheid gemäß § 167 Satz 1, letzter Halbsatz AO habe erlassen dürfen.
Zwar ist es zutreffend, dass die --nach dem Willen des Gesetzgebers wahlweise zum Erlass eines Haftungsbescheids zulässige-- Nacherhebung der Kapitalertragsteuer nach ständiger Rechtsprechung daran gebunden ist, dass der Entrichtungsschuldner nicht den Nachweis führt, die ihm auferlegten Erklärungs-, Einbehalts- und Abzugspflichten nicht schuldhaft i.S. von § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG 1997 verletzt zu haben (sog. Exkulpationsmöglichkeit; Senatsurteile vom 20. August 2008 I R 29/07, BFHE 222, 500, BStBl II 2010, 142; in BFHE 193, 286, BStBl II 2001, 67). Indes sind diese Anforderungen --wie gleichfalls den Gesetzesmaterialien zu entnehmen-- nur dann zu beachten, wenn der Entrichtungspflichtige seiner Pflicht zur Steueranmeldung nicht genügt und er deshalb materiell-rechtlich als Haftungsschuldner der Kapitalertragsteuer in Anspruch genommen werden soll. Hat der Schuldner der Kapitalerträge hingegen seiner Pflicht zur Steueranmeldung entsprochen, so steht dies einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich, die "jederzeit nach § 164 AO geändert werden kann" (so zutreffend BTDrucks 11/2157, S. 194; ebenso z.B. Buciek in Beermann/Gosch, AO § 168 Rz 21, 27; Seer in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 168 AO Rz 8; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 168 Rz 4; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 168 AO Rz 10). Hiermit übereinstimmend hat auch der erkennende Senat in seinem Beschluss in BFHE 190, 1, BStBl II 2001, 556 darauf hingewiesen, dass es sich bei der Entrichtungsschuld um eine eigene Steuerschuld des Abzugsverpflichteten, nicht hingegen um eine (fiktive) Haftungsschuld handelt. Hieran hält der Senat für den Streitfall auch mit Rücksicht darauf fest, dass die Klägerin nicht aufgrund der Verletzung ihrer Erklärungspflichten (Steueranmeldeverpflichtung), sondern --vielmehr umgekehrt-- mit Bescheid vom 1. Dezember 2009 lediglich in dem von ihr bereits im am 10. Januar 2001 erklärten Umfang als Entrichtungsschuldnerin in Anspruch genommen wird. Dass der zwischenzeitlich ergangene Aufhebungsbescheid vom 9. Juli 2002 in Bestandskraft erwachsen (und infolge des Aufhebungsbescheides zugleich der Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufrechterhalten worden) ist (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 2013 I B 26/12, BFH/NV 2013, 1061; zur fehlenden Kennzeichnung des Vorbehalts der Nachprüfung s. BFH-Urteile vom 2. Dezember 1999 V R 19/99, BFHE 190, 288, BStBl II 2000, 284; vom 20. August 2009 V R 25/08, BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15), steht dem nicht entgegen. Die Regelung des § 174 Abs. 4 AO zielt gerade darauf ab, innerhalb ihrer tatbestandlichen Grenzen die Bestandskraft eines vorangegangenen --widerstreitenden-- (Folge-)Bescheids zu durchbrechen (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO); zum anderen wird die hierdurch eröffnete Möglichkeit zum Erlass einer (Neu-)Festsetzung auch nicht durch den Ablauf der Frist zur Festsetzung der Kapitalertragsteuer ausgeschlossen (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO).
f) Der Festsetzungsbescheid ist des Weiteren nicht deshalb aufzuheben, weil die Beteiligten davon ausgehen, dass das FA einen Nacherhebungsbescheid i.S. von § 167 Satz 1 AO erlassen habe. Denn die Rechtmäßigkeit eines Änderungsbescheids bestimmt sich ausschließlich danach, ob er von zumindest einer Änderungsbestimmung getragen wird. Ist dies der Fall, so führt der Umstand, dass das FA sich auf eine nicht einschlägige Vorschrift berufen hat, nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteil in BFHE 218, 564, BStBl II 2008, 129). Gleiches muss für die fälschliche Annahme eines Nacherhebungsbescheids gelten. Aus den nämlichen Gründen kann dahinstehen, ob die Klägerin ihre Berichtigungspflicht gemäß § 45a Abs. 5 EStG 1997 verletzt hat und das FA auch aus diesem Grund zum Erlass eines Nacherhebungsbescheids berechtigt gewesen wäre.
g) Schließlich lässt sich gegen die Rechtmäßigkeit des Festsetzungsbescheids vom 1. Dezember 2009 nicht einwenden, der Bescheid sei nicht ausdrücklich darauf gerichtet, den Aufhebungsbescheid vom 9. Juli 2002 in seiner Rechtswirkung außer Kraft zu setzen. Letzteres versteht sich aufgrund der der Klägerin bekannten Umstände von selbst und bedurfte deshalb unter Berücksichtigung der vorstehend dargelegten Grundsätze zur Auslegung von Steuerbescheiden aus Rechtsgründen keiner besonderen Erläuterung.
4. Die Sache ist spruchreif, da ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz über die Höhe der von der Klägerin zu entrichtenden Kapitalertragsteuer zwischen den Beteiligten kein Streit besteht. Auch der Senat erkennt keinen Anhalt für eine fehlerhafte Berechnung. Das Urteil der Vorinstanz ist nach alldem aufzuheben; die Klage ist abzuweisen.
5. Der Senat entscheidet durch Urteil, da nicht nur das FA, sondern auch die Klägerin gemäß § 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass die Prozessvertreter der Klägerin mit Schriftsatz vom 10. Mai 2013 geltend gemacht haben, bei dem mit der Revisionserwiderung erklärten Verzicht (Schriftsatz vom 24. Januar 2013: "Die Klägerin ist mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden") sei ein Übertragungsfehler unterlaufen und die fehlende Negation der Erklärung bei Durchsicht des Schriftsatzes nicht erkannt worden. Dieser Vortrag der Prozessvertreter ist nicht geeignet, die Wirksamkeit des zweifelsfrei erklärten Verzichts in Frage zu stellen. Der Verzicht kann als Bewirkungshandlung aufgrund seiner prozessgestaltenden Wirkung im Interesse einer eindeutigen und klaren prozessrechtlichen Lage grundsätzlich weder widerrufen noch wegen Irrtums angefochten werden. Offenbare, insbesondere auf einem Verschreiben oder sonstigem Versehen beruhende Irrtümer können allenfalls dann richtiggestellt werden, wenn sie --woran es vorliegend fehlt-- dem Empfänger der Erklärung bekannt oder erkennbar waren (vgl. zu allem BFH-Urteil vom 7. November 2000 III R 7/97, BFHE 193, 219, BStBl II 2001, 200, m.w.N.; Gräber/Koch, a.a.O., § 90 Rz 13, m.w.N.).