Entscheidungsdatum: 04.12.2012
1. Wer eine fehlerfreie Steuererklärung abgegeben hat, begeht keine Steuerhinterziehung, wenn er in einem Folgejahr einen vom FA zu Unrecht bestandskräftig festgestellten Verlustvortrag geltend macht.
2. Hat das FA die erforderlichen Informationen durch die Steuererklärung erhalten, scheidet die Annahme einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen aus, weil der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, Fehler des FA richtig zu stellen.
3. Ein Veranlagungsfehler des FA ist kein Anlass für die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung im Sinne des StraBEG vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2928).
I. Zwischen den Beteiligten ist die Wirksamkeit einer strafbefreienden Erklärung im Sinne des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2928) --StraBEG-- streitig.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren 1999 bis 2001 als selbständiger Internist eine Facharztpraxis. Er gab zunächst keine Steuerklärungen für die Jahre 1999 und 2000 ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) schätzte deshalb die Besteuerungsgrundlagen und setzte --jeweils unter Vorbehalt der Nachprüfung-- mit Bescheiden vom 23. Juli 2001 die Einkommensteuer für 1999 auf 305.540 DM und für 2000 auf 165.039 DM fest.
Mit dem dagegen erhobenen Einspruch legte der Kläger für die beiden Jahre Einkommensteuererklärungen vor. Die Erklärung für 1999 wies Einkünfte des Klägers aus seiner freiberuflich ausgeübten ärztlichen Tätigkeit in Höhe von 1.054.011 DM aus.
Aufgrund dieser Erklärung änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung für 1999 mit Bescheid vom 20. März 2002 und erfasste dabei die vom Kläger erklärten (positiven) Einkünfte irrtümlich als negative Einkünfte in Höhe von 1.047.588 DM.
Dieser Eingabefehler führte unter Einbeziehung weiterer negativer Einkünfte des Klägers und seiner Ehefrau insgesamt zu einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 1.732.909 DM, sodass die Einkommensteuer für 1999 auf 0 DM festgesetzt wurde. Die in der Folgezeit vorgenommenen Änderungen der Einkommensteuerveranlagung für 1999 führten im Ergebnis nicht zu einer höheren Festsetzung, aber --durch Bescheid vom 26. November 2002-- zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1999 für den Kläger auf 1.234.592 DM.
Aufgrund der Steuererklärung für 2000 setzte das FA die Einkommensteuer nach mehrmaligen Änderungen zuletzt mit Bescheid vom 29. August 2003 auf 0 DM --unter Ansatz eines Verlustvortrags hinsichtlich der Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit in Höhe von 365.669 DM-- fest und stellte mit Bescheid vom selben Tag den verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 840.145 DM fest.
Auf der Grundlage dieser Bescheide setzte der Kläger im Mantelbogen der Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 2001 in der Zeile 92 --Verlustabzug-- ein Kreuz im Kästchen Stpfl./Ehemann, sodass die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d EStG zum 31. Dezember 2001 für ihn bejaht wurde. Dementsprechend kreuzte er auf dem Mantelbogen neben der Einkommensteuererklärung auch die Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags an. Weiter war angegeben, dass die Steuerpflichtigen mit einer Einkommensteuererstattung rechneten. Auf der Rückseite der Anlage VA zur Einkommensteuererklärung 2001 waren in den Zeilen 16/17 das Bescheiddatum "08.04.2003" und in der Zeile 20 hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit ein Betrag in Höhe von "DM 841.730" eingetragen, mithin die Daten des bei der Fertigung der Steuererklärung vorliegenden Feststellungsbescheides vom 8. April 2003.
Mit Bescheid vom 29. August 2003 wurde die Einkommensteuer für 2001 auf 0 € festgesetzt, da u.a. ein Verlustvortrag auf Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 488.162 DM angesetzt wurde. Mit Bescheid vom selben Tag wurde der verbleibende Verlustvortrag zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2001 hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 351.983 DM reduziert.
Aufgrund der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr wurden dem Kläger sämtliche Einkommensteuervorauszahlungen nebst Zinsen erstattet. Des Weiteren hatte er in den Folgejahren keine Vorauszahlungen zu leisten.
Mit Bescheid vom 29. März 2004 ordnete das FA eine Außenprüfung für die Jahre 1999 bis 2001 hinsichtlich der Einkommen- und Umsatzsteuer an und erließ diese Anordnung --wegen zwischenzeitlichen Wechsels des Verfahrensbevollmächtigten durch den Kläger-- erneut mit Bescheid vom 7. April 2004 gegenüber dem neuen Verfahrensbevollmächtigten.
Die Prüfung begann am 21. Juni 2004.
Zuvor gab der Kläger am 3. Mai 2004 eine strafbefreiende Erklärung für die Jahre 2000 und 2001 ab. Die zu Unrecht nicht besteuerten Einnahmen i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StraBEG gab er mit 494.614 € an und bezifferte die zu entrichtende Abgabe mit 25 % des Betrages (123.653 €). Zugleich teilte er mit, "dass ein Verlustvortrag aus 1999 in 2000 zu Unrecht in Anspruch genommen wurde und dieser weiterhin auch in 2001 in Anspruch genommen wurde, nachdem er zum 31.12.2000 irrtümlich festgestellt wurde".
Die strafbefreiende Erklärung für das Jahr 2000 nahm der Kläger mit Schreiben vom 17. Mai 2005 zurück. Die strafbefreiende Erklärung für das Jahr 2001 lehnte das FA mit Bescheid vom 8. November 2005 mit der Begründung ab, mangels einer Straftat könne der Kläger keine strafbefreiende Erklärung abgeben.
Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 984 veröffentlichten Urteil ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Er habe mit seiner Erklärung, "mit einer Steuererstattung zu rechnen" sowie mit dem Ankreuzen der Kästchen in der Einkommensteuererklärung zum Verlustabzug zumindest konkludent eine steuerrechtlich unzutreffende Erklärung des Inhalts abgegeben, er habe Anspruch auf den festgestellten verbleibenden Verlustabzug. Zusammen mit der Versicherung auf dem Mantelbogen der Steuererklärung, die "Angaben nach bestem Wissen und Gewissen" gemacht zu haben, lägen damit unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen vor, sodass er den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) erfüllt habe.
Insbesondere gingen die Aktivitäten des Klägers über die Schwelle zwischen straffreier Hinnahme eines Veranlagungsfehlers einerseits und strafbarer Nutzung sowie Verfestigung eines solchen Fehlers hinaus. Zu Unrecht habe sich das FG deshalb nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Übernahme der Veranlagungsfehler des Jahres 1999 in die Folgejahre nicht zu einer Steuerhinterziehung führe. Im Übrigen habe der Kläger auch den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt.
Zu Unrecht habe das FG seine ablehnende Entscheidung auf den Zweck des StraBEG gestützt, nur "tätige Reue, nicht aber Steuerspargründe" begünstigen zu wollen. Wenn das Gericht den Begriff der tätigen Reue verwende, müsse es wohl selbst davon ausgegangen sein, der Kläger habe gegen § 370 AO verstoßen. Schließlich habe der Kläger seine strafbefreiende Erklärung deutlich vor Beginn der Außenprüfung und damit rechtzeitig abgegeben.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie den angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. Juni 2005 aufzuheben.
Das FA beantragt, im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Urteils, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Zu Recht hat das FG das Vorliegen einer wirksamen strafbefreienden Erklärung des Klägers nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 StraBEG mit der Begründung verneint, der Kläger habe weder --wie von § 1 Abs. 1 StraBEG vorausgesetzt-- unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht noch die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen.
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1. Nach § 1 Abs. 1 StraBEG kommt die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung nur für Steuerpflichtige in Betracht, die |
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gegenüber den Finanzbehörden unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht oder |
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die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben |
und dadurch Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Vermögensteuer, Gewerbesteuer, Erbschaftsteuer, Schenkungsteuer oder Abzugsteuern nach dem Einkommensteuergesetz verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt haben. |
Diese Voraussetzungen hat das FG im Streitfall rechtsfehlerfrei verneint.
2. Unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen hat der Kläger nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht gemacht.
So enthielt die für das Jahr 1999 abgegebene Einkommensteuererklärung den zutreffenden Ausweis der erzielten positiven Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit. Ihre Erfassung als negative Einkünfte in dem daraufhin ergangenen Einkommensteuerbescheid beruhte allein auf einem Eingabefehler der Bediensteten des FA.
Auch die für die Folgejahre abgegebenen Einkommensteuererklärungen enthielten keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben. Insbesondere rechtfertigte es die Bestandskraft des Bescheides über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31. Dezember 1999, den festgestellten Verlustvortrag durch Ankreuzen in Zeile 92 des Mantelbogens der Einkommensteuererklärung in Anspruch zu nehmen und zu erklären, mit einer Erstattung zu rechnen.
3. Der Kläger hat mit diesen Erklärungen das FA auch nicht "pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen" und damit i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO den Tatbestand der Steuerhinterziehung begangen.
Diese Vorschrift setzt voraus, dass der Steuerpflichtige im konkreten Fall verpflichtet ist, der Finanzbehörde bestimmte steuerlich erhebliche Tatsachen zur Kenntnis zu bringen (Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 370 AO Rz 92).
Steuerlich erhebliche Tatsache ist im Streitfall der Umstand, dass der Kläger in den Jahren 1999 und 2000 positive Einkünfte erzielt hat. Hinsichtlich dieser Tatsache fehlt es an einer Unkenntnis der Finanzbehörde i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, nachdem diese Einkünfte vom Kläger ordnungsgemäß erklärt worden waren.
Hat nämlich die Finanzbehörde --auf welchem Weg auch immer-- die erforderlichen Informationen erhalten (hier im Streitfall durch die Steuererklärungen des Klägers), so scheidet eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen aus (Hellmann in HHSp, § 370 AO Rz 94; Joeks in Franzen/Gast/Joeks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO Rz 157).
Abgesehen davon setzt die Anwendung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) voraus, dass der Steuerpflichtige dem FA steuerlich erhebliche Informationen vorenthält (vgl. BGH-Urteil vom 20. Mai 1981 2 StR 666/80, BGHSt 30, 122, 124).
Eine darüber hinausgehende Pflicht des Steuerpflichtigen, das FA auf ihm selbst unterlaufene und aus den Steuerakten ersichtliche Fehler sowie auf eine sich daraus ergebende Möglichkeit zur Änderung von Steuerbescheiden zu Lasten des Steuerpflichtigen hinzuweisen, ist nicht gegeben. Denn eine --wie auch immer zu begründende-- Garantenstellung als Voraussetzung für die Pflicht zur Mitwirkung an der Korrektur von Steuerbescheiden setzt jedenfalls ein vorangegangenes pflichtwidriges Tun, "ein pflichtwidriges gefährdendes Vorverhalten" voraus (vgl. Hellmann in HHSp, § 370 AO Rz 110, m.w.N.), das im Streitfall angesichts der ordnungsgemäß abgegebenen Steuererklärungen ersichtlich nicht gegeben ist.
Mit der Abgabe einer vollständigen und ordnungsgemäßen Steuer-erklärung hat der Steuerpflichtige seine Erklärungspflichten erfüllt. Weicht die aufgrund der zutreffend erklärten Tatsachen durchgeführte Veranlagung des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten vom geltenden Recht ab, ergeben sich aus dem Verfahrensrecht keine weiteren Erklärungspflichten.
Dies zeigt auch § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, der eine Erklärungspflicht im Anschluss an eine abgegebene Steuererklärung u.a. nur vorsieht, wenn diese Erklärung "unrichtig oder unvollständig" war. Fehlt eine solche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, bestehen keine Berichtigungs- oder Erklärungspflichten nach § 153 AO (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Oktober 1966 VI 328/65, BFHE 87, 539, BStBl III 1967, 231; Heuermann in HHSp, § 153 AO Rz 8).