Entscheidungsdatum: 23.10.2013
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Streitjahren 2004 bis 2006 (u.a.) Kapitaleinkünfte aus den Niederlanden, Kanada, Puerto Rico (USA) und Italien. Die hierauf entfallenden ausländischen Steuerabzüge rechnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) auf die festgesetzte Einkommensteuer nach Maßgabe von § 34c Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) und der hiernach anzustellenden Höchstbetragsberechnung nur teilweise an. Es ergaben sich folgende Werte:
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Jahr |
ausländische Kapitaleinnahmen |
Ausländische
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hierauf entfallende ausländische Steuern |
angerechnete ausländische Steuern |
2004 |
2.801 € |
1.279 € |
593 € |
FG: 253 € |
2005 |
10.650 € |
5.517 € |
2.457 € |
FG: 972 € |
2006 |
11.865 € |
5.409 € |
2.421 € |
FG: 1.142 € |
Das Begehren des Klägers, die auf die ausländischen Kapitaleinkünfte entfallenden ausländischen Steuern insgesamt anzurechnen, blieb erfolglos. Das FA wies sowohl den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2006 als auch die Einsprüche gegen den Bescheid zurück, durch welchen der Antrag auf Änderung der bestandskräftigen, aber unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheide 2004 und 2005 abgelehnt worden war. Auch die anschließende Klage wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 9. März 2011 2 K 221/08, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1528).
Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er schränkt sein Begehren nunmehr ein und beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und
1. den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2006 dahingehend abzuändern, dass die auf die ausländischen Kapitaleinkünfte entfallenden, im Ausland gezahlten Steuern bei der deutschen Einkommensteuer angerechnet werden, soweit dies bislang aufgrund der Nichtberücksichtigung der steuerlich abziehbaren Kosten der Lebensführung bei der Anrechnungshöchstbetragsberechnung sowie der Anwendung der sog. Per-Country-Limitation unterblieben ist, sowie
2. das FA zu verpflichten, die unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheide 2004 und 2005 entsprechend dem Antrag zu 1. abzuändern.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zugleich erklärt es sich bereit, dem klägerischen Begehren im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 28. Februar 2013 C-168/11 "Beker und Beker" (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2013, 518) teilweise zu entsprechen, nämlich dadurch, dass im Rahmen der Berechnung des Höchstbetrages nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG 2002, um den Anteil der auf die ausländischen Einkünfte entfallenden Teil der festzusetzenden Einkommensteuer zu ermitteln, wie bisher auch die vom Kläger erwirtschafteten Einkünfte in das Verhältnis zur Summe der Einkünfte gesetzt, dabei aber nunmehr von der Summe der Einkünfte jeweils die angefallenen Sonderausgaben in vollem Umfang (2004: 5.069 €; 2005: 5.736 €; 2006: 5.069 €) abgezogen werden. Es vertritt die Auffassung, die Streitfrage der sog. Per-Country-Limitation wirke sich jedenfalls für die Streitjahre 2005 und 2006 nicht aus, weil die Erträge und Steueranrechnungsbeträge aus den Fondsbeteiligungen aus Vereinfachungsgründen ohnehin als Ertrag und Steueranrechnungsbetrag aus jeweils einem Staat behandelt worden seien. Dass sich per Saldo für den Kläger ein größeres Anrechnungsvolumen ergebe, sei rechnerisch nicht ersichtlich und setzte voraus, dass jener nachweise, wie sich die anzurechnenden ausländischen Steuern aus den Fondsbeteiligungen im Einzelnen zusammensetzten. Das sei bislang nicht geschehen. Auch für das Streitjahr 2004 verhalte es sich im Ergebnis nicht anders, weil das Ergebnis mit und ohne Berücksichtigung der länderbezogenen Höchstbetragsberechnung übereinstimme.
Der Bereitschaft des FA, auf dieser Berechnungsbasis die angefochtenen Steuerbescheide zu ändern und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, hat sich der Kläger nicht angeschlossen. Er beharrt nach wie vor auf einer Entscheidung, die sich jetzt allerdings darauf richtet, den sog. Sparer-Freibetrag gemäß § 20 Abs. 4 EStG 2002 bei den ausländischen Einkünften unberücksichtigt zu belassen. Unabhängig davon seien die ausländischen Ertragsteuern bei zutreffendem Verständnis der unionsrechtlichen Grundfreiheiten in voller Höhe anzurechnen. Der Bundesfinanzhof (BFH) sei aufgerufen, hier "rechtsfortbildend" tätig zu werden.
Eine tatsächliche Änderung der angefochtenen Bescheide hat das FA bislang nicht vorgenommen.
II. Die Revision ist begründet; sie führt schon aus formellen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Das Urteil des FG ist zu Verwaltungsakten ergangen, die im Zeitpunkt der Entscheidung materiell nicht mehr wirksam waren. Denn Gegenstand des Klageverfahrens waren zum einen der Bescheid über Einkommensteuer 2006 vom 19. März 2008 sowie zum anderen der Bescheid vom 20. März 2008, mittels dessen das FA die Anträge des Klägers abgelehnt hat, die unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheide über Einkommensteuer vom 6. August 2007 für 2004 sowie vom 11. April 2007 für 2005 zu ändern. Tatsächlich sind die betreffenden Einkommensteuerbescheide zwischenzeitlich jedoch sämtlich geändert worden, und zwar durch Bescheide vom 14. April 2010. Weder hat der Kläger seinen Klage- und Revisionsantrag an diese Änderungsbescheide angepasst, noch ist das FG offenbar über das Ergehen der Änderungsbescheide gemäß § 68 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Kenntnis gesetzt worden. Dementsprechend ist sein Urteil gegen die zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr existenten Bescheide ergangen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Darin liegt ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens.
Zwar widerspräche es gleichwohl Sinn und Zweck des § 68 Satz 1 FGO, die Vorentscheidung aufzuheben, wenn durch den Änderungsbescheid keine neuen Streitpunkte in das Verfahren eingeführt worden sind und das FG in Unkenntnis der Änderungsbescheide über die früheren Bescheide befunden hat. Denn jener Sinn und Zweck besteht gerade darin, das Verfahren trotz Ergehens von Änderungsbescheiden fortsetzen zu können. Andernfalls würde sich eine Aufhebung und Zurückverweisung darin erschöpfen, der Vorinstanz Gelegenheit zu geben, den Änderungsbescheid datumsmäßig zu erfassen. Aus prozessökonomischen Gründen reicht deshalb in einem solchen Fall eine Richtigstellung in der Rechtsmittelentscheidung aus (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 2010 I R 62/09, BFHE 230, 18, m.w.N.).
Im Streitfall kann jedoch nicht ausnahmsweise von einer Zurückverweisung abgesehen werden. Die Beteiligten streiten im Kern über das Verhältnis inländischer und ausländischer Einkünfte im Rahmen der sog. Höchstbetragsberechnung nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 und der danach anzurechnenden ausländischen Steuern. Ausweislich der vom FA nunmehr zur Akte gereichten Änderungsbescheide vom 14. April 2010 liegen den Änderungen geänderte Beteiligungseinkünfte des Klägers zugrunde. Diese Änderungen haben offenbar auch Änderungen der anrechenbaren ausländischen Steuern nach sich gezogen; im Einzelnen lässt sich dies nach Aktenlage und in Anbetracht der bislang gänzlich fehlenden Berechnungen über die anzurechnenden Steuern sowohl der Verfahrensbeteiligten als auch der Vorinstanz nicht nachvollziehen. Die notwendigen Einzelberechnungen sind im zweiten Rechtsgang nachzuholen. Im Zuge dessen wird das FG zu prüfen haben, ob sich die in Rede stehende sog. Per-Country-Limitation im Rahmen der Höchstbetragsberechnung nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 für den Kläger rechnerisch überhaupt auswirkt und die für die Zulässigkeit der Klage notwendige Beschwer herbeiführt. Einzubeziehen sind hierbei die Grundsätze, welche aus dem EuGH-Urteil in DStR 2013, 518 resultieren.