Entscheidungsdatum: 23.04.2012
NV: Trägt der von der Vorinstanz gewährte Billigkeitserweis den besonderen tatsächlichen Gegebenheiten des Streitfalls --verspätete Weitergabe von Daten infolge einer technischen Panne beim Registergericht-- Rechnung, sind diese Gegebenheiten ebenso wie der Billigkeitserweis im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens wegen Nichtzulassung der Revision nicht verallgemeinerungsfähig und die aufgeworfene Rechtsfrage deswegen nicht klärungsbedürftig .
I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), eine GmbH, schloss am 16. November 2007 mit ihrer alleinigen Gesellschafterin einen notariell beurkundeten Ergebnisabführungsvertrag (EAV), in dem sie sich verpflichtete, erstmals für das ab dem 1. Januar 2007 laufende Geschäftsjahr ihren ganzen Gewinn an ihre Gesellschafterin abzuführen. Der EAV wurde nebst Zustimmungsbeschlüssen der beteiligten Gesellschaften, Handelsregisteranmeldung und Begleitschreiben am 10. Dezember 2007 durch den beurkundenden Notar im Wege der elektronischen Registeranmeldung zur Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichts (AG) A übermittelt und ist dort am selben Tag auf dem Server des … Ministeriums der Justiz eingegangen. Aufgrund einer technischen Panne bei der Weiterverarbeitung der eingegangenen Daten wurden die Anmeldedokumente zunächst nicht an das zuständige Registergericht weitergeleitet. Erst am 7. Januar 2008 wurde der Abschluss des EAV schließlich im Handelsregister des AG A eingetragen. Die Eintragungsvoraussetzungen für den EAV lagen ausweislich eines ergänzenden Hinweises zum Handelsregistereintrag bereits am 13. Dezember 2007 vor.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) lehnte den Antrag der Klägerin auf Herabsetzung der Vorauszahlungen zur Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuermessbetrags für Vorauszahlungszwecke für das Streitjahr (2007) auf 0 € ab. Als Begründung wurde angeführt, dass der EAV erst mit der Eintragung im Jahr 2008 wirksam geworden sei. Nachdem der Einspruch erfolglos geblieben war, erhob die Klägerin hiergegen Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf (FG). Erstmals im Klageverfahren hat die Klägerin hilfsweise auch einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 der Abgabenordnung (AO) gestellt. Dieser Antrag wurde vom FA ebenfalls abgelehnt. Die hiergegen zulässig erhobene Sprungklage wurde vom FG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit dem bereits anhängigen Verfahren verbunden.
Das FG gab der Klage mit Urteil vom 17. Mai 2011 (Az. 6 K 3100/09 K,G,AO) statt. Es hat dabei offengelassen, ob es noch vor Ablauf des Streitjahres zu einer wirksamen Eintragung des EAV gekommen ist. Jedenfalls könne die Klägerin eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO beanspruchen, da sie die verspätete Eintragung in das Handelsregister nicht zu vertreten habe und die Zurechnung der sich hierdurch ergebenden nachteiligen Rechtsfolgen den Wertungen des Gesetzgebers eindeutig widersprechen würde.
Mit der Beschwerde beantragt das FA, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zuzulassen.
II. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision des FA ist als unbegründet zurückzuweisen. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), noch dient sie der Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist (so z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. März 2009 VI B 105/08, BFH/NV 2009, 1140). Die klärungsbedürftige Rechtsfrage kann jedoch nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn eine Aussage zu dieser Rechtsfrage erforderlich ist, um das Entscheidungsergebnis zu begründen; sie muss für die Entscheidung des Streitfalles rechtserheblich sein (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 15. März 2011 VI B 151/10, BFH/NV 2011, 1003; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 30; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz 53, m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall.
a) Wenn das FA die Rechtsfrage formuliert, es sei zu klären, ob bei der Frage der sachlichen Unbilligkeit das Fehlverhalten bzw. der Fehler einer anderen Behörde --außerhalb der Finanzverwaltung-- zugunsten des Steuerpflichtigen im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme berücksichtigt werden kann, ist diese Rechtsfrage für den zu entscheidenden Fall nicht rechtserheblich. Denn diese Rechtsfrage stellt sich in dieser Allgemeinheit im zu entscheidenden Streitfall nicht.
aa) Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Das FG ist davon ausgegangen, dass eine solche Situation dann gegeben sein kann, wenn die Finanzverwaltung steuerrechtliche Folgen an die Entscheidung anderer Behörden (hier des Registergerichts) knüpft und diese Entscheidung (hier Eintragung in das Handelsregister) für das betroffene Unternehmen zu einer höheren Steuerbelastung führt. Dies entspricht im Kern einer verbreiteten Auffassung, nach der sich die Unbilligkeit der Steuererhebung u.a. aus einem Fehlverhalten einer Behörde ergeben kann, wenn dieses ohne hinzutretendes Verschulden des Steuerpflichtigen zur Entstehung oder Erhöhung einer Steuer geführt hat (Senatsbeschluss vom 4. November 2004 I B 43/04, BFH/NV 2005, 707; Loose in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 227 AO Rz 70, m.w.N.).
bb) Die Inanspruchnahme einer Billigkeitsmaßnahme hängt jedoch --worauf die Klägerin zutreffend hinweist-- nicht allein davon ab, ob ein behördliches Fehlverhalten vorliegt. Sachliche Billigkeitsgründe sind gegeben, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25. November 1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II 1981, 204; vom 12. Januar 1989 IV R 67/87, BFHE 155, 484, BStBl II 1990, 259; vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3; Senatsurteil vom 8. März 1984 I R 44/80, BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415, m.w.N.; Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 163 Rz 32). Das FA geht in seiner Beschwerde insofern von einem Wertungswiderspruch aus, den die Vorinstanz unrichtig eingeschätzt habe. Der beschließende Senat lässt es dahinstehen, ob Letzteres zutrifft. Selbst wenn es sich so verhielte und das FA die Rechtsfrage auch hinreichend deutlich herausgestellt hätte, wäre die Revision nicht zuzulassen. Denn der von der Vorinstanz gewährte Billigkeitserweis trägt den besonderen tatsächlichen Gegebenheiten des Streitfalles --verspätete Weiterverarbeitung der eingegangenen Daten infolge einer technischen Panne beim Registergericht-- Rechnung. Diese Gegebenheiten sind ebenso wie der Billigkeitserweis nicht verallgemeinerungsfähig und die aufgeworfene Rechtsfrage ist deswegen nicht klärungsbedürftig.
b) Das FA kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, dass auch das FG bei seiner Entscheidung weder auf die gesetzgeberische Wertung in § 14 des Körperschaftsteuergesetzes noch auf einen möglichen Schadensersatzanspruch aus § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingegangen ist. Mag der Einzelfall vom FG auch sachlich unrichtig entschieden worden sein, genügt dies allein noch nicht, um das für den Zulassungsgrund erforderliche Allgemeininteresse zu indizieren (BFH-Beschluss vom 22. Februar 2007 VI B 29/06, BFH/NV 2007, 969).
2. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung liegt nur vor, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 53, m.w.N.).
Aus den Ausführungen des FA ist bereits nicht zu entnehmen, dass den genannten Entscheidungen abweichende Rechtssätze zugrunde liegen. Zudem wird nicht herausgearbeitet, dass es sich um vergleichbare Sachverhalte handelt. Die Beschwerde entspricht insoweit nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO und ist insoweit unzulässig.
3. Soweit die Beschwerdebegründung sich darüber hinaus gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung des FG richtet, wird damit kein Zulassungsgrund geltend gemacht. Wegen etwaiger inhaltlicher Mängel der finanzgerichtlichen Entscheidung ist die Revision nur dann gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des FG "objektiv willkürlich" erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 4. August 2010 X B 198/09, BFH/NV 2010, 2102). Dies ist weder vorgetragen noch erkennbar.