Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 17.03.2015


BGH 17.03.2015 - GSSt 1/14

Zulässigkeit einer Vorlegung an den Großen Senat für Strafsachen zu Konkurrenzverhältnissen bei Betäubungsmitteldelikten


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Großer Senat für Strafsachen
Entscheidungsdatum:
17.03.2015
Aktenzeichen:
GSSt 1/14
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend BGH, 22. Mai 2014, Az: 4 StR 223/13, Vorlagebeschlussvorgehend LG Dortmund, 15. Januar 2013, Az: 44 KLs 63/12
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Zur Zulässigkeit einer Vorlegung an den Großen Senat für Strafsachen.

Tenor

Die Sache wird an den 4. Strafsenat zurückgegeben.

Gründe

I.

1

1. In einem beim 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs anhängigen Verfahren hat das Landgericht den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

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Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen war der Angeklagte zunächst als Auslieferungskurier von Betäubungsmitteln für seinen Neffen     B.    sowie für eine weitere Person tätig. Dabei lieferte er an verschiedene Abnehmer Kokain in Portionen ab 100 Gramm zum Preis von 44 € pro Gramm aus und wurde dafür jeweils mit 100 € entlohnt. Lieferant dieses Kokains war ein mit der Familie B.    verwandter Marokkaner namens       D.    (im Folgenden D.    ) in R.     . Diese Mitwirkung des Angeklagten an den Taten seines Neffen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

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Nachdem     B.    dem Angeklagten die Geschäfte übergeben und ihm einen Restvorrat von 600 Gramm Kokain mit dem Bemerken überlassen hatte, er habe 20.000 € für Kokain bei D.    hinterlegt, ereigneten sich die im Ausgangsverfahren abgeurteilten Taten. Der Angeklagte begab sich erstmals am 21. Mai 2012 mit seinem Pkw zu D.    nach R.     , der Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 80 % Kokainhydrochlorid in den Radkasten des Fahrzeugs einbaute, dem Angeklagten, ohne dass dieser hierfür sofort Geld zahlen musste, 1.500 € als Anzahlung auf seinen (Gewinn-)Anteil übergab und weitere 1.000 € nach dem Abverkauf des Rauschgifts in Aussicht stellte. Der Angeklagte führte das Kokain nach Deutschland ein und verkaufte es in Teilmengen von 200, 300 bzw. 500 Gramm an verschiedene, ihm aus seiner Tätigkeit als Auslieferungskurier bekannte Personen zum Preis von 44 € pro Gramm weiter (Fall II. 1 der Urteilsgründe).

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Nach vorheriger Bestellung weiterer 500 Gramm Kokain bei D.    fuhr der Angeklagte am 31. Mai 2012 erneut nach R.     , wo er D.    den Verkaufserlös von 44.000 € aus der vorangegangenen Lieferung übergab und von ihm neben seinem Anteil die bestellten 500 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 80 % Kokainhydrochlorid erhielt. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland verkaufte er auch dieses Kokain nach Portionierung in Teilmengen ab 100 Gramm an verschiedene Abnehmer weiter, erneut zum Preis von 44 € pro Gramm (Fall II. 2 der Urteilsgründe).

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Am 8. Juni 2012 teilte D.    dem Angeklagten in einem Telefonat mit, er verfüge wieder über Kokain. Daraufhin begab sich der Angeklagte am 11. Juni 2012 mit seinem Pkw und den aus den letzten Verkäufen stammenden 22.000 € wieder nach R.     . Dieses Geld übergab er D.    und erhielt seinen Anteil sowie 1.088 Gramm Kokain mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 86 % Kokainhydrochlorid. Nachdem der Angeklagte aus den Niederlanden kommend die Grenze nach Deutschland passiert hatte, wurde er einer Kontrolle unterzogen, bei der das Kokain aufgefunden und sichergestellt wurde (Fall II. 3 der Urteilsgründe).

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2. a) Diese Verurteilung wird vom Angeklagten mit der Revision umfassend angefochten. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

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b) Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das angefochtene Urteil durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO wegen Teilidentität der Ausführungshandlungen im Schuldspruch dahin zu ändern, dass der Angeklagte wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist, das angefochtene Urteil im gesamten Strafausspruch aufzuheben, die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen und die weiter gehende Revision zu verwerfen.

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3. Der 4. Strafsenat möchte den Schuldspruch des angefochtenen Urteils dahin ändern, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit drei Fällen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist. Er ist der Auffassung, die objektiven Ausführungshandlungen des dreimaligen Betäubungsmittelhandels überschnitten sich jeweils in einem Teilakt, da die Fahrten nach R.     in allen drei Fällen sowohl dem Transport des Erlöses aus der vorangegangenen Lieferung zum Lieferanten als auch der Abholung der neuen Lieferung gedient hätten. Der tateinheitlichen Verknüpfung der drei Handelsgeschäfte stehe auch nicht entgegen, dass der Angeklagte durch die Einfuhr der Betäubungsmittel in die Bundesrepublik jeweils auch den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG erfüllt habe, der gegenüber dem Betäubungsmittelhandel in nicht geringer Menge mit einem Strafrahmen von einem bis zu 15 Jahren (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) eine um ein Jahr höhere Mindeststrafe vorsehe. Dieser Umstand ändere nichts an der annähernden Wertgleichheit der beiden Straftatbestände und könne daher einer Verklammerung der drei Einfuhrtaten durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht entgegenstehen. An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich der Senat durch Rechtsprechung des 3. Strafsenats gehindert. Dieser hat mit Beschluss vom 15. Februar 2011 – 3 StR 3/11 – entschieden, dass mehrere zu Tateinheit zusammengefasste Bewertungseinheiten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht die schwerer wiegenden Taten der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Tateinheit verklammern können.

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4. Auf Anfrage des 4. Strafsenats vom 31. Juli 2013 gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG (NStZ-RR 2014, 144) hat der 3. Strafsenat mit Beschluss vom 6. Februar 2014 – 3 ARs 7/13 (NStZ-RR 2014, 146) mitgeteilt, dass er an seiner der beabsichtigten Entscheidung des 4. Strafsenats entgegenstehenden Rechtsprechung festhalte. Der 2. Strafsenat hat mitgeteilt, dass die beabsichtigte Entscheidung des 4. Strafsenats der eigenen Rechtsprechung nicht entgegenstehe. Er neige jedoch dazu, die Annahme von Tateinheit mit Blick auf die weite Auslegung des Begriffs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln durch die Rechtsprechung nicht noch weiter auf die der Anfrage zu Grunde liegende Fallkonstellation auszudehnen.

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5. Mit Beschluss vom 22. Mai 2014 hat der 4. Strafsenat dem Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 Abs. 2 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

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„Verbindet eine – infolge tateinheitlicher Verknüpfung mehrerer Bewertungseinheiten – einheitliche Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mehrere zu deren Verwirklichung vorgenommene Einfuhren von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Tat der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge?“

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6. Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:

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„Eine – infolge tateinheitlicher Verknüpfung mehrerer Bewertungseinheiten – einheitliche Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kann mehrere zu deren Verwirklichung vorgenommene Einfuhren von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht zu einer Tat der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verbinden.“

II.

14

Die Sache wird an den vorlegenden Senat zurückgegeben, weil die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Großen Senats nicht gegeben sind.

15

1. Gemäß § 132 Abs. 2 GVG ist eine Sache dem Großen Senat für Strafsachen vorzulegen, wenn ein Strafsenat in einer Rechtsfrage von einem anderen Strafsenat abweichen will und die Beantwortung dieser Rechtsfrage sowohl für die abweichende Vorentscheidung als auch für die beabsichtigte Entscheidung ergebnisrelevant und deshalb erheblich ist (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1961 – 2 StR 289/61, BGHSt 16, 271, 278; Urteil vom 22. April 1997 – 1 StR 701/96, BGHSt 43, 53, 58; SSW-StPO/Quentin, § 132 GVG Rn. 2).

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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Große Senat zwar zur eigenständigen Prüfung der Zulässigkeit der Vorlegung berufen. Er legt jedoch regelmäßig die rechtliche Wertung des Sachverhalts durch den vorlegenden Senat zu Grunde, wenn diese nicht unvertretbar ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 – GSSt 1/96, BGHSt 42, 139, 144; KK-StPO/Hannich, 7. Aufl., § 132 GVG Rn. 4). Dabei ist die Prüfung am Maßstab der Vertretbarkeit nicht nur auf die rechtliche Bewertung durch den vorlegenden Senat beschränkt, sondern, soweit erforderlich, auch auf dessen Würdigung des dem Ausgangsverfahren zu Grunde liegenden Sachverhalts einschließlich der Beweiswürdigung zu erstrecken (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1956 – GSSt 2/56, BGHSt 9, 390, 392; BGH, Beschluss vom 5. November 1991 – 4 StR 350/91, BGHSt 38, 106, 108 f.). Dabei ist bislang offen geblieben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Große Senat an die Bewertung des festgestellten Sachverhalts im Vorlegungsbeschluss gebunden ist. Diese Frage bedarf auch aus Anlass des vorliegenden Falles keiner abschließenden Klärung. Denn jedenfalls kommt eine Entscheidung über die Vorlegungsfrage dann nicht in Betracht, wenn der Vorlagebeschluss eine Auseinandersetzung mit einem sich aufdrängenden anderen Sachverhaltsverständnis nicht erkennen lässt, dessen Berücksichtigung die angenommene Divergenz beseitigt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 1990 – VIII ARZ 1/90, NJW 1990, 3142).

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2. So liegt der Fall hier.

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a) Die Bejahung der Vorlegungsvoraussetzungen durch den 4. Strafsenat beruht ersichtlich auf einer Auslegung der im angefochtenen Urteil getroffenen (teilweise etwas unklaren) Sachverhaltsfeststellungen dahin, der Angeklagte sei in der Position eines Zwischenhändlers tätig gewesen. Er habe bei seinem Lieferanten in den Niederlanden jeweils eine bestimmte Menge an Betäubungsmitteln bestellt, diese auf Kredit ausgehändigt bekommen, nach deren Einfuhr und Weiterverkauf aus seinem Erlös den zu entrichtenden Kaufpreis an den Lieferanten bei Entgegennahme der nächsten Lieferung übergeben und die „Spanne“ aus dem Weiterverkauf als Gewinn für sich behalten. Nach dieser Sachverhaltsauslegung wäre die im Vorlegungsbeschluss aufgeworfene Rechtsfrage entscheidungserheblich im Sinne des § 132 Abs. 2 GVG.

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b) Allerdings legen die vom Landgericht im Ausgangsverfahren getroffenen Feststellungen nahe, der Angeklagte sei nicht als (selbständiger) Zwischenhändler aufgetreten, sondern habe, im Lager des D.    stehend, gemeinschaftlich mit diesem Betäubungsmittel in arbeitsteiligem Zusammenwirken an verschiedene Abnehmer gewinnbringend weiterverkauft. Die Annahme einer mittäterschaftlichen Teilnahme des Angeklagten an den Taten des D.    drängt sich deshalb auf, weil der Angeklagte das Rauschgift, ohne einen Kaufpreis zahlen zu müssen, sogar zuzüglich 1.500 € als Anzahlung auf seinen Anteil erhielt und den dann von ihm erzielten Kaufpreis vollständig an D.    ablieferte. Dies spricht gegen die Annahme eines selbständig tätigen Zwischenhändlers und für eine Einbindung auf Seiten des D.    . Demgemäß hat die Strafkammer in dem Urteil vom 15. Januar 2013 ausdrücklich erörtert, dass der Angeklagte in allen Fällen als Täter zu bestrafen sei, da er alle Tatbestandsmerkmale eigenhändig verwirklicht und die alleinige Täterschaft sowohl bezüglich der Einfuhrfahrt als auch hinsichtlich des Abverkaufs gehabt habe, woran auch der Umstand, dass er in vorbestehende Handels- und Preisstrukturen eingestiegen sei und sein Anteil am Gewinn von vornherein festgestanden sei, nichts ändere.

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Diese Prüfung, ob der Angeklagte Täter oder nur Gehilfe war, belegt, dass der Tatrichter selbst diesen nicht als selbständigen Zwischenhändler angesehen hat, bei dem die Annahme bloßer Beihilfe fernliegend gewesen wäre.

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3. Bei Annahme des zuletzt (II.2b) dargelegten Tatablaufs wäre von drei selbständigen Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ohne Überschneidung in einem Teilbereich der Ausführungshandlungen auszugehen. Zwar unterfallen auch dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge dem weit auszulegenden Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 4. November 1982 – 4 StR 451/82, BGHSt 31, 145; und vom 7. Februar 2008 – 5 StR 242/07, NStZ 2008, 465). Im Fall des Transports von Drogengeldern, wie im vorliegenden Fall, setzt dies jedoch voraus, dass das zu Grunde liegende Rauschgiftgeschäft noch nicht beendet (BGH, Beschluss vom 5. November 1991 – 1 StR 361/91, NStZ 1992, 495), der Geldfluss noch nicht „zur Ruhe gekommen“ ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158). Da die Strafkammer zu einem organisierten Absatz- und Finanzsystem keine Feststellungen getroffen hat (zur Frage der Beendigung in solchen Fällen vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 aaO), wäre im vorliegenden Fall die Tat des Handeltreibens jeweils mit dem Verkauf der letzten Teilmenge aus der jeweiligen Einfuhrfahrt und der Entgegennahme des Kaufgeldes durch den Angeklagten beendet. Die Überbringung des Erlöses vom Angeklagten an D.    und die Auszahlung des Anteils an den Angeklagten wären dann lediglich als Ausgleich innerhalb der Gemeinschaft der Mittäter im Sinne einer Beuteteilung zu bewerten; der Zeitpunkt der Beendigung der jeweiligen Tat würde dadurch nicht hinausgeschoben (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2012 – 2 StR 31/12, NStZ 2012, 383). Danach lägen drei selbständige Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vor, deren Ausführungshandlungen sich nicht überschneiden. Die vorgelegte Rechtsfrage zur möglichen Verklammerung mehrerer Taten der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch eine einheitliche Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist auf der Grundlage dieses Verständnisses der tatrichterlichen Feststellungen nicht entscheidungserheblich.

22

Die Sache ist daher an den vorlegenden Senat zurückzugeben.

Limperg

Raum   

        

Sost-Scheible

Pfister

Rothfuß

Appl   

        

Franke

     Schäfer

Schneider     

        

    König     

        

Krehl