Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 06.10.2015


BGH 06.10.2015 - EnZR 50/14

Rückforderung von Stromnetznutzungsentgelt: Darlegung der Billigkeit der Netzentgelte durch den Netzbetreiber; Erschütterung der Indizwirkung einer Entgeltgenehmigung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
06.10.2015
Aktenzeichen:
EnZR 50/14
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2015:061015BENZR50.14.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Düsseldorf, 13. August 2014, Az: VI-2 U (Kart) 2/13, Urteilvorgehend LG Düsseldorf, 1. Juli 2013, Az: 37 O 62/11 (Kart), Urteilnachgehend BGH, 8. März 2016, Az: EnZR 50/14, Revision zurückgewiesennachgehend BGH, 11. Mai 2016, Az: EnZR 50/14, Beschlussnachgehend BVerfG, 26. September 2017, Az: 1 BvR 1486/16, Nichtannahmebeschluss
Zitierte Gesetze
§§ 21ff EnWG

Tenor

1. Die Klägerin wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision gemäß § 552a ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 558.800 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor; diese hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

2

1. Dem Rechtsstreit kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 ZPO). Die vom Berufungsgericht für die Zulassung der Revision angeführten und die weiteren von der Revision aufgeworfenen Fragen hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden (Senatsurteil vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 33 ff. - Stromnetznutzungsentgelt V). Danach kann sich der Netzbetreiber zur Darlegung der Billigkeit der von ihm verlangten Netzentgelte - in einem ersten Schritt - auf die Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG stützen (Senatsurteil aaO Rn. 36 - Stromnetznutzungsentgelt V); dies gilt nach der Senatsrechtsprechung - anders als das Berufungsgericht ihr zu entnehmen können meint - nicht nur für die erste Genehmigungsrunde, sondern für den gesamten Zeitraum der kostenbasierten Entgeltgenehmigung. In der Entscheidung hat der Senat auch zu den Anforderungen an die Erschütterung der Indizwirkung nähere Vorgaben gemacht (Senatsurteil aaO Rn. 36, 38 f. - Stromnetznutzungsentgelt V). Weiterer Leitlinien bedarf es vorliegend nicht.

3

2. Die Revision der Klägerin hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechts- und verfahrensfehlerfrei angenommen, dass die Klägerin die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 30. Januar 2008 nicht erschüttert hat und ihr deshalb der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch nicht zusteht.

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a) Nach der Rechtsprechung des Senats hat der Netzbetreiber die Billigkeit der von ihm verlangten Entgelte darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen; dies gilt auch im Rückforderungsprozess, wenn der Netznutzer die Entgelte nur unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Nachprüfung gezahlt hat (vgl. Senatsurteil vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 33 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V). Der Maßstab der Billigkeit in § 315 BGB ist im Rahmen der Überprüfung von Netzentgelten kein individueller, sondern muss aus der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und den für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben gewonnen werden; dieser Maßstab wird durch §§ 21 ff. EnWG konkretisiert (Senatsurteil aaO Rn. 34 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V).

5

Wie der Senat des Weiteren bereits entschieden hat, kann sich der Netzbetreiber nach Inkrafttreten des EnWG 2005 zur Darlegung der Billigkeit der von ihm verlangten Netzentgelte - in einem ersten Schritt - auf die Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG stützen. Diese stellt aufgrund der engen Vorgaben der Entgeltkontrolle nach den energiewirtschaftsrechtlichen Vorschriften und der damit verbundenen Prüftiefe durch die (neutralen) Regulierungsbehörden ein gewichtiges Indiz für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte dar (Senatsurteil vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 36 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V). Es obliegt dann dem Netznutzer, im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen die behördlich genehmigten Netzentgelte überhöht sein sollen, und die indizielle Wirkung der Entgeltgenehmigung zu erschüttern. Insoweit kann er etwa geltend machen, dass die Regulierungsbehörde gegen Vorschriften des EnWG oder der StromNEV bzw. GasNEV verstoßen hat oder die Entgeltgenehmigung auf unrichtigen Tatsachenangaben des Netzbetreibers in den Antragsunterlagen beruht, deren Fehlerhaftigkeit im Genehmigungsverfahren nicht aufgedeckt worden ist (vgl. Senatsurteil aaO Rn. 23 - Stromnetznutzungsentgelt V). Gelingt ihm dies, muss der Netzbetreiber seine Kostenkalkulation vorlegen und im Einzelnen näher erläutern.

6

b) Von diesen Maßgaben ist das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat auch rechts- und verfahrensfehlerfrei angenommen, dass sich die Beklagte zum Nachweis der Billigkeit der von ihr verlangten Netzentgelte auf die Netzentgeltgenehmigung vom 30. Januar 2008 stützen konnte, weil die Klägerin keine substantiierten Einwendungen erhoben hat, die diese Indizwirkung erschüttern konnten. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.

7

aa) Das Berufungsgericht durfte von der Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 30. Januar 2008 ausgehen, ohne - wie die Revision meint - Feststellungen dazu treffen zu müssen, ob im konkreten Fall die in den energiewirtschaftsrechtlichen Vorschriften vorgesehene Prüftiefe tatsächlich erreicht worden ist. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG aufgrund der engen Vorgaben der Entgeltkontrolle und der damit verbundenen Prüftiefe durch die - neutralen - Regulierungsbehörden generell ein gewichtiges Indiz für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte dar (vgl. Senatsurteile vom 20. Juli 2010 - EnZR 23/09, RdE 2010, 385 Rn. 41 ff. - Stromnetznutzungsentgelt IV und vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 36 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V). Weiterer Darlegungen des Netzbetreibers und entsprechender tatrichterlicher Feststellungen zur Einhaltung dieser Maßgaben im konkreten Einzelfall bedarf es nicht. Vielmehr obliegt es dann dem Netznutzer, im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen die behördlich genehmigten Netzentgelte überhöht sein sollen, und die indizielle Wirkung der Entgeltgenehmigung zu erschüttern (Senatsurteil vom 15. Mai 2012, aaO - Stromnetznutzungsentgelt V).

8

Aufgrund dessen bleiben die Angriffe der Revision gegen die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht zur Begründung der Indizwirkung angestellten Überlegungen, der Rechtsbegriff der Billigkeit eröffne dem Netzbetreiber einen Kalkulationsspielraum, während die Annahme der Unbilligkeit eine erhebliche Abweichung von den Netznutzungsentgelten vergleichbarer Stromverteilnetzbetreiber voraussetze, ohne Erfolg. Diese - ohnehin nicht tragenden - Erwägungen des Berufungsgerichts sind für die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung unerheblich. Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe den Vortrag der Klägerin übergangen, die Entgeltgenehmigung vom 30. Januar 2008 sei nur aufgrund einer lückenhaften, rasterhaften Prüfung ergangen, trifft dies nicht zu, weil sich das Berufungsgericht insoweit die Ausführungen des Landgerichts zu dem klägerischen Vorbringen zu eigen gemacht hat. Darüber hinaus wird die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Regulierungsbehörden bekanntermaßen und vom Senat berücksichtigt - mehr noch in der ersten als in der zweiten Genehmigungsrunde - ein Prüfraster verwendet und Prüfungsschwerpunkte gebildet haben.

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Schließlich bleibt auch die Rüge der Revision ohne Erfolg, das Berufungsgericht hätte nach § 139 ZPO darauf hinweisen müssen, dass es die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung zu bejahen beabsichtige. Eines solchen Hinweises bedurfte es bereits deshalb nicht, weil die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung den Kern des Rechtsstreits bildete und das Berufungsgericht lediglich die - den Parteien hinlänglich bekannte - Rechtsprechung des Senats anwendete.

10

bb) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht an die Erschütterung der Indizwirkung der Entgeltgenehmigung keine überhöhten Anforderungen gestellt.

11

Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, dass der Netznutzer nicht nur substantiiert und nachvollziehbar darzulegen hat, aus welchen Gründen das behördlich genehmigte Entgelt im konkreten Einzelfall unbillig überhöht sein soll, sondern dies auch gegebenenfalls zu beweisen hat, mag dies zwar missverständlich sein. Dies hat sich aber nicht entscheidungserheblich ausgewirkt, weil das Berufungsgericht keine Beweislastentscheidung getroffen, sondern die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung bereits mangels hinreichender Darlegung als nicht erschüttert angesehen hat.

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Die Revision wendet sich auch vergeblich gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts, der Netznutzer sei "mit allen Argumenten" ausgeschlossen, die sich auf die generellen Schwächen der Datenerhebung sowie die generelle Dichte und Tiefe der Prüfung durch die Bundesnetzagentur beziehen. Das Berufungsgericht begründet damit lediglich die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung als solche. Es schränkt damit aber nicht - was seine Ausführungen zu den einzelnen Einwendungen der Klägerin gegen die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 30. Januar 2008 belegen - die Möglichkeiten zur Erschütterung der Indizwirkung im konkreten Einzelfall ein.

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cc) Schließlich halten auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den Einwendungen der Klägerin gegen die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 30. Januar 2008 einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

14

(1) Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Klägerin, die von der Beklagten verlangten Netzentgelte seien allein deshalb überhöht, weil die Höhe des Eigenkapitals der Beklagten von 40% über dem Durchschnitt liege, als unsubstantiiert angesehen. Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Es fehlt vor allem an einer konkreten Darlegung der Klägerin, inwieweit die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbehörde die angesetzte Eigenkapitalquote nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft hat. Ihr Vorbringen erschöpft sich im Wesentlichen in allgemeinen Ausführungen zu bilanziellen Eigenkapitalquoten bei der Konzernmutter der Beklagten wie bei anderen Netzbetreibern, die keinen konkreten Bezug zu der kalkulatorischen Eigenkapitalquote der Beklagten aufweisen. Die sachgerechte Begrenzung der Eigenkapitalquote auf das notwendige Maß ist - was unter anderem §§ 6, 7 StromNEV zeigen - ein wesentliches Ziel der Entgeltregulierung und war im Rahmen der ersten Genehmigungsverfahren einer der Hauptstreitpunkte zwischen Netzbetreibern und Regulierungsbehörden (vgl. Senatsurteil vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 38 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht aus dem Beschlussentwurf der Bundesnetzagentur zu "Vorgaben zum Tätigkeitsabschluss für die Gasfernleitung und die Gasverteilung nach § 6b Abs. 3 EnWG" (BK9-15/601-1). Dieser Entwurf betrifft das Regime der Anreizregulierung und soll Missbrauchsmöglichkeiten in vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen begegnen, Verbindlichkeiten aus dem Netzbetrieb zu anderen Tätigkeiten des Unternehmens zu verlagern und dadurch das Eigenkapital des Netzbetriebs zu erhöhen. Dass dies vorliegend der Fall ist, hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen.

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(2) Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand der Revision, die von der Bundesnetzagentur genehmigte Eigenkapitalverzinsung der Beklagten von 6,5% sei zu hoch. Soweit die Revision dies mit dem von der Bundesnetzagentur für die erste Periode der Anreizregulierung anhand des Capital Asset Pricing Model (CAPM) festgelegten und nach Auffassung der Klägerin ebenfalls überhöhten Eigenkapitalzinssatz begründet, trifft dies nicht zu. Wie der Senat mit Beschluss vom 27. Januar 2015 (EnVR 39/13, EnWZ 2015, 273 Rn. 12 ff. - Thyssengas GmbH) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist diese Festlegung nicht zu beanstanden.

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(3) Unsubstantiiert sind auch die weiteren Einwendungen der Klägerin, die genehmigten Entgelte seien überhöht, weil die Bundesnetzagentur Anlagevermögen der Beklagten berücksichtigt habe, ohne zu prüfen, ob das Anlagevermögen betriebsnotwendig sei, und weil die aufwandsgleichen Kosten überhöht seien. Insoweit fehlt es bereits an konkretem Vorbringen der Klägerin dazu, dass die Beklagte im Genehmigungsverfahren unzutreffende Angaben gemacht hat. Die Klägerin hat lediglich pauschal und ohne jeden Bezug zum konkreten Genehmigungsverfahren behauptet, die von der Beklagten beantragten und von der Bundesnetzagentur angesetzten Abschreibungen für das Anlagevermögen seien um 25% und die Restwerte des Sachanlagevermögens seien um 12,5% zu kürzen, die aufwandsgleichen Kosten seien nicht überprüft worden und deshalb zu hoch. Dies genügt den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag, aus welchen Gründen die behördlich genehmigten Netzentgelte überhöht sein sollen, nicht.

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(4) Entgegen der Revision hat das Berufungsgericht auch ohne Rechtsfehler von einer Vorlage der ungeschwärzten Genehmigungsunterlagen der Beklagten nach § 142 ZPO abgesehen. Hierfür bestand aufgrund des - nicht substantiierten - Vorbingens der Klägerin kein Anlass (vgl. Senatsurteil vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 40 - Stromnetznutzungsentgelt V). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Revision angeführten, indes die Rechtslage zu § 12 BTOElt betreffenden Urteil des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 5. Februar 2003 (VIII ZR 111/02, BGHZ 154, 5, 9).

18

II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Limperg                              Kirchhoff                                Grüneberg

                      Bacher                                  Deichfuß

Das Verfahren wurde mit Senatsbeschluss vom 8. März 2016 erledigt.