Entscheidungsdatum: 09.10.2018
Galvanische Verbindung
Die Regulierungsbehörde hat die Abrechnungspraxis eines Netzbetreibers nach § 31 Abs. 1 EnWG auch in Bezug auf vergangene Zeiträume zu überprüfen, wenn sich das beanstandete Verhalten als einheitlicher Lebenssachverhalt darstellt, sich die für die Beurteilung maßgeblichen Regeln nicht geändert haben und der Streit zwischen den Beteiligten nicht beigelegt ist.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Bundesnetzagentur trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 70.000 Euro festgesetzt.
A. Die Antragstellerin betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz auf den Ebenen der Nieder- und Mittelspannung, das in zwei Umspannwerken über insgesamt drei Entnahmestellen an das von der Antragsgegnerin betriebene Hochspannungsnetz angeschlossen ist. Die beiden Umspannwerke sind auf der Ebene der Mittelspannung so miteinander verbunden, dass die Bezugslast vollständig vom einen auf das andere verlagert werden kann. Auf der Ebene der Hochspannung besteht kundenseitig keine galvanische Verbindung.
Bis Ende 2013 hat die Antragsgegnerin die drei Entnahmestellen gepoolt abgerechnet. Mit Schreiben vom 5. Februar 2014 kündigte sie an, im Hinblick auf die umstrittene Auslegung der am 1. Januar 2014 in Kraft getretenen Regelung in § 17 Abs. 2a StromNEV zunächst lediglich Abschläge zu erheben. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2014 teilte sie mit, ein Pooling sei seit dem 1. Januar 2014 nicht mehr möglich.
Mit Schreiben vom 04.03.2015 hat die Antragstellerin bei der Bundesnetzagentur beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der Missbrauchsaufsicht nach § 31 EnWG zu verpflichten, die Netznutzungsentgelte mit Wirkung zum 1. Januar 2014 unter Berücksichtigung eines Pooling im Wege der zeitgleichen richtungsgleichen Addition zu ermitteln.
Die Bundesnetzagentur hat festgestellt, dass das Verhalten der Antragsgegnerin gegen § 21 EnWG und § 17 Abs. 2a StromNEV verstößt, und die Antragsgegnerin unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags verpflichtet, eine zeitgleiche Zusammenführung der Leistungswerte gemäß § 17 Abs. 2a Satz 4 Nr. 2 StromNEV vorzunehmen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin ist erfolglos geblieben.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht den Ausgangsbescheid teilweise aufgehoben und die Bundesnetzagentur verpflichtet, der Antragsgegnerin aufzugeben, eine zeitgleiche Zusammenführung der Leistungswerte gemäß § 17 Abs. 2a Satz 4 Nr. 2 StromNEV mit Wirkung zum 1. Januar 2014 vorzunehmen. Dagegen wendet sich die Bundesnetzagentur mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Antragstellerin entgegentritt.
B. Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.
I. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:
Zu Unrecht habe die Bundesnetzagentur den Missbrauchsantrag als unzulässig angesehen, soweit sich dieser auf die Abrechnung für das Jahr 2014 beziehe. Zwar ergebe sich aus dem Zweck von § 31 EnWG das Erfordernis, dass der Antragsteller gegenwärtig in seinen Interessen berührt sei. Diese Voraussetzung sei im Streitfall aber auch für das Jahr 2014 erfüllt. Die Weigerung der Antragsgegnerin, die Entnahmestellen gepoolt abzurechnen, stelle sich insgesamt als andauernde, die Interessen der Antragstellerin gegenwärtig beeinträchtigende Zuwiderhandlung dar. Die von der Bundesnetzagentur vorgenommene Aufspaltung des einheitlichen Lebenssachverhalts werde der Funktion des Missbrauchsverfahrens nicht gerecht und berge das nicht unerhebliche Risiko zufälliger Entscheidungen.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
Zu Recht ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragstellerin ein erhebliches Interesse an einer Überprüfung der Abrechnungspraxis der Antragsgegnerin auch im Hinblick auf das Jahr 2014 hat.
1. Nach § 31 Abs. 1 EnWG können Personen, deren Interessen durch das Verhalten eines Netzbetreibers erheblich berührt werden, bei der Regulierungsbehörde einen Antrag auf Überprüfung dieses Verhaltens stellen.
Diese Vorschrift gibt dem Antragsteller ein subjektives Recht und eröffnet ihm damit die Möglichkeit, gerichtlich nachprüfen zu lassen, ob die Voraussetzungen für eine behördliche Überprüfung erfüllt sind, wenn die Regulierungsbehörde eine solche ablehnt (BGH, Beschluss vom 14. April 2015 - EnVR 45/13, RdE 2015, 410 Rn. 19 - Zuhause-Kraftwerk).
2. Im Streitfall hat die Bundesnetzagentur in ihrem Ausgangsbescheid ein erhebliches Interesse der Antragstellerin an einer Überprüfung der im Oktober 2014 angekündigten Abrechnungspraxis der Antragsgegnerin in Bezug auf die drei Abnahmestellen für die Zeit ab 1. Januar 2015 bejaht. Auch die Rechtsbeschwerde zieht dies nicht in Zweifel. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.
3. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde besteht ein solches Interesse auch hinsichtlich des Jahres 2014.
a) § 31 EnWG dient der Umsetzung von Art. 23 Abs. 5 der Richtlinie 2003/54/EG (jetzt Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72/EG). Danach soll die Regulierungsbehörde in den dort geregelten Fällen als Streitbeilegungsstelle eine Entscheidung treffen.
Diese Zwecksetzung legt es nahe, ein erhebliches Interesse des Antragstellers nur dann zu bejahen, wenn das beanstandete Verhalten ihn gegenwärtig in seinen Interessen berührt und deshalb ein anerkennenswertes Bedürfnis für eine Streitbeilegung durch die Regulierungsbehörde besteht. Ausgehend davon könnte ein Anspruch auf behördliche Überprüfung zu verneinen sein, wenn ein Streit noch nicht entstanden oder bereits abgeschlossen ist und die Regulierungsbehörde deshalb nur über eine abstrakte Rechtsfrage zu entscheiden hätte.
Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Antrag nach § 31 Abs. 1 EnWG unter diesem Aspekt als unzulässig anzusehen ist, bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung.
b) Im Streitfall hat das Beschwerdegericht ein gegenwärtiges erhebliches Interesse an einer Überprüfung in Bezug auf das Jahr 2014 zu Recht schon deshalb als gegeben angesehen, weil sich das beanstandete Verhalten als einheitlicher Lebenssachverhalt darstellt, die für die Beurteilung maßgeblichen Regeln sich seit dem 1. Januar 2014 nicht geändert haben und der Streit zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin über die Abrechnung für das Jahr 2014 nicht beigelegt ist.
Die Antragsgegnerin hat erstmals für das Jahr 2014 in der beanstandeten Weise abgerechnet und diese Praxis in der Folgezeit fortgesetzt. Die für die Beurteilung maßgeblichen Vorschriften in § 17 Abs. 2a StromNEV haben sich in diesem Zeitraum nicht geändert. Angesichts dessen stellt sich das beanstandete Verhalten als einheitlicher Lebenssachverhalt dar, der insgesamt der in § 31 Abs. 1 EnWG vorgesehenen Überprüfung zuzuführen ist.
c) Der Umstand, dass die Netzentgelte jährlich abzurechnen sind, führt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
Die Erteilung einer Abrechnung führt nicht dazu, dass ein Streit der Beteiligten über die dafür maßgeblichen Regeln beigelegt ist. Insbesondere wenn es einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung bedarf, kommt es sogar typischerweise erst im Nachhinein zu einer endgültigen Klärung und erforderlichenfalls zu einer Korrektur der Abrechnung. Dementsprechend hat der Senat bereits entschieden, dass ein Antrag nach § 31 Abs.1 EnWG nicht schon deshalb als unzulässig anzusehen ist, weil sich das Begehren des Antragstellers auf die Anpassung von Netzentgelten für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezieht (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 – EnVR 12/17 Rn. 16).
d) Vor diesem Hintergrund ist ein Antrag nach § 31 Abs. 1 EnWG auch nicht ohne weiteres deshalb als unzulässig anzusehen, weil das beanstandete Verhalten schon seit geraumer Zeit praktiziert wird.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein Anspruch auf Überprüfung auch dann bestehen kann, wenn der Antragsgegner das beanstandete Verhalten schon vor langer Zeit beendet und der Antragsteller erst mit erheblichem zeitlichem Abstand Beanstandungen erhoben hat. Solange der Antragsgegner sich weiterhin in der beanstandeten Weise verhält und sich die für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Vorschriften nicht geändert haben, bildet das beanstandete Verhalten jedenfalls einen einheitlichen Lebenssachverhalt, der gegebenenfalls einer einheitlichen Überprüfung nach § 31 Abs. 1 EnWG zu unterziehen ist.
e) Der von der Rechtsbeschwerde aufgezeigten Möglichkeit, dass zivilrechtliche Ansprüche des Antragstellers für zurückliegende Zeiträume möglicherweise verjährt sind, kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu.
aa) Zwar gehört es grundsätzlich nicht zu den Aufgaben der Regulierungsbehörde, solche Fragen zu klären. Eine Überprüfung nach § 31 Abs. 1 EnWG hat aber nicht zur Folge, dass sich die Regulierungsbehörde mit Verjährungsfragen befassen muss.
Die Einleitung eines Verfahrens führt zwar nach § 32 Abs. 5 Satz 1 EnWG dazu, dass die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs aus § 32 Abs. 3 EnWG gehemmt wird. Im Verfahren nach § 31 EnWG kann sich die Regulierungsbehörde aber auf die Prüfung der Frage beschränken, ob das beanstandete Verhalten mit den einschlägigen Rechtsvorschriften in Einklang steht. Sie ist nicht gehalten, den Antragsgegner zur Erstattung zu Unrecht vereinnahmter Entgelte oder zur Zahlung von Schadensersatz zu verpflichten, sondern kann den Antragsteller insoweit auf den Zivilrechtsweg verweisen.
bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde führt eine solche Vorgehensweise nicht zu einer unzulässigen Überschneidung mit dem Zuständigkeitsbereich der Zivilgerichte.
Sofern die Regulierungsbehörde feststellt, dass das beanstandete Verhalten von einem bestimmten Zeitpunkt an gegen Rechtsvorschriften verstoßen hat, sind die Gerichte in einem nachfolgenden Rechtsstreit über Schadensersatzansprüche daran gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 EnWG allerdings auch im Hinblick auf zurückliegende Zeiträume gebunden. Auf die Verjährung hat eine solche Feststellung indes keinen Einfluss. Insoweit verbleibt es bei der bereits mit Einleitung des Verfahrens eintretenden Hemmungswirkung. Auch unter diesem Aspekt braucht sich die Regulierungsbehörde folglich nicht mit der Frage zu befassen, inwieweit dem Antragsteller aus dem zur Überprüfung gestellten einheitlichen Lebenssachverhalt zivilrechtliche Ansprüche für die Vergangenheit zustehen.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.
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