Entscheidungsdatum: 25.10.2016
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I. In der Hauptsache begehrt die Klägerin Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen einer vermeintlich geschlechtszuweisenden Operation in Verbindung mit einer Hormontherapie in den Jahren 1994/1995. Den Antrag lehnte der Beklagte mangels tätlichen Angriffs ab (Bescheid vom 26.7.2010; Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 1.8.2012), das LSG die Berufung zurückgewiesen. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, dass die Klägerin unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG nicht zum Gewaltopfer im Sinne des Gesetzes geworden sei, selbst wenn man unterstelle, dass die angeschuldigten ärztlichen Eingriffe und Behandlungsmaßnahmen als vorsätzliche Körperverletzung strafbare ärztliche Eingriffe darstellten. Denn diese seien zum Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv - also aus Sicht eines verständigen Dritten - jedenfalls auch dem Wohl der Klägerin im Sinne der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R) dienlich gewesen. Dies ergebe sich aus den nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H., der auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendmedizin seit vielen Jahren als einer der führenden Experten für die Therapie und Begleitung von Menschen mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung - auch aus dem Erwachsenenbereich - anerkannt sei (Urteil vom 10.5.2016).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und rügt das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Sache verkannt sowie einen Verfahrensfehler begangen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensfehlers nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin hält es für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, |
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ob ein ärztlicher Eingriff in Verbindung mit einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie, für den keine medizinische Notwendigkeit besteht, der nicht einmal eine Schönheitsoperation darstellt, einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff darstellt, der einen Anspruch für Gewaltopfer im Sinne des OEG auslöst. |
Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin damit eine einzelfallübergreifende Rechtsfrage benannt hat, legt sie jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dar. Denn, wie die Klägerin in ihrer Begründung ebenso ausführt, hat sich der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 29.4.2010 (B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17) mit der Rechtsfrage befasst, ob ein ärztlicher Eingriff ein tätlicher, rechtswidriger Angriff iS von § 1 OEG sein kann. Hierzu hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, dass ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff dann ein tätlicher Angriff iS des OEG ist, wenn er aus der Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohle des Patienten dient (vgl BSG, aaO, RdNr 42). Damit ist allerdings die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt, sodass die grundsätzliche Bedeutung entfällt. Denn eine Rechtsfrage ist dann nicht mehr klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist. Um darzulegen, dass einer bereits entschiedenen Rechtsfrage gleichwohl noch grundsätzliche Bedeutung zukomme, hat ein Beschwerdeführer aufzuzeigen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen werde bzw die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten sei (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51). Derartiges trägt die Klägerin allerdings nicht vor. Vielmehr gibt sie selbst zu erkennen, dass sie die Rechtsfrage für geklärt erachtet, da sie in ihrer Beschwerde ausführt, dass genau das vom BSG zitierte Urteil in seiner Begründung geeignet ist, ebenfalls ihren Anspruch nach dem OEG zu begründen. Tatsächlich rügt die Beschwerdebegründung, das LSG habe die gesetzliche Regelung des § 1 OEG unrichtig angewandt. Die behaupteten Fehler der Rechtsanwendung sind jedoch für sich allein kein Zulassungsgrund für die Revision (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auch darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könnte (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin bezeichnet jedoch keinen Beweisantrag, den das LSG übergangen haben könnte. Ein solcher Antrag wird nicht einmal behauptet. Vielmehr kritisiert die Klägerin auch insoweit die Entscheidungsfindung durch das LSG auf der Grundlage des Gutachtens Prof. Dr. H., der ihrer Meinung nach nicht geeignet ist, als Gutachter der Kinder- und Jugendmedizin ihren Fall nach dem Stand der Wissenschaft zu bewerten. Auch habe sich ein sehr deutlicher Beweis, dass es den Behandlern nicht um eine Heilung, sondern um eine Geschlechtszuweisung gegangen sei, in den dem LSG vorliegenden Akten befunden, der hätte berücksichtigt werden müssen. Bloße Angriffe auf die Beweiswürdigung des LSG können allerdings - wie oben ausgeführt - nicht zur Zulassung der Revision führen, auch wenn sie in die Gestalt einer Sachaufklärungsrüge gekleidet sind. Darüber hinaus hat die Klägerin nicht ausreichend dargelegt, dass sich das LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung zu einer weiteren Beweisaufnahme hätte gedrängt fühlen müssen. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 5) ist das Gericht nur dann gemäß § 103 SGG zu weiteren Ermittlungen verpflichtet, wenn die vorliegenden Beweismittel nicht ausreichen, um die entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen. Davon ist das LSG jedoch nach seiner Rechtsauffassung nicht ausgegangen, ungeachtet dessen, dass die Klägerin keine weiteren Beweisanträge gestellt hat.
4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).