Entscheidungsdatum: 20.03.2017
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 2016 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
I. In der Hauptsache ist die rückwirkende Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 seit der Geburt des Klägers am 2.6.2006 streitig. Der Beklagte stellte einen GdB von 50 rückwirkend ab der Diagnose einer autistischen Störung am 23.2.2010 fest (Teilabhilfebescheid vom 21.6.2011; Widerspruchsbescheid vom 8.7.2011). Das SG hat die weitergehende Klage abgewiesen, weil der Beklagte zwar ein besonderes Interesse an der Feststellung angenommen habe, eine Funktionsbehinderung ab Geburt jedoch nicht nachgewiesen sei (Gerichtsbescheid vom 6.5.2013). Das LSG hat den Beklagten nach kinder- und jugendpsychiatrischer Begutachtung des Klägers antragsgemäß verurteilt und zur Begründung ua ausgeführt, entsprechende Teilhabedefizite hätten nach der Einschätzung der medizinischen Sachverständigen bereits seit Geburt vorgelegen. Ein besonderes Interesse an der rückwirkenden Feststellung habe der Beklagte bereits in der Ausgangsentscheidung bejaht (Urteil vom 27.6.2016).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und rügt jetzt noch die Verletzung rechtlichen Gehörs sowie Mängel bei der Beauftragung und Erstellung des Sachverständigengutachtens, nachdem sich seine Grundsatzrüge erledigt hat.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der aufgeführte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Beklagte macht geltend, das LSG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, indem es ein besonderes Interesse des Klägers an der rückwirkenden Feststellung des GdB angenommen habe, obwohl er dies nicht glaubhaft gemacht habe. Mit diesem Vortrag legt der Beklagte keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) dar. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können. Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten. Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann. Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG Beschluss vom 29.12.2015 - B 9 V 62/15 B - Juris). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Zwar trägt der Beklagte vor, er habe das SG darauf hingewiesen, dass der Kläger das besondere Interesse nicht glaubhaft gemacht habe. Allerdings äußert er sich nicht dazu, wieso er einen entsprechenden Hinweis nicht erneut auch gegenüber dem LSG abgegeben hat, nachdem das SG ein besonderes Interesse des Klägers bejaht hatte. Insbesondere versäumt die Beschwerdebegründung eine Auseinandersetzung damit, wieso der Beklagte nicht einen entsprechenden prozessordnungsgemäßen Beweisantrag formuliert und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat, nachdem im Berufungsverfahren auch noch ein Gutachten zugunsten des Klägers vorlag.
Der Beklagte rügt ferner im Zusammenhang mit der von Amts wegen in Auftrag gegebenen Begutachtung des Klägers, das LSG habe den Gutachtenauftrag erst nach der Begutachtung vom ursprünglich benannten Gutachter auf die tatsächlich tätig gewordene Gutachterin umgestellt. Diese sei als langjährig behandelnde Ärztin des Klägers nicht unbefangen und habe ihrerseits eine Ärztin in Weiterbildung mit der Befragung der Eltern und dem Gutachtenentwurf befasst. Mit diesem Vortrag sind durchgreifende Verfahrensmängel nicht aufgezeigt.
Zwar ist ein Sachverständiger nicht befugt, den vom Gericht erteilten Auftrag auf einen anderen zu übertragen (§ 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 407a Abs 3 S 1 ZPO). Das Gericht ist auch nicht befugt, die unzulässige Übertragung des Gutachtenauftrags nachträglich zu genehmigen (vgl Leopold in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 118 RdNr 96). Der Sachverständige ist aber berechtigt, sich zur Erledigung des Gutachtenauftrages anderer Personen zu bedienen (§ 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 407a Abs 3 S 2 ZPO) und darf diesen lediglich nicht vollständig die prägende und regelmäßig in einem nicht verzichtbaren Kern vom Sachverständigen selbst zu erbringende Zentralaufgabe überlassen. Bei einem psychiatrischen Gutachten ist dies die persönliche Begegnung mit dem Probanden unter Einschluss eines explorierenden Gesprächs, soweit nicht Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Sachverständige ausnahmsweise auf einen persönlichen Kontakt verzichten konnte (BSG SozR 4-1750 § 407a Nr 1 RdNr 7). Mängel bei der Erteilung des Gutachtenauftrags und Übertragung des Gutachtens auf Hilfspersonen sind indessen heilbar (§ 202 S 1 SGG iVm § 295 ZPO). Die Beschwerdebegründung trägt nicht vor, warum hinsichtlich der insoweit gerügten Verfahrensmängel keine Heilung eingetreten ist (vgl zB BSG SozR 4-1750 § 407a Nr 1; BSG SozR 4-1500 § 118 Nr 3).
Auch mit ihren Ausführungen zur Befangenheit der Sachverständigen kann die Beschwerdebegründung nicht durchdringen. Gemäß § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 406 ZPO kann zwar ein gerichtlich bestellter Sachverständiger wegen Besorgnis der Befangenheit auf Antrag eines Prozessbeteiligten abgelehnt werden. Dementsprechend kann die Verwertung eines Sachverständigengutachtens, ohne über die substantiiert begründete Ablehnung des Sachverständigen zu entscheiden, einen Verfahrensmangel begründen (BSG SozR 3-1500 § 170 Nr 5). Die Beschwerdebegründung behauptet aber nicht einmal, dass der Beklagte einen derartigen Antrag gestellt hätte.
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).