Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 09.11.2010


BSG 09.11.2010 - B 8 SO 51/10 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage - Darlegung der Klärungsfähigkeit - Sozialhilfe - Kostenerstattungsanspruch zwischen Sozialhilfeträgern - Betreutes Wohnen


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
09.11.2010
Aktenzeichen:
B 8 SO 51/10 B
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Trier, 7. Oktober 2008, Az: S 6 SO 46/07, Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 28. Mai 2010, Az: L 1 SO 45/08, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Mai 2010 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 181 613,81 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Im Streit ist (noch) die Erstattung von Sozialhilfeleistungen für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 31.12.2007.

2

Der Kläger macht als örtlicher Träger der Sozialhilfe gegenüber dem Beklagten einen Erstattungsanspruch für erbrachte Sozialhilfeleistungen geltend, den er auf eine Vereinbarung zwischen dem Landkreistag Rheinland-Pfalz und dem Städtetag Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 1997 stützt. Das Sozialgericht (SG) Trier hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger die im Zeitraum bis 31.12.2004 erbrachten Leistungen zu erstatten und im Übrigen die Klage abgewiesen (Urteil vom 7.10.2008). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat das Urteil des SG abgeändert und den Beklagten verurteilt, an den Kläger weitere 181 613,81 Euro zu zahlen (Urteil vom 28.5.2010). Den Anspruch des Klägers hat das LSG aus der Vereinbarung des Jahres 1997, die nach Ziff 3.9. eines Vertrages zwischen dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit und dem Landkreistag Rheinland-Pfalz sowie dem Städtetag Rheinland-Pfalz des Jahres 2004 fortgelte, iVm § 103 Bundessozialhilfegesetz hergeleitet.

3

Mit der Beschwerde macht der Beklagte eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Das LSG lasse in seinem Urteil bewusst offen, "ob die Rund-um-die-Uhr-Betreuung eines Hilfeempfängers in den Bereich der Verwaltungsvorschrift (VV) von 1994 fällt, da keine vergleichbare Fallgestaltung in Bezug auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 13.9.2002 (12 A10795/02; juris) vorliege". Die Klärung dieser Rechtsfrage sei jedoch aus Gründen der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts erforderlich.

4

II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil der von dem Beklagten geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, dass eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Einheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

6

Es ist schon zweifelhaft, ob der Beklagte überhaupt eine Rechtsfrage formuliert. Jedenfalls fehlt es an einer schlüssigen und insbesondere verständlichen Darlegung der Klärungsfähigkeit. Soweit der Beschwerdeschrift die Rechtsfrage entnommen werden kann, "ob die Rund-um-die-Uhr-Betreuung eines Hilfeempfängers in den Bereich der VV von 1994 fällt", hat sich diese Rechtsfrage dem LSG - wie der Beklagte selbst einräumt - angesichts der konkreten Fallgestaltung gar nicht gestellt. Er hätte deshalb darlegen müssen, von welchen Feststellungen das LSG in diesem Zusammenhang ausgegangen ist und weshalb sich trotz der Bindung des Senats an diese Feststellungen (§ 163 SGG) die aufgeworfene Rechtsfrage stellt. Ob die betroffene Hilfeempfängerin einer 24-stündigen Betreuung bedarf, ist dabei eine reine Tatfrage. Der Beklagte hätte sich zudem zum einen damit auseinandersetzen müssen, inwiefern sich ein Erstattungsanspruch überhaupt neben den gesetzlichen Regelungen aus Vertrag ergeben kann, und zum anderen, inwieweit die Auslegung der Verwaltungsvorschrift bzw des Vertrags aus dem Jahr 1994 und der Vereinbarung aus dem Jahr 1997 Gegenstand einer Revision sein kann. Nach § 162 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Revisibilität wird auch angenommen, wenn inhaltlich gleiche Vorschriften in Bezirken verschiedener LSG gelten; die Übereinstimmung darf dann aber nicht nur zufällig, sondern muss im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt sein (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 162 RdNr 5a mwN). Entsprechendes kommt zB auch für normative Vorschriften in Landesverträgen oder in Tarifverträgen in Betracht (Leitherer aaO). Ob diese Voraussetzungen für die in Rheinland-Pfalz geltende Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit zur Förderung von Wohngemeinschaften behinderter Menschen vom 3.1.1994 sowie der Vereinbarung über die Kostenerstattung bei der Finanzierung des betreuten Wohnens behinderter Menschen vom 8.11.1997 der Fall ist, ist der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu entnehmen. Die Richtigkeit der Entscheidung des LSG kann nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde sein.

7

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung, die Festsetzung des Streitwerts aus § 47 Abs 3, § 52 Abs 3, § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.