Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 23.07.2015


BSG 23.07.2015 - B 5 R 196/15 B

Überprüfbarkeit ablehnender Entscheidungen über Protokollberichtigungsanträge im sozialgerichtlichen Verfahren


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
23.07.2015
Aktenzeichen:
B 5 R 196/15 B
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Dortmund, 19. Juni 2009, Az: S 34 (10) R 369/06, Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. Februar 2015, Az: L 3 R 155/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Februar 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom 23.2.2015 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

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Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

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Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

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das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

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ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

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Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

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Der Kläger rügt eine Verletzung des § 103 SGG.

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Hierzu trägt er vor, er habe die im Schriftsatz vom 8.8.2012 gestellten Anträge auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Ärztin Dr. M. bzw ihre Anhörung zu verschiedenen Punkten in der mündlichen Verhandlung vom 23.2.2015 wiederholt. Diese Beweisanträge hätten allerdings keinen Eingang in das Sitzungsprotokoll gefunden. Seinen Protokollberichtigungsantrag vom 20.5.2015 habe das LSG mit der Begründung abgelehnt, es habe kein von Amts wegen zu protokollierender Beweisantrag vorgelegen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts habe er aber einen formell konkreten Beweisantrag gestellt, den der Berufungssenat hätte berücksichtigen müssen.

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Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht nicht schlüssig bezeichnet.

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Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob die vom Kläger im Schriftsatz vom 8.8.2012 formulierten Beweisanträge prozessordnungsgemäß iS der ZPO sind. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich jedenfalls, dass der Kläger diese nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat.

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Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Dieser Vorgabe ist nicht genügt, wenn ein Beweisantrag lediglich in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 f; BSG Beschluss vom 6.3.2008 - B 5a R 426/07 B - Juris RdNr 9). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann ein rechtskundig vertretener Beteiligter - wie der Kläger - nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 103 SGG gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten, dh wenigstens hilfsweise wiederholt hat, was sich aus dem Sitzungsprotokoll oder dem angefochtenen Urteil ergeben muss (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Anderenfalls ist davon auszugehen, dass der Beweisantrag nicht (mehr) gestellt wird.

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Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass das LSG in seinem Urteil Beweisanträge aufführt oder solche ins Sitzungsprotokoll aufgenommen sind. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich vielmehr, dass das Sitzungsprotokoll vom 23.2.2015 ursprünglich nur einen Sachantrag enthalten hat und auch nicht nachträglich im Wege der Berichtigung gemäß § 164 ZPO iVm § 122 SGG um Beweisanträge ergänzt worden ist. Damit steht nach der Beschwerdebegründung fest, dass im Termin vom 23.2.2015 Beweisanträge nicht gestellt worden sind.

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Dies ist unabhängig davon der Fall, ob Beweisanträge zu den Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung zählen (dafür: zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 64 S 68; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl 2015, § 165 RdNr 5; offengelassen: BFH Beschluss vom 4.9.2001 - I B 14/01 - Juris RdNr 4) und dementsprechend insoweit für die Beweiskraft des Protokolls § 165 ZPO maßgeblich ist oder sie keine Förmlichkeiten darstellen (so zB BVerwG Urteil vom 6.10.1982 - 7 C 17/80 - Juris RdNr 14; BVerwG Beschluss vom 2.11.1987 - 4 B 204/87 - Juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 122 RdNr 10) mit der Folge, dass sich die Beweiskraft nach § 415 Abs 1 ZPO richtet.

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Die Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung können nur durch das Protokoll bewiesen werden; jedes andere Beweismittel ist ausgeschlossen. Die positive Feststellung im Protokoll beweist, dass die Förmlichkeit gewahrt ist, das Schweigen des Protokolls beweist, dass sie nicht gewahrt ist (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl 2014, § 165 RdNr 5). Gegen den Inhalt der Niederschrift, soweit er Förmlichkeiten betrifft, ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 165 S 2 ZPO iVm § 122 SGG), also der wissentlich falschen Beurkundung (BGH NJW-RR 1994, 386, 387) oder der nachträglichen Fälschung (Reichold aaO). Dass das Sitzungsprotokoll vom 23.2.2015 gefälscht ist, hat der Kläger nicht behauptet.

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Sollten Beweisanträge nicht zu den Förmlichkeiten iS des § 165 S 1 ZPO iVm § 122 SGG gehören, müsste die gemäß § 415 Abs 1 ZPO iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG bestehende Beweiskraft des Protokolls darüber, dass im vorliegenden Fall keine Beweisanträge gestellt worden sind, entkräftet werden. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich indes, dass er den Gegenbeweis iS von § 415 Abs 2 ZPO nicht geführt hat. Das LSG hat die beantragte Protokollberichtigung in Form der Aufnahme eines Beweisantrags in das Protokoll abgelehnt. Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.

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An Entscheidungen, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, ist das BSG gemäß § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 S 1 SGG gebunden, sofern sie - wie hier - unanfechtbar sind. Eine Bindung an unanfechtbare Vorentscheidungen besteht allerdings nach der Rechtsprechung des BSG bei der Zurückweisung von Befangenheitsanträgen gegen Richter oder Sachverständige und der Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das LSG ausnahmsweise nicht, wenn der Beschwerdeführer im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensmangel rügt, der als Folge der beanstandeten Vorentscheidung fortwirkt und damit dem angefochtenen Urteil anhaftet, sofern die Vorentscheidung gegen das Willkürverbot oder ein Verfahrensgrundrecht verstößt (vgl zur Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gegen einen Richter: zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3; BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 6; BSG Beschlüsse vom 9.1.2008 - B 12 KR 24/07 B - Juris, vom 27.10.2009 - B 1 KR 68/09 B - Juris, vom 19.11.2009 - B 11 AL 76/09 B - Juris, vom 11.12.2013 - B 6 KA 36/13 B - Juris und vom 9.4.2014 - B 14 AS 363/13 B - Juris; zur Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs gegen einen Sachverständigen: zB BSG Beschluss vom 24.5.2013 - B 1 KR 50/12 B - Juris; zur Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe: zB BSG Beschluss vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B - Juris; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 21). Ob dies auch in Fällen der Ablehnung von Protokollberichtigungsanträgen gilt, ist indes nicht unzweifelhaft.

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Nach der Rechtsprechung insbesondere des BGH (Beschluss vom 14.7.2004 - XII ZB 268/03 - Juris RdNr 8; vgl auch BAG Beschluss vom 25.11.2008 - 3 AZB 64/08 - Juris RdNr 10) ist die Beschwerde gegen eine sachliche Berichtigung des Protokolls nicht statthaft, weil das Beschwerdegericht mangels Teilnahme an der Sitzung zu einer Überprüfung nicht imstande sei. Eine Anfechtungsmöglichkeit des Berichtigungsvermerks schließt der BGH (aaO, RdNr 11; vgl auch BAG, aaO RdNr 24) selbst unter dem Gesichtspunkt einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit oder einer Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundrechte aus. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das OLG Koblenz (Beschluss vom 19.3.2012 - 5 W 142/12 - Juris RdNr 3) zu Recht ausgeführt, dass das Argument, das Beschwerdegericht könne die inhaltliche Protokollberichtigung durch das Instanzgericht mangels Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung nicht beurteilen, genauso gelte, wenn die Vorinstanz die Protokollberichtigung abgelehnt habe, weil der Inhalt des Berichtigungsantrags sachlich nicht zutreffe.

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Ob ablehnende Entscheidungen über Protokollberichtigungsanträge im sozialgerichtlichen Verfahren unter den dargestellten Voraussetzungen ausnahmsweise mittelbar überprüfbar sind, bedarf hier letztendlich keiner Entscheidung. Der Kläger hat weder willkürliche Erwägungen des LSG noch eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten vorgetragen.

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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.