Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 19.06.2012


BSG 19.06.2012 - B 4 KG 2/11 B

Kinderzuschlag - kein Anspruch für Pflegekinder - keine Vermeidung von Hilfebedürftigkeit - nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft - Verfassungsmäßigkeit


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
19.06.2012
Aktenzeichen:
B 4 KG 2/11 B
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Ulm, 17. November 2011, Az: S 2 AS 1469/09, Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 15. November 2011, Az: L 13 AS 1206/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. November 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

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I. Im Streit steht die Gewährung von Kinderzuschlag nach § 6a BKGG für zwei im Haushalt des Klägers lebende Pflegekinder.

2

Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau und vier eigenen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft. Von März 2008 bis Dezember 2008 hatten sie zwei Pflegekinder in den Haushalt aufgenommen. Im Februar und Mai 2008 bezog der Kläger Kinderzuschlag für seine leiblichen Kinder, für die Monate März und April 2008 lehnte die Beklagte die Leistung wegen übersteigenden Einkommens ab. Nach erneuter Ablehnung der Gewährung von Kinderzuschlag für den Zeitraum ab dem 1.10.2008 (Bescheid vom 16.10.2008) half die Beklagte durch Bescheid vom 23.10.2008 insoweit ab, als sie für die leiblichen Kinder des Klägers Kinderzuschlag vorläufig für die Monate Oktober 2008 bis Februar 2009 bewilligte. Nach Änderung der Einkommensverhältnisse stellte die Beklagte die Leistungen für die Monate Oktober und Dezember 2008 endgültig fest, zusätzlich ergab sich ein Zahlungsanspruch für September 2008, für den Monat November 2008 hingegen nicht mehr (Bescheid vom 5.2.2009). Der Kläger machte geltend, dass die beiden Pflegekinder bei der Berechnung des Kinderzuschlags rechtswidrig unberücksichtigt geblieben seien. Die Zurückweisung des Widerspruchs begründete die Beklagte damit, dass Kinderzuschlag nur für Kinder zustehe, mit denen der Antragsteller in Bedarfsgemeinschaft lebe, was bei den Pflegekindern nicht der Fall sei. Das SG hat der Klage hiergegen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, Kinderzuschlag auch für die beiden Pflegekinder für die Monate Oktober bis Dezember 2008 zu gewähren. Es hat zur Begründung darauf abgestellt, dass maßgeblich für den Anspruch auf Kinderzuschlag der Anspruch auf Kindergeld sei. Ein solcher bestehe für die Pflegekinder (Urteil vom 17.11.2009). Das LSG hat das Urteil auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, durch den Kinderzuschlag könne Hilfebedürftigkeit nicht vermieden werden, denn das Einkommen der Pflegeeltern sei nach § 9 Abs 2 SGB II bei der Ermittlung des Hilfebedarfs bei den Pflegekindern nicht zu berücksichtigen. Sie lebten nicht in Bedarfsgemeinschaft mit dem Kläger und seiner Ehefrau (Urteil vom 15.11.2011). Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

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Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde an das BSG und macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

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Der Kläger hat die nachfolgenden Rechtsfragen gestellt:



1. Hat ein Kindergeldberechtigter Anspruch auf Kinderzuschlag gem § 6a Abs 1 S 1 BKGG für in den Haushalt aufgenommene Pflegekinder, wenn durch den begehrten Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II nur deshalb nicht vermieden werden kann, weil die Pflegekinder nach dem SGB II nicht zur Bedarfsgemeinschaft zuzuordnen sind?



2. Können Pflegekinder den leiblichen Kindern im Bereich des BKGG gleichgestellt werden und kann die Verknüpfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag nach § 6a BKGG mit der Regelungsmaterie des SGB II aus verfassungsrechtlichen Gründen außer Betracht gelassen werden?

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Die Antwort auf die aufgeworfenen Rechtsfragen ergibt sich aus der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG. Hiervon geht offensichtlich auch der Kläger aus, denn er fragt ausgehend von eindeutiger Rechtslage und Rechtsprechung, ob nicht doch darüber hinausgehend aus sozialpolitischen und verfassungsrechtlichen Erwägungen ein Anspruch auf Kinderzuschlag für ein im Haushalt lebendes Pflegekind gewährt werden könne.

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Ausgangspunkt ist insoweit die übereinstimmende Rechtsprechung beider für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG, dass Pflegekinder nicht zur Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB II gehören (BSG vom 13.11.2008 - B 14/7b AS 4/07 R; BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 9/09 R). Ebenso eindeutig hat das BSG entschieden, dass dann, wenn wegen der Ausschlussregelung in § 7 Abs 1 S 2 SGB II keines der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II erhalten kann, auch ein Anspruch nach § 6a BKGG ausscheidet (BSG vom 15.12.2010 - B 14 KG 1/09 R). Nichts Anderes gilt, wenn der Kinderzuschlag für ein Pflegekind begehrt wird, das nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehört. Die Hilfebedürftigkeit des Pflegekindes kann durch den Kinderzuschlag nicht vermieden werden, denn das Pflegekind ist nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II und hat damit auch keinen Anspruch auf Sozialgeld.

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Abgesehen davon, dass bei einer so eindeutigen Rechtslage nicht abweichend von Wortlaut und Systematik der Norm die Leistung einem neuen Kreis von Leistungsberechtigten erschlossen werden darf, ist auch unklar, worin das sozialpolitische Bedürfnis nach der Gewährung eines Kinderzuschlags für ein Pflegekind liegen soll, wie es in der ersten Rechtsfrage zum Ausdruck kommt. Der Wortlaut des § 6a Abs 1 Nr 4 BKGG stellt darauf ab, dass durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden werden muss. Kinderzuschlag soll verhindern, dass Eltern und mit ihnen in der Bedarfsgemeinschaft lebende Kinder nur wegen der Unterhaltsbelastung der Eltern für die Kinder auf Arbeitslosengeld II und Sozialgeld verwiesen werden (vgl BT-Drucks 15/1516 S 83). Es soll demnach der Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch den Bezug von Kinderzuschlag vermieden werden. Weder haben die Pflegeeltern jedoch eine Unterhaltsbelastung für ein Pflegekind, die wiederum zur Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II führen könnte. Noch kann durch den Kinderzuschlag der Bezug von Sozialgeld der Pflegekinder vermieden werden, denn die Pflegekinder haben keinen Anspruch auf eine SGB II-Leistung, sondern erhalten Leistungen nach dem SGB VIII und/oder Unterhalt von den leiblichen Eltern oder (aufstockende) Sozialhilfe.

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Den vom Kläger gerügten Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vermag der Senat daher ebenfalls nicht zu erkennen. Art 3 Abs 1 GG verbietet es, verschiedene Gruppen von Normadressaten ungleich zu behandeln, wenn zwischen ihnen nicht Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG vom 7.10.1980 - 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79 - BVerfGE 55, 72, 88; BVerfG vom 11.5.2005 - 1 BvR 368/97, 1 BvR 1304/98, 1 BvR 2300/98, 1 BvR 2144/00 - BVerfGE 112, 368, 401; BVerfG vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05 - BVerfGE 116, 229, 238). Die einander gegenüberzustellenden Personengruppen, die ungleich behandelt werden könnten, sind hier bereits schwer zu erkennen. Die Rechtsfrage könnte allenfalls dahingehend verstanden werden, dass der Kläger meint, er werde als Pflegevater anders behandelt, denn als leiblicher Vater, weil er für die Pflegekinder keinen Kinderzuschlag erhalte und die Pflegekinder träfe nicht gerechtfertigt eine andere Rechtslage als seine leiblichen Kinder. Dies trifft jedoch nicht zu.

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Es mangelt im Hinblick auf die vom Kläger gerügte Ungleichbehandlung von leiblichen und Pflegeeltern bereits an einer hinreichenden Grundlage für eine Vergleichbarkeit der beiden Personengruppen. Zum einen haben Pflegeeltern, die die Pflege nach § 23 Abs 1 SGB VIII übernehmen, keine Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Pflegekindern, die zu ihrer eigenen Hilfebedürftigkeit oder der mit ihnen zusammenlebenden leiblichen Kinder führen könnte. Der Lebensunterhalt der Pflegekinder wird wie oben bereits dargelegt durch Leistungen nach dem SGB VIII und/oder Unterhalt von den leiblichen Eltern oder (aufstockende) Sozialhilfe sichergestellt. Zum anderen erhalten die Pflegeeltern - zumindest in der hier vorliegenden Konstellation der Pflege nach den Regeln des § 23 SGB VIII - Pflegegeld zur Anerkennung ihrer Förderungsleistung für die Pflegekinder. Das Pflegegeld wurde nach dem SGB II in der hier maßgeblichen bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 vom 9.12.2010 (BGBl I 1885), im Rahmen des § 11 Abs 4 SGB II zwar grundsätzlich dem Einkommen der Pflegeeltern zugerechnet, jedoch gleichzeitig angeordnet, dass es bei der Berechnung der SGB II-Leistung nicht zu berücksichtigen ist. Das Pflegegeld für die Versorgung der Pflegekinder in der Familie diente also insoweit der Einkommenssicherung der restlichen Familie und zwar ohne bei der Bemessung der Hilfebedürftigkeit Berücksichtigung zu finden. Damit wird zwar Hilfebedürftigkeit nicht vermieden, jedoch zugleich eine finanzielle Besserstellung der Familie bewirkt, ohne dass dem eine Unterhaltsverpflichtung, wie bei leiblichen Kindern, gegenüberstünde.

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Ebenso wenig ist eine Ungleichbehandlung von Pflegekindern gegenüber leiblichen Kindern durch die Kinderzuschlagsregelung zu erkennen. Dass die Pflegekinder keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, ist keine Folge, die auf dem Regelungsbereich des § 6a BKGG beruht, sondern auf dem System des SGB II und den dortigen Regelungen des § 7 Abs 3 SGB II. Aus dem Ausschluss der Pflegekinder vom Leistungsbezug des SGB II folgt jedoch keine Ungleichbehandlung, die wohl nur darin bestehen könnte, dass sie schlechter behandelt würden als die leiblichen Kinder des Klägers, etwa weil ihre Existenz nicht gesichert sei. Dies hat jedoch selbst der Kläger nicht vorgetragen. Denn wie oben dargelegt, erhalten die Pflegekinder ihren Lebensunterhalt aus anderen privaten oder sozialen Sicherungssystemen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.