Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 21.03.2013


BSG 21.03.2013 - B 3 KR 3/12 R

Krankenversicherung - Hilfsmittel - kein Anspruch auf Versorgung mit einer Unterschenkelprothese zur Teilnahme an sportlichen Aktivitäten


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
21.03.2013
Aktenzeichen:
B 3 KR 3/12 R
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend SG Mainz, 8. Juni 2011, Az: S 16 KR 470/09, Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 2. Februar 2012, Az: L 5 KR 203/11, Urteilnachgehend BVerfG, 19. Februar 2014, Az: 1 BvR 1863/13, Nichtannahmebeschluss
Zitierte Gesetze
§ 31 Abs 1 Nr 3 SGB 9
Art 20 UNBehRÜbk

Leitsätze

Ein Versicherter kann von der Krankenkasse nicht die Versorgung mit einer Unterschenkel-Sportprothese beanspruchen, um seinen sportlichen Aktivitäten in der Freizeit noch besser nachgehen zu können.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch des Klägers gegen die beklagte Krankenkasse auf Versorgung mit einer Unterschenkel-Sportprothese als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

2

Der im Jahre 1978 geborene Kläger erlitt am 19.9.2003 bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen; Komplikationen im Heilungsverlauf führten schließlich am 9.4.2008 zur Amputation des rechten Unterschenkels (GdB 90). Die Beklagte hat ihn mit einer Modular-Unterschenkelprothese aus Gießharz mit einem Carbonfederfuß sowie einer wasserfesten Prothese für die Mobilität in Nassbereichen ausgestattet. Der Kläger ist vollschichtig berufstätig und verbringt seine Freizeit vornehmlich mit sportlichen Aktivitäten. Er geht regelmäßig zum Schwimmen und in ein Fitnessstudio, fährt Rad, wandert, spielt Tischtennis und betätigt sich in einer Behindertensportgruppe als Sitzballspieler.

3

Am 21.4.2009 beantragte der Kläger unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung vom 3.4.2009 und eines Kostenvoranschlags über 11 450,96 Euro die zusätzliche Versorgung mit einer Unterschenkel-Sportprothese mit Oberschenkelhülse in Silikonschafttechnik zur Teilnahme an den sportlichen Aktivitäten. Er gab an, die vorhandene Prothese sei für den Sport weder vorgesehen noch auf Dauer geeignet. Insbesondere für das von ihm auch schon vor dem Unfall bevorzugte Badmintonspiel sei die Sportprothese erforderlich, weil sie über einen rückfedernden Spezialfuß nebst Seitenfeder verfüge und ihm auf diese Weise die sportarttypischen, besonders schnellen und kraftvollen Sprünge ermöglicht würden. Die Beklagte lehnte den Leistungsantrag nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ab, weil die Sportprothese für den Behinderungsausgleich nicht erforderlich sei. Er könne mit der Alltagsprothese problemlos gehen und stehen und seinen bisherigen sportlichen Aktivitäten ausreichend nachgehen. Die Sportprothese diene einem rein sportlichen Mobilitätsbedürfnis und sei wegen der starken Fußfederung für den Alltagsgebrauch eher ungeeignet. Die Zweitversorgung mit der Sportprothese könne daher auch nicht mit einer Verlängerung der Gebrauchsfähigkeit der Alltagsprothese begründet werden (Bescheid vom 22.4.2009, Widerspruchsbescheid vom 14.12.2009).

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Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8.6.2011). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 2.2.2012): Eine Beinprothese diene zwar dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem grundsätzlich das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits gelte. Allerdings gebe es auch beim unmittelbaren Behinderungsausgleich keinen Anspruch auf Optimalversorgung. Die Sportprothese biete im Vergleich zu der vorhandenen Alltagsprothese nur einen geringen, auf bestimmte sportliche Aktivitäten in der Freizeit beschränkten Gebrauchsvorteil. Die Grundfunktionen des sicheren Gehens und Stehens seien durch die Alltagsprothese und die Badeprothese hinreichend gewährleistet. Auch die meisten Sportarten könnten mit diesen Prothesen ausgeübt werden. Nur das Badmintonspiel würde durch die Sportprothese erleichtert. Dieser Zweck rechtfertige die Zusatzversorgung jedoch nicht; einem gehbehinderten Menschen müsse nicht jede Form der Freizeitbetätigung auf Kosten der Versichertengemeinschaft der GKV ermöglicht werden.

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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 33 Abs 1 SGB V). Die prothetische Versorgung müsse nicht nur das normale Gehen, Stehen und Treppensteigen ermöglichen, sondern auch das schnelle Laufen, das Springen und sonstige rasche Bewegungen der Beine, weil es dabei um Körperfunktionen gehe, über die jeder nicht gehbehinderte Mensch verfüge. Die Gleichbehandlung mit nicht behinderten Menschen sei auch beim Freizeitsport zu gewährleisten (Art 3 Abs 3 GG, § 1 SGB IX). Die Alltagsprothese benutze er beim Sport nur als Notbehelf. Es besteht immer die Gefahr eines Materialbruchs durch Überlastung. Alltagsprothesen und Sportprothesen dienten grundsätzlich verschiedenen Zwecken, sodass die Maßstäbe einer üblichen "Zweitversorgung" nicht anwendbar seien. Gerügt werde auch die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG). Das LSG hätte ermitteln müssen, ob er mit den vorhandenen Prothesen auch im Sportbereich im Sinne eines Gleichziehens mit den Fähigkeiten eines nicht gehbehinderten Menschen ausreichend versorgt sei.

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Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 2.2.2012 und des SG Mainz vom 8.6.2011 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 22.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit einer Unterschenkel-Sportprothese mit Oberschenkelhülse in Silikonschafttechnik zu versorgen.

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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Berufungsurteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist unbegründet.

9

Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Versorgungsanspruch nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V hat, weil die Sportprothese nur der sportlichen Betätigung in der Freizeit dient und damit ein Versorgungsziel verfolgt wird, für das die Krankenkassen nicht aufzukommen haben. Die Ermöglichung sportlicher Aktivitäten fällt grundsätzlich nur dann in die Leistungspflicht der GKV bei der Hilfsmittelversorgung, wenn es dabei zugleich um die Gewährleistung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens geht, wie es zB bei der Teilnahme am Sportunterricht in der Schule im Rahmen der Schulpflicht (BSG SozR 2200 § 182 Nr 73 - Sportbrille) oder bei der Integration von Kindern und Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike als Fahrradersatz) der Fall ist, oder wenn es sich um die Teilnahme am ärztlich verordneten Rehabilitationssport und Funktionstraining (§ 44 Abs 1 Nr 3 und 4 SGB IX) handelt. Die Förderung des Freizeitsports und des Vereinssports gehört hingegen nicht zu den Aufgaben der Krankenkassen bei der Hilfsmittelversorgung (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 35 - Sportrollstuhl zur Teilnahme am Rollstuhlbasketballspiel in einem Behindertensportverein).

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1. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs ist § 33 Abs 1 S 1 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung von Art 1 Nr 17 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378), weil bei Leistungsklagen, auch wenn sie - wie hier - mit einer Anfechtungsklage verbunden sind, grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 34 mwN). Nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 33 Abs 1 S 4 SGB V umfasst der Anspruch auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Im vorliegenden Fall geht es um eine besondere Variante der Erstbeschaffung eines Hilfsmittels, deren Tatbestandsvoraussetzungen aber hier nicht erfüllt sind.

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2. Die Leistungsablehnung ist rechtmäßig, weil die Sportprothese im vorliegenden Fall zum Behinderungsausgleich nicht erforderlich ist. Dieser in § 33 Abs 1 S 1 SGB V als 3. Variante genannte - und hier allein in Betracht kommende - Zweck (vgl jetzt auch § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels hat zweierlei Bedeutung.

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a) Im Vordergrund einer Hilfsmittelversorgung steht zumeist der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis. Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 4 - C-leg II). Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (vgl § 33 Abs 1 S 5 SGB V und § 31 Abs 3 SGB IX).

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b) Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Rahmen ist die GKV allerdings nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 35 RdNr 14). Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, RdNr 12; BSGE 91, 60, 63 RdNr 9 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 RdNr 10; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 14; stRspr). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 RdNr 18). Zum körperlichen Freiraum gehört - im Sinne eines Basisausgleichs der eingeschränkten Bewegungsfreiheit - die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs. Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (vgl BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, RdNr 12 - Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für Wachkomapatientin; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike für Jugendliche; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 - behindertengerechtes Dreirad; BSG SozR 2200 § 182b Nr 13 - Faltrollstuhl).

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c) Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich ein Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch ein Anspruch auf Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten gemäß § 33 Abs 1 S 5 SGB V (ebenso § 31 Abs 3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Die Krankenkassen haben auch nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44; BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 15).

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d) Auf das normale Gehen, Stehen und Treppensteigen ausgelegte Beinprothesen sind Körperersatzstücke gemäß § 33 Abs 1 S 1 SGB V. Sie dienen dem unmittelbaren Ersatz des fehlenden Körperteils und dessen ausgefallener Funktion. Sie sind auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet und dienen der medizinischen Rehabilitation, ohne dass zusätzlich die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens zu prüfen ist, wie es bei Hilfsmitteln erforderlich wäre, die nur die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen sollen. Bei einer Beinprothese geht es um das Grundbedürfnis auf möglichst sicheres, gefahrloses Gehen und Stehen, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion der Beine gewährleistet ist. Diese Funktion muss in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen werden (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8 - C-leg II).

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3. Diese Grundsätze waren für den erkennenden Senat maßgeblich, als er in zwei Entscheidungen vom 25.6.2009 (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 23 und 24) die Frage zu klären hatte, ob beinamputierte Versicherte, die bereits mit einer normalen Laufprothese ausgestattet sind, die zusätzliche Versorgung mit einer Badeprothese beanspruchen können. Dies wurde für eine übliche (süßwasserbeständige) Badeprothese bejaht, für eine salzwasserbeständige Badeprothese dagegen verneint. Dabei ging es indes nicht, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, um die Ermöglichung einer bestimmten gesundheitsfördernden sportlichen Betätigung, nämlich das Schwimmen, sondern um die Befriedigung des Mobilitätsbedürfnisses in Nassbereichen und damit um die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens.

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a) Die normale Beinprothese hat einen konstruktionsbedingten Gebrauchsnachteil, weil sie nicht dort zu verwenden ist, wo der Benutzer beim Gehen und Stehen mit Wasser in Kontakt kommt. Durch den Kontakt mit Wasser besteht die große Gefahr einer Beschädigung, sodass die Krankenkassen zur Reparatur bzw zum Ersatz verpflichtet wären, was erhebliche Kosten verursacht. Außerdem ist der Fuß einer normalen Laufprothese so ausgelegt, dass er mit Schuhen getragen wird. Im Schwimmbad ist das Tragen von Straßenschuhen in aller Regel verboten. Ohne Schuhe besteht aber eine besondere Rutschgefahr. Unterarmgehstützen bieten nicht den gleichen Halt wie eine Beinprothese und sind für die Gang- und Standsicherheit nur ergänzend heranzuziehen. Die normale Laufprothese ist beim Aufenthalt in und am Wasser (Schwimmbad, Fluss, See) ungeeignet. Dieser Gebrauchsnachteil wird durch die zusätzliche Ausstattung mit einer Badeprothese kompensiert. Die Badeprothese gleicht praktisch das Funktionsdefizit der Alltagsprothese in Nassbereichen aus.

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b) Der danach gegebene Anspruch eines beinamputierten Versicherten auf Versorgung mit einer Badeprothese wird durch die Bereitstellung einer normalen (süßwasserfesten) Prothese erfüllt. Das Funktionsdefizit einer Alltagsprothese ist dadurch im häuslichen Nassbereich vollständig und im außerhäuslichen Bereich im Wesentlichen erfüllt, weil es den Aufenthalt in herkömmlichen Schwimmbädern sowie an Flüssen und Binnenseen ermöglicht. Nicht geeignet ist eine süßwasserfeste Badeprothese lediglich für den Aufenthalt im und am Salzwasser, also in Salzwasser-Schwimmbädern und am Meer. Einen Ausgleich dieses Gebrauchsnachteils der ihm zur Verfügung gestellten Badeprothese kann der Versicherte jedoch nicht verlangen. Entscheidend ist insoweit, dass die salzwasserfeste Badeprothese dem Versicherten nicht - wie bei der normalen Badeprothese - in erster Linie das gefahrlose Gehen und Stehen in Nassbereichen innerhalb und außerhalb der Wohnung überhaupt erst ermöglichen soll, sondern der Aufenthalt in einer ganz speziellen Umgebung im Vordergrund steht (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 23 und 24).

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c) In solchen Konstellationen kommt es maßgeblich darauf an, ob die jeweilige "Zusatzfunktion" eines - in der Grundausführung dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden - Hilfsmittels (hier: die Salzwasserfestigkeit) notwendig ist, den besonderen Bedürfnissen eines behinderten Menschen zur Bewältigung seines Alltags unter Berücksichtigung der speziellen Grundsätze und Gebote des SGB IX Rechnung zu tragen. Dies war dort zu verneinen. Es ging lediglich um eine marginale Einschränkung der Alltagsgestaltung, die dem Versicherten zuzumuten ist, weil sie weder seine Selbstbestimmung noch seine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fühlbar beeinträchtigt (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 23 und 24).

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Aber auch bei der Bewältigung des Alltags ist es einem Versicherten zumutbar, auf die vorhandenen Hilfsmittel zurückzugreifen. Nicht jede Form der Freizeitbeschäftigung muss auf Kosten der Versichertengemeinschaft der GKV ermöglicht werden. Dazu gehört der Aufenthalt im und am Salzwasser, sei es in einem Salzwasserthermalbad oder im Urlaub am Meer. Es ist zumutbar, das Salzwasser zu meiden und sich auf den Aufenthalt im Süßwasserbereich zu beschränken. Ein Versicherter, der diesen zumutbaren Gebrauchsnachteil einer normalen Badeprothese nicht hinnehmen möchte und eine salzwasserfeste Badeprothese benutzen will, hat die dadurch entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 S 5 SGB V und § 31 Abs 3 SGB IX).

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4. Im Verhältnis von normaler Laufprothese und Badeprothese geht es um zwei sich in ihren Funktionen ergänzende Hilfsmittel zum unmittelbaren Behindertenausgleich, die stets nebeneinander beansprucht werden können. Davon zu unterscheiden ist die Situation eines Versicherten, der zum unmittelbaren Behinderungsausgleich mit einem herkömmlichen, voll funktionsfähigen Hilfsmittel versorgt ist, nun aber ein dem gleichen Zweck dienendes, aber technisch verbessertes oder aufwändiger ausgestattetes Hilfsmittel beansprucht. Es geht dabei um den besonderen Fall der qualifizierten Zweitversorgung bei Vorhandensein von zwei demselben Versorgungsziel dienenden Hilfsmitteln. Diese Situation ist zB gegeben, wenn ein gehbehinderter Versicherter, der mit einer herkömmlichen, mechanisch gesteuerten und noch voll funktionsfähigen Prothese ausgestattet ist, die Versorgung mit einer technisch weiterentwickelten, über ein mikroprozessorgesteuertes Kniegelenk verfügenden Prothese (C-leg) begehrt. Der erkennende Senat hat diesen Anspruch auf Zweitversorgung in mehreren Entscheidungen stattgegeben (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44; BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8): Beim unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daher kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8 RdNr 4 - C-leg II). Dabei muss es stets um "wesentliche" Gebrauchsvorteile des neuartigen Hilfsmittels gehen, was dann der Fall ist, wenn sich die Gebrauchsvorteile allgemein im Alltagsleben auswirken, sich also nicht auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken. Da eine C-leg-Prothese im Vergleich zu einer hergebrachten mechanisch wirkenden Prothese über deutliche allgemeine - und damit "wesentliche" - Gebrauchsvorteile verfügt (zB weitgehende Annäherung an ein natürliches Gangbild und erhebliche Reduzierung der Sturzgefahr beim Gehen auf unebenem Untergrund und auf Treppen, vgl BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 5, 14, 15), ist der Anspruch auf Zweitversorgung jeweils zuerkannt worden.

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5. An diese Grundsätze ist anzuknüpfen, wenn es um die zusätzliche Versorgung eines beinamputierten Versicherten, der schon mit einer normalen Laufprothese und einer Badeprothese ausgestattet ist, mit einer Sportprothese geht, die ihm den Bereich des Freizeitsports noch weiter eröffnen soll, insbesondere mit Blick auf das von ihm bevorzugte Badmintonspiel.

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Die Sportprothese gleicht nicht ein Funktionsdefizit der normalen Laufprothese im Alltagsgebrauch aus, wie es bei der Badeprothese in Nassbereichen der Fall ist. Sie ermöglicht zwar durch den rückfedernden Spezialfuß ein besseres Springen und andere rasche Körperbewegungen, wie sie einem nicht gehbehinderten Menschen gleichen Alters regelmäßig ohne Weiteres möglich sind. Diesen Gebrauchsvorteil im Vergleich zur normalen Laufprothese benötigt der Kläger jedoch nicht zur Bewältigung von Mobilitätserfordernissen im Alltag, sondern ausschließlich für den Freizeitsport, der ihm in einem erheblichen Maße auch schon durch die vorhandene Prothese ermöglicht wird. Hierin besteht der Unterschied zu der Situation von beinamputierten Versicherten, die zwar mit einer funktionstüchtigen, alltagstauglichen mechanischen Beinprothese ausgestattet sind, nunmehr aber eine elektronisch gesteuerte Beinprothese beanspruchen, weil das Gangbild verbessert und die Sicherheit beim Gehen erheblich erhöht wird. Während beim C-leg der Gebrauchsvorteil also "wesentlich" ist, weil er sich im gesamten Alltagsgebrauch auswirkt, ist der Gebrauchsvorteil einer Sportprothese nicht "wesentlich", weil sie nur dem speziellen Mobilitätsbedürfnis des Klägers bei seinen sportlichen Aktivitäten in der Freizeit, vor allem beim Badmintonspiel, dient. Im Vergleich zur normalen Laufprothese, die ebenfalls sportliche Betätigungen in nennenswertem Umfang ermöglicht, bietet die Sportprothese für den Alltagsgebrauch keinen Gebrauchsvorteil, sondern wirkt sich sogar nachteilig aus, weil der rückfedernde Spezialfuß beim normalen Gehen eher hinderlich wirkt. Daher hat die Beklagte den Leistungsantrag des Klägers nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V zu Recht abgelehnt.

24

6. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf das "Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" (UN-Konvention) berufen. Diese Konvention ist am 3.5.2008 in Kraft getreten und durch Vertragsgesetz zum Übereinkommen vom 21.12.2008 (BGBl II 1419) innerstaatlich verbindlich geworden; sie war deshalb zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG als geltendes Recht zu beachten (andere Situation in BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 25 RdNr 28). Allerdings können aus der UN-Konvention keine über § 33 SGB V hinausgehenden Leistungsansprüche hergeleitet werden. Insbesondere ergeben sich solche Ansprüche nicht aus Art 20 UN-Konvention. Danach verpflichten sich die Vertragsstaaten zu wirksamen Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen. Zu diesem Zweck haben sie ua den Zugang zu hochwertigen Mobilitätshilfen zu erschwinglichen Preisen zu erleichtern. Hierbei handelt es sich indes nur um eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, deren volle Verwirklichung gemäß Art 4 Abs 2 UN-Konvention nach und nach angestrebt werden soll (Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, 2010, S 465). Zudem kann aus den Regelungen der UN-Konvention kein subjektiv-öffentliches Recht des Einzelnen abgeleitet werden, ein konkretes und der persönlichen Mobilität dienendes Hilfsmittel von einem bestimmten Leistungsträger verlangen zu können. Die Bundesrepublik Deutschland trägt dem von der UN-Konvention angestrebten Zweck, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten sowie die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern (Art 1 UN-Konvention), ausreichend durch das gegliederte Leistungssystem des SGB und insbesondere durch dessen Neuntes Buch (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX) Rechnung. Weitergehende Einzelansprüche werden - zumindest für den Bereich der GKV - durch die UN-Konvention nicht begründet (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 35 RdNr 19).

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7. Ein möglicher Anspruch gegen die Beklagte als erstangegangene Rehabilitationsträgerin nach § 14 SGB IX scheidet aus, weil die Leistungszuständigkeit anderer Sozialleistungsträger (Unfallversicherung, Sozialhilfe) weder aus den Akten ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht worden ist.

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8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.