Entscheidungsdatum: 29.06.2017
Krankenkassen haben auf Pflichtverstöße gestützte rahmenvertraglich vorgesehene Vertragsstrafen gegenüber Apothekern wegen Fehlens eines Subordinationsverhältnisses zwischen den Rahmenvertragspartnern im Wege einer Leistungsklage und nicht durch Verwaltungsakt geltend zu machen.
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. September 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 6560 Euro festgesetzt.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Vertragsstrafe im Zusammenhang mit der Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit Arzneimitteln durch eine Apotheke.
Die Arzneimittel "Metoprolol Succinat Beta 47.5" und "Metoprolol Succinat Beta 95" waren in den Monaten Juni und Juli 2011 Gegenstand eines Rabattvertrags zwischen der klagenden AOK (die zugleich die Funktion eines Krankenkassen-Landesverbandes innehat) und dem Hersteller dieser Arzneimittel. Beide Arzneimittel standen in diesen Monaten indessen noch nicht für die Belieferung an Apotheken zur Verfügung. In beiden Monaten gab die Beklagte als Inhaberin einer Apotheke in M. deshalb in insgesamt 44 Fällen andere wirkstoffgleiche Arzneimittel an Versicherte der Klägerin ab. Gleichwohl bedruckte die Beklagte die entsprechenden ärztlichen Verordnungen mit der Pharmazentralnummer (PZN) der og Arzneimittel. Anschließend legte die Beklagte die mit diesem Aufdruck versehenen Verordnungen der Klägerin zur Abrechnung vor und erhielt diese entsprechend den Verordnungen vergütet. Ähnliche Vorfälle traten in ca 1200 Apotheken auf.
Ein auf den Sachverhalt gestütztes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte wurde - mangels eines mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung führenden strafbaren Verhaltens - eingestellt. Die Beklagte hatte insoweit ua angegeben, sie habe seinerzeit noch mit veralteter Computersoftware gearbeitet, sodass die Verordnungsblätter ohne Prüfung der Verfügbarkeit des verordneten Arzneimittels mit der PZN bedruckt worden seien; es sei "wohl versehentlich versäumt" worden, die PZN manuell zu korrigieren.
In der Folge stimmte sich die Klägerin mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV) über die Verhängung von Vertragsstrafen bezüglich der Falschabrechnungen und deren Berechnung ab. Ferner informierte die Klägerin den Landesapothekerverband (LAV) über beabsichtigte Verwarnungen und Vertragsstrafen gegenüber zehn Apotheken auf der Grundlage des bundesweit geltenden Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs 2 SGB V und des in Baden-Württemberg geltenden Ergänzungsvertrags über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs 5 SGB V; diese Apotheken hätten in den beiden Monaten zwischen 37 und 120 Packungen fehlerhaft abgerechnet. Im Rahmen der Anhörung zu einer beabsichtigten Verwarnung/Vertragsstrafe von 9200 Euro äußerte der LAV ua, die Vertragsstrafen seien nach Art sowie Höhe unverhältnismäßig und willkürlich; stattdessen sei eine "deutliche Verwarnung" ausreichend und angemessen.
Mit Schreiben vom 28.11.2012 forderte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe von 6560 Euro: Die Beklagte habe mit ihren Falschabrechnungen in 44 Fällen schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen und dadurch das Vertrauensverhältnis schwer und nachhaltig beschädigt. Die in den Abgabemonaten noch geltende Friedenspflicht (wegen Nichtlieferfähigkeit der Arzneimittel) rechtfertige das Fehlverhalten der Apotheken nicht, sondern habe diese nur von der Pflicht zur Abgabe des Rabattarzneimittels befreit.
Die Beklagte führte nachfolgend ua aus, dass der Klägerin allenfalls ein Bagatell-Schaden von maximal 18,92 Euro entstanden sei und keinesfalls von Abrechnungsmanipulationen gesprochen werden könne. Die Klägerin habe den Apotheken vielmehr den Verkauf eines Arzneimittels aufoktroyiert, das gar nicht verfügbar gewesen sei.
Die Klägerin hat daraufhin gegen die Beklagte Klage auf Zahlung der Vertragsstrafe von 6560 Euro nebst Zinsen erhoben. Das SG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da der Klägerin das dafür nötige Rechtsschutzbedürfnis fehle. Sie habe die Forderung nämlich selbst durch einen Verwaltungsakt (VA) festsetzen können. Unabhängig davon sei das Vertragsstrafenverlangen in mehrfacher Hinsicht sachlich unberechtigt (Urteil vom 20.1.2015).
Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Da sie eine Vertragsstrafe bei fehlerhafter Abrechnung im Rahmen der Arzneimittelversorgung nur nach Ausübung von Ermessen und nur mittels VA geltend machen könne, sei eine Leistungsklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Verhängung einer Vertragsstrafe durch eine Krankenkasse erfülle alle Voraussetzungen eines VA iS von § 31 S 1 SGB X. Die entsprechende VA-Befugnis ergebe sich aus § 129 Abs 4 SGB V iVm Regelungen des für die Belieferung einschlägigen Rahmenvertrags und des landesrechtlichen Zusatzvertrags. Das dem Rahmenvertrag zugrunde liegende Gleichordnungsverhältnis führe nicht zwingend zum Ausschluss einer VA-Befugnis für Sanktionen. Die bislang ergangene Rechtsprechung des BSG betreffe ausschließlich Erstattungsansprüche der Krankenkassen und Retaxierungen. Auch der für das Vertragsarztrecht zuständige 6. Senat des BSG bejahe bei Sanktionen gegen Vertragsärzte zu Gunsten der Krankenkassen in ständiger Rechtsprechung eine VA-Befugnis. Der Wortlaut des § 129 Abs 4 SGB V spreche auch bei den Apothekern eher für eine solche Befugnis als für ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gemäß bzw analog § 315 Abs 1 BGB. Der Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB V sei zudem als öffentlich-rechtlicher Normenvertrag auch unabhängig von einer durch Mitgliedschaft oder Beitritt vermittelten Einverständniserklärung der Apotheke wirksam; dies schließe die Bewertung als bloßes - zudem viel zu unbestimmtes - Vertragsstrafenversprechen aus. Gleiches folge aus § 11 Abs 1 Rahmenvertrag. Sanktionen bis hin zum zweijährigen Ausschluss eines Apothekenleiters von der Versorgung der Versicherten erschienen wegen des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs schwerlich nur im Wege einer bloßen Leistungsklage durchsetzbar. Bei alledem könne offenbleiben, ob § 129 Abs 4 SGB V überhaupt eine rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Ermächtigungsgrundlage sei, ob das Benehmen der Klägerin mit dem LAV wirksam hergestellt worden sei und ob die konkrete Vertragsstrafe verhältnismäßig sei (Urteil vom 20.9.2016).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin - mit umfänglichem Vorbringen - sinngemäß ua die Verletzung von § 54 SGG, § 129 Abs 2 und 5 SGB V und § 31 S 1 SGB X. Das LSG nehme nicht die ständige Rechtsprechung des 3. Senats des BSG in den Blick, wonach zwischen den Parteien eines Rahmenvertrags über die Beziehungen zwischen Apotheken und Krankenkassen nach § 129 Abs 2 und 5 SGB V ein Gleichordnungsverhältnis bestehe. Diese Gleichordnung stehe der Annahme einer VA-Befugnis in Bezug auf vertragsgestützte Sanktionen entgegen. Eine Parallele zur Situation im Vertragsarztrecht lasse sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht ziehen, schon weil Vertragsärzte kraft Gesetzes Mitglied einer Kassenärztlichen Vereinigung seien und § 81 Abs 5 SGB V den Erlass von VAen vorsehe. Auch eine Vergleichbarkeit mit dem Handeln Beliehener oder staatlicher Aufsichtsbehörden sei nicht gegeben. Einseitigkeit und Sanktionscharakter von Maßnahmen seien keine Anzeichen von ausgeübter Hoheitsgewalt, vielmehr gebe es Vertragsstrafen auch in zivilrechtlichen Verträgen zwischen Privatrechtssubjekten. An Grundrechte und verfahrensrechtliche Mindesterfordernisse (Anhörung, Ermessen) seien die Krankenkassen unabhängig von der Rechtsform ihres Handelns gebunden. Anderes folge auch nicht aus der Rechtsnatur des Rahmenvertrags als normsetzender Vertrag. Es gebe schließlich auch gar keine dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes entsprechende Grundlage für das Handeln durch VA ("VA-Befugnis"). Auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sei die Festsetzung von Vertragsstrafen durch Leistungsklage (und nicht durch VA) anerkannt, zumindest bestehe insoweit ein Wahlrecht des Handelnden. Die Leistungsklage sei zudem - wie näher ausgeführt wird - begründet.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. September 2016 und des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Januar 2015 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr (der Klägerin) eine Vertragsstrafe in Höhe von 6560 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18. Januar 2013 zu zahlen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Der Senat sieht die Revision der klagenden AOK (zugleich ein Krankenkassen-Landesverband iS von § 207 Abs 4 SGB V) - auch unter dem Blickwinkel der sich aus § 164 Abs 2 S 3 SGG ergebenden Begründungserfordernisse - (noch) als zulässig an. Diese Revision ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 170 Abs 2 SGG) begründet.
Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht aus prozessrechtlichen Gründen abgewiesen. Entgegen der Ansicht des SG und des LSG ist die von der Klägerin gegen die beklagte Apothekerin erhobene echte Leistungsklage nicht unzulässig. Es fehlt der Klage nicht an einem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick darauf, dass die Klägerin die gegenüber der Beklagten verhängte Vertragsstrafe ohne ein Klageverfahren unmittelbar durch VA hätte festsetzen können (dazu 1. und 2.). Der Senat kann allerdings mangels dazu hinreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend selbst in der Sache über den Erfolg der Revision entscheiden (dazu 3.).
1. Die von der klagenden Krankenkasse erhobene Leistungsklage auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 6560 Euro nebst Zinsen war entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht unzulässig.
Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass der Leistungsklage einer Behörde das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn sie das mit der Klage verfolgte Ziel auf einfacherem Weg, insbesondere durch Erlass eines VAs erreichen kann (BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 22; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, RdNr 17 vor § 51 mwN). Unbeschadet der Frage, ob eine Entscheidung mittels VA über das Eingreifen einer Vertragsstrafe nach der dem vorliegenden Fall zugrunde liegenden, grundsätzlich vertragsrechtlich ausgestalteten Konstellation überhaupt rechtlich zulässig war (dazu näher im Folgenden 2.), gilt dies indessen nicht uneingeschränkt. So kann eine Leistungsklage auch dann prozessrechtskonform erhoben werden, wenn Zweifel daran bestehen, ob im konkreten Fall aus Rechtsgründen überhaupt durch VA entschieden werden dürfte. Eine Behörde kann dann, wenn (wie nach der Vorkorrespondenz im vorliegenden Fall) ohnehin mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen ist und die Zulässigkeit des Ergehens eines VAs Zweifel aufwerfen kann (wie hier die gegensätzlichen im Revisionsverfahren von den Beteiligten eingenommenen Positionen zeigen), freiwillig die schwächere Rolle eines Klägers wählen und braucht sich nicht des Instruments eines VAs zu bedienen. In einem derartigen Fall kann die Behörde vielmehr gegen den Schuldner im Wege der Leistungsklage vorgehen (so BSG <7. Senat> SozR 3-7610 § 823 Nr 5 S 8; BSG <11. Senat> E 66, 176, 181 f = SozR 3-4100 § 155 Nr 1
2. Unbeschadet dessen verhält es sich unter Zugrundelegung der schon ergangenen - gefestigten - Rechtsprechung des erkennenden 3. Senats des BSG zu ähnlichen Konstellationen bei Streitigkeiten über Inhalt und Befugnisse der Krankenkassen aus öffentlich-rechtlichen Verträgen mit nichtärztlichen Leistungserbringern so, dass der Erlass von VAen durch Krankenkassen in diesem Bereich grundsätzlich ausgeschlossen ist, weil ein Gleichordnungssystem und kein Subordinationsverhältnis zwischen den Beteiligten besteht. Dies gilt gerade auch im Verhältnis zu Apotheken nach §§ 129 ff SGB V (vgl bereits BSGE 77, 194, 197 = SozR 3-2500 § 129 Nr 1 S 3 f; BSGE 94, 213 RdNr 8 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1 RdNr 7; zuletzt ua BSG Urteil vom 8.7.2015 - B 3 KR 17/14 R, SozR 4-2500 § 130 Nr 3 RdNr 10 mwN).
a) Obwohl die Beziehungen zwischen Krankenkassen einerseits und nichtärztlichen Leistungserbringern in der ambulanten Versorgung andererseits bei Heil-, Hilfs- und Arzneimitteln (sowie auch bei Krankenhausbehandlung) im SGB V jeweils bereichsspezifisch unterschiedlich geregelt sind, besteht insoweit die übergreifende Gemeinsamkeit, dass diese Beziehungen durch ein Vertragsregime gekennzeichnet sind, welches im Kern durch die Gleichordnung der beteiligten Rechtssubjekte geprägt ist.
Demgemäß entscheiden die Krankenkassen bzw ihre Verbände jedenfalls über Einzelfragen, die innerhalb eines vertraglich geprägten Sonderrechtsverhältnisses auftreten, nicht durch VA. Soweit Fragen innerhalb dieses vertraglichen Rahmens (nur) Einzelheiten der Befugnis zur Abgabe und Abrechnung bestimmter Leistungen zu Lasten der GKV zum Gegenstand haben, müssen die Krankenkassen - bei nicht einvernehmlich mit Hilfe des Vertragsinstrumentariums konfliktfrei lösbaren Streitigkeiten - selbst gerichtlichen Rechtsschutz im Wege der Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG suchen. Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat, gilt Gleiches umgekehrt für Apotheker, für die kraft ihrer (freiwilligen) Mitgliedschaft in einem vertraglich gegenüber den Krankenkassen gebundenen Apothekerverband oder kraft gesonderten (freiwilligen) Beitritts (vgl § 129 Abs 3 Nr 1 und 2 iVm Abs 5 SGB V) die rahmenvertraglichen Regelungen - unbeschadet ihrer rechtlichen Einordnung als Normenverträge (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 3 RdNr 12 mwN) - Anwendung finden. Das Rechtsschutzbegehren eines Apothekers, der von den Krankenkassen vertretene Rechtspositionen bzw von ihnen geltend gemachte Ansprüche für rechtswidrig und als seine eigenen Rechte verletzend erachtet, kann daher nach ständiger Rechtsprechung auch nicht im Wege der Anfechtungsklage nach § 54 Abs 4 SGG verfolgt werden, sondern - so die prozessuale Konsequenz - im Wege einer allgemeinen Leistungsklage (so zum Ganzen: BSGE 77, 194, 197 = SozR 3-2500 § 129 Nr 1 S 3 f; BSGE 94, 213 RdNr 8 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1 RdNr 7; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 1 RdNr 10 mwN; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 2 RdNr 13; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 12 ff mwN; BSG <1. Senat> E 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 10, 13; BSGE 120, 122 = SozR 4-2500 § 129 Nr 11, RdNr 14 mwN; ähnlich aus dem Heilmittelbereich zB: BSGE 66, 159, 161 = SozR 3-2200 § 376d Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 124 Nr 4 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 125 Nr 6 RdNr 11 f mwN; Senatsurteil vom 16.3.2017 - B 3 KR 24/15 R - Juris RdNr 13, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, s insoweit BSG-Terminbericht Nr 8/17 vom 16.3.2017 zu Fall 1 - im Anschluss an BSG SozR 4-2500 § 125 Nr 6 RdNr 11
b) Im vorliegenden Streit über die Berechtigung eines Vertragsstrafenverlangens lässt sich - entgegen der Ansicht des LSG - aus den gesetzlichen Regelungen dem einschlägigen vertraglichen Regelwerk nicht ausnahmsweise etwas Abweichendes im Sinne einer Anerkennung der Befugnis oder Berechtigung einer Krankenkasse zum Erlass eines VAs gegenüber einem Apotheker herleiten.
aa) § 11 des bundesweit geltenden zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband eV geschlossenen "Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs 2 SGB V" idF vom 1.2.2011 lautet wie folgt:
"(1) Bei Verstößen gegen § 129 Absatz 1 SGB V, gegen die Auskunftspflicht nach § 293 Absatz 5 Satz 4 SGB V, gegen diesen Rahmenvertrag oder gegen die ergänzenden Verträge nach § 129 Absatz 5 SGB V können die zuständigen Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen nach Anhörung des Betroffenen, bei Mitgliedsapotheken im Benehmen mit dem zuständigen Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes, folgende Vertragsmaßnahmen aussprechen:
1. Verwarnung
2. Vertragsstrafe bis zu 25.000 Euro
3. bei gröblichen und wiederholten Verstößen Ausschluss des Apothekenleiters/der
Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren.
(2) Die Vertragsmaßnahmen nach Absatz 1 Ziffer 1 und 2 können auch nebeneinander verhängt werden."
§ 5 des zwischen der Klägerin (und einer weiteren Krankenkasse) einerseits und dem LAV Baden-Württemberg eV andererseits geschlossenen "Ergänzungsvertrag zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 SGB V in Baden-Württemberg" (Stand 1.4.2005) hat nach den Feststellungen des LSG folgenden Inhalt:
"(1) Erfüllt eine Apotheke die sich aus diesem Vertrag ergebenden Vertragsverpflichtungen nicht, so können Maßnahmen gemäß § 6 in Betracht kommen. Bei Vertragsverstößen durch einen Vertragspartner (Krankenkasse, LAV) gilt diese Regelung entsprechend.
(2) Als schwere Vertragsverstöße gelten insbesondere:
a) Zahlung von Vergütungen für die Zuweisung von Versicherten oder von Verordnungen,
b) Berechnung nicht ausgeführter Leistungen und Lieferungen
c) Abrechnung von Leistungen Nicht-Lieferberechtigter gemäß § 129 SGB V
d) unberechtigte Änderungen der ärztlichen Verordnung
e) Verstoß gegen § 7 Abs. 1 und 2 (Regelungen zur Allgemeinen Zusammenarbeit)."
In § 6 des Ergänzungsvertrags (Maßnahmen bei Vertragsverstößen, Wiedergutmachung des Schadens) heißt es danach: "Es gelten die Bestimmungen des Rahmenvertrages nach § 129 SGB V."
bb) Diesen Regelungen kann auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entnommen werden, dass dadurch Krankenkassen trotz Fehlens eines Subordinationsverhältnisses ausnahmsweise aufgrund der gesetzlichen Ermächtigungen in § 129 Abs 2 bis 5 SGB V nur legitimiert sein sollen, gegenüber Apothekern ausdrücklich als solche bezeichnete "Vertragsmaßnahmen" ausschließlich durch VA durchzusetzen (so aber Luthe in Hauck/Noftz, SGB V, K § 129 RdNr 41, 45, Kommentierungsstand 12/2016). Abgesehen von dem dagegen sprechenden Wortlaut der Regelungen sollen nach § 5 Abs 1 S 2 iVm S 1 Ergänzungsvertrag die Maßnahmen nach § 6 Ergänzungsvertrag iVm § 129 SGB V bei Vertragsverstößen durch die vertraglich gebundenen Krankenkassen (= quasi Vertragspartner der Apothekerseite) entsprechend gelten. Für einen solchen Fall ist aber das Verlangen des als eingetragener Verein privatrechtlich organisierten LAV auf Festsetzung einer Vertragsstrafe gegen eine Krankenkasse ohne entsprechende gesetzlich geregelte Befugnisse nicht möglich. Ein solches Recht oder gar eine Pflicht der allgemein strengeren öffentlich-rechtlichen Bindungen unterliegenden Krankenkassenseite zum Vorgehen im Wege des VA bedürfte daher - ohne explizite gesetzliche oder untergesetzliche Regelung - unter dem Blickwinkel der Waffengleichheit jedenfalls einer besonderen Rechtfertigung.
Parallelen zum Charakter von Maßnahmen der Aufsicht gegenüber Sozialversicherungsträgern (dazu BSGE 31, 247, 249 = SozR Nr 1 zu § 690 RVO) oder zu den Befugnissen von mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben "Beliehenen" (dazu zB Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 31 RdNr 11 mwN) lassen sich in diesem Zusammenhang in Bezug auf Krankenkassen mangels klar erkennbaren, auf die streitige Materie bezogenen Beleihungsakts auch dann nicht ziehen, wenn man allgemein den Normenvertragscharakter der rahmenvertraglichen Regelungen mit in Rechnung stellt (aA demgegenüber - gleichermaßen für den LAV - Luthe, aaO, K § 129 SGB V RdNr 42, Kommentierungsstand 12/2016).
c) Es ist auch insbesondere rechtlich nicht tragfähig, mit dem LSG im vorliegend betroffenen Bereich des Leistungserbringungsrechts in Bezug auf die Befugnisse der Klägerin im Verhältnis zu Apothekern Parallelen zu dem bereichsspezifisch detailliert ausgestalteten Vertragsarztrecht (§§ 72 ff SGB V) zu ziehen.
Anders als die Kassenärztlichen Vereinigungen in Ausübung des für Vertragsärzte geltenden Disziplinarrechts nach der speziellen Regelung in § 81 Abs 5 SGB V nehmen die Krankenkassen bzw ihre Verbände als Vertragspartner gegenüber betroffenen Apothekern bei der Geltendmachung von Vertragsstrafen keine vergleichbaren öffentlich-rechtlichen Regelungsbefugnisse wahr (ebenso Hencke in Horst Peters, Handbuch der Krankenversicherung Teil II, Bd 3, § 129 SGB V RdNr 11, Kommentierungsstand 1.1.2012). Das vertragsärztliche Leistungserbringungsrecht enthält historisch gewachsene, in der GKV einzigartig und detailliert in §§ 72 ff SGB V ausgestaltete Rechtsbeziehungen (dazu ausführlich jüngst BSG Urteil vom 30.11.2016 - B 6 KA 38/15 R - Juris RdNr 43 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 75 Nr 18 vorgesehen). Es weist durch Gesetz allein den Kassenärztlichen Vereinigungen als besondere auf der Leistungserbringerseite zwischengeschaltete Institution öffentlich-rechtliche Befugnisse im Verhältnis zu den bei ihr erfassten Vertragsärzten zu. Dort geht es dagegen nicht - wie im Apothekenbereich - um die Ausübung der den Krankenkassen als auf der anderen Seite des Vertrags stehender Vertragspartner der Leistungserbringer im Einzelnen rahmenvertraglich zustehende Rechte. Regelungen aus dem besonderen Teilbereich des Vertragsarztrechts sind daher weder analogiefähig noch sonst einer unkritischen Übertragung von Rechtsgedanken auf das zwischen Krankenkassen und Apotheken geltende Leistungserbringungsrecht (§§ 129 ff SGB V) zugänglich. Dies gilt jedenfalls ohne ausdrückliche gesetzliche Geltungsanordnung und anders als es für die allgemeinen Grundsätze über die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern bereichsübergreifend in §§ 69 bis 71 SGB V geregelt worden ist.
d) Für die Frage der rechtlichen Einordnung des Vorgehens der Klägerin ist es schließlich ohne Belang, dass vorliegend ein Komplex betroffen ist, mit dem sich die höchstrichterliche Rechtsprechung - die überwiegend Fragen der Vergütung und deren Rückzahlung bzw Erstattung von Leistungen zum Gegenstand hatte - bislang noch nicht befasst hat. Indessen besteht nach dem oben unter 2. a) dargestellten gemeinsamen rechtlichen Hintergrund in Bezug auf die Art und Weise der eigenen Regelungsbefugnisse einer Krankenkasse gegenüber Leistungserbringern kein wesentlicher Unterschied zu Retaxierungen oder sonstigen Ansprüchen auf Rückzahlung gezahlter Vergütung, die auf rahmenvertraglicher Basis gegenüber Apothekern vorgenommenen wurde und für die der Senat die Befugnis der Krankenkassen, Ansprüche durch VA durchzusetzen, regelmäßig verneint hat (vgl erneut die dort zitierte Rechtsprechung des BSG).
Ebenso nicht gerechtfertigt ist es, aus dem rechtlich gebotenen Anstellen von Ermessenserwägungen oder bestehenden Anhörungs- und Beteiligungspflichten unmittelbar Betroffener und Dritter darauf zu schließen, dass dies den Ausschlag für das Erfordernis des Handels mittels eines VA geben könne. Derartige Anforderungen vor Geltendmachung einer Vertragsstrafe können und müssen ggf gleichermaßen (rahmen-)vertraglich vereinbart werden und sagen nichts über die rechtlich zulässige Handlungsform bei einer bestimmten streitigen Maßnahme aus. Auch eine im Gleichordnungsverhältnis vertraglich vorgesehene Vertragsstrafe darf nur unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit festgesetzt werden.
Vorliegend geht es darüber hinaus nicht um eine Vertragsstrafe, die die äußerste Grenze der rahmenvertraglich vorgesehenen Maßnahmen auch nur annähernd ausschöpfte (vgl § 11 Abs 1 Nr 3 Rahmenvertrag: bis zu zweijähriger Ausschluss betroffener Apothekenleiter von der Versorgung der GKV-Versicherten), sondern eine selbst die Vertragsstrafen-Höchstgrenze (= 25 000 Euro) deutlich unterschreitende Summe. Allenfalls mit Blick auf eine im Raum stehende besondere Eingriffsintensität könnte man aber möglicherweise erwägen, dass aus Gründen der durch Art 12 GG gewährleisteten Berufsfreiheit betroffener Apotheker ein besonderes rechtsförmiges Verfahren platzgreifen müsse. Insoweit ist indessen darauf hinzuweisen, dass zB auch in Teilbereichen des Zivil- und Arbeitsrechts das Einfordern von vereinbarten Vertragsstrafen bei geltend gemachten Pflichtverstößen gravierende Auswirkungen auf die existenzielle Lage eines Schuldners haben kann, ohne dass deshalb eine bestimmte Handlungsform des Gläubigers bei der Durchsetzung seiner vermeintlichen Ansprüche geboten wäre oder dass deshalb nicht hinnehmbare Defizite im Rechtsschutz der Betroffenen zu besorgen wären.
3. Der Senat folgt nach alledem - abweichend vom Berufungsgericht - auch im zu entscheidenden Fall den oben aufgezeigten Grundsätzen. Dieses hat zur Folge, dass von einer Prüfung der Begründetheit der auf die Zahlung einer Vertragsstrafe von 6560 Euro gerichteten Klage nicht abgesehen werden kann. Indessen hat das LSG - von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent - ausdrücklich keinerlei Feststellungen dazu getroffen, ob den rechtlichen Anforderungen für eine Vertragsstrafe gemäß das Benehmen der Klägerin mit dem LAV hergestellt wurde und ob die konkrete Vertragsstrafe mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz/Übermaßverbot in Einklang steht. Feststellungen und damit zusammenhängende rechtliche Würdigungen müssen vom LSG nachgeholt werden. Der Senat musste die Sache daher nach § 170 Abs 2 S 2 SGG an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
4. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
5. Die Entscheidung über den Streitwert für das Revisionsverfahren beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.