Entscheidungsdatum: 19.06.2018
Eine selbstständige Geistheilerin, die eine Praxis für energetische Körperarbeit betreibt, ist als Unternehmerin des Gesundheitswesens versicherungspflichtig.
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. November 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) als selbstständige geistige Heilerin sowie die Festsetzung von Beiträgen.
Die 1942 geborene Klägerin bezieht seit Juli 2002 eine Altersrente und betreibt seitdem selbstständig eine Praxis für "energetische Körperarbeit". Schwerpunkte der Praxis sind die "Reconnective Therapy" nach Herwig Schön, die "russischen Heilweisen" nach Gregori Grabovoi und Arkady Petrov, das "Total Touch Pulsing" nach Bianca Telle, "Qi Gong" sowie die "Fernsitzung bzw Geistheilung".
Durch insgesamt elf Bescheide vom 14.2.2013 stellte die Beklagte ihre Zuständigkeit für das Unternehmen der Klägerin fest, veranlagte dieses für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.12.2012 sowie für den Zeitraum ab 1.1.2013 bis 31.12.2018 zum Gefahrtarif und stellte fest, dass für die Klägerin eine Unternehmerpflichtversicherung bestehe. Weiterhin bestätigte die Beklagte die Zugehörigkeit der Klägerin als Unternehmerin zur Beklagten und stellte die Versicherungssummen für die einzelnen Beitragsjahre fest. Schließlich veranlagte sie die Klägerin "zur Unternehmerversicherung" vom 1.1.2007 bis 31.12.2012 und "für ihre persönliche Versicherung" ab 1.1.2013 bis 31.12.2018 zu Gefahrklassen und erhob Beiträge für die Jahre 2008 bis 2011. Nach Einlegung eines Widerspruchs erläuterte die Beklagte der Klägerin schriftlich die Gründe für die Veranlagung und die Beitragshöhe (Schreiben vom 13.3.2013). Sodann erließ die Beklagte einen weiteren Beitragsbescheid vom 24.4.2013 für das Jahr 2012, gegen den die Klägerin ebenfalls Widerspruch einlegte. Die Beklagte erläuterte daraufhin erneut schriftlich die Gründe für die Pflichtversicherung sowie die Höhe der Beitragsforderung (Schreiben vom 2.5.2013). Nachdem die Klägerin Gewinn- und Verlustberechnungen eingereicht hatte, legte die Beklagte durch weiteres Schreiben erneut die Beitragsberechnung dar. Durch Widerspruchsbescheid vom 5.9.2013 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die "Bescheide vom 14.02.2013 über die Feststellung der Unternehmerversicherung und die Beiträge für die Jahre 2008 - 2011" sowie gegen den Beitragsbescheid zur Unternehmerversicherung vom 24.4.2013 für das Jahr 2012 zurück.
Die Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 13.12.2013). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 30.11.2016) und zur Begründung ausgeführt, Geistheiler seien im Gesundheitswesen tätig iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII. Die Praxis der Klägerin für energetische Körperarbeit sei dem Gesundheitswesen zuzuordnen. Denn dieses Unternehmen diene nach seiner Zwecksetzung der Heilbehandlung der Patienten, indem durch Übungen, Methoden und Ratschläge die Selbstheilungskräfte der Patienten aktiviert werden sollten. Dies ergebe sich auch aus dem Internetauftritt der Klägerin. Hierfür sei nicht maßgebend, dass die Behandlungen medizinisch-wissenschaftlich nicht anerkannt seien.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII. Die Tätigkeit eines Geistheilers sei nicht darauf ausgerichtet, die physische oder psychische Gesundheit des Einzelnen zu wahren. Zwar solle durch die Förderung der spirituellen Entwicklung mittelbar auf die Gesundheit der Menschen eingewirkt werden. Dies sei allerdings nicht der Hauptzweck der Tätigkeit eines Geistheilers. Andere medizinische Hilfsberufe wie Bademeister, Hebammen oder Diätassistenten seien nicht mit Geistheilern vergleichbar, weil die Angehörigen dieser Berufe eine staatlich anerkannte Ausbildung durchlaufen müssten und der ärztlichen Aufsicht unterstünden. Das BVerfG habe entschieden, dass Geistheiler keiner Zulassung als Heilpraktiker bedürften, weshalb auch eine Zwangsversicherung in der GUV ausscheide.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30.11.2016 und des Sozialgerichts Augsburg vom 13.12.2013 sowie die Bescheide der Beklagten vom 14.2.2013 über die Feststellung ihrer Pflichtversicherung als Unternehmerin und die Festsetzung der Beiträge zur Unternehmerpflichtversicherung für die Umlagejahre 2008 bis 2011 sowie den Bescheid vom 24.4.2013 über die Festsetzung des Beitrags zur Unternehmerpflichtversicherung für das Umlagejahr 2012 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.9.2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass die Bescheide über die Pflichtversicherung der Klägerin als selbstständige Geistheilerin (Unternehmerin) sowie die zu zahlenden Beiträge rechtmäßig waren.
Gegenstand des Klageverfahrens sind ausschließlich die Bescheide der Beklagten vom 14.2.2013 über die Feststellung ihrer Pflichtversicherung als Unternehmerin und die Festsetzung der Beiträge zur Unternehmerpflichtversicherung für die Umlagejahre 2008 bis 2011 sowie der Bescheid vom 24.4.2013 über die Festsetzung des Beitrags zur Unternehmerpflichtversicherung für das Umlagejahr 2012. Nur über diese wurde im Widerspruchsbescheid vom 5.9.2013 entschieden. Dahinstehen kann, ob hinsichtlich der übrigen die Zuständigkeit der Beklagten sowie die Veranlagung des Unternehmens betreffenden Regelungen das Widerspruchsverfahren abgeschlossen worden ist.
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich formell (dazu unter A.) und materiell (dazu unter B.) als rechtmäßig.
A. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte hier ein Anhörungsverfahren gemäß § 24 SGB X hätte durchführen müssen Denn die Anhörung wurde jedenfalls vor Erlass des Widerspruchsbescheids vom 5.9.2013 und damit innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X wirksam nachgeholt. Der Senat weist lediglich beiläufig erneut darauf hin, dass die Beklagte mit den durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) festgestellten Beitragsforderungen zumindest in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) eingreift, sodass ein anhörungspflichtiger "Eingriff" iS des § 24 Abs 1 SGB X vorliegt (BSG vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; vgl BSG vom 25.1.1979 - 3 RK 35/77 - SozR 1200 § 34 Nr 7; Mutschler in Kasseler Komm, SGB X, § 24 RdNr 7; Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24 RdNr 8). Dahinstehen kann, ob bei Beitragsbescheiden auf eine Anhörung nach § 24 Abs 1 SGB X verzichtet werden kann, weil es sich um Massenverwaltungsakte iS des § 24 Abs 2 Nr 4 SGB X handelt oder weil sie im allgemeinen auf Entgeltangaben des Unternehmers beruhen, ohne hiervon zu seinen Ungunsten abzuweichen (§ 24 Abs 2 Nr 3 SGB X; Höller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 168 RdNr 3). Auch dies erfordert allerdings nach § 24 Abs 2 SGB X eine - hier offensichtlich nicht getroffene - Ermessensentscheidung der Beklagten (vgl BSG vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; Spellbrink in Kasseler Komm, Stand September 2017, § 168 SGB VII RdNr 2).
Jedenfalls wurde die Anhörung vor Erlass des Widerspruchsbescheids und damit innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X wirksam nachgeholt. Die Beklagte hat mit den Schreiben vom 13.3.2013, 2.5.2013 und 3.6.2013 der Klägerin alle Haupttatsachen mitgeteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen wollte, und ihr eine angemessene Frist zur Äußerung gesetzt (vgl die Entscheidung des erkennenden Senats vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; sowie vom 18.9.2012 - B 2 U 15/11 R - SozR 4-5671 § 3 Nr 6; BVerwG vom 17.8.1982 - 1 C 22.81 - BVerwGE 66, 111). Ferner hat sie das Vorbringen der Klägerin zur Kenntnis genommen und abschließend zu erkennen gegeben, dass sie nach erneuter Prüfung an dem bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält (BSG vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R - Juris; BSG vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 RdNr 15 und vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 26; BVerwG vom 10.3.1971 - VIII C 210.67 - BVerwGE 37, 307).
B. Die angefochtenen Bescheide sind auch materiell rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte war gemäß § 3 Abs 1 ihrer Satzung vom 1.1.2011 für Unternehmen des Gesundheitswesens sachlich zuständig. Die Beklagte war auch befugt, das Versicherungsverhältnis zwischen ihr und der Klägerin auf Grundlage des § 136 Abs 1 S 1 SGB VII durch Verwaltungsakt festzustellen (vgl zur freiwilligen Versicherung BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2, RdNr 31).
Die Klägerin betreibt mit ihrer Praxis für energetische Körperarbeit ein Unternehmen des Gesundheitswesens nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII und ist deshalb Mitglied der Beklagten sowie als selbstständige Unternehmerin iS des § 150 Abs 1 S 1 SGB VII verpflichtet, Beiträge zur GUV zu entrichten. Gemäß § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII sind kraft Gesetzes versichert Personen, die selbstständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind. Die Klägerin ist selbstständig tätig (dazu unter 1.). Sie ist auch im Gesundheitswesen tätig (dazu unter 2.). Die Veranlagung zur Pflichtversicherung der Klägerin verletzt sie nicht in ihren Grundrechten (dazu unter 3.). Sie verstößt auch nicht gegen Europarecht (dazu unter 4.). Auch hinsichtlich der festgesetzten Beitragshöhe sind die Beitragsbescheide nicht zu beanstanden (dazu unter 5.).
1. Die Klägerin ist selbstständig tätig. Selbstständig iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII ist derjenige, dem das Ergebnis seines Unternehmens unmittelbar zum Vor- und Nachteil gereicht (zur selbstständigen Tätigkeit einer Tagesmutter vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 3/11 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 18; vgl zum Begriff der Selbstständigkeit auch BSG vom 20.3.2018 - B 2 U 13/16 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies ist bei der Klägerin nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) der Fall.
2. Die Klägerin ist auch im Gesundheitswesen tätig. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, die insoweit an die Spruchpraxis des Reichsversicherungsamts anknüpft (vgl RVA, EuM 28, 437;
RVA, AN 1930, Heft Nr 12, S 506 Nr 3916; RVA, AN 1930, Heft Nr 1, S 22 Nr 3598; RVA, EuM 30, 484), fallen unter den Begriff Gesundheitswesen iS der GUV Einrichtungen und Tätigkeiten, welche die Beseitigung oder Besserung eines krankhaften Zustandes oder die Pflege eines pflegebedürftigen Menschen bezwecken, ferner diejenigen, die eigens den Zweck haben, die Gesundheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit vor unmittelbar drohenden Gefahren zu schützen, dh einer unmittelbar drohenden oder nach Lage des Falles in absehbarer Zeit zu erwartenden Schädigung der Gesundheit vorzubeugen. Dabei muss es sich aber um Einrichtungen und Tätigkeiten handeln, bei denen die Wahrung der Gesundheit den Hauptzweck bildet; es genügt nicht, dass ein gesundheitsfördernder bzw krankheitsverhütender Erfolg lediglich als eine zwar praktisch bedeutsame, aber doch nur nebenher erzielte Begleiterscheinung bewirkt wird (BSG vom 27.10.1961 - 2 RU 115/60 - BSGE 15, 190 = SozR Nr 7 zu 5. BKVO Anl Nr 39, Juris RdNr 15; RVA, EuM 28, 437; BSG vom 25.8.1961 - 2 RU 106/59 - BSGE 15, 41, 44 = SozR Nr 5 zu 5. BKVO Anl Nr 39, SozR Nr 15 zu § 106 SGG). Diese Rechtsprechung ist zwar zu § 537 Nr 2 RVO als Vorgängernorm des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII ergangen, jedoch gelten trotz des leicht abweichenden Wortlautes (Gesundheitswesen statt Gesundheitsdienst) auch für § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII die bisherigen Grundsätze fort (vgl Amtliche Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch
Die seitens der Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit angebotenen Behandlungsmethoden erfolgen primär zur Heilung oder Verhütung von Krankheiten (dazu unter a). Unerheblich ist, ob diese Methoden nach dem insbesondere im SGB V normierten Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abrechnungsfähig sind (dazu unter b). Unerheblich ist für den Schutzbereich der GUV schließlich auch, ob die Klägerin für ihre Tätigkeiten einer Zulassung nach dem Heilpraktikergesetz bedarf (dazu unter c).
a) Die von der Klägerin angebotenen Leistungen dienen der Heilung bzw Verhütung von Krankheiten. Nach der subjektiven Vorstellung der Klägerin sollen sämtliche Methoden - wie das LSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG) - Selbstheilungskräfte des Körpers stimulieren, Traumata auflösen bzw die geistige und körperliche Gesundheit unterstützen. Damit entspricht es dem erklärten Willen der Klägerin, die Gesundheit ihrer Kunden zu schützen bzw wiederherzustellen. Die Handlungstendenz der Klägerin ist nach den Feststellungen des LSG auf die Erreichung eines Heilerfolgs ausgerichtet, weshalb sie in einem gegen die Veranlagung und Erhebung von Beiträgen gerichteten Rechtsstreit nicht einwenden kann, sie handele ohne Heilungsabsichten.
Der Senat hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin angebotenen Behandlungsmethoden nicht auch objektiv einen Heilungszweck verfolgen, ohne dass für die Frage der Beitragspflicht in der GUV hierbei eine Bewertung der Qualität und Erfolgsaussichten dieser Methoden vorgenommen werden muss. Zur Verhütung einer Krankheit dienen alle Behandlungen, die der Vermeidung eines regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustands dienen, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64 jeweils mwN). Dass die im Angebot der Klägerin enthaltenen Behandlungsmethoden objektiv dem Ziel dienen, Selbstheilungskräfte des Körpers zu mobilisieren, lässt sich den einschlägigen Informationsquellen wie insbesondere den Internetauftritten ihrer Entwickler entnehmen. Bei diesen Inhalten öffentlich angebotener Behandlungsmethoden handelt es sich, soweit sie sich unter eine begriffliche Definition fassen lassen, um generelle Tatsachen, über die sich jedermann aus allgemein zugänglichen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann (s BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 24 mwN = SGb 2012, 285). Bei fehlenden Feststellungen der Tatsacheninstanz zu diesen allgemeinen Tatsachen ist das BSG auch als Revisionsinstanz befugt, diese selbst zu ermitteln und festzustellen (BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8, RdNr 33; BSG vom 13.12.2005 - B 1 KR 21/04 R - SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 18 = SGb 2006, 689).
Bei der "Reconnective Therapy" nach Herwig Schön geht es nach dem Internetauftritt ihres Entwicklers (https://www.reconnectivetherapy.com/deutschland) um die Erzielung von Heilerfolgen. Auch die "russischen Heilweisen" von Gregori Grabovoi und Arkady Petrov dienen nach dem Internetauftritt des "Grabovoi-Zentrums" in erster Linie Heilerfolgen (https://grabovoi-zentrum-muenchen.de/grabovoi/die-lehre/). Das "Total Touch Pulsing" nach Bianca Telle dient nach den allgemein zugänglichen Angaben der Erfinderin ebenfalls der Förderung von Selbstheilungskräften (http://www.bianca-telle.de/therapien/therapien/therapie_ttp.html) und "Qi Gong" bezweckt laut der "Deutschen Qigong Gesellschaft e.V." ua die Gesunderhaltung auf der körperlichen Ebene (https://www.qigong-gesellschaft.de/qigong/wirkung-qigong). Der Senat verwendet diese Angaben der Entwickler bzw Vertreter dieser Methoden, um den Subsumtionsschluss zu rechtfertigen, dass die Klägerin im Gesundheitswesen iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII tätig und damit in der GUV beitragspflichtige selbstständige Unternehmerin ist. Der Senat trifft damit keine Aussage über die Wirkungsweise oder die objektive Eignung dieser Methoden zur Gesunderhaltung bzw Heilung. Im Recht der GUV wird wesentlich auf die Handlungstendenz des Versicherten abgestellt, die hier bei der Klägerin unzweifelhaft auf "Heilung" im weiteren Sinne gerichtet ist. An diese Handlungstendenz knüpft das System des SGB VII den Versicherungsschutz und ggf auch die Beitragspflicht. Dabei geht der Versicherungsschutz der GUV soweit, dass sogar verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt (vgl § 7 Abs 2 SGB VII).
b) Folglich kommt es für die Frage, ob ein Unternehmen dem Gesundheitswesen iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII zuzurechnen ist, nicht darauf an, ob dieses ärztliche Behandlungen anbietet, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten ausreichend und zweckmäßig bzw ob diese als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen in dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen nach § 87 SGB V enthalten sind (vgl dazu BSG vom 27.9.2005 - B 1 KR 28/03 R - Juris). Die Beschränkung auf die ärztliche Kunst sieht § 28 SGB V für den Bereich der GKV vor und ist letztlich Ausfluss des in § 12 Abs 1 S 1 SGB V verankerten Wirtschaftlichkeitsgebots, das im Sinne eines Übermaßverbots die Grenzen des Behandlungsanspruchs regelt. Diese Beschränkungen des Leistungsrechts im Recht der GKV (s nur BSG vom 1.7.2014 - B 1 KR 62/12 R - BSGE 116, 138 = SozR 4-2500 § 12 Nr 4, RdNr 18; BSG vom 1.7.2014 - B 1 KR 15/13 R - BSGE 116, 153 = SozR 4-2500 § 137 Nr 4, RdNr 11; BSG vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R - BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 23; BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 53/12 R - Juris RdNr 19; BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 6/11 R - BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 16; BSG vom 22.6.2010 - B 1 KR 1/10 R - BSGE 106, 214 = SozR 4-2500 § 275 Nr 3; BSG vom 20.11.2008 - B 3 KN 4/08 KR R - SozR 4-2500 § 275 Nr 2; BSG vom 13.11.2012 - B 1 KR 10/12 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 6; BSG vom 21.3.2013 - B 3 KR 2/12 R - BSGE 113, 167, 173 = SozR 4-2500 § 137c Nr 6 S 23, 29; BSG vom 13.11.2012 - B 1 KR 24/11 R - BSGE 112, 141, 150 = SozR 4-2500 § 275 Nr 8 S 29, 39; BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 12; zur Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Vertragsarztrecht BSG vom 19.6.1996 - 6 RKa 40/95 - BSGE 78, 278, 283 = SozR 3-2500 § 106 Nr 35 S 193, 198; BSG vom 28.4.2004 - B 6 KA 24/03 R - MedR 2004, 577; vgl auch BSG vom 15.12.1987 - 6 RKa 19/87 - BSGE 63, 6, 8 = SozR 2200 § 368n Nr 52 S 178, 179 f) sind nicht übertragbar auf die GUV. Hier beurteilt sich - wie ausgeführt - der Versicherungsschutz für Anbieter von Gesundheitsleistungen nach der Handlungstendenz bei der Vornahme vom Gesetzgeber für schutzbedürftig erachteter Verrichtungen - hierzu auch unter 3. -, ohne dass es auf eine sonstige, etwa krankenversicherungsrechtliche Zulassung ankommt.
c) Auch das Fehlen der Heilpraktikererlaubnis nach § 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz - HeilprG) und/oder einer ärztlichen Approbation führt nicht dazu, dass geistiges Heilen nicht unter den Begriff des Gesundheitswesens iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII zu subsumieren ist. Im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII kommt es nicht darauf an, ob die Tätigkeit einer beruflichen Zulassung bedarf oder ob der Selbstständige qualitativ in der Lage ist, die Behandlungsmethoden anzuwenden. Die seitens der Revision angeführte Entscheidung des BVerfG vom 2.3.2004 - 1 BvR 784/03 - (NJW-RR 2004, 705) bezieht sich allein auf den Umfang der Erlaubnispflicht nach dem HeilprG in einem Fall des sog geistigen Heilens. Nach § 1 Abs 1 HeilprG vom 17.2.1939, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.12.2016 (BGBl I 3191), bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde ohne Bestallung als Arzt ausüben will, wobei die Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers darauf überprüft werden, ob die Ausübung der Heilkunde eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeutet. Bei der Erlaubnispflicht nach dem HeilprG handelt es sich mithin um eine Norm, die den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung bezweckt und damit vorrangig der Gefahrenabwehr dient. Bei der Frage der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII geht es hingegen (auch) um die Privilegierung einer Bevölkerungsgruppe, die - wie oben ausgeführt - im Interesse der Allgemeinbevölkerung Leistungen zum Schutz der Gesundheit erbringt. Die eher ordnungsrechtliche Zielrichtung des HeilprG ist damit nicht auf die GUV übertragbar. Das Fehlen der Heilpraktikererlaubnis und der ärztlichen Approbation bei ritueller Heilung kann nicht dazu führen, dass deshalb geistiges Heilen nicht unter den Begriff des Gesundheitswesens iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII zu subsumieren ist.
3. Grundrechte der Klägerin werden durch die Versicherungs- und Beitragspflicht nicht verletzt. Hinsichtlich der Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 GG) ist keine erdrosselnde oder konfiskatorische Wirkung eines Beitrags iHv ca 137 Euro pro Jahr erkennbar (vgl BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1, RdNr 25; BVerfG vom 8.4.1987 - 2 BvR 909/82 ua - BVerfGE 75, 108 = Juris RdNr 116). Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) ist jedenfalls nicht unverhältnismäßig (hierzu BSG vom 23.1.2018 - B 2 U 10/16 R). Sinn und Zweck dieses Versicherungstatbestands war im Übrigen der Schutz solcher Personen, die sich im Besonderen um die Allgemeinheit verdient machen und gerade deshalb besonderen Risiken wie zB Ansteckungsgefahren ausgesetzt sind (vgl Begründung zum Entwurf eines Dritten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 11.7.1928
Auch wird der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) im Hinblick auf die Freistellung ua von selbstständigen Ärzten und Heilpraktikern von der Versicherung nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII durch § 4 Abs 3 SGB VII nicht verletzt. Der allgemeine Gleichheitssatz iS des Art 3 Abs 1 GG gebietet zwar, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG vom 27.2.2007 - 1 BvL 10/00 - BVerfGE 117, 272 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7; stRspr). Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (BVerfG vom 26.1.1993 - 1 BvL 38/92 ua - BVerfGE 88, 87; BVerfG vom 8.4.1997 - 1 BvR 48/94 - BVerfGE 95, 267; BVerfG vom 6.7.2010 - 1 BvL 9/06 ua - BVerfGE 126, 233 = SozR 4-8570 § 6 Nr 5; BVerfG vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - BVerfGE 130, 240 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1). Vorliegend hat eine über das bloße Willkürverbot hinausgehende, an den Grundsätzen der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung orientierte Prüfung zu erfolgen. Gemessen am anzuwendenden Maßstab verhältnismäßiger Gleichbehandlung bestehen aber Gründe von solcher Art und solchem Gewicht, die die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen. Bei den von der Versicherungspflicht befreiten Berufsgruppen kann typisierend unterstellt werden, dass sie aus ihrem Einkommen eigenständig eine Versicherung finanzieren können (vgl bereits BSG vom 30.1.1963 - 2 RU 35/60 - BSGE 18, 231 = SozR Nr 3 zu § 541 RVO, SozR Nr 17 zu § 96 SGG, Juris RdNr 21, sowie Begründung zum 6. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942, S 26), was bei der Gruppe der Klägerin typisierend betrachtet gerade nicht der Fall ist.
4. Auch ein Verstoß gegen die europarechtlich garantierte Wettbewerbsfreiheit (Art 106, 101 AEUV ff) bzw Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV) ist in der Zwangsversicherung der Klägerin als selbstständiger Anbieterin von Behandlungsmethoden der Geistheilung nicht zu sehen, was der Senat bereits mehrfach klargestellt hat (vgl BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 16/03 R - BSGE 91, 263 = SozR 4-2700 § 150 Nr 1; EuGH vom 5.3.2009 - C-350/07 - Juris; s auch Bieresborn, jurisPR-SozR 14/2009 Anm 1; zuletzt BSG vom 19.4.2012 - B 2 U 348/11 B - Juris; zusammenfassend Spellbrink, SR 2012, 17, 34 ff).
5. Hinsichtlich der Beitragshöhe sind die Bescheide, soweit sie Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind, ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Festsetzung des Mindestbeitrags erfolgt gemäß § 44 der Satzung unter Festsetzung der Mindestversicherungssumme auf 60 vH der Bezugsgröße gemäß § 18 Abs 1 SGB IV, aufgerundet auf volle 1000 Euro (vgl zur Unzulässigkeit der Festsetzung durch den Vorstand BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 11/13 R - BSGE 118, 9 = SozR 4-2700 § 161 Nr 1).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG. Die Klägerin, die sich im vorliegenden Verfahren allein gegen die Feststellung ihrer Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII und die daraus resultierende Festsetzung der Beiträge zur Unternehmerpflichtversicherung für bestimmte Umlagejahre wehrt, klagt damit zumindest auch "in ihrer Eigenschaft als Versicherte" und gehört deshalb zu den in § 183 SGG genannten kostenprivilegierten Personen. |