Entscheidungsdatum: 12.07.2012
Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. April 2011 wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. April 2011 wird als unzulässig verworfen.
Dem Kläger wird wegen der Versäumung der Beschwerdefrist gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landesssozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
I. Zwischen den Beteiligten ist in der Sache die Aufforderung des Klägers zur Mitwirkung durch den Beklagten streitig. Die Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn hat das SG als unzulässig abgewiesen (Urteil des SG vom 30.9.2010). Ein gegen dieses Urteil gerichtetes, innerhalb der Berufungsfrist eingegangenes, als "Wiederaufnahme" bezeichnetes Schreiben vom 29.10.2010 hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg als Berufung angesehen. Nach Anhörung der Beteiligten hat es die Berufung mit Beschluss vom 12.4.2011 zurückgewiesen und mit Beschluss vom selben Tag einen für dieses Verfahren gestellten Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen.
Gegen beide Beschlüsse, die dem Kläger am 13.4.2011 zugestellt worden sind, hat er sich mit einem an das LSG gerichteten Schreiben vom 15.4.2011 gewandt, das erneut als "Wiederaufnahme" des Verfahrens wegen grober Verfahrensfehler bezeichnet ist. Das LSG hat das in diesem Schreiben enthaltene Ablehnungsgesuch gegen einen der beteiligten Richter zurückgewiesen (Beschluss vom 5.5.2011), ein weiteres Schreiben des Klägers vom 8.5.2011 unbeantwortet gelassen und sodann den Antrag auf Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 16.5.2011 als unzulässig abgelehnt. Mit Schreiben vom 17.5.2011 (Eingang beim LSG am 18.5.2011) hat sich der Kläger gegen den Beschluss vom 5.5.2011 gewandt und einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Am selben Tag hat der Vorsitzende die Zustellung des Beschlusses verfügt.
Hiergegen hat sich der Kläger privatschriftlich mit seiner "Beschwerde" an das Bundessozial-gericht (BSG) gewandt und zugleich einen Antrag auf PKH gestellt. Nach Bewilligung von PKH und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten hat er Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom 12.4.2011 und im Beschluss vom 16.5.2011 eingelegt und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und deren Begründung bezüglich beider Beschlüsse gestellt. Sowohl der Beschluss vom 16.5.2011 als auch der Beschluss vom 12.4.2011 beruhten auf Verfahrensmängeln.
II. 1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom 12.4.2011 ist un-zulässig. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von einem Monat nach Zu-stellung des Beschlusses (am 13.4.2011) wirksam eingelegt worden. Dem Kläger konnte insoweit keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss vom 12.4.2011 scheidet aus. Der Kläger war, selbst wenn er die Kosten für seine Prozessvertretung vor dem BSG nicht aufbringen konnte, nicht aus diesem Grund gehindert, die Beschwerde - durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten wirksam vertreten - rechtzeitig einzulegen, weil er nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses unter Vorlage der erforderlichen Belege beim BSG für ein Beschwerdeverfahren PKH beantragt hat.
Sein Schreiben vom 15.4.2011 war nicht als privatschriftlich erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom 12.4.2011 anzusehen, sodass unerheblich ist, ob das LSG dieses Schreiben innerhalb der Frist an das BSG hätte weiterleiten müssen und ob der Kläger ggf nach nochmaliger Belehrung einen PKH-Antrag für eine solche Beschwerde innerhalb der Frist hätte nachreichen können. Das Schreiben ist nicht allein deshalb als Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auszulegen, weil der Kläger sämtliche Schriftsätze nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils mit dem Betreff "Wiederaufnahme der Verfahren" überschrieben hat. Aus dem an das LSG gerichteten Schreiben vom 15.4.2011 geht nicht mit ausreichender Deutlichkeit hervor, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt eine Befassung der Sache durch das BSG anstrebte. Insbesondere seinen Ablehnungsantrag wollte er ausdrücklich durch das LSG beschieden wissen. Dies wiederum ergibt sich aus dem Schreiben vom 17.5.2011, in dem er ausführt, in diesem Verfahren gehe "es um die Ablehnung des Richters. Erst danach gibt es Verfahren zur Wiederaufnahme".
Im Übrigen hat er auf die Belehrung im Beschluss vom 16.5.2011 hin, die mit der Belehrung im Beschluss vom 12.4.2011 identisch ist, am 8.6.2011 unmittelbar beim BSG einen (vollständigen) Antrag auf PKH eingereicht. Er hat so - wenn auch unter erneuter Verwendung des Betreffs "Wiederaufnahme" - zum Ausdruck gebracht, dass er nunmehr eine Überprüfung durch das BSG anstrebte. Es kann damit nicht davon ausgegangen werden, dass er trotz der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung im Beschluss vom 12.4.2011 ohne Verschulden nicht in der Lage war, sich innerhalb der Frist auch insoweit an das BSG zu wenden.
2. Dem Kläger ist gemäß § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss vom 16.5.2011 zu gewähren, weil er ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Vor der Bewilligung von PKH durch den Senat auf seinen (insoweit fristgerechten) Antrag vom 8.6.2011 hin war er ohne Verschulden daran gehindert, die Beschwerde rechtzeitig einzulegen, weil er die Kosten für seine Prozessvertretung vor dem BSG nicht aufbringen konnte.
Auf die zulässige Beschwerde des Klägers war gemäß § 160a Abs 5 SGG der angefochtene Beschluss des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen. Der Kläger hat zu Recht gerügt, das LSG habe § 62 SGG iVm § 158 SGG verletzt, weil es nicht ohne Anberaumung einer mündlichen Verhandlung über den Antrag des Klägers hätte entscheiden dürfen.
Es kann dahinstehen, ob das LSG über den als Wiederaufnahmeklage iS des § 179 SGG verstandenen klägerischen Antrag mit Beschluss entsprechend § 158 SGG und also ohne vorherige mündliche Verhandlung entscheiden durfte. Das BSG hat diese Frage in seiner bisherigen Rechtsprechung abschließend nicht entschieden, wobei der 7. Senat dazu neigt, diese Vorgehensweise als unzulässig anzusehen, weil es sich bei der Wiederaufnahmeklage um ein Klage- und kein Berufungsverfahren handele (Beschluss vom 28.11.2002 - B 7 AL 26/02 R - juris RdNr 22; ebenso Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 1. Aufl 2009, § 158 RdNr 5). Demgegenüber neigt der 9. Senat der Auffassung zu, dass wegen der Verweisung in § 179 Abs 1 SGG auf die Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (ZPO) und dabei insbesondere auf § 585 ZPO für das weitere Verfahren grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften (und damit auch § 158 SGG) entsprechend gelten (Beschluss vom 24.4.2008 - B 9 SB 78/07 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 3 RdNr 6; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 158 RdNr 6a; Meßling in Hennig, SGG, Stand April 2012, § 158 RdNr 7). Auch im vorliegenden Fall kommt es auf eine abschließende Entscheidung zu dieser Rechtsfrage nicht an.
Ein Verstoß gegen § 62 SGG liegt schon aus anderen Gründen vor. Soweit der Kläger in seiner Beschwerdebegründung die Verletzung des § 62 SGG iVm § 158 SGG rügt, weil das LSG keine mündliche Verhandlung anberaumt und so sein Recht auf Gehör in einer mündlichen Verhandlung verletzt habe, hat er damit zugleich alle wesentlichen Umstände schlüssig vorgetragen, welche die Verletzung der Pflicht des LSG zur Anhörung der Beteiligten vor einer Entscheidung durch Beschluss nach § 158 SGG im schriftlichen Wege begründen. Mit dem Vortrag, ihm sei vom LSG die Möglichkeit genommen worden, sich vor einer Entscheidung in einer mündlichen Verhandlung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern, rügt er zugleich, dass ihm auch schriftlich das beabsichtigte Vorgehen durch das LSG nicht angekündigt und damit die Möglichkeit zur Äußerung genommen worden ist.
Der von ihm geltend gemachte Gehörsverstoß besteht damit unabhängig davon, ob rechtliches Gehör in mündlicher Verhandlung oder schriftlich hätte gewährt werden müssen. Der Senat hat sich der bereits zitierten Rechtsprechung des 9. Senats (aaO RdNr 10) angeschlossen, wonach vor einer Verwerfung nach § 158 SGG durch Beschluss das LSG die Beteiligten zu hören hat. Anderenfalls verletzt es seine Pflicht aus § 62 SGG und darf nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Dies hat zugleich die unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO zur Folge (vgl Beschluss des Senats vom 2.7.2009 - B 14 AS 51/08 B - juris RdNr 11). Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die - eine entsprechende Anwendbarkeit des § 158 SGG im Bereich eines Verfahrens nach § 179 SGG unterstellt - insoweit eine abweichende Entscheidung rechtfertigen.
Das LSG wird nach Wiedereröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.