Entscheidungsdatum: 01.07.2010
Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. März 2009 wird das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
I. Der 1939 geborene Kläger erhält seit 2004 Regelaltersrente mit einem monatlichen Zahlbetrag von anfangs 201,89 Euro. Widerspruch und Klage, mit denen er weitere rentenrechtliche Zeiten geltend machte, blieben erfolglos (Rentenbescheid vom 13.4.2004, Widerspruchsbescheid vom 24.3.2005, Urteil des SG Gelsenkirchen vom 21.6.2006).
In einem Erörterungstermin vor dem SG im Dezember 2005 hatte sich der Kläger nicht in der Lage gesehen anzugeben, welche Zeiten bei seiner Altersrente fehlten. Eine Erinnerung des SG vom Februar 2006 blieb erfolglos. Am Terminstag (21.6.2006) bat der Kläger per Fax um Terminsverlegung aus gesundheitlichen Gründen. Im Verfahren über die Berufung gegen das gleichwohl am 21.6.2009 ergangene SG-Urteil machte der Kläger mit Schriftsatz vom 15.10.2006 unter teilweiser Angabe von Arbeitgebern (Reedereien) Beschäftigungszeiten im Zeitraum seit 1958 sowie zeitlich nicht näher eingeordnete Arbeitsunfähigkeits- und Arbeitslosigkeits-, Kindererziehungs- und Pflegezeiten für seinen Sohn geltend. In einem Erörterungstermin mit dem Berichterstatter im November 2007 erklärte der Kläger, er werde bis spätestens Mitte Dezember eine genaue Aufstellung mit zeitlicher Einordnung der geltend gemachten Zeiten sowie eventueller Zeugenbenennung einreichen. Dies führte ua zu einer Benennung von acht ehemaligen Arbeitskollegen des Klägers zur See und an Land ohne Nennung von Anschriften; von drei Zeugen wurde nur der Nachname und nur von zweien der ungefähre Aufenthaltsort ("Raum Stuttgart"/"Norderney oder Wangerooge") angegeben. Ferner machte der Kläger geltend, sein am 18.9.1984 geborener Sohn sei zu 100 % schwerstbehindert, wofür er sich im weiteren Verlauf auf von ihm eingereichte Unterlagen über die Gewährung von Pflegegeld des Sozialhilfeträgers an den durch ihn vertretenen Sohn bezog. Nach einem - erfolglosen - Befangenheitsantrag des Klägers gegen den Berichterstatter lud ihn das LSG am 3.3.2009 zur mündlichen Verhandlung vom 26.3.2009. Gegen die Terminierung legte der Kläger unter dem 17.3.2009 "sofortige Beschwerde" unter Stellung weiterer Befangenheitsanträge ein; ferner beantragte er, den Termin auch aus gesundheitlichen Gründen zu verlegen. Zurzeit sei er gesundheitlich nicht in der Lage, den Gerichtstermin wahrzunehmen, es stehe eine Krankenhauseinweisung bevor. Das am Abend des 17.3.2009 eingegangene Fax wurde dem Berichterstatter am 18.3.2009 vorgelegt, der (intern) insoweit vermerkte: "Von einer Vertagung sollte abgesehen werden. Weder ist das p.E. angeordnet noch hat der Kl. gesundheitl. Gründe subst. benannt oder gar nachgewiesen." Mit Fax vom 25.3.2009 legte der Kläger schließlich die Kopie einer Krankenhauseinweisung wegen "Lumboischialgie" vom selben Tage vor und beantragte, den Termin zu verlegen; er wolle persönlich anwesend sein. Er bestehe ferner darauf, juristisch vertreten zu sein, und stelle dies gleichzeitig als Antrag. In Abwesenheit des Klägers hat das LSG seine Berufung auf die mündliche Verhandlung vom 26.3.2009 zurückgewiesen.
Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, es habe trotz des Schreibens des Klägers vom 25.3.2009 in dessen Abwesenheit entscheiden können. Die Gesamtwürdigung des bisherigen Verfahrensablaufs lege es nahe, dass dieses Schreiben lediglich der beabsichtigten weiteren Verfahrensverschleppung durch den Kläger diene. Dieser habe keine seine persönliche Anwesenheit unmöglich machende Erkrankung durch Vorlage eines ärztlichen Attests nachgewiesen. Lediglich das Begehren, juristisch vertreten zu sein, reiche für eine Terminsverlegung nicht aus. Einen Antrag auf Prozesskostenhilfe habe der Kläger nicht gestellt. Die Ablehnungsgesuche seien offenkundig nur in Verfahrensverschleppungsabsicht gestellt worden. Im Übrigen sei die zulässige Berufung nicht begründet. Nachweise über eine versicherungspflichtige Pflege iS des § 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI habe der Kläger nicht vorgelegt; ebenso fehle es am Nachweis, dass der Kläger ein Kind in dessen ersten drei Lebensjahren erzogen habe (§ 3 Satz 1 Nr 1 iVm § 56 SGB VI). Zu den weiteren rentenrechtlichen Zeiten hätten keinerlei Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung gestanden, aus denen - im Rahmen der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) - tatsächliche Feststellungen hinsichtlich etwaiger rentenrechtlicher Zeiten getroffen hätten werden können. Hinsichtlich der vom Kläger benannten Zeugen liege kein ordnungsgemäßer Beweisantritt vor. Weder seien ladungsfähige Personalien noch Anschriften benannt oder hinreichende Beweisthemen; der pauschale Hinweis des Kläger, der Senat könne die erforderlichen Tatsachen durch die Befragung der von ihm benannten ehemaligen Arbeitskollegen ermitteln, diene letztlich der Ausforschung möglicherweise vorhandener weiterer Versicherungszeiten. Ein Ausforschungsbeweis sei jedoch unzulässig.
Mit seiner Beschwerde rügt der Kläger Verfahrensfehler in Form der Verletzung rechtlichen Gehörs wegen der unterbliebenen Terminsverlegung sowie die Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Nichtberücksichtigung vom Kläger gestellter Beweisanträge.
II. Auf die Beschwerde des Klägers war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der gerügte Verfahrensfehler der Verletzung rechtlichen Gehörs liegt vor.
Der Kläger hat die Verletzung des § 62 SGG hinreichend bezeichnet; die Rüge trifft auch zu. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen. Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird.
Grundsätzlich stellt zwar allein der Umstand, dass ein Beteiligter außer Stande ist, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, und dies vorher mitteilt, noch keinen zwingenden Grund für eine Terminsverlegung dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, dass bei Fernbleiben eines Beteiligten nach Lage der Akten entschieden werden kann (vgl dazu § 110 Abs 1 Satz 2 SGG).
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann - und muss ggf - jedoch gemäß § 202 SGG iVm dem entsprechend anwendbaren § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO nach Glaubhaftmachung (§ 227 Abs 2 ZPO) erheblicher Gründe aufgehoben werden, auch wenn - wie vorliegend - das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet worden ist. Ein iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend und ggf glaubhaft gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung. Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (zum Ganzen mwN Senatsbeschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - RdNr 13 bis 15).
Das LSG hätte den Terminsverlegungsantrag des Klägers vom 17.3.2009 nicht ablehnen dürfen, ohne ihn zuvor über die beabsichtigte Durchführung des Termins zu informieren und darüber, unter welchen Voraussetzungen es seinem Antrag stattgeben würde.
Zwar enthält der dem LSG noch am Abend desselben Tages per Fax übermittelte Schriftsatz vom 17.3.2009 keine Angaben, die einen erheblichen Grund iS des § 227 Abs 1 ZPO glaubhaft gemacht hätten. Denn eine Terminsverlegung ist nur dann geboten, wenn eine Erkrankung so schwer ist, dass von dem Beteiligten die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann. Weder aus dem pauschalen Vortrag von "gesundheitlichen Gründen" noch aus einem Hinweis auf eine bevorstehende Krankenhauseinweisung folgt mit der erforderlichen Sicherheit eine Verhandlungsunfähigkeit.
Die Grundsätze des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens erfordern jedoch, dem Beteiligten jedenfalls die Möglichkeit zu geben, die entsprechenden Angaben zu machen und die erforderlichen Unterlagen einzureichen, wenn dem Gericht ein Verhinderungsgrund nicht hinreichend substantiiert erscheint (hierzu neuestens BSG vom 17.2.2010 - B 1 KR 112/09 B - BeckRS 2010, 70756 RdNr 7 mwN). Hiervon mag zwar dann eine Ausnahme zu machen sein, wenn der Beteiligte bereits - ggf im Rahmen früherer Verfahren - zur Genüge über die Voraussetzungen einer Terminsverlegung informiert ist und diese nicht erfüllen kann oder will, sondern lediglich eine Prozessverschleppung beabsichtigt (in diesem Sinne bereits der Senatsbeschluss aaO RdNr 17; ferner BSG vom 28.4.1999 - B 6 KA 40/98 R - Juris RdNr 17 f; BSG vom 21.7.2009 - B 7 AL 9/09 B - RdNr 5; BFH vom 12.1.2004, BFH/NV 2004, 654, 655).
Ein derartiger Grund, von einer Kontaktnahme mit dem Kläger abzusehen, lag jedoch im vorliegenden Fall nicht vor.
Es bestand kein Hinderungsgrund, die vom Berichterstatter in seinem Vermerk vom 18.3.2009 festgehaltenen Erwägungen nicht auch gleichzeitig dem Kläger mitzuteilen und um Substantiierung oder Nachweis zu bitten; ein entsprechendes Schreiben hätte er bereits am 19.3.2009, also eine Woche vor dem anberaumten Termin, erhalten können. Dann aber hätte ihm genügend Zeit zur Verfügung gestanden, dem LSG entsprechende Angaben und Unterlagen noch rechtzeitig zu übermitteln. Hieran ändert nichts, dass das LSG dem Kläger im Berufungsurteil eine Verschleppungsabsicht unterstellt. Denn auch jemand, der - aus welchen Gründen auch immer - den Abschluss seines Gerichtsverfahrens verzögern will, kann verhandlungsunfähig erkranken. Dann aber muss ihm Gelegenheit gegeben werden, dies glaubhaft zu machen. Das LSG hat jedenfalls nicht festgestellt, dass der Kläger anderweitig bereits hinreichend über die Substantiierungsanforderungen informiert war.
Die angefochtene Entscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger damals in der Tat verhandlungsunfähig war. Im Übrigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (Senatsbeschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - RdNr 18 mwN).
Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach § 160a Abs 5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Er kann offen lassen, ob der gerügte weitere Verfahrensfehler (Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Nichtbefolgen eines Beweisantrags) vorliegt. Er weist jedoch darauf hin, dass jedenfalls hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Kindererziehungs- und Pflegezeiten die vom LSG angeführten Ermittlungsschwierigkeiten in weit geringerem Maße bestehen dürften als hinsichtlich der von ihm behaupteten weiter zurückliegenden Beschäftigungs- und Arbeitsunfähigkeitszeiten. Zu den Pflegezeiten weist er auf die Urteile des BSG vom 5.5.2010 (B 12 R 6/09 R und B 12 R 9/09 R; s Terminbericht Nr 23/10, Nr 4 bis 5) hin.
Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.