Entscheidungsdatum: 11.02.2015
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Februar 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme einer Rentenbewilligung.
Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte der Klägerin nach dem Tod ihres geschiedenen Ehemannes (Versicherter) ab 1.9.2008 große Witwenrente mit einem Zahlbetrag von monatlich ca 400 Euro (Bescheid vom 8.10.2008). Nachdem die Ehefrau des Versicherten Einwendungen erhob, überprüfte die Beklagte diese Entscheidung und gelangte nunmehr zu dem Ergebnis, dass die Rentenbewilligung zu Unrecht erfolgt sei, da die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten von ihm keinen Unterhalt bezogen und angesichts ihrer eigenen Einkünfte iHv monatlich ca 1180 Euro auch keinen Anspruch darauf gehabt habe. Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 16.10.2008 zur beabsichtigten Aufhebung der Rentenbewilligung nach § 45 SGB X an und forderte sie auf, alle Umstände mitzuteilen, die aus ihrer Sicht einer solchen Entscheidung entgegenstünden; die Überzahlung für die Vergangenheit werde nicht zurückgefordert. Die Klägerin antwortete über ihren Prozessbevollmächtigten dahingehend, dass sie sich auf ihre Angaben im Rentenantrag und auf den Bewilligungsbescheid beziehe; das Anhörungsschreiben sei nicht nachvollziehbar. Die Beklagte hob sodann die Bewilligung der Witwenrente ab 1.12.2008 auf. Die Klägerin könne sich nicht auf schützenswertes Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheids berufen. Die Entscheidung sei auch bei Vornahme der erforderlichen Ermessensausübung gerechtfertigt, weil die nach Aktenlage erkennbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Klägerin eine Bescheidrücknahme zuließen und zudem der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie die Verpflichtung zur zweckentsprechenden Verwendung der Mittel zu beachten seien (Bescheid vom 7.11.2008).
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie ihrem Rentenantrag alle notwendigen Unterlagen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Unterhaltssituation - beigefügt habe. Der Versicherte habe mit Beginn des Studiums der gemeinsamen Kinder entsprechend der getroffenen Vereinbarung keinen laufenden Unterhalt mehr an sie selbst, sondern stattdessen zusätzlichen Unterhalt an die Kinder gezahlt; zudem habe sie noch eine einmalige Unterhaltszahlung iHv 25 000 DM erhalten. Deshalb sei der Bescheid vom 7.11.2008 aufzuheben.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Im Widerspruchsbescheid vom 20.3.2009 ist näher ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Geschiedenenwitwenrente nicht erfüllt seien, weil die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten von diesem keinen Unterhalt bezogen habe. Daran schließt sich folgender Text an: "Der Bescheid über die Bewilligung der Witwenrente aus der Versicherung des geschiedenen Ehegatten vom 08.10.2008 wurde zu Recht nach § 45 SGB X zurückgenommen. Bei dieser Sach- und Rechtslage musste Ihrem Widerspruch der Erfolg versagt bleiben."
Das SG hat den Rücknahmebescheid und den Widerspruchsbescheid wegen eines Ermessensfehlers im Widerspruchsverfahren aufgehoben (Urteil vom 4.3.2010). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 16.2.2012) und ausgeführt, dass die Widerspruchsstelle der Beklagten nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Ausgangsentscheidung zu prüfen gehabt habe. Dazu habe sie selbst Ermessen ausüben müssen. Zwar habe die Klägerin weder im Rahmen der Anhörung noch im Widerspruchsverfahren Tatsachen vorgebracht, die bei der Ermessensentscheidung hätten Berücksichtigung finden können. Hierdurch sei die Widerspruchsstelle aber nicht an der Ausübung eigenen Ermessens gehindert gewesen. Diese sei, wie sich aus der Begründung des Widerspruchsbescheids ergebe, ihrer Verpflichtung zur Ermessensbetätigung erkennbar nicht nachgekommen. Sie sei auch nicht auf die Ermessenserwägungen der Ausgangsbehörde eingegangen, etwa indem sie sich diese zu Eigen gemacht oder auf sie Bezug genommen habe. Ein solcher Ermessensausfall im Widerspruchsbescheid habe zugleich die Rechtswidrigkeit und Aufhebung des Ausgangsbescheids zur Folge.
Die Beklagte rügt mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision eine Verletzung von § 45 SGB X. Der Rücknahmebescheid vom 7.11.2008 enthalte iS des § 35 SGB X ausreichende Ausführungen zum Ermessen. Da die Klägerin weder im Anhörungs- noch im Widerspruchsverfahren auch nur ansatzweise ermessensrelevante Gesichtspunkte vorgetragen, vielmehr ausschließlich in materiell-rechtlicher Hinsicht Einwendungen erhoben habe, habe sich der Widerspruchsbescheid auf eine Auseinandersetzung mit den nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 243 SGB VI konzentriert. Wenn er mit der Feststellung ende, dass der Bewilligungsbescheid vom 8.10.2008 zu Recht nach § 45 SGB X zurückgenommen worden sei, könne in einer solchen Konstellation von einem Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauchs keine Rede sein. Eine Widerspruchsstelle, die einen ermessensfehlerfreien Ausgangsbescheid überprüfe und insgesamt bestätige, sei nicht verpflichtet, ausdrücklich und speziell auf die dort wiedergegebenen und von ihr nicht beanstandeten Ermessenserwägungen Bezug zu nehmen. Eine formelhafte Übernahme entsprechender Ausführungen des Ausgangsbescheids sei weder einer Selbstkontrolle der Verwaltung noch einer Entlastung der Gerichte dienlich. Aus der Regelung in § 95 SGG ergebe sich nichts anderes; ihr komme Bedeutung nur zur, wenn der Widerspruchsbescheid tatsächlich die Gestalt des Ausgangsbescheids ändere, etwa wenn Ermessenserwägungen verändert würden. Im SGG werde ebenso wie in der VwGO und in der FGO der ursprüngliche Verwaltungsakt und der Widerspruchsbescheid als Einheit gesehen. Der Widerspruchsbescheid ersetze den ursprünglichen Verwaltungsakt nicht; dieser bleibe vielmehr ebenfalls Gegenstand der Klage.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Februar 2012 und des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die vorinstanzlichen Entscheidungen für zutreffend. Nach § 95 SGG komme es rechtserheblich allein auf die Formulierungen des Widerspruchsbescheids an; er gebe dem Ausgangsbescheid das für die Klage maßgebliche argumentative Gepräge. Folge man der Rechtsmeinung der Beklagten, wäre in Fällen wie dem vorliegenden ein Ermessensausfall oder Ermessensnichtgebrauch unabhängig von der Wortwahl im Widerspruchsbescheid von vornherein ausgeschlossen. Dies würde der Behörde im Widerspruchsverfahren einen Freibrief erteilen und das Rechtsfolgeermessen generell entwerten.
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Der Senat kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht abschließend entscheiden.
1. Als Rechtsgrundlage für die im Bescheid vom 7.11.2008 verfügte und im Widerspruchsbescheid vom 20.3.2009 bestätigte Aufhebung der Bewilligung von großer Witwenrente (in Gestalt einer sog Geschiedenenwitwenrente - § 243 Abs 1 und 2 SGB VI) mit Wirkung für die Zukunft (ab 1.12.2008), weil deren tatbestandliche Voraussetzungen von Anfang an nicht vorgelegen haben, kommt nur § 45 SGB X in Betracht. Nach den gegebenen Umständen war die Klägerin - wovon auch die Beklagte zu Recht ausgeht - hinsichtlich der Bewilligung der Witwenrente nicht "bösgläubig", sodass von vornherein nur eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft in Frage kommt (vgl § 45 Abs 4 S 1, Abs 2 S 3 SGB X).
2. Die Regelung des § 45 SGB X erfordert eine Ermessensentscheidung, sofern sich - wie hier - aus den besonderen Teilen des SGB (vgl § 37 SGB I) nichts Abweichendes ergibt (stRspr - vgl BSGE 66, 204, 206 f = SozR 3-1300 § 45 Nr 1 S 3 f; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 5 S 20; BSG SozR 4-2600 § 77 Nr 10 RdNr 37; BSG SozR 4-5868 § 12 Nr 1 RdNr 35; BSG SozR 4-1300 § 45 Nr 15 RdNr 30; BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in SozR 4-7837 § 2 Nr 27 vorgesehen). Mithin hatte die Beklagte bei Erlass des Rücknahmebescheids vom 7.11.2008 Ermessen auszuüben. Der Ausnahmefall einer Ermessensschrumpfung auf Null, dh wenn nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige - den Betroffenen ganz oder teilweise begünstigende - Entscheidung rechtsfehlerfrei zulassen (vgl BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 26; BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - aaO RdNr 29 f), liegt hier schon wegen der "Gutgläubigkeit" der Klägerin nicht vor. Auch die Beklagte geht im Revisionsverfahren davon aus, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte und Ermessenserwägungen unabhängig davon anstellen musste, ob die Klägerin hierzu etwas vorgetragen hat.
3. Entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts kann ein Ermessensfehler, der zur Rechtswidrigkeit der Rücknahme der Rentenbewilligung führt und die Aufhebung des Bescheids vom 7.11.2008 gebietet, hier nicht festgestellt werden.
a) Ob eine Behörde das Ermessen zutreffend ausgeübt hat, unterliegt im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkter Überprüfung. Eine Ermessensentscheidung ist als solche nur rechtswidrig und auf Anfechtung hin nur dann aufzuheben, wenn der Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) verletzt ist (s auch § 54 Abs 2 S 2 SGG). Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, sondern nur prüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt (Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 92; Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 70). Ermessensfehlerhaft ist es, wenn die Behörde ihrer Pflicht zur Ermessensbetätigung überhaupt nicht nachgekommen ist (sog Ermessensnichtgebrauch) oder wenn ihr bei Ausübung des Ermessens Rechtsfehler unterlaufen sind (sog Ermessensfehlgebrauch). Dies ist zu beurteilen anhand der im Rücknahmebescheid angegebenen Ermessensgründe (§ 35 Abs 1 S 3 SGB X), sofern solche nicht ausnahmsweise entbehrlich sind (s den Katalog in § 35 Abs 2 SGB X, der auch für Ermessensgründe gilt - vgl Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 35 RdNr 13). Sind Ermessensgründe notwendig, genügt es regelmäßig, wenn sie erkennen lassen, (1) dass sich die Behörde bewusst ist, eine Ermessensentscheidung zu treffen, (2) dass sie davon ausgeht, ihre Entscheidung werde beim Betroffenen zu keiner besonderen Härte führen, und (3) dass sie (a) entweder das Vorhandensein weiterer ermessensrelevanter Umstände verneint oder (b) ausführt, weshalb solche Umstände ein Absehen von der Rücknahme weder ganz noch teilweise rechtfertigen können (Steinwedel in Kasseler Komm, § 45 SGB X RdNr 56, Stand Einzelkommentierung Oktober 2011; Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 69, jeweils mwN).
b) Der Rücknahmebescheid vom 7.11.2008, den die Beklagte nach ordnungsgemäßer Anhörung (§ 24 Abs 1 SGB X) der Klägerin erlassen hat, enthält in diesem Sinne hinreichende Ermessensgründe. Dass bei Erlass dieses Bescheids Ermessen ausgeübt wurde, ergibt sich bereits daraus, dass der Rentenbewilligungsbescheid nur für die Zukunft und nicht auch für die Vergangenheit zurückgenommen wurde, obwohl nach seiner (wenn auch unzutreffenden) Begründung ein Fall des § 45 Abs 2 S 3 SGB X vorlag, der gemäß § 45 Abs 4 S 1 SGB X grundsätzlich auch eine Rücknahme für die Vergangenheit eröffnet hätte (BSG SozR 3-5425 § 24 Nr 14 - Leitsatz 2 bzw S 87 f). Darüber hinaus enthält dieser Bescheid die ausdrückliche Erklärung, dass eine Ermessensausübung vorgenommen wurde, aber die im Rahmen der Anhörung von der Klägerin vorgetragenen Gründe nicht geeignet seien, von einer Bescheidrücknahme abzusehen, zumal die erkennbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Klägerin einer Rücknahme nicht entgegenstünden. Das lässt, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, weder einen Ermessensausfall noch einen Ermessensfehlgebrauch erkennen.
c) Auch der Widerspruchsbescheid vom 20.3.2009 enthält keine durchgreifenden Ermessensfehler.
aa) Bei Ermessensentscheidungen muss auch die zur Entscheidung über den Widerspruch berufene Stelle (vgl § 85 Abs 2 S 1 Nr 2 SGG) Ermessen ausüben. Das entspricht der Funktion des Vorverfahrens (Widerspruchsverfahrens), nicht nur - wie im gerichtlichen Verfahren - die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der getroffenen Entscheidung nachzuprüfen (§ 78 Abs 1 S 1 SGG). Die Widerspruchsstelle darf deshalb - anders als nachfolgend das Gericht - ihr eigenes (ggf abweichendes) Ermessen an die Stelle des Ermessens der Ausgangsbehörde setzen. Damit korrespondiert, dass auch die Widerspruchsstelle in dem von ihr erlassenen Widerspruchsbescheid Ermessensgründe erkennen lassen muss. Nähere Vorgaben dafür, in welcher Weise die Widerspruchsstelle ihre Ermessenserwägungen zum Ausdruck zu bringen hat, bestehen jedoch nicht. § 85 Abs 3 S 1 SGG bestimmt lediglich, dass der Widerspruchsbescheid schriftlich zu erlassen und zu begründen ist; für die Begründung von Ermessensentscheidungen gilt ergänzend § 35 Abs 1 S 3 SGB X (vgl § 62 SGB X). Es ist daher eine Frage des Einzelfalls, ob die Widerspruchsbehörde die Erwägungen der Ausgangsbehörde ausdrücklich verwirft und durch eigene ersetzt oder diese durch eigene Überlegungen ergänzt, nur verdeutlicht oder aber ohne jeden Vorbehalt bestätigt (vgl BVerwG Beschluss vom 26.2.1987 - 4 B 24/87 - Buchholz 310 § 68 VwGO Nr 29
bb) Der Senat ist aufgrund der Regelung in § 163 SGG nicht verpflichtet, der Ansicht des LSG zu folgen, dass die Widerspruchsstelle der Beklagten ihrer Verpflichtung zur Ausübung von Ermessen erkennbar nicht nachgekommen sei.
Die Frage, ob die Widerspruchsbehörde Ermessen ausgeübt hat und ob ein Ermessensfehler vorliegt, ist anhand der Gründe des Widerspruchsbescheids zu beurteilen (vgl BSG Urteil vom 30.10.1997 - 4 RA 71/96 - Juris RdNr 24 mwN). Die Heranziehung anderer Erkenntnisquellen - etwa eine Vernehmung des Sachbearbeiters als Zeugen oder die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der Behörde - kommt nach dem Zweck der Regelungen in § 85 Abs 3 S 1 SGG iVm § 35 Abs 1 S 3 SGB X von vornherein nicht in Betracht (dies im Ergebnis ebenfalls ablehnend BVerwG Beschluss vom 26.2.1987 - 4 B 24/87 - Juris RdNr 2 am Ende). Rechtlich maßgeblich ist somit insoweit nicht das tatsächliche Geschehen ("Was hat die Behörde bei Erlass des Verwaltungsakts wirklich erwogen?"), sondern allein das, was die Behörde in der Begründung des Widerspruchsbescheids anführt. In Übereinstimmung damit hat vorliegend auch das Berufungsgericht seine "Einschätzung" hinsichtlich des Fehlens einer eigenen Ermessensausübung der Widerspruchsstelle ausschließlich durch Auslegung der Begründung des Widerspruchsbescheids gewonnen.
Welchen Inhalt (iS von "Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") ein Verwaltungsakt - insbesondere auch seine Begründung - hat, ist aber vom Revisionsgericht in eigener Kompetenz zu beantworten; es ist dabei nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden (stRspr - vgl BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 - unter Hinweis auf BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 und BFHE 214, 18, 23
cc) Die Auslegung der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 20.3.2009 ergibt, dass auch die Widerspruchsstelle in nicht zu beanstandender Weise Ermessen ausgeübt hat.
Der Senat legt seiner Auslegung den - im Übrigen unstreitigen - Wortlaut des Widerspruchsbescheids vom 20.3.2009 so zugrunde, wie ihn das LSG im Tatbestand seiner Entscheidung (auf S 3 des Urteilsumdrucks) wiedergegeben hat. Zwar ist dort das Wort "Ermessen" nicht erwähnt. Der Widerspruchsbescheid befasst sich vielmehr ganz überwiegend mit der Darlegung der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids vom 8.10.2008 als tatbestandliche Voraussetzung einer auf § 45 SGB X gestützten Rücknahmeentscheidung. Die Verwendung des Begriffs "Ermessen" ist allerdings kein unverzichtbares Element der Begründung eines Verwaltungsakts, welcher die Ermessensbetätigung und die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte lediglich "erkennen lassen" muss (vgl § 35 Abs 1 S 3 iVm § 62 SGB X).
Die Formulierung "Der Bescheid (…) vom 08.10.2008 wurde zu Recht nach § 45 SGB X zurück genommen" zeigt jedoch aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles noch hinreichend deutlich, dass auch die Widerspruchsstelle der Beklagten davon ausgegangen ist, eine Ermessensentscheidung treffen zu müssen. Entscheidend für die Auslegung der Begründung des Widerspruchsbescheids ist, wie ein verständiger Empfänger sie verstehen muss (sog Empfängerhorizont - vgl BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN; BSG SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18; BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24). Die vorgenannte Formulierung verdeutlicht, dass eine Abänderung der Ausgangsentscheidung durch die Widerspruchsstelle ersichtlich nicht gewollt war. Dies wäre zB dann der Fall, wenn die Widerspruchsstelle - anders als die Ausgangsbehörde - nunmehr eine rechtlich gebundene Entscheidung getroffen hätte. Dafür liegen hier aber keine Anhaltspunkte vor. Im Ergebnis hat die Widerspruchsstelle die Entscheidung der Ausgangsbehörde vielmehr als "zu Recht" getroffen übernommen. Sie hat damit auch auf deren Ermessenserwägungen inhaltlich Bezug genommen und sie bestätigt; einer weiteren Begründung (§ 35 Abs 1 S 3 SGB X) bedurfte es dann nicht. Jedenfalls kann daraus nicht geschlossen werden, dass sie die Zweckmäßigkeit außer Acht gelassen hat. Mit dieser Auslegung korrespondiert, dass § 95 SGG den Ausgangsbescheid und den Widerspruchsbescheid als Einheit zur gerichtlichen Überprüfung stellt.
4. Im Ergebnis liegt somit auch hinsichtlich des Widerspruchsbescheids ein Ermessensfehler nicht vor. Ob die angefochtenen Bescheide aus anderen Gründen rechtswidrig oder aber rechtmäßig sind, kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen allerdings nicht abschließend entscheiden. Es fehlen - vom Rechtsstandpunkt des LSG aus konsequent - tatsächliche Feststellungen, die eine Beurteilung durch das Revisionsgericht erlauben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 8.10.2008 vorliegen, insbesondere ob die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten von diesem Unterhalt erhalten oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf gehabt hat. Dies wird das Berufungsgericht nunmehr nachzuholen haben.
Das LSG wird bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.