Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 22.08.2013


BSG 22.08.2013 - B 12 R 52/12 B

Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache - Bezeichnung des Verfahrensmangels - nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts - "Abwesenheit" eines Richters während der mündlichen Verhandlung


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsdatum:
22.08.2013
Aktenzeichen:
B 12 R 52/12 B
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Hamburg, 18. August 2010, Az: S 10 R 734/09vorgehend Landessozialgericht Hamburg, 20. Juni 2012, Az: L 2 R 115/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 20. Juni 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Gründe

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In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten (allein) darüber, ob der Beigeladene zu 1. in seiner Tätigkeit als Altenpflegehelfer als Beschäftigter bei der Klägerin ab dem 15.1.2004 versicherungspflichtig in den Zweigen der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung war, wie es die Beklagte aufgrund einer Betriebsprüfung festgestellt hat.

2

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Hamburg vom 20.6.2012 ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

3

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

4

Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen.

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1. Die Klägerin beruft sich in ihrer Beschwerdebegründung vom 20.2.2013 zunächst auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und macht hierzu auf den Seiten 3 bis 9 ihrer Begründung ein vermeintliches Abweichen des LSG von der Rechtsprechung anderer LSGe (Urteil des Bayerischen LSG vom 24.11.2009 - L 5 R 867/08 - und Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 2.11.2006 - L 24 KR 1097/05) geltend. Damit wird eine mögliche Divergenz schon deshalb nicht dargelegt, weil diese nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nur in einem Abweichen des LSG-Urteils von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG bestehen kann. Rechtssätze dieser Gerichte, von denen das LSG Hamburg abgewichen sein könnte, hat die Klägerin nicht benannt und somit den aus § 160a Abs 2 S 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 2 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz nicht genügt.

6

2. Daneben beruft sich die Klägerin auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Hierzu muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

7

Für grundsätzlich bedeutend hält die Klägerin die Frage,

        

"ob bzw. unter welchen Umständen im Einzelfall Pflegekräfte als Selbstständige angesehen werden können".

8

Es kann unerörtert bleiben, ob die Klägerin damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage zum Anwendungsbereich einer revisiblen Norm formuliert hat. Denn jedenfalls legt sie die Klärungsbedürftigkeit der Frage - ihre Qualität als Rechtsfrage unterstellt - nicht in der gebotenen Weise dar. Hierfür hätte die Klägerin im Einzelnen auf die im angegriffenen Urteil teilweise zitierte umfangreiche Rechtsprechung des BSG zur Frage der Abgrenzung von selbstständiger Tätigkeit und (abhängiger) Beschäftigung (zB zuletzt BSG SozR 4-2400 § 28e Nr 4 RdNr 17; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 6 RdNr 14 mwN; siehe insbesondere auch BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 19 S 69 f, Nr 13 S 31 f und Nr 4 S 13, jeweils mwN; BSGE 78, 34, 36 = SozR 3-2940 § 2 Nr 5 S 26 f mwN; speziell zur Frage, dass die Tätigkeit als hauswirtschaftliche Familienbetreuerin im Auftrag eines privaten Pflegedienstes - je nach den Umständen des Einzelfalls - grundsätzlich sowohl als Beschäftigung als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses ausgeübt werden kann: BSG Urteil vom 28.9.2011 - B 12 R 17/09 R - USK 2011-125) eingehen und detailliert darlegen müssen, dass sich die von ihr umschriebene Fragestellung auf Grundlage der hierin entwickelten Rechtssätze nicht hinreichend sicher beantworten lässt. Bereits diese Rechtssätze herauszuarbeiten versäumt die Klägerin. Stattdessen beruft sie sich allein auf das vermeintliche Voneinanderabweichen der zur Divergenzrüge benannten LSG-Urteile und eine "nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit" für Pflegekräfte und Pflegeeinrichtungen. Den og Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung genügt dies nicht.

9

3. Auch soweit die Klägerin gegen Ende der Begründungsschrift das Vorliegen des Zulassungsgrundes eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) geltend macht, wird dies nicht den hierfür geltenden Anforderungen entsprechend dargelegt. Für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) müssen aber die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Speziell für die Darlegung eines Verfahrensmangels wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des erkennenden Gerichts aufgrund von "Abwesenheit" eines Richters während der mündlichen Verhandlung sind konkrete Tatsachen vorzutragen, welche eine Wahrnehmung des Richters von den wesentlichen Vorgängen der Verhandlung ausschließen. Dabei sind der Zeitpunkt, die Dauer und die Einzelheiten des Verhaltens des Richters genau anzugeben. Weiterhin hat die Besetzungsrüge darzulegen, was während dieser Zeit in der mündlichen Verhandlung geschehen ist und welche für die Entscheidung wichtigen Vorgänge der Richter nicht hat erfassen können (zu Fällen des "schlafenden Richters" vgl BVerwG Beschluss vom 17.12.2003 - 4 BN 54/03 - NVwZ-RR 2004, 325 = Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr 13; BVerwG Beschluss vom 13.6.2001 - 5 B 105.00 - NJW 2001, 2898 = Buchholz 310 § 138 Ziff 1 VwGO Nr 38 mwN; vgl auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl, RdNr 515). Daher hätte die Klägerin jedenfalls die Dauer der Abwesenheit des ehrenamtlichen Richters, den Inhalt der während dieser Zeit vom Beigeladenen zu 1. abgegebenen Erklärungen sowie deren Bedeutung für die Urteilsfindung des LSG darlegen müssen. Zudem hätte die Klägerin mit Rücksicht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach ein Besetzungsmangel durch Wiederholen der wesentlichen Teile der mündlichen Verhandlung behoben werden kann (BVerwG Beschluss vom 5.11.2004 - 10 B 6/04 - NVwZ 2005, 231 = Buchholz 310 § 138 Ziff 1 VwGO Nr 41) und eine Beweiserhebung nach einem Richterwechsel nicht zwingend wiederholt werden muss, sondern auch andere Möglichkeiten der Unterrichtung von hinzugetretenen Richtern zulässig sind (BVerwG Beschluss vom 8.7.1988 - 4 B 100.88 - NVwZ-RR 1990, 166 = Buchholz 310 § 96 VwGO Nr 34; BVerwG Beschluss vom 1.6.2007 - 8 B 85/06; BVerwG Beschluss vom 15.3.2013 - 2 B 12/12 - mwN; vgl zur Beweisaufnahme durch den Einzelrichter zB BGH Urteil vom 13.3.2013 - VIII ZR 49/12 - EBE/BGH 2013, 195 mwN), im Einzelnen darlegen müssen, weshalb die im Protokoll der mündlichen Verhandlung des LSG festgehaltene - bei vollständiger Besetzung des Senates vorgenommene - Verlesung der bereits bei vollständiger Besetzung des Senats protokollierten Erklärungen des Beigeladenen zu 1. und die Bestätigung dieser Erklärungen durch den Beigeladenen zu 1. vorliegend nicht ausgereicht haben könnten, auch dem zuvor vorübergehend abwesenden ehrenamtlichen Richter die für die Urteilsfindung notwendige Kenntnis vom wesentlichen Inhalt dieser Erklärungen zu vermitteln.

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4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

11

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

12

6. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Insofern ist vom Auffang-Streitwert auszugehen. Anhaltspunkte für eine konkrete Bemessung des Streitwerts nach dem Interesse der Klägerin an einer Entscheidung liegen insbesondere auch deshalb nicht vor, weil die Beklagte mit dem in Streit stehenden Bescheiden noch keine Beitragsforderung festgesetzt hat (vgl für Streitigkeiten in Verfahren über Feststellungen nach § 7a SGB IV zB BSG Urteil vom 11.3.2009 - B 12 R 11/07 R - Juris RdNr 30, insoweit bei BSGE 103, 17 = SozR 4-2400 § 7a Nr 2 nicht abgedruckt; BSG Urteil vom 4.6.2009 - B 12 R 6/08 R - USK 2009-72).