Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 19.01.2010


BSG 19.01.2010 - B 11 AL 13/09 C

Sozialgerichtliches Verfahren - pauschale Ablehnung eines Spruchkörpers wegen Besorgnis der Befangenheit - Rechtsmissbräuchlichkeit - Entscheidung über Ablehnungsgesuch und zugleich über Gegenvorstellung bzw Anhörungsrüge unter Mitwirkung der abgelehnten Richter - Unzulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsdatum:
19.01.2010
Aktenzeichen:
B 11 AL 13/09 C
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 28. Mai 2009, Az: L 12 AL 1486/09
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Lehnt ein Antragsteller pauschal alle Richter eines Senats allein wegen der Mitwirkung an dieser Entscheidung ab, ohne konkrete Anhaltspunkte für ihre Befangenheit vorzubringen, kann das Gericht unter Mitwirkung der abgelehnten Richter über das Ablehnungsgesuch entscheiden.

2. Die Entscheidungen über das Ablehnungsgesuch und über die Anhörungsrüge bzw Gegenvorstellung können zeitgleich getroffen werden.

3. Zur Unzulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde.

Tatbestand

1

Der Senat hat in der Besetzung der abgelehnten Richter mit Beschluss vom 19. August 2009 den Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Mai 2009 - L 12 AL 1486/09 - Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen, abgelehnt.

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Mit Schreiben vom 2. September 2009 hat der Kläger gegen die ihm am 2. September 2009 zugestellte Entscheidung Gehörsrüge und Gegenvorstellung erhoben und die an diesem Beschluss mitwirkenden Senatsmitglieder wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil sich der Verdacht nicht nur aufdränge, dass das Gericht das PKH-Verfahren missbrauche, um die Hauptsache vorwegzunehmen, sondern auch, dass das Gericht offensichtlich nicht bereit sei, sich mit einer abweichenden Rechtsauffassung sachlich auseinanderzusetzen.

Entscheidungsgründe

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1. Die Anhörungsrüge ist unzulässig.

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Die Zulässigkeit einer Anhörungsrüge setzt ua nach § 178a Abs 2 Satz 5, Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Darlegung des durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten voraus, dass das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. An dieser Voraussetzung fehlt es.

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Der Anhörungsrüge vom 2. September 2009 sind keine schlüssigen Darlegungen zu entnehmen, dass das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Beschluss vom 19. August 2009 den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt habe. Er macht zwar geltend, sein bisheriges Vorbringen sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, da die Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde - wie er nachgewiesen habe - selbst im Sozialrecht eine juristische Streitfrage sei; insoweit enthalten seine Ausführungen aber im Wesentlichen nur eine Wiederholung und Vertiefung der bisherigen, dem Senat bereits bekannten Argumentation. Soweit der Kläger geltend macht, der Senat könne nicht in einem PKH-Verfahren die Entscheidung über sein Recht auf wirksame Beschwerde vorwegnehmen, wendet er sich lediglich unter Hinweis auf einen angeblichen Gehörsverstoß gegen die Rechtsanwendung durch den Senat. Er verkennt damit, dass es nach den Maßstäben des § 178a Abs 2 Satz 5 SGG gerade nicht ausreicht, im Kern die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu beanstanden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt keine Gewährleistung dafür, dass das Gericht dem Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten folgt (vgl ua BSG, Beschluss vom 29. November 2005 - B 1 KR 94/05 B; Beschluss vom 28. Mai 2008 - B 12 KR 3/08 C - und Senatsbeschlüsse vom 30. März 2009 - B 11 AL 5/09 C - und vom 21. August 2009 - B 11 AL 12/09 C).

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2. Die Gegenvorstellung ist ebenfalls unzulässig.

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Auch wenn nach Einführung der Anhörungsrüge eine Gegenvorstellung weiter grundsätzlich statthaft ist (vgl Bundesverfassungsgericht , Beschluss vom 25. November 2008 - 1 BvR 848/07, NJW 2009, 829), setzt ihre Zulässigkeit voraus, dass dem Betroffenen grobes prozessuales Unrecht zugefügt worden ist, das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden muss (vgl ua BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 24; SozR 4-1500 § 178a Nr 3). Im vorliegenden Fall zeigen die vom Kläger vorgebrachten Gründe keine schwerwiegende Rechtsverletzung auf, insbesondere nicht die Verletzung von Verfahrensgrundrechten. Dass der Kläger die Rechtsanwendung für verfassungswidrig hält und darin einen Verstoß gegen Art 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention sieht, macht die Gegenvorstellung nicht zulässig. Der Antrag auf PKH war zwingend wegen fehlender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 Satz 1 Zivilprozessordnung <ZPO>) abzulehnen. Zur Klarstellung wird nochmals darauf hingewiesen, dass - wie im Beschluss des Senats vom 19. August 2009 ausgeführt - eine vom Kläger geltend gemachte "Untätigkeitsbeschwerde" im Gesetz nicht vorgesehen ist und dieser Rechtsbehelf - gerade unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - auch nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschaffen werden kann (vgl BSG, Beschluss vom 21. Mai 2007 - B 1 KR 4/07 S - SozR 4-1500 § 160a Nr 17). Insoweit ist die vom Kläger zitierte Entscheidung des 4. Senats des BSG (SozR 4-1500 § 160a Nr 11 RdNr 21 ff) überholt. Aus den dem BSG zur Begründung des PKH-Gesuchs vorgelegten Unterlagen (insbesondere Aufsatz von Steinbeiß-Winkelmann, NJW 2008, 1783 ff, mit Nachweisen) ergibt sich nichts anderes. Auch danach wird ausdrücklich "der Gesetzgeber" in der Pflicht gesehen (vgl Steinbeiß-Winkelmann, aaO). Die abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (NJW 2009, 2388) ist nicht mit der BSG-Rechtsprechung zu vereinbaren.

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3. Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers ist ebenfalls unzulässig, da es rechtsmissbräuchlich ist. Es hindert deshalb den Senat auch nicht, über die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter zu entscheiden (vgl auch Bundesfinanzhof , NJW 2009, 3806 f).

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Es kann dahinstehen, ob eine Richterablehnung im Rahmen einer Anhörungsrüge, die gerade der Selbstkorrektur des Gerichts dienen soll, von vornherein unzulässig ist (vgl Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 152a RdNr 28, Stand Oktober 2008). Die Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs ergibt sich hier jedenfalls aus seiner Missbräuchlichkeit.

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a) Nach § 60 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (vgl ua Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl 2009, § 54 RdNr 10 mwN).

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b) Nach § 60 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. Es ist allerdings anerkannt, dass abweichend vom Wortlaut des § 45 Abs 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählt ua die pauschale Ablehnung eines gesamten Spruchkörpers (vgl BVerfG, NJW 2007, 3771; BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 8; BFH, NJW 2009, 3806 mwN; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl 2008, § 60 RdNr 10d).

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So liegt es hier. Der Antragsteller hat in seinem Schreiben vom 2. September 2009 pauschal alle Richter des Senats, die an dem Beschluss vom 19. August 2009 mitgewirkt haben, allein wegen der Mitwirkung an diesem Beschluss abgelehnt, ohne konkrete Anhaltspunkte vorzubringen, die bei vernünftiger objektiver Betrachtung auf eine Befangenheit der Mitglieder des Spruchkörpers hindeuten. Anhaltspunkte für eine Befangenheit ergeben sich insbesondere nicht aus dem Vorbringen des Klägers, das Gericht sei nicht zu einer Auseinandersetzung mit einer abweichenden Rechtsansicht bereit; denn der Senat hat seine vom Kläger beanstandete Entscheidung vom 19. August 2009 ausdrücklich auf den Beschluss des BSG vom 21. Mai 2007 gestützt, dem eine umfassende Auseinandersetzung mit der vom Kläger angesprochenen Problematik zu entnehmen ist.

13

Der Umstand der Vorbefassung vermag für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Das geltende Verfahrensrecht ist von dem Gedanken geprägt, dass ein Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er bereits früher mit der Sache befasst war. Ausnahmen hiervon hat der Gesetzgeber in § 60 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO abschließend normiert. Mit der gesetzlichen Wertung des abschließenden Charakters dieses Ausschlussgrundes wäre es nicht vereinbar, wenn der bloße Umstand der Vorbefassung eines Richters mit der Sache geeignet wäre, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Vielmehr müssten besondere zusätzliche Umstände hinzutreten, um in den Fällen der Vorbefassung die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Dies gilt in gleicher Weise für das Verhältnis der Anhörungsrüge zur vorausgehenden, mit ihr angegriffenen PKH-Entscheidung (so BSG, Beschluss vom 20. Oktober 2009 - B 7 AL 10/09 C - und Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. Mai 2009 - 5 PKH 6/09, NVwZ-RR 2009 662 f). Besondere Umstände, die hier zur Vorbefassung hinzutreten und die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten, sind vor dem Hintergrund des Klagebegehrens nicht ersichtlich.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

15

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.