Entscheidungsdatum: 26.02.2019
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Die Beteiligten streiten über Kostenerstattung und künftige Versorgung des Klägers mit dem Arzneimittel Iscover (Wirkstoff Clopidogrel) ohne Begrenzung auf den Festbetrag.
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger erlitt zwei zerebrale Ischämien. Er beantragte befundgestützt, ihn ohne Begrenzung auf den Festbetrag auf vertragsärztliche Verordnung mit dem Arzneimittel Iscover zu versorgen (12.4.2015). Die Beklagte holte - ohne den Kläger hierüber zu unterrichten - Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein und lehnte die Übernahme der Mehrkosten ab: Der Kläger habe nicht alle zur Verfügung stehenden Präparate der Festbetragsgruppe getestet. Für die getesteten, zum Festbetrag verfügbaren Arzneimittel habe der Kläger objektiv nicht nachgewiesen, dass diese eine zusätzliche behandlungsbedürftige Krankheit oder Verschlimmerung einer bereits vorliegenden Krankheit verursachten (Bescheid vom 4.5.2015; Widerspruchsbescheid vom 22.7.2015). Das SG hat die Klage auf Erstattung von 946,68 Euro Mehrkosten und zukünftige Versorgung mit dem Arzneimittel Iscover abgewiesen (Urteil vom 2.5.2017). Der Kläger hat mit seiner Berufung einen Teil der ursprünglichen Forderung (212,02 Euro) nach Hinweis des LSG, dass die Selbstbeschaffung (2.5.2015) vor Fristablauf erfolgt sei, nicht weiterverfolgt, aber einen zusätzlichen Erstattungsbetrag (200,57 Euro) für weitere Selbstbeschaffungen geltend gemacht. Das LSG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger 935,23 Euro zu erstatten und ihm zukünftig Iscover auf vertragsärztliche Verordnung ohne Begrenzung auf den Festbetrag zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe aufgrund des Eintritts einer Genehmigungsfiktion Anspruch auf Versorgung mit vertragsärztlich verordnetem Iscover. Er habe diese Leistung für erforderlich halten dürfen. Sie liege nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Es stehe nicht fest, dass die insoweit die objektive Beweislast tragende Beklagte, wie von ihr behauptet, vor Ablauf der Frist einen Ablehnungsbescheid mündlich erlassen habe (Urteil vom 3.5.2018).
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 13 Abs 3a SGB V. Die Regelung erfasse nur Leistungen, die grundsätzlich zum Leistungskatalog der GKV gehörten. Dazu zählten festbetragsübersteigende Eigenanteile nicht. Diese lägen auch offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Mai 2018 aufzuheben, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 2. Mai 2017 zurückzuweisen und die Klage auf Zahlung weiterer 200,57 Euro abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Mai 2018 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die zulässige Revision der beklagten KK ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG und die Ablehnungsentscheidung der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger auf vertragsärztliche Verordnung das Arzneimittel Iscover ohne Begrenzung auf den Festbetrag zukünftig zu gewähren und ihm 935,23 Euro zu erstatten. Die zulässige Klage (dazu 1.) ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf zukünftige Versorgung mit dem Arzneimittel und auf die geltend gemachte Kostenerstattung für die Vergangenheit (dazu 2. bis 4.). Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten ist aufzuheben (dazu 5.).
1. Gegenstand des Rechtsstreits sind die in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) zusammen verfolgten zulässigen Klagebegehren: Die allgemeine Leistungsklage gerichtet auf zukünftige Versorgung mit dem Arzneimittel Iscover sowie auf Erstattung von 935,23 Euro hierfür bisher aufgewandte Kosten und die isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 9 ff; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 9 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Der Kläger hat zulässig seinen Klageantrag im Berufungsverfahren in Höhe eines Betrags von 200,57 Euro wegen weiterer Selbstbeschaffungen des Arzneimittels auf Kostenerstattung umgestellt. Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird (§ 99 Abs 3 Nr 3 SGG). So liegt es - wie hier - bei der Umstellung eines Sachleistungsbegehrens auf einen Kostenerstattungsanspruch (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 RdNr 9).
2. Der Kläger hat Anspruch auf künftige Versorgung mit Iscover und auf Erstattung von 935,23 Euro für die Vergangenheit aus § 13 Abs 3a S 6 und 7 SGB V (in der seit dem 26.2.2013 geltenden Fassung des Art 2 Nr 1 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten
3. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Versorgung mit Iscover kraft Fiktion der Genehmigung sind erfüllt. § 13 Abs 3a SGB V erfasst die von dem Kläger beantragte Leistung nicht nur zeitlich, sondern auch als eine ihrer Art nach der Genehmigungsfiktion zugängliche Leistungsart (dazu a). Der Kläger war und ist leistungsberechtigt (dazu b). Er stellte bei der Beklagten einen hinreichend bestimmten Antrag auf Versorgung mit dem Arzneimittel (dazu c), die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt und die er für erforderlich halten durfte (dazu d). Diesen Antrag beschied die Beklagte ohne Begründung nicht fristgerecht (dazu e). Die Genehmigung ist auch nicht später erloschen (dazu f).
a) Der zeitliche und sachliche Anwendungsbereich der Regelung des § 13 Abs 3a SGB V ist eröffnet. Nach dem maßgeblichen intertemporalen Recht (vgl hierzu zB BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 13 f mwN) greift sie lediglich für Anträge auf künftig zu erbringende Leistungen, die Berechtigte ab dem 26.2.2013 stellen (vgl BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 9; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 15 mwN). Der Kläger stellte seinen Antrag im Jahr 2015.
§ 13 Abs 3a SGB V ist auf den Antrag des Klägers auch sachlich anwendbar. Die Regelung erfasst ua Ansprüche auf Krankenbehandlung, nicht dagegen Ansprüche gegen KKn, die unmittelbar auf eine Geldleistung oder auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gerichtet sind (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 11 ff; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 18, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen); auf letztere finden die §§ 14 f SGB IX (idF des Art 1 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - <SGB IX> Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGB I 1046 <SGB IX aF>; seit 1.1.2018: §§ 14 f, 18 idF des Art 1 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen <Bundesteilhabegesetz - BTHG> vom 23.12.2016, BGBl I 3234) Anwendung (§ 13 Abs 3a S 9 SGB V). Der Kläger verlangt keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Er begehrt unter Berücksichtigung der Auslegung seines Antrags (vgl unten 3. c) auch nicht unmittelbar eine Geldleistung beschränkt auf den den Festbetrag (§ 31 Abs 2, § 35 SGB V) überschreitenden Teil des jeweiligen Arzneimittelpreises für Iscover, sondern unter Beachtung der allgemeinen Zuzahlungsregelungen (§ 31 Abs 3 S 1, §§ 61 f SGB V) die künftige wiederkehrende Gewährung von Krankenbehandlung in Gestalt der Vollversorgung mit dem Arzneimittel Iscover (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 iVm § 31 SGB V) sowie sachleistungsersetzende Kostenerstattung für dieses selbstbeschaffte Arzneimittel für die Vergangenheit (vgl nur BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 11 ff; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Ob der Antrag eine ihrer Art nach der Genehmigungsfiktion zugängliche Leistungsart betrifft, bestimmt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht abschließend objektiv nach den Grenzen des GKV-Leistungskatalogs. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Antragsteller unmittelbar eine Geldleistung oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation begehrt, oder zB wie hier Arzneimittelversorgung als Teil der Krankenbehandlung (zu dem hiervon unabhängigen Prüfungspunkt, ob der Antragsteller das Beantragte für erforderlich halten durfte und ob es nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt, vgl II 3. d).
b) Der Kläger ist als bei der Beklagten Versicherter leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen ua in der GKV Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen KK (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 22; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 16; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 16, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
c) Der Kläger beantragte als Leistung hinreichend bestimmt, ihm künftig aufgrund vertragsärztlicher Verordnung Iscover zur Verhinderung einer erneuten zerebralen Ischämie ohne Begrenzung auf den Festbetrag unbeschadet der Zuzahlungsregelungen zu gewähren. Das LSG hat den Antrag des Klägers im Ergebnis in diesem Sinne ausgelegt, ohne dass revisionsrechtlich hiergegen etwas zu erinnern ist. Nach den unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dessen Auslegung des Antrags nach Maßgabe der gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB), der Denkgesetze und der allgemeinen Erfahrungssätze nicht zu beanstanden (vgl zum Maßstab Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand Oktober 2018, § 162 Anm 8a Doppelbuchst ii mwN).
Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung und als materiell-rechtliche Voraussetzung (stRspr, vgl zur Doppelfunktion zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 20, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 17, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits iS von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 23; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 17). Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (stRspr, vgl zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 17 mwN; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 17, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Der Antrag des Klägers mit dem og Inhalt genügte diesen Anforderungen. Es ging dem Kläger entsprechend der von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahme nach den Feststellungen des LSG um die dauerhafte, auf vertragsärztliche Verordnungen gestützte Versorgung mit Iscover wegen der Gefahr weiterer zerebraler Ischämien. Die Geltung und Anwendung der gesetzlich angeordneten Zuzahlungen (vgl § 31 Abs 3 S 1 SGB V iVm § 61 S 1 SGB V) zog der Kläger nicht in Zweifel und begehrte insoweit weder anfänglich eine Freistellung von noch später eine Erstattung geleisteter Zuzahlungen.
Soweit Literatur (Knispel, jurisPR-SozR 18/2018 Anm 2) meint, ein solcher Antrag lasse einen zeitlich nicht begrenzten Versorgungsanspruch in Widerspruch zu BSG-Rspr entstehen, vermag ihr der erkennende Senat nicht zu folgen. Es entspricht der Rspr des erkennenden Senats, dass Versicherte den Anspruch auf künftige Versorgung mit einem vertragsärztlich verordneten Arzneimittel ohne Beschränkung auf den Festbetrag verfolgen können, wenn die KK einen solchen Antrag ablehnt (vgl BSGE 111, 146 = SozR 4-2500 § 35 Nr 6, RdNr 3-7, 11 ff). Diese Rspr trägt dem Gebot Rechnung, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl Art 19 Abs 4 GG), ohne die Abhängigkeit des Anspruchs von der ärztlich überprüften Erforderlichkeit der Krankenbehandlung zu vernachlässigen (vgl hierzu bereits BSGE 85, 132, 133 ff = SozR 3-2500 § 27 Nr 12 S 59 ff = Juris RdNr 12 ff). Der Anspruch ist von vornherein durch verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen wie ua die vertragsärztliche Verordnung begrenzt, nicht etwa zeitlich unbegrenzt (unzutreffend Knispel, aaO). Das Erfordernis vertragsärztlicher Verordnung ermöglicht dem behandelnden Vertragsarzt, das Arzneimittel bei gleichbleibender Erforderlichkeit zu verordnen, ohne deshalb einen Regress befürchten zu müssen. Es ist zugleich inhaltlich dafür offen, dass der Vertragsarzt die Verordnung pflichtgemäß verweigert, wenn zB die Indikation fehlt oder die Verordnung eines neu zugelassenen kostengünstigeren Festbetragsarzneimittels in Betracht kommt, welches der Versicherte zumutbar für das gleiche Therapieziel erhalten kann.
Sollte sich aus der früheren Rspr des erkennenden Senats (BSGE 85, 132 = SozR 3-2500 § 27 Nr 12) Abweichendes ableiten lassen, gibt er diese Rspr insoweit klarstellend auf. Die Rspr ist an Entscheidungen ausgerichtet, die einen "Bewilligungsabschnitt" beinhalten. Danach enthält die Bewilligung einer Behandlungsleistung nur dann eine bindende Entscheidung für einen längeren Zeitraum, wenn dieser Zeitraum in der Bewilligungsentscheidung genannt oder sich aus ihr sinngemäß ergibt; eine Bewilligung, die sinngemäß oder ausdrücklich "bis auf weiteres" gelten soll, reicht - ähnlich wie im Sozialhilferecht des BSHG - nicht über den nachfolgenden Bewilligungsabschnitt hinaus. Bei Bewilligungen betreffend die künftige Versorgung mit einem vertragsärztlich verordneten Arzneimittel ohne Beschränkung auf den Festbetrag ist dies nicht der Fall.
d) Der Antrag des Klägers betraf auch eine Leistung, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag und die er für erforderlich halten durfte. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach Regelungszusammenhang und -zweck an. Die gesetzliche Regelung soll den Berechtigten nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die ihm deutlich vor Augen stehen oder jedem Versicherten klar sein müssen (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 26; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 21). Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) entgegen. Die in der Durchbrechung dieser Grundsätze liegende Ungleichbehandlung Versicherter ist als gezielte, durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln vermeidbare Sanktion in eng begrenzten Ausnahmefällen noch vor dem allgemeinen Gleichheitssatz (vgl Art 3 Abs 1 GG) gerechtfertigt (stRspr, vgl zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 22; BSG SozR 4-2500 § 137e Nr 1 RdNr 22, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). § 13 Abs 3a SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von den genannten Anforderungen ab, indem er in seinem Satz 6 selbst in den Fällen, in denen eine KK einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet und damit bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur "zufällig" rechtmäßig ist, mithin die Leistung auch dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese objektiv ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen Anspruch hat. Wären nur die auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von § 13 Abs 3a SGB V gerichteten Anträge fiktionsfähig, wäre die Regelung des § 13 Abs 3a S 6 SGB V obsolet (stRspr, vgl BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 22 mwN; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 21, auch für BSGE und SozR vorgesehen; dies verkennend zB LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.5.2014 - L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR 155/14 B - Juris RdNr 26 ff = NZS 2014, 663; Schneider, NZS 2018, 753, 756 f, zudem unzutreffend auf die ursprünglich geplante Regelung in Art 2 Nr 1 PatRVerbG-Entwurf der Bundesregierung
Die Versorgung mit Iscover liegt nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV. Versicherte haben nach allgemeinen Grundsätzen Anspruch auf Versorgung mit einem vertragsärztlich verordneten verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel als Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V), wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Hierzu muss grds eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet bestehen, in dem es angewendet werden soll (stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22 mwN - D-Ribose; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 15 - Ilomedin; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 12 - Avastin; BSGE 122, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28, RdNr 11 - Intratect).
Iscover genügt diesen Anforderungen. Es ist ein nach Arzneimittelrecht verschreibungspflichtiges, nicht nach § 34 Abs 1 S 1 SGB V ausgeschlossenes Arzneimittel (§ 48 Abs 1 S 1 Nr 1 Arzneimittelgesetz <AMG> in der ab dem 23.7.2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009, BGBl I 1990, iVm § 1 Nr 1 und Anl 1 - "Clopidogrel" - zu § 1 Nr 1 Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln <Arzneimittelverschreibungsverordnung - AMVV> in der ab dem 1.3.2013 maßgebenden Fassung der VO vom 19.2.2013, BGBl I 312, zuletzt in der ab 1.10.2018 geänderten Fassung der VO vom 26.9.2018, BGBl I 1386). Arzneimittelrechtliche Ausschlussgründe bestehen nicht (§ 31 Abs 1 S 1 SGB V, § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V iVm § 4 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses
Die beantragte Vollversorgung mit dem Mittel liegt auch nicht etwa deshalb offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV, weil die Kosten von Iscover den für die zugehörige Festbetragsgruppe "Clopidogrel, Gruppe 1" wirksam festgesetzten Festbetrag überschreiten (§ 31 Abs 2 S 1 SGB V, § 35 SGB V; GBA Beschluss vom 21.8.2014, BAnz AT 8.10.2014 B1). Grds erfüllen KKn ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten mit dem Festbetrag (§ 12 Abs 2 SGB V). Dagegen greift in atypischen Ausnahmefällen, in denen aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist, die Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag nicht ein. Dies ist der Fall, wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit erreichen (vgl BSGE 111, 146 = SozR 4-2500 § 35 Nr 6, RdNr 13, 15 f mwN). Der Kläger zielte mit seinem Antrag auf einen solchen Ausnahmefall. Die Beklagte konnte den Antrag nicht einfach aus Rechtsgründen ablehnen, sondern beauftragte nachvollziehbar den MDK.
Der Kläger durfte die beantragte Versorgung unter Hinweis auf Fehlschläge mit Therapieversuchen mit Festbetragsarzneimitteln und aufgrund der Befürwortung seiner behandelnden Ärzte für erforderlich halten. Es ergeben sich aus den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen, den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) keine Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch.
e) Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der hier eingreifenden Frist von drei Wochen, sondern erst nach Fristablauf. Maßgeblich für den Fristbeginn ist Montag, der 13.4.2015, der Tag nach Eingang des Antrags bei der Beklagten (12.4.2015, vgl § 26 Abs 1 SGB X iVm § 187 Abs 1 BGB). Hierbei ist es unerheblich, ob die betroffene KK meint, der maßgebliche Sachverhalt sei noch aufzuklären (stRspr, vgl zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 25; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39, RdNr 29 ff, mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 24, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Der Antrag setzte die gesetzliche Frist von drei Wochen in Gang. Eine längere Frist gilt nur, wenn die KK den Antragsteller vor Fristablauf von einem Verlängerungstatbestand unterrichtet (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 28; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 29 mwN; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 28, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Nach § 13 Abs 3a S 1 SGB V hat die KK über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die KK eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs 3a S 2 SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs 3a S 3 SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehenen Gutachterverfahrens bestimmt (§ 13 Abs 3a S 4 SGB V: ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen). Kann die KK die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs 3a S 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V). Maßgeblich ist - wie im Falle der Entscheidung durch einen bekanntzugebenden Verwaltungsakt - der Zeitpunkt der Bekanntgabe gegenüber dem Antragsteller, nicht jener der behördeninternen Entscheidung über die Information (vgl §§ 39, 37 SGB X; stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 28; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 29 mwN; BSG Urteil vom 6.11.2018 - B 1 KR 20/17 R - Juris RdNr 20, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; unzutreffend Bayerisches LSG Beschluss vom 25.4.2016 - L 5 KR 121/16 B ER - Juris RdNr 26). Ohne diese gebotene Information über die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme können Leistungsberechtigte nach Ablauf von drei Wochen nach Antragstellung annehmen, dass ihr Antrag als genehmigt gilt (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 28; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 29).
Die Beklagte unterrichtete nach den unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG den Kläger nicht vor Fristablauf vom Eintritt eines Verlängerungstatbestands. Die Frist endete am Montag, dem 4.5.2015 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 BGB). Die Beklagte lehnte den Antrag erst nach Ablauf der Frist ab (Bescheid vom 4.5.2015). Nach den ebenfalls unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG wurde weder der Bescheid vom 4.5.2015 dem Kläger bereits am selben Tag bekanntgegeben noch teilte die Beklagte dem Kläger die Ablehnungsentscheidung schon zuvor am 30.4.2015 per Telefon mit.
f) Die Genehmigung ist auch nicht später erloschen. Auch eine fingierte Genehmigung - wie jene des Klägers - bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl § 39 Abs 2 SGB X). Sie schützt hiermit den Adressaten. In diesem Sinne ist eine KK nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen. Die Voraussetzungen eines Erlöschenstatbestands sind nicht erfüllt. Die Beklagte regelte mit der Ablehnung der Leistung weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme, eine Aufhebung oder einen Widerruf (vgl hierzu §§ 45, 47, 48 SGB X) der fingierten Genehmigung (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 32; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 36 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 35 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; unzutreffend die Möglichkeit einer Rücknahme nach der Senats-Rspr verneinend Felix, KrV 2018, 177, 182). Das LSG hat keine Umstände festgestellt, die die Genehmigung hätten erlöschen lassen können. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
4. Auch die Voraussetzungen des Anspruchs auf Erstattung von 935,23 Euro aus § 13 Abs 3a S 7 SGB V sind erfüllt (vgl hierzu zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 7 und 19 ff; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die Regelung ist zeitlich und sachlich anwendbar (vgl oben, II 3. a). Die vom Kläger beantragte Versorgung mit Iscover zur vorbeugenden Behandlung zerebraler Ischämien ohne Begrenzung auf den Festbetrag aufgrund vertragsärztlicher Verordnung unbeschadet der Zuzahlungsregelungen galt als genehmigt (vgl oben, II 2. und 3.). Der Kläger beschaffte sich die erforderliche Leistung aufgrund ärztlicher Verordnung in der Zeit vom 18.8.2015 bis einschließlich 29.3.2018 selbst. Sie war dementsprechend jeweils im Zeitpunkt der Beschaffung erforderlich. Hierdurch entstanden ihm 935,23 Euro Kosten. Sie betreffen die Differenz zwischen der Festbetragsgrenze und den Arzneimittelkosten unter Ausschluss von Zuzahlungen iS von § 61 SGB V. Insoweit ist ein vom Kläger ohne Selbstbeschaffung der Leistung zu tragender Eigenanteil der Therapiekosten ausgeklammert (vgl hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit <14. Ausschuss> zu dem Entwurf eines PatRVerbG der Bundesregierung, BT-Drucks 17/11710 S 30 und BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 33-34).
5. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten (Bescheid vom 4.5.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.7.2015) ist rechtswidrig. Sie verletzt den Kläger in seinem sich aus der fiktiven Genehmigung seines Antrags ergebenden Leistungsanspruch (vgl dazu oben II 2. bis 4.).