Entscheidungsdatum: 23.06.2015
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Januar 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, ihm eine stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation zu gewähren, bei der Beklagten und beim SG ohne Erfolg geblieben. Im Berufungsverfahren hat das LSG mit Beweisanordnung vom 14.8.2014 den Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Dr. med. B. D., mit der Erstattung eines Gutachtens zu der Frage beauftragt, ob beim Kläger eine stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation erforderlich sei oder ambulante Maßnahmen ausreichten. Dr. D. sandte den Gutachtensauftrag mit der Begründung zurück, der Kläger stelle utopische Forderungen, wenn er denn zu einer Untersuchung kommen würde. Er bitte, das Gutachten an einen Kollegen weiterzuleiten, der sich dazu in der Lage sehe, die Wünsche und Vorstellungen des zu Begutachtenden zu erfüllen (14.9.2014). Für den neuen Untersuchungstermin beantragte der Kläger die Kostenübernahme für eine Taxifahrt durch Vorschusszahlung auf sein Konto, "hilfsweise Begutachtung nach Aktenlage" (Eingang 21.10.2014). Das LSG hat die Berufung des Klägers nach mündlicher Verhandlung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, der Kläger sei zu einer Mitwirkung verpflichtet. Eine Begutachtung sei aber aufgrund der überzogenen Forderungen des Klägers nicht zustande gekommen. In der mündlichen Verhandlung habe er keinen Grund für seine Verweigerungshaltung bezüglich einer Begutachtung nennen können. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast gehe die Nichterweislichkeit des Gesundheitszustandes zu Lasten des Klägers (Urteil vom 28.1.2015).
Der Kläger rügt mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil Verfahrensfehler und macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II. Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet. Das LSG-Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), den der Kläger entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend bezeichnet. Soweit er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend macht, legt er - ohne dass dies (noch) Einfluss auf die Zulässigkeit der Beschwerde hätte - die hierfür notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar.
1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Das Urteil des LSG ist unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) ergangen. Das LSG ist dem vom nicht anwaltlich vertretenen Kläger (hilfsweise) gestellten "Beweisantrag", ein Gutachten nach Aktenlage einzuholen (am 21.10.2014 eingegangenes Schreiben), ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).
Zwar setzt ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz voraus, dass der Beteiligte einen formellen Beweisantrag iS von §§ 373, 404 ZPO iVm § 118 SGG gestellt und bis zur Entscheidung des LSG aufrechterhalten hat, weil der Tatsacheninstanz durch einen solchen Antrag vor der Entscheidung vor Augen geführt werden soll, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht (Warnfunktion vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; BSG Beschluss vom 10.4.2006 - B 1 KR 47/05 B - Juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 1.2.2013 - B 1 KR 111/12 B - RdNr 8). Hieran fehlt es. Bei einem - wie hier - nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten sind jedoch geringere Anforderungen zu stellen. Hier genügt es, dass dem Vorbringen Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass der Beteiligte überhaupt in einer bestimmten Richtung noch eine Aufklärung für erforderlich gehalten hat (vgl BSG Beschluss vom 26.2.1992 - 7 BAr 100/91 - Juris RdNr 7). So liegt der Fall hier. Der Kläger hat mit seinem am 21.10.2014 eingegangenen Antrag deutlich gemacht, dass er die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Ein konkretes Beweisthema musste er nicht benennen, weil er mit seinem Antrag die Beweisanordnung des LSG und die darin gestellten Beweisfragen inhaltlich verknüpft hat. Das LSG hatte zu diesem Zeitpunkt die Beweisanordnung auch noch nicht aufgehoben. Es ist noch nicht einmal erkennbar, dass die Beweisanordnung überhaupt aufgehoben wurde. Zwar findet sich in der Akte eine Verfügung vom 23.10.2014, in der es unter Ziff 2 lautet: "Beschluss Herrn Dr. D. von Gutachtensauftrag entbinden", ob diese Verfügung ausgeführt und der Kläger hiervon unterrichtet wurde, ist der Akte hingegen nicht zu entnehmen.
Das LSG ist dem Beweisantrag ohne hinreichenden Grund nicht gefolgt. Das LSG selbst ist davon ausgegangen, dass ein Gutachten von Amts einzuholen ist und hat mit Beweisanordnung vom 14.8.2014 zur Beantwortung der gestellten Beweisfragen ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Die Verpflichtung zur Aufklärung der danach für entscheidungserheblich und klärungsbedürftig gehaltenen Tatsachen hat das LSG verletzt. Von seiner selbst erkannten Verpflichtung zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung iS von § 103 SGG ist das LSG nicht ohne Weiteres dadurch frei geworden, dass der Sachverständige den Gutachtensauftrag mit der Begründung zurücksandte, der Kläger stelle "utopische Forderungen". Zwar verringern sich die Anforderungen der gerichtlichen Amtsermittlungspflicht, wenn ein Beteiligter seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 144 Nr 1 RdNr 10). Mangelnde Mitwirkung entbindet das Gericht jedoch nicht von der Pflicht, die noch möglichen Ermittlungen anzustellen (vgl BSG SozR 4-1500 § 103 Nr 5 RdNr 14 f).
Es ist schon nicht nachvollziehbar, dass sich der Kläger, wie das LSG meint, geweigert haben soll, sich vom gerichtlichen Sachverständigen untersuchen zu lassen. Der Akteninhalt lässt auf das Gegenteil schließen. Ob die Forderungen des Klägers derart überzogen waren, dass sie einer Weigerung gleichkommen, vermag der Senat nicht zu beurteilen. Denn das LSG hat es gänzlich unterlassen, die konkreten Gründe zu ermitteln, die Dr. D. veranlasst haben, den Gutachtensauftrag "zurückzugeben". Dr. D. hat lediglich für seine Person erklärt, dass er die Vorstellungen des Klägers "leider nicht einräumen könne" und bat deshalb, "das Gutachten an einen Kollegen weiterzuleiten". Das LSG hatte auch Anhaltspunkte dafür, dass das Verhalten des Klägers gegenüber dem Sachverständigen und seinen Mitarbeitern ursächlich auf seine Erkrankung zurückzuführen ist. So gibt etwa Prof. Dr. De. auf Fragen des LSG in seinem Befundbericht vom 15.7.2014 an, der Kläger habe beklagt, dass er durch Dr. B."zwangsbegutachtet" worden sei. Er - Prof. Dr. De. habe einen psychopathologischen Befund erhoben. Der Kläger leide an einer organisch-affektiven Störung sowie einer mittelgradigen depressiven Episode. Diesen Gegebenheiten hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen. Es hätte sich gedrängt sehen müssen, mit Dr. D. und dem Kläger die Umstände zu klären, die zu einem Scheitern der Untersuchung geführt haben. Ggf wäre Dr. D. zu entbinden und ein anderer Sachverständiger zu bestellen gewesen, wie es Dr. D. selbst vorgeschlagen hat. Das LSG hätte auch in Erwägung ziehen müssen, ob - wie es der Kläger beantragt hat - als ultima ratio ein Gutachten nach Aktenlage einzuholen ist. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass alle zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, um den Sachverhalt weiter aufzuklären (vgl auch BSG Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 5/13 B - Juris RdNr 15).
Auf der Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht kann das angefochtene Urteil iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung einer weiteren Beweisaufnahme der Rechtsstreit einer anderen, für den Kläger günstigeren Lösung hätte zugeführt werden können.
2. Die für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache notwendigen Voraussetzungen legt der Kläger nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Kläger formuliert schon keine erkennbare Rechtsfrage. Eine solche vermag der erkennende Senat auch nicht sinngemäß den Ausführungen des Klägers zu entnehmen.
3. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch, weil eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache weder den Ausführungen des Klägers noch dem Inhalt der Akten zu entnehmen ist.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.